Dienstag, 29. Januar 2013

Hadschi Halef Omar und die nimmermüden Arabisten von heute



Man darf wieder
Ich schreibe viel. In meinem vorliegenden Blog, aber auch als Mitglied der Autorengruppe des Journal21. Dort bin ich der einzige Mitarbeiter, der sich vor Israel stellt und die Lügentiraden anderer Autoren (Ausnahme: Reinhard Meier) zum Thema zu berichtigen sucht. Noch so gerne hätte ich einen Kollegen, der mich dabei unterstützt. Da bin ich sehr persönlichen Hasstiraden judenhassender Kommentatoren ausgesetzt. Mir ist klar, dass viele exponierte Juden davon betroffen sind. Ich kann mit diesen Angriffen sehr gut leben. Sie die zeigen, dass ich gelesen werde. Ich nehme an, dass sich diese Gegner meiner Ansichten an mir abreagieren können, wie Katzen an einem Kratzbaum – ich habe also, wenn auch unfreiwillig und unqualifiziert, eine therapeutische Funktion,  von der schon Freud sagte, sie habe auch eine kathartische Funktion. Ob das diesen antisemitischen Psychopaten und Neurotikern hilft,  weiss ich nicht und interessiert mich nicht. Zudem habe ich mir abgewöhnt,  diesen kranken Besserwissern zu antworten, denn das ist schade um die Zeit. Doch habe ich gelernt, dass die Zahl der Judenhasser bei weitem nicht so klein ist, wie Apologeten es uns einzureden versuchen.
Trotzdem beschäftigt mich dieser neue,  offene Antisemitismus. Bis vor wenigen Jahren noch aus politischer Correctness unterdrückt, aber ist er heute durch den Einfluss des salopp als „Israelkritik“ verbrämten Judenhasses und durch die  geistige und finanzielle Unterstützung des weltweiten Islamismus und dessen Hintermännern befreit. Man darf wieder. 
Natürlich darf man Israel kritisieren. Warum auch nicht. Ich tu’s ja auch. Aber nur, wenn die Vorwürfe stimmen und der Kontext gewahrt bleibt. Und eben das geschieht mehrheitlich nicht. Alles andere trägt zu den Vorurteilen und den Begründungen falscher Meinungsäusserungen bei. Aber: oft beruft sich der selbsternannte und meist ignorante Kritiker auf diesen oder jenen, der dies auch gesagt oder geschrieben hat. Insbesondere, wenn diese Scheinquelle das eigene vorurteils- und klischeehafte Denkmuster spiegelt und verstärkt.
Die Sicht des Uri
Wer mich kennt und wer mich liest, weiss, dass ich ein Gegner der Siedlungspolitik bin. Aus zwei Gründen: Erstens, weil es, wie Prof. Yeshayahu Leibowitz s.A. vor Jahrzehnten sagte, den Staat Israel und seine Bürger korrumpiert. Das hat sich inzwischen bewiesen. In den eben abgehaltenen Wahlen scheint das Wahlvolk darauf reagiert zu haben, ein positives Zeichen. Zweitens, dass wir Juden nicht über ein anderes Volk herrschen sollen. Es sei denn, dieses Volk möchte das. Schön, das ist Ideologie oder, wenn man so will, die Summe der geschichtlichen Erfahrungen des jüdischen Volkes, das aus seiner eigenen Geschichte gelernt hat. Oder gelernt haben sollte. Doch verglichen mit praktisch allen gewalttätigen und antidemokratischen Geschehnissen im Mittleren Osten, ist die Siedlungspolitik Israels, wie man in Englisch sagt, „peanuts“. Doch „Israelkritiker“ stürzen sich darauf,  stilisieren sie zum einzigen Stolperstein auf dem Weg zum Frieden zwischen Israel und den Palästinensern hoch. Dabei ist das Haupthindernis die grundsätzliche Weigerung der palästinensischen Führung Israel überhaupt anzuerkennen und als souveränen Staat sogar innerhalb der alten Pseudogrenze, der Grünen Linie, zu tolerieren. Wären die Palästinenser tatsächlich bereit, mit Israel als Nachbarn zu leben und von Israel zu profitieren – was sie eigentlich seit langem tun – wäre dieser Frieden schon lange Realität. Ich bin es leid die Zahl der von Arafat und Abbas abgeschlagenen Friedensofferten zu erwähnen. Die israelkritische Presse, in der in der mehrheitlich einer vom anderen abschreibt, alle dieselbe israelische Zeitung lesen (Haaretz, ich lese sie zwar aber dazu andere) und dabei alle die selben abgedroschenen Ideen entwickeln, hat dazu geführt, dass für alles was zwischen Israel, der Westbank und Gaza geschieht, die israelische Siedlungspolitik verantwortlich gemacht wird.  Diese an Armut gedanklicher Arbeit, journalistischer Faulheit und wirklichem Wissen wird zum grellen Fanal von ausgeprägter Ignoranz, was dieses Thema betrifft. Natürlich ist es weit sexier über die armen Palästinenser zu berichten und „Zwischenfälle“ kreieren zu lassen, als über die beträchtliche israelische Hilfe an diese oder gar – Gott behüte – über positives aus Israel zu berichten. Um Christian Morgenstern zu zitieren: „… und weil, so schloss er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf“. Namen nenne ich hier lieber nicht. Noch immer geht der kolonialistisch-rassistische Geist Karl Mays um – viele, vor allem ältere Semester der deutschsprachigen Medien, haben sich damit gut arrangiert und dort ihre journalistische Heimat gefunden. Die Romantisierung der arabischen Welt, als wäre T.E. Lawrence noch unter uns, ist für sie noch allgegenwärtig, als hätte sich seither nichts geändert, ausser, dass die bösen Juden Unruhe stiften. Das palästinensische Verhalten, die Selbstverweigerung seiner Führung von wirklichem Frieden, stattdessen Frieden als endloses „Verhandlungsthema“ und als hoffnungsträchtiges Geduldspiel, Israel eines Tages doch zu vernichten, hat den rechtslastigen Nationalisten Nethanyahu und faschistoide Parteien in Israel an die Macht gehievt. Möglicherweise sind dem nach den letzten Wahlen Grenzen gesetzt. Doch alle Fehlschläge zu diesem Thema Israel anzulasten, ist journalistische Faulheit und gepflegte Ignoranz.  

