Dienstag, 31. März 2009

Sie können nicht über ihren eigenen Schatten springen

31.3.2009

In meinem letzten Tagebucheintrag berichtete ich über ein kleines palästinensisches Kinderorchester aus Jenin, das im israelischen Holon für jüdische Holocaustüberlebende spielte und ihnen (und auch mir) damit das Herz wärmte. Doch schon haben Funktionäre der PA, die palästinensischen Regierung, die Notleine gezogen und das Orchester aufgelöst.

Die Kinder berichteten, dass sie in all den Jahren feinster palästinensischer Erziehung nichts über den Holocaust gehört hätten. Bei ihrem Besuch in Holon haben sie das zu einem kleinen Teil nachgeholt, Juden kennengelernt und gemerkt, dass diese auch Menschen sind, während die jüdischen Alten die Erfahrung machten, dass es auch Palästinenser gibt, die nicht bomben, sondern Geige spielen. Es gab einen Dialog. Aber Dialog darf, so wollen es palästinensische Funktionäre, nicht gestattet werden.

Die Palästinenser lösten das Orchester mit der Begründung auf, es sei "politisch" vor alten Juden zu spielen. Das sagt, so denke ich, sehr viel über die Friedensbereitschaft der PA, die nur noch deshalb existiert, weil sie von der westlichen Welt finanziell und politisch über Wasser gehalten wird. Mit diesem schwachsinnigen, von Hass motivierten Entscheid soll wohl vermieden werden, dass die Kinder selbst herausfinden, dass, eben, auch Juden Menschen sind. Wie zu lesen ist, wurden die Eltern "spontan" überzeugt, sich gegen das Orchester zu wenden, das von einer israelisch-arabischen Musiklehrerin gegründet worden ist. Wie es scheint, bewiesen ist es zwar nicht, steckt dahinter "Badil", eine Organisation, die vor allem dazu besteht, das palästinensische Flüchtlingsdasein zu verewigen. Zudem bietet sich der reale Verdacht an, dass die Verantwortlichen für diese Entscheidung, die Spendengelder für das Orchester schlicht stehlen wollen. Der Leiterin des Orchesters, der israelischen Araberin Wafa Younes, ist das Betreten des Flüchtlingslager in Jenin nicht verboten, aber man könne nicht für ihre Sicherheit garantieren – mit anderen Worten, man darf sie, eine völlig unpolitische arabische Frau, die Musik und Kinder liebt, umbringen, weil ihr Kinderorchester vor jüdischen Holocaustüberlebenden gespielt hat. Das Übungslokal in Jenin wurde verschlossen, Türen und Fenster mit Brettern vernagelt.

Wafa Younes ist verzweifelt. "Die wollen die Gruppe zerstören. Es ist eine Schande. Was haben diese armen alten Menschen Falsches getan? Was haben die Kinder Falsches getan?", fragt sie.

Das Ganze erinnert an ähnliche Phänomene aus der palästinensischen Welt, in der Hass auf Israel und Juden oberstes Gebot ist, wichtiger als Frieden, Nahrung, Erziehung und Gesundheit. Erinnern wir uns an das Verbot von Hamas, die will, dass palästinensische Kranke nicht mehr in israelischen Spitälern behandelt werden dürfen. Nehmen wir als Beispiel das Torpedieren der Aktion "Eine Stimme" von Sari Nusseibeh und Ami Ayalon, in der sie eine Million Unterschriften für einen Friedensplan gesammelt hatten, Unterschriften palästinensischer und israelischer Menschen. Palästinensische Extremisten bedrohten Zusammenkünfte, Konzerte und Diskussionen dieser Bewegung – heute spricht kein Mensch mehr davon – sie wurde wegterrorisiert. Frieden verboten!

Der Historiker Tom Segev kommentierte, dass die gegenseitige Ignoranz über die Geschichte des Anderen, die Möglichkeit eines israelisch-palästinensischen Friedens behindere. "Man kann Israel nicht verstehen, ohne um die Rolle des Holocausts für die israelische Identität zu wissen", sagte er, "Und wenn man seinen Feind nicht versteht [nicht verstehen will, U.R.], darf man nicht Frieden schliessen".

Samstag, 28. März 2009

Ueber Musik und Judenhass

27.3.2009


Im Düsteren des "unendlichen" Krieges zwischen Juden und Arabern gibt es immer wieder Ereignisse, die beweisen, dass es auch anders geht – wenn man will und man ein Medium benutzt, das sich dafür eignet. Ein solches Medium ist die Musik. Daniel Barenboims Orchester "West-Östlicher Divan", in dem israelische und palästinensische Jugendliche zusammen klassische Musik spielen, ist inzwischen ein integraler Teil idealistischer Friedenbemühungen geworden, von vielen als naiv empfunden, aber beeindruckend in seiner Zielsetzung und seinem Erfolg im Überwinden feindlicher Vorurteile.

Musikalisch bescheidener, aber menschlich ebenso bedeutend war ein anderer musikalischer Anlass. Organisiert von Shari Arison, der reichsten Bürgerin des Landes, spielten am 26. März dreizehn jugendliche Musiker, Überlebende aus dem Flüchtlingslager in Jenin, für Überlebende des Holocausts in Holon, einer Stadt südlich von Tel Aviv. Palästinensische Kinder wissen nichts über den Holocaust, er wird in ihren Schulen unterschlagen oder wenn nötig, als Lüge der Juden abgetan. "Die Kinder sind aus einem Flüchtlingslager, wir kamen aus einen Konzentrationslager", sagte eine alte Dame aus Polen, die ihre gesamte Familie verloren hatte und im Alter von fünf Jahren in ein KZ kam. Die meisten Kinder waren angewiesen, mit den alten Menschen nett zu sein – vom Holocaust, wie gesagt, wussten sie nichts. "Die Alten hätten eine Krieg überlebt, so wie ihr auch", wurde ihnen gesagt. Allerdings ist Höflichkeit gegenüber alten Menschen traditionell wichtiger Teil arabischer Kultur, etwas von dem sich viele Israelis ein Stück abschneiden sollten. Am Nachmittag desselben Tages spielten die Kinder noch in einem Jugendzentrum im arabisch-jüdischen Jaffa, als Teil dessen Freizeitaktivitäten.

Die palästinensische Musikgruppe wurde vor fünf Jahren von einer israelisch-arabischen Musiklehrerin namens Wafa Younes gegründet. Sie lebt im Wadi Ara, im nahe Umm El-Fahm gelegenen Dorf Ara, Die Musikklassen waren als Therapie gedacht, das Trauma der Zusammenstösse zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten zu überwinden, Zusammenstösse, von denen meist auch Kinder und andere Zivilisten betroffen waren. Wafa sagt, sie glaube nicht an Politiker, sondern nur an Musik und die Kinder. Die Alten konnten zwar mit der arabischen Musik der Kinderband nicht allzu viel anfangen, doch nach Abschluss der Vorführung sagte ein Holocaustüberlebender zu Younes, die Musik sei geradewegs in sein Herz gedrungen. Damit hat diese Konzerttour schon seinen Hauptzweck erfüllt. Dazu kommt, dass die Kinder nach einer zweistündigen und bestimmt völlig überflüssigen Wartezeit an einer Strassensperre, zum ersten Mal in ihrem Leben eine Auslandreise unternehmen durften, an den Meeresstrand gingen und eine kleine, aber vielleicht wichtige Erfahrung über jüdische Menschen machen konnten. Zwar verstehen die alten Aschkenasi wenig von arabischer Musik, aber dieser Mangel wurde von den mangelnden Kenntnissen über die neuere jüdische Geschichte der arabischen Kinder aufgewogen. Die Rührung der Alten und der Respekt der Kinder vor ihnen muss einen Funken gegenseitigen Verständnisses gezündet haben. Das sollte fürs Erste genügen.

Über den bekannten israelischen Journalisten Khalid Abu Toameh habe ich schon einmal (14.2.2009) geschrieben. Er ist Araber (eigentlich eine Schande, das erwähnen zu müssen), ein Veteran mit dreissig Jahren Medienarbeit unter dem Gürtel. Kürzlich war er in Amerika, eingeladen von einigen Universitäten, um Referate zu halten. Er war schockiert zu entdecken, dass an amerikanischen Campussen mehr Sympathie für Hamas herrsche als in Ramallah. So beschreibt er, zusammengefasst, seine Erfahrung.

Professoren und Studenten öffneten sich ihm gegenüber mit Aussagen, die ihm das Gefühl vermittelten er sässe einem Hamassprecher oder einem Möchtegern-Selbstmord-Bomber gegenüber. Was gab es für ihn zu hören:



  • Marvan Barghouti sei mit mehreren lebenslänglichen Strafen im Zuchthaus, nur weil er für Frieden mit Israel eingestanden sei – und nicht wegen Verantwortung für zahlreiche tödliche Terrorattacken. Abu Toameh sei dafür "Lügner" genannt worden, erzählt er.

  • Die Korruption der palästinensischen Behörden sei zionistische Propaganda. Arafat habe wundervolles für sein Volk getan, wie das Errichten von Schulen, Spitäler und Universitäten.

  • An einer Hochschule wurde Abu Toameh als Idiot bezeichnet, als er sagte, Hamas hätte die Wahlen in Gaza nur deshalb gewonnen, weil die Bevölkerung von der finanziellen Korruption der PLO und Fatah genug hatte.

  • An einem anderen Campus nannte man ihn ein "Sprachrohr der Zionisten", denn er sagte, in Israel gäbe es eine freie Presse.

  • In Chicago wurden die Plakate, mit denen zu seinen Referaten eingeladen wurde, mit Hackenkreuzen beschmiert.

Was ihn am meisten beelendete, war an diesen Universitäten Studenten und Professoren zu treffen, die tatsächlich Hamas unterstützen und überzeugt sind, der "Widerstand gegen die Besetzung" berechtige auch den Tod von Kindern und Frauen in explodierenden Autobussen in Jerusalem und anderswo.

Sogar unter den Arabern und Muslimen an diesen Hochschulen traf er mehr Verständnis und Akzeptanz für seine "faire" Analyse des israelisch-arabischen Konflikts, obwohl er mehr oder weniger sagte, was auch die israelische und die palästinensische Regierung verlautbaren lassen. Das beinhaltet die Zweistaaten-Lösung und die Idee der Koexistenz zwischen Juden und Arabern in diesem Teil der Welt.

Die sogenannten pro-palästinensischen "Juntas" an den amerikanischen Hochschulen haben nicht als Hass und Delegitimisierung Israels zu offerieren. Wollten diese Leute sich wirklich für die Palästinenser sorgen, dann würden sie sich für ehrliches Regieren und der Förderung von Demokratie und Freiheit in der Westbank und in Gaza einsetzen, meint Abu Toameh. Der Hass gegen Israel blende diese Kreise so stark, dass sie die wirklichen Probleme der Palästinenser nicht erkennen, nämlich der Anarchie und Gesetzlosigkeit ein Ende zu setzen und die Demontage der bewaffneten Banden, die das Leben von Hunderter unschuldiger Palästinensern auf dem Gewissen haben, durchzusetzen. Die meisten dieser Anti-Israel Aktivisten geben offen zu weder Palästina noch Israel je besucht zu haben. Sie wissen nicht – und wollen auch nicht wissen – dass Juden und Araber miteinander Geschäfte machen, zusammen studieren und sich täglich treffen, eben weil sie wissen, dass ihr gemeinsames Schicksal sie dazu bestimmt, miteinander in dieser Ecke der Welt zu leben.

Was an amerikanischen Hochschulen heute passiert, schreibt Abu Toameh, hat mit Unterstützung der Palästinenser nichts mehr zu tun – es ist nichts als die Förderung des Hasses gegen Israel, den jüdischen Staat. Dazu missbrauchen sie die demokratische Redefreiheit um zu Hass und Gewalt aufzurufen. Es würde ihn nicht wundern, meint Abu Toameh, wenn die nächste Generation von Selbstmordattentätern nicht aus dem Gazastreifen, Pakistan oder Afghanistan kämen, sondern aus den Hochschulen Amerikas.

Khalid Abu Toamehs Erfahrung in den USA lässt sich auf Westeuropa übertragen. Die fanatischen Israelhasser sind dort weniger an den Hochschulen zu finden, sie agitieren in einzelnen politischen Parteien, vor allem der Linken, Politiker, Anarchisten, Chaoten und bürgerliche Antisemiten halten ihre Hassfeste gegen Israel und Juden auf den Strassen, in NGOs und in den Medien ab. Sie organisieren Anlässe, an denen man über Israel herziehen und über die "armen" Palästinenser weinen kann – die Motivation ist identisch. Aber wehe dem, der es wagt eine unabhängige Meinung auszudrücken. In Europa geben sie sich nur weniger akademisch, England ist da die Ausnahme. Und wie in Amerika sind auch in der Schweiz und anderswo in Europa Juden zu finden, die auf diesen Zug des Hasses aufspringen und so glauben, akzeptierbarer zu werden. Alles schon einmal dagewesen.

Donnerstag, 26. März 2009

Fahnen und Steine

In wenigen Tagen wird wohl die neue israelische Regierung in ihr Amt steigen. Mit Ehud Barak und den vielen Ministern der Arbeitspartei - fast so viele wie sie Abgeordnete besitzt. Was immer man denken will, Barak hat nach der heftigen Niederlage in den Knessetwahlen einen Sieg errungen. Wie es weiter gehen soll, wissen die Götter, denn die israelischen Rechtsextremisten der neuen Regierung sind noch immer dabei. Ich hoffe, dass ihre Provokation in Umm El-Fahm kein Vorgeschmack auf Kommendes ist. Bibi Nethanyahu wird von ihnen des Verrats an der Nation angeklagt, ich bin jedoch überzeugt, dass er, seit Barak an Bord ist, besser schläft. Absolut schleierhaft bleibt dennoch, wie das neue Triumvirat Nethanyahu, Barak und Lieberman sich der Welt stellen und welchen Eindruck sie durch ihre kommende Arbeit vermitteln wird.

Nach der debilen (ein besseres Wort fällt mir nicht ein) Demonstration jüdischer Faschisten in Umm El-Fahm, die mit dieser Provokation hundegleich ihr Revier markieren wollen – Hunde pinkeln, Marzel und Co. schwenken Fahnen und rufen rassistische Sprüche – können wir wieder aufatmen. Die Araber der Stadt haben, wie vorausgesehen, Steine geworfen und Palästinafahnen geschwenkt, wurden gewalttätig und von der Polizei entsprechend behandelt. Per Saldo sei der Anlass aber glimpflich zu Ende gegangen, wurde mir berichtet. Die jüdischen Fahnenschwinger seien lediglich ganz kurz eine Nebenstrasse herauf und herunter marschiert, hätten Slogans gerufen. dann wieder in ihren Autobus gestiegen und weggefahren. Dieser Spuk hätte nur einige Minuten gedauert. Auf der arabischen Seite war nicht nur verbale Gewalttätigkeit zu sehen, sondern an Gaza erinnernde Vermummte warfen Steine und griffen die Polizei an, die mit 2500 Mann angerückt war. Unter den etwa zwanzig Verletzten war auch der Polizeikommandant Nordisraels.
Es bleibt ein schlechter Geschmack im Mund. Durch diese unnötige Demonstration jüdischen Rassismus, die wirklich nur von einer ganz kleinen verrückten Minderheit jüdischer Israelis geteilt wird, entlarvte sich ein hässliches Gesicht Israels. Aber ebenso entlarvten sich arabische Israelis, durch ihre eigene Gewalttätigkeit, als Bürger, denen es schwer fällt, sich demokratischen Sitten anzupassen und jüdischen Rassismus nicht mit arabischem Rassismus zu beantworten. Meine Idee, die "Besucher" mit Kaffee und Kuchen zu empfangen, oder diskreter, sie einfach zu ignorieren, scheint mit arabischer Mentalität nicht vereinbar zu sein. Allerdings
frage ich mich, ob im umgekehrten Fall, wenn israelische Araber ihre nationalistischen Aspirationen mit einer Demonstration in Tel Aviv kundtäten, Juden nicht auch gewalttätig reagieren würden. Leicht komisch und widersprüchlich wirkt bei all dem, dass 99 Prozent der israelischen Araber unter keinen Umständen ihre israelische Staatsangehörigkeit verlieren oder gar freiwillig aufgeben wollen. Damit sind nicht nur die vielen modernen sozialen Vorteile eines israelischen Bürgers, im Gegensatz zum Bürger irgendeines arabischen Landes gemeint, sondern auch das Recht gegen den eigenen Staat zu demonstrieren, ihn zu beschimpfen und ihm gegenüber gelegentlich unloyal zu sein.

Sonntag, 22. März 2009

Israels wirkliche Gefahr

Es gibt ein Thema, das ich bisher fast gänzlich links liegen gelassen habe, weil es mich abstösst. Es ist die politische Situation nach den kürzlich stattgefundenen israelischen Parlamentswahlen. Diese haben zu einem wahrhaften Rechtsrutsch geführt, der mir und vielen andern nicht nur peinlich ist, sondern zu wirklicher Besorgnis Anlass gibt. Araber und Juden sind politisch nach rechts gewandert und versöhnliche Menschen blieben verloren in der Mitte. Diese Rechtswanderung verstärkt die gegenseitige Abneigung und Hass.

Morgen soll diese Situation in Umm El-Fahm auf die Probe gestellt werden – ob sie in offene Gewalt umschlagen wird? Zwei prominente jüdische Faschisten, Anhänger des Rabbi Meir Kahane, wollen in dieser arabischen Stadt demonstrieren, wofür wird nicht genau ausgesprochen. Es ist jedoch leicht zu verstehen, dass diese Demonstration professioneller Araberhasser den Zweck hat die arabische Minderheit Israels zu provozieren und ihr zu zeigen, wer Herr im Haus sei und wie sehr dieser Herr, von dem sich die meisten Juden mit Eckel abwenden, diese Mehrheit nicht mehr in Israel will. All das im Namen der Thora und der Halacha, wie einer dieser Irren namens Ben Gvir, soeben am Radio bekanntgab. Grundsätzlich kann jeder Bürger Israels jeden Ort im Lande besuchen. So wie der Faschist Baruch Marzel durch Umm El-Fahm spazieren darf, kann der frühere Bürgermeister Umm El-Fahms und Mitglied der islamischen Bewegung Israels, mein Bekannter Scheich Hashem Abd El-Rahman, sagen wir mal, Zichron Ya'akov besuchen und bei Majunka Kaffee trinken. Doch wieder einmal wird die freie israelische Gesellschaft gefordert und ihre Freiheiten werden missbraucht. Auf meine Idee, die Stadt solle den Marzel und seine Kumpane einfach nett mit Kaffee und Kuchen empfangen und ihm so den Wind aus den Segeln nehmen, meinte mein Freund Said, die Idee sei wundervoll aber für einen Araber sei es einfach nicht möglich, in dieser Situation seinen Cool zu behalten. Schade, unsere Araber könnten so ihr Ansehen in Israel enorm steigern und Marzel & Co. mit ihrem Hass wären der Lächerlichkeit preisgegeben. Hoffen wir, es werde niemand verletzt.

Nun ist es so, dass in Israel die Bezeichnung politisch links oder rechts sozial und wirtschaftlich wenig Bedeutung besitzt. Rechts heisst Patriotismus bis hin zum extremsten Nationalismus, fundamentalistische Religiosität und Hass auf den "Andern" (nicht nur, aber hauptsächlich, unsere arabischen Bürger und Palästinenser) mit Religion und freier Marktwirtschaft gespickt. Linke nenne sich jene Israelis, die sich für Frieden und Zusammenleben mit Arabern im In- und Ausland einsetzen, deren wirtschaftliche Überzeugung hingegen von sowjetischer Planwirtschaft bis hin zum marktwirtschaftlichen Kapitalismus reicht und somit mit westlich linker Ideologie wenig gemeinsam hat. Soziales oder was man dafür hält, wurde zur Sache individueller Politiker aller Parteien, von der ultraorthodoxen Schas bis zur kommunistischen Hadash. Oft habe ich den Verdacht, dass Sozialanliegen einzig dem Stimmenfang dienen, einem Phänomen der Politik, das in allen Ländern vor Wahlen zu finden ist. Die wenigen Politiker, wie etwa den von mir geschätzten Fürsorgeminister Itzchak Herzog oder die Erziehungsministerin Yuli Tamir haben gute, sogar hervorragende Pläne, die zu realisieren ihnen aus Finanz- und vor allem aus durchtriebenen Koalitionsgründen sabotiert werden.

Zwar hoffe ich, entgegen allen Vorzeichen, dass Bibi Nethanyahu's geplante Regierung mit rechtsextremistischen und ultraorthodoxen, den Staat ablehnenden Parteien nicht zu Stande kommen wird. Yvet Lieberman als Aussenminister kann ich mir nicht vorstellen, wer wird ihn empfangen und ihm zuhören wollen. Auch wenn er vordergründig willkommene Ideen im Zusammenhang mit Israel's Wahl- und Regierungssystem hat, verdächtige ich ihn autoritärer Absichten. Er will ein Präsidialsystem. Das gibt es in Russland, in den USA und in Frankreich, um einige Beispiele zu nennen. Oder früher in Irak, mit Präsident Saddam Hussein. Das amerikanische System finde ich gut, es beruht auf "checks and balances", der Präsident wird durch das Parlament kontrolliert und muss sich dort demokratisch durchsetzen. Auch funktioniert die "Dreieinigkeit" der Exekutive (Präsident), Legislative (Parlament) und Judikative (Gerichte) hervorragend und führt zu einer Stabilität der Regierung, um die sie zu beneiden ist. Ich verdächtige Lieberman hingegen der Absicht, ein russisches System, vor allem in der Dritten Welt kopiert, eines autoritären Präsidenten, dem Parlament und Gerichte (und Medien) oft de facto untergeordnet sind und diese zu Statisten macht. Diesen Eindruck von Liebermans wirklichen Absichten, vermittelt seine Unterstützung für gerichtliche Unabhängigkeit gefährdende Massennahmen des heutigen Justizministers Friedman, mit denen dieser Israels Obergericht politisieren will und seine rassistischen Aussagen gegen Israels Arabern, zu denen eine obligatorische Loyalitätsbezeugung gegenüber dem Staat gehören soll. Als Vertreter aus Russland stammender Israelis ist seine Abneigung gegen ultraorthodoxe politische Zwänge mehr als verständlich, richtet sich diese vor allem gegen Teile dieser Minderheit. Doch scheint er nichts dagegen zu haben, mit eben diesen in der Regierung zu sitzen und deren Erpressungen entgegenzunehmen. Dass er dazu noch unter Verdacht steht, kriminelle Geschäfte zu machen, sollten ihn von der Politik disqualifizieren. Doch in einem Land, in dem sogar dem langjähriger Noch-Ministerpräsident Olmert ähnliches passiert, ist ehrenhaftes Benehmen anscheinend kein Thema.

Als Ganzes betrachtet enttäuschen mich alle "Parteien der Vernunft" (Meretz, Arbeitspartei, Kadima und Likud). Sie vermitteln den Eindruck, das Ego der einzelnen Politiker sei wichtiger als das Wohlergehen des Landes. Nethanyahu will so sehr wieder Ministerpräsident werden, dass er mit extremsten Rechtsparteien und religiösen Antizionisten eine kaum funktionstüchtige Regierungskoalition einzugehen bereit ist – obwohl er weiss, dass er damit dem Land innen- und aussenpolitisch schadet. Zippi Livni fühlt die Verantwortung für das Land weniger, als die Verantwortung für ihre Partei Kadima und sich selbst und weigert sich eine breite Koalition der zwei Grossparteien zusammen mit der Arbeitspartei und Meretz einzugehen. Barak's Drang nach dem Stuhl (Stuhldrang?) des Verteidigungsministers hat, so scheint es, eher egoistische Züge zur Befriedigung eigenen Egos, denn ohne Kadima ist die Arbeitspartei in der Koalition politisch wertlos. Die Extremisten bleiben in der Regierung und die Arbeitspartei mit ihren nur dreizehn Sitzen, dient dem Regierungschef als Feigenblatt. Verantwortung für das Land als oberste Motivation eines Politikers, scheint es nicht zu geben – gerade in einer Zeit weltweiter Feindschaft gegenüber Israel und dem jüdischen Volk weltweit.

Mit diesem innenpolitischen Hintergrund schadet sich Israel weit mehr, als Hamas, Hisbullah und der Rest der arabisch-islamischen Welt zusammen es fertig bringen.

Freitag, 20. März 2009

Jacques Ungar's Editorial in der Zeitschrift Tachles vom 20.3.2009

Jacques Ungar, in Jerusalem wohnender Israel-Redaktor der bekannten jüdischen Schweizer Wochen-Zeitschrift Tachles, bringt seine Leser besonders durch Editorials wiederholt auf den Boden der Realitäten zurück. Das ist ganz besonders in einer jüdischen und auch nichtjüdischen Gesellschaft ausserhalb Israels wichtig, die sich gerne ideologischen Träumen über Israel und sein Benehmen hingibt, seien diese israelkritisch oder überschwänglich kritiklos.

Pro memoria: Hamas will Israel vernichten
Editorial von Jaques Ungar

Ohne ein Wunder, wie es sie heutzutage kaum noch gibt, wird Gilad Shalit an diesem Wochenende den 1000. Tag in der Gewalt seiner Entführer verbringen. Schlimmer noch: Nachdem Israel die letzten, alle bisherigen Rahmen sprengenden Forderungen der Hamas zurückgewiesen hatte, weil es die strategische Gefährdung seiner Existenz fürchtete, meinte ein Sprecher dieser Organisationen zynisch, für sie würde es keine Rolle spielen, ob sie Shalit ein weiteres Jahr oder noch länger gefangen halten.

Mit Enttäuschung und Frustration quittierte Israel das offensichtliche Scheitern der Bemühungen Ehud Olmerts, Shalit kurz vor seinem Abschied aus der Politik nach Hause zu bringen. Dieses Scheitern hat diverse Gründe. Erstens hat Olmert den Fall Shalit aus Motiven der politischen Opportunität über zwei Jahre lang verschleppt. Er glaubte, die Hamas mit einer auf westlicher, europäischer Logik aufbauenden Verhandlungstaktik weichklopfen zu können. Er hoffte, das Drängen der Familien der im israelischen Gefängnis sitzenden palästinensischen Terroristen auf deren Freilassung würde letzten Endes die Herrscher in Gaza und ihre Hintermänner in Damaskus zu Kompromissen zwingen. Damit aber rannte Olmert voll in eine Sackgasse, in welcher er nun seinen Nachfolger Netanyahu stehen lässt.

Olmert scheiterte, weil er bis fast zuletzt den gleichen Irrtum beging, den Entscheidungsträger in Europa, auch im Berner Bundeshaus, immer offener, bewusster und immer schamloser begehen: Man «vergisst» elegant die oberste Zielsetzung der Hamas: Die «zionistische Einheit hat kein Existenzrecht und muss vernichtet werden, damit auf dem Land zwischen Mittelmeer und Jordan endlich der islamische Staat entstehen kann, von dem alle muslimischen Fundamentalisten träumen. Bei der Verfolgung ihrer irrationalen, ideologisch-religiösen Zielsetzung geht die Hamas durchaus rational vor, was sie doppelt gefährlich macht. Sie hat Zeit. Jahre und Jahrzehnte spielen keine Rolle, und das grösstenteils selbstverschuldete Leiden der eigenen Bevölkerung wird als nötiges Opfer auf dem Weg zum Ziel verherrlicht. Zudem nützt sie die Europäer aus, die heute Verhandlungen mit der Hamas längst nicht mehr ausschliessen. Das Festhalten der USA an der Erfüllung von Vorbedingungen durch die Hamas wird als stur und halsstarrig kritisiert.

Eine Organisation, die ihren Gefangenen während fast drei Jahren nie vom Roten Kreuz besuchen liess, die ihn hermetisch von der Umwelt abgeschnitten hat und ihm die elementarsten Menschenrechte (Erhalten und Schreiben von Briefen, Untersuchungen durch unabhängige Ärzte oder Familienbesuche) vorenthält, sollte an den Pranger gestellt und boykottiert werden. Stattdessen trachten immer mehr westliche Staaten danach, die israelisch-amerikanische Mauer der Isolation rund um die Hamas zu untergraben und zu durchlöchern – ungeachtet der klaren Vernichtungsstrategie der Organisation. Dass dies Shalit nicht in sein Dorf in Galiläa zurückbringt, ist ebenso klar, wie es für die betreffenden Staaten und Politiker keine Rolle spielt.

Olmert besass nicht das Rückgrat, seine palästinensischen Gefangenen gleich zu behandeln wie die Hamas Shalit behandelt: Einzelhaft ohne Familien- oder andere Visiten, etwa die eines Anwalts, Tage und Monate des einsamen Vor-Sich-Hinstarrens statt akademische Programme und Berufsausbildung. Über das Tandem Avigdor Lieberman und Binyamin Netanyahu wurde vielleicht zu Recht schon viel Unfreundliches gesagt und geschrieben. Vielleicht sind die beiden aber für den Fall Gilad Shalit genau jene Gegner, die der Hamas und ihren Hintermännern das Fürchten beibringen und sie in die Knie zwingen können.

Mittwoch, 18. März 2009

Menschenrechte - selbstverständlich

18.3.2009

Mein Tagebucheintrag mit den zwei Briefen vom 16.3.09 hat nette Antworten gebracht. Es macht Freude mit Menschen zu sprechen oder zu diskutieren, die, wie Urs schreibt, nicht an absolute Wahrheiten glauben, entsprechend gefärbte Ideologien blind vertreten und (meist) verbale Gewalt anwenden, wenn ihnen etwas nicht so erscheint, wie es nach ihren Vorstellungen sein müsste. Urs Emmenegger's Brief bietet noch weitere diskutierbare Themen an, doch habe ich einige davon bei anderen Gelegenheiten schon besprochen. Eins steht für mich fest: mit seinem Satz " Ich bin ja selbst weit vom Schuss, nachkriegs-dauerverwöhnter, unbehelligter Schweizer. Leute in Eurer Situation rümpfen über Kritik von solcher Seite irgendwie legitimerweise die Nase" hat er sich als "Gutmensch" disqualifiziert, seine Sicht der Dinge ist nicht in Stein geschrieben.

Womit ich zu einem Lieblingsthema, dem Gutmenschen, komme. Nicht nur im Tachles, sondern schon vorher, war von Jochi Weil's, Nationalratskandidat und Palästinenserspezialist, neuester Aktion zu lesen. Unter dem von Yeshayahu Leibowitz geborgten Titel "Besatzung zerstört die Seelen der Besetzenden", wurde im Tachles darüber geschrieben. Obwohl auch ich nichts von der Besetzung der Westbank halte, bin ich gerührt, dass sich jemand um meine Seele sorgt. Ich las im Website (Medienkonferenz in Deutsch anklicken) der dieser sich "Human Rights in Israel" nennenden neuen Bewegung drei Statements, von Jochi Weil, Philippe Lévy und Shelley Berlowitz. Grundsätzlich muss man diese Bestrebung unterstützen dachte ich, bis ich bei Shelley Berlowitz folgenden Satz las " Eine mit den modernsten Waffen aufgerüstete regionale Militärmacht führt Krieg gegen eine Zivilbevölkerung in Gaza, aus deren Mitte heraus selbst gebastelte, eingeschmuggelte Raketen auf israelische Zivilisten abgeschossen werden". Ich wusste nicht, ob ich weinen oder lachen sollte. Shelley Berlowitz schreibt in diesem Satz "aus deren Mitte heraus" werden Raketen nach Israel geschossen, damit wohlwollend zur Kenntnis nehmend, dass Hamas ihre eigene Bevölkerung zur Geisel genommen und zu unfreiwilligem Märtyrerschicksal erkoren hat. Die erwähnten selbst gebastelten Raketen sollen wohl Spielzeuge sein, so eine Art Wasserpistolen mit Düsenantrieb. Dass diese "Spielzeuge" zahllose israelische Opfer gefordert haben, wird schlicht unterschlagen. Genau so die Tatsache, dass israelische Erwachsene und Kinder zu Hunderttausenden unter psychischen Störungen leiden, nicht weniger als Erwachsene und Kinder in Gaza. Beiden könnte geholfen werden, wenn Hamas statt ihr Geld in Raketen, Mörser und andere Waffen zu investieren, damit Gazas Wirtschaft auf die Beine helfen würde. Es gäbe Enormes zu tun. Dann müsste Israel nicht mehr auf Angriffe reagieren, die Grenze könnte geöffnet werden und Gaza könnte blühen. Das hat weder mit der weit übertrieben dargestellten Überbevölkerung und Bevölkerungsdichte des Gazastreifens, noch mit israelischer Aggression (Reaktion) in dieser Gegend etwas zu tun. Übrigens, Bevölkerungsdichte hat mit Armut und Not nicht zwingend etwas zu tun. Man betrachte Orte wie Singapur, Hongkong und andere weit dichter bevölkerte Orte, die wirtschaftlich blühen und einen sehr hohen Lebensstandard besitzen.

Als jemand, der sich intensiv mit dem Leben unserer arabischen Mitbürger befasst, weiss ich, dass diese Teil unserer freien Gesellschaft sind und die "beinahe" voll ausleben. Das "beinahe" ist vordergründig sicherheitsbedingt und wird oft von den israelischen Behörden und Sicherheitsbeauftragten übertrieben. Es drückt sich aus in unangenehmen Sicherheitsuntersuchungen und in einer kleinen Einschränkung der Wahl von Arbeitsmöglichkeiten. Das schränkt ein. Nichts davon ist gesetzlich verankert, wird zwar durch die Umstände einer sechzigjährigen Kriegssituation verständlich, aber nicht entschuldbar und ist ein Schandfleck für unsere Demokratie. Doch als Bürger haben Israel's Araber bestimmt keinen Bedarf an Schweizerischer Unterstützung zu ihren Menschenrechten. Diese Unterstützung sollte eher der arabischen Welt angeboten werden, Palästina gehört dazu, einer Welt, in der Menschenrechte ein völliges Oxymoron sind. Immer wieder höre ich von meinen arabischen Freunden, wie sehr die Araber von 48 (das sind die 1948 in Israel gebliebenen Palästinenser) von ihren Brüdern gehasst werden. Ein wesentlicher Teil dieses Hasses liegt im Neid um die Freiheiten und sozialen Sicherheiten, in denen sie heute leben. Ein aktueller Nachsatz: es liegt an uns israelischen Bürgern, dass dies so bleibt, denn die sich abzeichnende extrem-nationalistische Regierung kann hier immensen Schaden anrichten. Doch das ist ein Thema für den nächsten Tagebucheintrag.

Kann es sein, dass Jochi Weil's neuester Streich etwas mit Durban II zu tun hat? Einer UNO-Konferenz in Genf, die Ende April stattfinden soll und an der traditionell ausschliesslich über Israel und seine "Menschenrechtsverletzungen" geschimpft und gelogen wird, unter völliger Vermeidung einer Diskussion der Situation der arabischen und muslimischen Welt (Kanada, USA und Israel haben sich von der Teilnahme abgemeldet. Andere westliche Länder sollten das auch tun). Störend ist vor allem, dass sich unter den Erstunterzeichnenden auch Mitglieder des jüdisch-schweizerischen Establishments befinden, dass Prominente jüdischer Gemeindeorganisationen darauf hereinfallen und sich hergeben, eine völlig einseitige, die Existenz des jüdischen Staates untergrabende Aktion zu unterstützen, nur weil in deren Programm das Wort "Menschenrechte" vorkommt. Wieder einmal wird der Kontext für Schlagworte unterschlagen. Menschenrechte sind ein Grundrecht, wenn das auch erst in der westlichen Welt erkannt ist. Weil sie ein Grundrecht sind, müssen sie von allen Staaten, Gesellschaften und Religionen dieser Welt eingefordert werden. Man kann und soll, wie es in der westlichen Welt, inklusive Israel, wiederholt geschieht, Verstösse einklagen und Fragliches frei diskutieren um eine Lösung zu erreichen. Ein hervorragendes Beispiel dazu ist das amerikanische Gefängnis Guantanamo - das jetzt, nach langen Diskussionen vom neuen amerikanischen Präsidenten geschlossen wird. Aber der heute modischen "Israelkritik" ein Alibi zur Verfügung zu stellen ("die Juden sagen es ja selbst") wird möglicherweise als Eigengoal für die Schweizer Juden enden. Denn wirklich durchgedacht ist das Anliegen dieses Grüppchens jüdischer Israelkritiker wirklich nicht.

Montag, 16. März 2009

Zwei Briefe

16.3.2009

Seit bald zwanzig Jahren sind der Filmer und Journalist Urs Emmenegger und ich dicke Freunde. Wir haben zusammen Abenteuer erlebt, Filme gedreht und viel Spass gehabt. Zudem isst er gerne ähnliches wie ich und liebt, ebenso wie ich, guten Jazz. Auch Urs erhält mein Tagebuch und schrieb mir kürzlich einen sehr langen Brief. Mit seinem Einverständnis veröffentliche ich diesen, zusammen mit meiner Antwort. Das Ganze wird zu einem sehr langen Tagebucheintrag, aber ich hoffe, dass meine lesenden Freunde dafür genügend Geduld aufbringen:

Lieber Paul, liebe Lea

ich will Euch mal persönlich anschreiben, weil ich in der Regel nur im Rahmen des überaus verdienstvollen, tapferen und erfreulichen, aber auch so unglaublich unperfekten, tendenziösen, enervierenden und irritierenden Rundversands von Euch höre.

Vorerst einmal: ich hoffe, dass es Allen in Eurer Familie gut geht, so gut's eben gehen kann oder hoffentlich doch besser! Ich wünschte, meine Situation liesse es zu, mich davon für eine längere Zeit vor Ort zu überzeugen.

Paul, Dein Tagebuch: siehe oben. Ich bin ja selbst weit vom Schuss, nachkriegs-dauerverwöhnter, unbehelligter Schweizer. Leute in Eurer Situation rümpfen über Kritik von solcher Seite irgendwie legitimerweise die Nase.

Angestossen vom Beitrag "Warum ich ein schlechter Jude bin", möchte ich nun einmal eine Kritik vorbringen, weil mich die verrückte Tragik der Welt seit meiner leider einzigen Reise nach Israel als Zwanzigjähriger und meinen Erfahrungen im Biafrakrieg manchmal fast physisch beschäftigt.

Grundsätzlich: ich finde es störend, dass ich mich zur Sorte der Gutmenschen zählen und naiv die Sache des Teufels betreiben soll, nur weil ich einzelnen Aspekten israelischer Politik diametral entgegenstehe. Kein Mensch wird mich je davon überzeugen können, dass man Terrorismus mit konventionellem Krieg ausrotten kann, oder dass die gewaltsame Besetzung von Land unter irgendeinem Vorzeichen über längere Zeit zu rechtfertigen ist.

Vielleicht gerade weil ich ein privilegierter Schweizer bin (wie mir damals einige ziemlich arrogante Sabras herablassend, höhnisch und verächtlich versicherten: wir haben ja nur eine Puppenarmee), ist es mir völlig egal, ob jemand Jude, Araber, Chinese oder Tibeter oder weiss was ist. Ich habe einfach immer wieder festgestellt: Der ein paar lächerliche tausend Jahre alte menschliche Kulturlack ist zwar von atemberaubender Verschiedenartigkeit, aber unglaublich dünn.

Die bornierten Sabras mochte ich nicht, andere hingegen schon; hätten mir die von der ersteren Sorte ihre Verachtung an der Bahnhofstrasse gezeigt statt an der Dizengoff, hätte ich eine Schlägerei begonnen. Den Araber Ismail und seine Familie, die mich zu Weihnachten 1965 in Nazareth beherbergten, mochte ich sehr, aber das jugendliche Arschloch in mir nahm ihm die Ärmlichkeit sowie den Geruch seiner Umstände irgendwie übel, weil sie mich in meinem Bewusstsein störten.

Den Holocaust überlebenden Gershon in Ein Gev verehrte ich ob der unerschütterlichen menschlichen Wärme, die er ausstrahlte, den Vogelvergifter Chaim aus Marokko hasste ich, weil er seine Mordaktion scheinbar unberührt durchführte. Die kühle Gelassenheit meiner einheimischen Altersgenossen bewunderte ich ob der Selbstverständlichkeit, mit der sie ihre Uzi griffbereit unter dem Bett aufbewahrten; die affektierte französische Jüdin im Ulpan verabscheute ich – nicht, weil sie nicht mit mir ins Bett wollte, sondern weil mir ihr schrilles Gerede über angebliche Vorzüge der jüdischen gegenüber andern Religionen und Wesensarten auf die Nerven ging. Aber die kleine rundliche Korporalin Zippi liebte ich echt, obwohl sie von Sex vor der Ehe nichts wissen wollte, weil sie eine lustige, völlig unvoreingenommene Sicht der Dinge hatte. Undsoweiter.

Biafra: da war ich ein Gutmensch, der helfen und Leiden lindern wollte (und es auch tat, das ist unbestritten). Aber Körper- und andere Gerüche bauten eine unsichtbare Barriere; bei der Servilität vieler Einheimischer war ich nicht sicher, ob sie aus der Not oder nicht am Ende doch angeboren war; vielen Weissen und Schwarzen, mit denen ich zusammenzuarbeiten hatte, traute ich trotz Parteinahme
nicht über den Weg; als erklärter Atheist stellte ich erstaunt fest, dass meine zuverlässigsten und als einzige über alle Zweifel erhabenen Gewährsleute die katholischen irischen Missionare waren.

Was ich sagen will: Risse im menschlichen Kulturlack haben in der Regel banale Ursprünge, ebenso wie Sympathie oder Aversion. Die Skala der typischen Riss-Reaktionen reicht von 1 bis 100, von üblen Gedanken über Klatsch bis Totschlag, und sie sind per definitionem nie aus kühler Vernunft geboren. Dazu kommen natürlich die diffusen, genetisch oder aus der Tradition wirksamen überpersönlichen Erfahrungen, die mit Sein oder gar Überleben zu tun haben. Dass Juden glauben, sie würden getötet, weil sie Juden sind, ist aus zweitausend Jahren Geschichte heraus auch für einen Nichtjuden völlig nachvollziehbar. Wie könnte es anders sein! Dass ein Araber, den Juden seinerzeit enteignet und aus Palästina oder bereits Israel vertrieben haben, Juden hasst, scheint mir ebenso nachvollziehbar. Dass ähnliches in den besetzten Gebiete immer noch geschieht (es soll mir kein Israeli behaupten, dem sei nicht so, denn das Gebiet ist real militärisch besetzt mit allen Begleitumständen), ist konkrete Nahrung für den Hass und die entsprechende Tradition der folgenden Generationen. Wie könnte es anders sein!

Der Reflex, alles Israelkritische als antisemitisch zu bezeichnen, steht jedoch auf einem andern Blatt. Und wieder eine ganz andere Geschichte ist die dumpfe Rückständigkeit, in der Fundamentalisten jeglicher Farbe ihr Gefolge gefangen zu halten belieben. Ob Juden oder Araber, Schweizer, Amerikaner, Afrikaner, Chinesen oder Tibeter undundund.

Ich hasse sogenannten Rassismus jeglicher Art aus tiefstem Herzen – obwohl ich mich gewissen höchstpersönlichen Reflexen aus dieser Ecke (die gibt's, sonst gäbe es den Begriff nicht) keineswegs immer entziehen konnte und kann. Und den Papst und seine Hierarchie mit ihrer blödsinnigen "alleinseligmachenden Kirche": ich könnte sie alle erwürgen (allerdings nur symbolisch). Und Juden, die einen Begriff wie "erwähltes Volk" wörtlich nehmen: pfui Teufel. Und Islamisten, die unter irgendwelchen religiösen Vorwänden ihren rein egoistischen Patriarchalismus auf die Spitze treiben und den Frauen ihre Rechte absprechen: Ausrotten mit Feuer und Schwert! Auch wieder nur symbolisch, natürlich, aber nachhaltig. Und bigotte Amerikaner, die eine (buchstäblich verstanden) lächerliche biblische Schöpfungsgeschichte zur Grundlage naturwissenschaftlicher Lehre machen wollen: nach Guantanamo, dann hätte das Unding doch noch einen guten Zweck gefunden.

Also doch ein Rassist – ein schlechter Christ? Oder einfach ein dünnscheissender Liberaler? Wie würde ich mich verhalten, mich einstellen, denken in Eurer Situation, in dieser absoluten Nähe zur realen Tragödie? Darf man das Wort anwenden, denn das hiesse: es gibt keine der menschlichen Vorstellungskraft zugängliche Lösung? Würde sich irgendeine Nation in Eurer Lage anders verhalten als ihr?

Ich bewundere Euch, dass Ihr da seid und Euch äussert in diesem Land, wo es beinahe soviele politische Parteien wie Leute gibt. Ich bewundere die Initiative und gestaltende Kraft, die Ihr zeigt in Euren Engagements, zum Beispiel mit dem arabischen Freund, dem Galeristen.

Ich bin gleichermassen misstrauisch gegen die definiert pro-israelischen wie die erklärt pro-palästinensischen Aktivisten und Organisationen. Also bitte: nennt mich nicht wieder einen naiven Gutmenschen und Terroristenversteher. DAS BIN ICH NICHT. Was ich bin: ein leidenschaftlicher Gegner aller Verfechter absoluter Wahrheiten.

Beste Grüsse und Wünsche aus der Schweiz
Urs

Lieber Urs,

ich erhalte oft Post zum Tagebuch. Zustimmung und Kritik halten sich die Waage. Mit deinen fast drei Seiten hast du mir eine enorme Freude gemacht. Du gehst in die Details, strengst den Kopf an und unterstützt mich wo es zählt, obwohl du gar nicht mit allem einverstanden bist und anders siehst, was ich von mir gebe. Zwischen zwei alten Freunden wie uns, die sich leider viel zu wenig sehen, erhält ein solcher Dialog die Freundschaft.

Also zu deinem Brief:

Erstens, bist du in meinen Augen kein Gutmensch. Zwischen einem Gutmenschen und einem guten Menschen gibt es kaum Gemeinsamkeiten. Du warst in Biafra und hast geholfen, ohne Indoktrination. Dass du im Zusammenhang mit deinem Israelaufenthalt vor Jahrzehnten auch unangenehme Erfahrungen gemacht hast, die angenehmen nimmt man bekanntlich als selbstverständlich hin, hat deine Sicht von Israel bis heute mitgeprägt - das ist Schade. Doch anderes hat dir eben auch oder trotzdem gefallen. Als ich nach meiner Schweizer RS nach Israel kam und dort zwei drei Jahre später nochmals eine RS leistete, wurde ich als Rekrut Instruktor fürs Rakrohr, da ich dieses Unding in der Schweiz gelernt hatte, und erfuhr so einen gewissen Respekt für die Schweizer Armee. Aber zwischen einer Armee die alle paar Jahre in einen Krieg gerät und diesen gewinnen muss und einer Armee, die eigentlich keinen Feind ins Auge zu nehmen hat, gibt es einen Unterschied in der Geisteshaltung. Ich denke, da wirst du mir zustimmen. Gerade in der israelischen Armee wurde das Schweizer Milizsystem anerkannt und organisatorisch bis heute angewendet. Arrogante Typen, wie von dir beschrieben, gibt es bis heute noch, aber es gibt auch andere. Zweitens, die Charakterisierung meines Tagebuches (es hat inzwischen um die 2000 Leser) ist fabelhaft und freut mich ungemein.

Zu meinem Lieblingsmenschentyp, dem Gutmenschen, habe ich versucht eine Definition zu erstellen. Hier ist sie in kürze und könnte wohl erweitert werden:

Was ist ein Gutmensch?

· Sein Einsatz ist Glaubenssache, eine Art Fundamentalismus. Er hasst mit Inbrunst.
· Lässt sich ausschliesslich von Indoktrination leiten, wie Vorurteile und Emotionen, kein Interesse an Realität, geschichtlichem Hintergrund, Kontext - er ist dafür nicht empfänglich.
· Hat die Wahrheit gepachtet und sucht dafür Bestätigung. Wer ihm die Wahrheit nicht bestätigt wird beschimpft, ist ein Imperialist, Kolonialist, ist "für die Besetzung" des Westjordanlandes und anderes Schlimmes mehr.
· Schämt sich seiner Herkunft, ob Volk, Religion oder gesellschaftlichem Status. Diese Scham ist Teil seiner Motivation.
· Ist unbewusst oder bewusst Rassist, der sich auf einen Problem-Schauplatz fixiert und alle anderen ausblendet - das ist vor allem beim israelisch-palästinensischen Konflikt klar zu sehen. Darfur etc. interessiert nicht. Auf meine Frage in der NZZ, warum das so sei, erhielt ich vor allem antisemitische Erklärungen, zum Teil in philosemitischem Gewand.
· Gibt vor Krieg zu hassen, ist jedoch gewalttätig in Wort (Leserbriefe) und Tat (neuestes Beispiel: Die gewalttätigen Demos in Malmö gegen israelische Tennisspieler). Zudem, wer ist nicht gegen Krieg. Doch gegen Krieg zu sein, ohne das mit seinem Feind abzustimmen ist Selbstmord – was Gutmenschen ja von Israel verlangen. Doch mit dieser Einstellung in gedankenloser Fixierung, wäre Hitler und seine Ideologie/Religion nie beseitigt worden und auch die seit 1904 in der Schweiz überlebenden Reste meiner Familie gäbe es nicht mehr.

Wie du aus meinem Tagebuch bestimmt mitbekommen hast, habe auch ich keine Freude an vielen Dingen der israelischen Politik. Gerade was heute passiert mit Lieberman, der, falls er in die Regierung kommt und sogar Aussenminister werden soll, unser Land mit seinem stalinistischen Gehabe in den Dreck ziehen wird - habe ich einen gewaltigen Horror. Aber dagegen schreiben, reden und demonstrieren ich und viele Freunde, den wir haben Angst, aber nicht vor den Arabern. Auf der anderen Seite, so lange in der arabischen Welt keine Friedendemonstrationen mit 200'000 bis 300'000 Teilnehmern abgehalten werden, hält sich meine Begeisterung für unsere Nachbarn in Grenzen. Wie du ebenfalls gelesen hast, halte ich das Festhalten an der Westbank einen grundsätzlichen Fehler. Aber die Erfahrung mit Gaza schreckt ab - der palästinensische Freiheitskampf ist Teil des islamistischen Religionskriegs, dem Jihadismus geworden. Wir Juden und auch die Christen können mit Gott streiten, dem Islamisten ist das eine Todsünde. Was bleibt, ist - leider - nur noch das Abwarten und Tee trinken. Denn ginge es nur um Gebiete, liesse sich darüber reden. Mit religiös Motivierten kann man das nicht, nicht mit unseren und nicht mit den islamistischen. Denn für die ist Israel nur der erste, nicht aber der endgültige Schauplatz ihre Kampfes. Denkt jemand irgendwann darüber nach, warum die Hisbullah im Libanon gegen uns Krieg führen wollen? Sie sind keine Palästinenser, hätten eigentlich mit Israel keinen Konflikt, aber sie wollen es zerstören.

Wie du in deinem Brief feststellst, ist die Westbank besetzt. Das ist nie schön, war aber vor der Intifada weit weniger schlimm. Vor uns war die Westbank von den Jordaniern besetzt, die für die aufmüpfigen Palästinenser (damals waren sie noch West-Jordanier) nichts taten die sich sehr gerne mit ihrem Verlust abfanden und auch heute noch nichts von ihnen wissen wollen. Die Grenze zu Israel war offen, die Palästinenser waren bei uns, wir waren bei ihnen. Nie vergesse ich den in unserem Quartier herumkreuzenden VW-Transporter mit der weiss-grünen Nummer, aus dessen Lautsprecher die mit arabischem Akzent gesprochenen jiddischen Worte "Alte Sachen, alte Sachen" dröhnten. Er suchte alte Sachen, war ein Brockenhaus auf Rädern. Es gab gegenseitige Freundschaften, man ging Einkaufen und besuchte sich. Es kam Oslo - eine Zukunft war in Sicht, ein Staat Palästina und ein Staat Israel, schön nebeneinander, ohne Besetzung und ohne Terror. Ende 2000 änderte sich das. Erst wurden israelische Besucher ermordet, dann kamen die Selbstmordterroristen, die in kürzester Zeit um die Tausend israelische Juden und Araber umbrachten, Zivilisten, wie du weisst. Es wurde auf Wunsch des Volkes ein Trennzaun errichtet, der Terror flaute instantly ab. Israel hatte sich damit ohne Blut zu vergiessen verteidigt. Über den Rest will ich nicht schreiben. Erstens kennst du ihn so gut wie ich, zweitens wurde damit die gutmenschliche Abneigung gegen Israels Drang, sich zu verteidigen, öffentlich. Dass es auch Morde an unschuldigen Palästinenser in der Westbank gab, darf nicht unterschlagen werden. Doch immerhin sitzen diese jüdischen Mörder, falls sie überlebten, im Zuchthaus und werden höchstens von unseren Kahanisten verehrt.

Ein Gedanke lässt mir keine Ruhe: Warum werden die Palästinenser ausserhalb Israels durch ihr künstlich erhaltenes Flüchtlingsdasein missbraucht. Wir Juden, die Sudetendeutschen, die aus der Türkei vertriebenen Griechen und viele andere haben sich in der Welt integriert und das Flüchtlingsdasein ist nur noch Folklore. Nur den Palästinensern wurde von der arabischen Welt die Aufgabe verpasst Berufsflüchtlinge zu sein. Nur in Israel gibt es keine palästinensische Flüchtlingslager, in allen unseren Nachbarländern sind diese noch vorhanden, auch wenn sie inzwischen grösstenteils zu gewöhnlichen Wohnquartieren, sogar mit Villen, geworden sind. Aber Flüchtlingslager sind sie noch immer.

Zum Abschluss eine Richtigstellung: Ich bin Jude, glaube aber nicht an einen lieben Gott. Trotzdem bin und bleibe ich Jude, so wie einer Schwarzer ein Schwarzer bleibt, es ist schlicht unmöglich jemand anderer zu sein. Mein Vater, als Jude geboren, liess sich zweimal taufen, erst evangelisch und einige Jahrzehnte später als Katholik. Das, weil er gelegentlich von Leuten gefragt wurde, was er vorher war. Man hat auch den christlichen Russak als Saujuden beschimpft – hinter dem Rücken, selbstverständlich, denn damals war Antisemitismus noch ein Tabu. Mein Vater war ein kreativer Mensch mit Humor und hat das mit Fassung ertragen. Dass von der jüdischen Religion ausgetretene Juden vom jüdischen Klerus nicht mehr als Juden gesehen werden, hat ihnen im Dritten Reicht rein gar nichts genützt. Juden sind eine Schicksalsgemeinschaft, egal ob Sepharden, Aschkenasi, Orientale, Jemeniten, Äthiopier oder Inder. Religion gibt einen Teil des Hintergrundes, der Geschichte für jeden Menschen. Ich weiss nicht ob du gläubiger Christ bist, ob du nur ablehnst Kirchensteuer zu zahlen, Atheist bist oder Agnostiker. Darüber haben wir nie gesprochen, weil es unwesentlich ist. Das Christentum ist eine Religion und hat unendlich viel zur westlichen Kultur beigetragen - aber es ist eine reine Religion, die man ablegen kann. Ein Christ, der seine Religion ablegt ist kein Christ mehr. Deshalb rätsle ich noch über den Titel deines Briefes nach (Weil ich ein Christ bin - wirklich?). Dass Aspekte des israelischen Lebens von religiösen Parteien bestimmt werden, ist ein demokratischer Skandal - leider ist da kein Ende abzusehen. Ich wollte, wir hätten die Trennung von Staat und Religion wie in Europa, doch stellte ich erstaunt fest, dass sich auch säkulare Juden, aus einer Nostalgie heraus, sich über Religion definieren und sich nicht dafür einsetzen, die Macht des jüdischen Klerus zu brechen. In Israel wird so demokratischer Fortschritt behindert und das Judentum hat für viele ein abweisendes Gesicht bekommen.

Mehr ein andermal. Dann, wie üblich im Zeughauskeller bei Wädli, Herdöpfelsalat und Bier.

Euch beiden herzliche Grüsse auch von Lea, die sich ganz besonders über deinen Brief freute. Dein Paul

Dienstag, 10. März 2009

Motivation

11.3.2009

"Wo kämen wir den hin, wenn wir Israel nicht mehr kritisieren dürften" oder "Man wird doch noch Israel kritisieren dürfen, ohne gleich zum Antisemiten gestempelt zu werden". Solche oder ähnliche Sprüche sind immer wieder zu lesen und hören. Grundsätzlich stimmen diese Klagen, zum Teil wenigstens. Doch wer, wie ich, schon versucht hat, an einer antiisraelischen (pardon, israelkritischen) Veranstaltung teilzunehmen und seine eigene Ansicht vortragen will, macht Erfahrungen, die mit toleranten, partnerschaftlichen Diskussion nicht das Geringste zu tun haben. Ein Fürsprecher Israels wird in fast allen Fällen am Reden gehindert, niedergeschrien oder gar tätlich angegriffen. Diese Erfahrung habe ich selbst schon in Zürich und einmal sogar in "meiner" Kunstgalerie in Umm El-Fahm gemacht, wo jüdische Extremistenweiber mich fast schon Teeren und Federn wollten, weil ich ihre Ansicht nicht teilte. Treffen mit selbst gestylten Palästinafanatikern sind unangenehm und beinahe eine Einladung zum Selbstmord. Unter anderem deswegen, weil Extremisten, seien sie aus linkem oder rechtem Lager, sich finden und höchstens in wenig wichtigen Feinheiten unterscheiden.

Ein hervorragendes, vor wenigen Tagen zu beobachtendes Beispiel dieser These war das Daviscup Tennisturnier in Malmö (Schweden). Die Spiele fanden vor leeren Tribünen statt, weil die Stadtregierung sich, offiziell aus Gründen der Sicherheit, weigerte Publikum zuzulassen. Die Spiele fanden statt, ebenso eine extrem gewalttätige und destruktive Demonstration, deren offizielles Ziel es war das Tournier zu verhindern. Besonders interessant war die Tatsache, dass nach dem Aufruf zu dieser Demo durch linke antiisraelische Kreise, angeführt von einem Malmöer Stadtrat, sich auch Neonazis zum Mitdemonstrieren meldeten. Offiziell war die Linke entsetzt, Teilnahme der Neonazis sei eine Provokation - vielleicht meinte sie es sogar, doch die Motivation beider Extremistengruppen – Links und Rechts – ist grundsätzlich die Selbe: Judenhass. Beide können ohne ein Objekt für ihren Drang zum Hassen nicht existieren.

Randalierende Neonazis und Palästinafans machten viel kaputt, verbrannten Polizei- und andere Autos, verletzten Polizisten, waren aber im Endeffekt erfolglos. Nicht nur fand das Tournier ungestört statt – es seien doch etwas zweihundert Zuschauer dabei gewesen, sondern Israel gewann und ist im Daviscup eine Runde weiter.

Im Blog "Lisas Welt" steht zum Thema Kooperation linker und rechter Extremisten folgende, sich aufdrängende Erkenntnis: "So wuchs schließlich zusammen, was zusammen gehört", in Anlehnung an Willi Brandts Worte beim Fall der Berliner Mauer in 1989.

PS: Man darf doch noch Israel kritisieren dürfen, oder? Ich tu es ja auch. Nur beim Hassen habe ich Mühe.

Sonntag, 1. März 2009

Rassisten unter sich

1.3.2009

Enkel Eran, zehn Jahre alt, ist begeisterter Fan verschiedener Phantasiefiguren aus der computerisierten Welt der Comicsfilme, einer kommerzialisierten Folge der künstlerisch wertvollen Welt der Comics. Um ihm eine Freude zu Purim zu machen, erstellte sein Vater Motti auf meinem Computer die charedische Version des Iron Man – es gehe, so Motti, auch ohne Photo Shop. Iron Man und unzählige andere Comicfilme dieser Art demonstrieren Gewalttätigkeit für Kinder, vielleicht werden auch Steine am Schabbat geworfen, über solche Kleinigkeiten bin ich nicht informiert. Mottis herziges Endprodukt sollte copyrighted werden, ein Schlager bei jedem Kostumwettbewerb, wenigstem beim jüdischen Purimfest, wird es auf jeden Fall.

Das hier total verfälschte Aussehen eines bei weitem nicht der Mehrheit entsprechenden Juden bringt mich zum nächsten Thema. Die Verbindung liegt auf der Hand. Ausgerechnet in Genf, in der Schweiz, in der das Wort Rassismus und Antisemitismus, wie wir alle wissen, da mit der humanistischen Tradition des Landes nicht vereinbar, ein hochgehaltenes Tabu und Fremdwort ist, wird in kürze die GV des UNO-Menschenrechtsrates, genannt Durban II, stattfinden. Gut für die Genfer Hotellerie ist das auf jeden Fall, denn diese lebt ja vom Polit-Tourismus der UNO. Verhüllt im Tschador wird Schweizer Aussenministerin MCR einen Willkommensgruss vorbringen wollen, im Namen aller Schweizer Bürger, auch im Namen der Schweizer Juden. Unter dem Tschador gut versteckt könnte sie sich vertreten lassen, z.B. von Geri Müller oder einer der jüdischen Damen oder Herren für einen gerechten Frieden in Palästina, unter denen es MitgliederInnen gibt, die bedeutend besser Englisch sprechen als Micheline. Diese Zusammenkünfte jener, denen das Wort "Menschrechte" grundsätzlich ein Oxymoron ist, nämlich das genaue Gegenteil ihrer eigenen Weltsicht und Verhaltensweisen, haben in Durban I in Südafrika vor einigen Jahren eine Tradition für ein Hassfest gegründet, Israel und Juden wurden beschimpft, verleugnet und nicht nur bedroht, sondern auch angegriffen. Hauptverantwortlich dafür sind Staaten wie Libyen, wo Schweizer wegen Verhaltensstörungen von Gadafis Söhnchen und dessen Frau in Genf (!) zur Geisel genommen werden, Sudan, in dem täglich ein paar Hundert oder Tausend schwarze Afrikaner, ob Muslime, Christen oder einer Naturreligion anhängend, wegen ihrer Rasse getötet oder verjagt werden, Iran, wo täglich Kinder und Erwachsene an Baukranen aufgehängt, Frauen gesteinigt, andere gefoltert werden und eine Sittenpolizei herrscht (wie in Saudiarabien, wo der König allerdings deren extreme Übergriffe zu zügeln begonnen hat). Oder nehmen wir Syrien, wo, wenn's jihadistischen Zoff gibt, eine Stadt (Hama) samt den 20'000 bis 30'000 Einwohnern völlig zerstört wird, weil eben Hama das Zentrum aufmüpfiger Islamisten in der Form der islamischen Brüderschaft, gewesen sei. Oder fast die gesamte muslimische Welt, in der das Wort Demokratie und eigene Menschenrechte Schimpfwörter sind, da sie gegen koranische Prinzipien verstossen würden und die Herrschenden mit Gewalt und Israel/Judenhass von ihrer Herrschaft der Angst und Gewalt ablenken, dabei die Fakten der Weltgeschehnisse auf den Kopf stellend. Das sind über fünfzig Staaten, grosse und kleine, in denen im Namen des lieben Gottes Menschen geköpft, gehängt, gesteinigt, verbrannt, von Hochhäusern geworfen, erschossen und anderweitig phantasievoll umgebracht werden. Diese Gesellschaften der Angst haben die Frechheit – und werden von Apologeten der westlichen Welt dabei unterstützt – Israel, dessen überbordend freie Gesellschaft ihnen ein Dorn im Auge ist und Angst macht, des Rassismus anzuklagen, ja anzugreifen, wozu sie im Laufe der Jahre die UNO-Menschenrechtsorganisation umfunktioniert haben. Immerhin, neben Canada und Israel haben sich gestern auch die USA von diesem geplanten Karneval verabschiedet. Es bleibt nun zu sehen, wie europäische Demokratien dazu reagieren werden. Werden sie, wie das EDA der Schweiz, vor lauter Panik um ihre Energielieferungen, der arabisch-muslimischen Welt zu Kreuze kriechen und aus reinstem Egoismus (wie damals in Evian in 1938) beim feiern des Judenhasses mitfesten – oder werden sie für einmal Rückgrat zeigen? Wird die Schweiz (MCR) sogar über ihren eigenen Schatten springen, diesen Kongress der Schande in Genf absagen und ihn, sagen wir mal, im menschenfreundlichen Khartum abhalten lassen? Dies zu verfolgen könnte spannend werden.