Dann gibt es aber eine zweite Seite dieser Medaille, den Kontext. Das heutige Israel umfasst nur einen Teil jenes Gebietes, welches es im Laufe seiner langen Geschichte inne hatte. Der restliche Teil wird von Menschen bewohnt, die uns aus tiefster Seele hassen und die ihre Kinder auf eine Art erziehen, die dafür sorgen soll, dass sich dieser Hass in den kommenden Generationen fortsetzt. Das schon seit bald hundert Jahren, seit eine totalitäre Religion, der heute Islamismus genannte politische Islam, seinen Einfluss mehr und mehr verstärkte. Es geht nicht darum, dass es ein Israel gibt, sondern dass Juden, also Nichtmuslime, in einen winzigen Teil der heute arabischen Welt zurückgekehrt sind, ohne sich dieser als Dhimmi zu unterwerfen. Stattdessen bauten diese Juden einen demokratischen Staat auf, der sich dazu noch erfolgreich entwickelt und damit seinen Nachbarn augenfällig vorführt, wie sehr ihnen all das fehlt, das unseren jüdischen Staat zum Blühen gebracht hat. Politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich und sozial. Neid ist deswegen bestimmt ein beachtlicher Teil des Israel- und Judenhasses der Palästinenser und vom Rest der muslimischen Welt (im Israelhass ist auch arabischer Hass auf Israels arabische Bevölkerung eingeschlossen, einem Phänomen, das ich aus erster Hand kennengelernt habe), obwohl dies von meinen arabischen Freunden gerne unter den Teppich gewischt wird. Der soziale Druck ist in dieser Gesellschaft enorm-und proisraelische Ansichten können lebensgefährlich sein. Die Zivilcourage, sich dagegen zu stellen, fehlt in der arabischen Welt fast völlig und hat keine Tradition. Stattdessen wird, auch gegen besseres Wissen, gespurt.
„Israelkritik“
"Israelkritiker“ verlangen implizit, aber doch klar, dass Israel, früher von arabischen Armeen angegriffen, heute von palästinensischen und schiitischen Terroristen mit zehntausenden Raketen beschossen kein Recht auf Verteidigung, gleich welcher Art hat. Nur wir Israelis dürfen das nicht. Einen Grund haben sie nicht. Oder vielleicht doch? Russland wehrte sich gegen tschetschenischen Terror mit Massnahmen, von denen die wir Israelis nicht einmal träumen - sie allerdings auch nicht nutzen würden. Ebenso Reaktionen auf terroristische Grossangriffe in den meisten muslimischen Ländern. Oder als Musterbeispiel Jordanien (1971), wo König Hussein unter den unbotmässigen Palästinensern rund zehntausend Tote „erzielte“. Oder in Syrien, wo 1982 Papa Assad rund dreissigtausend Islamisten zusammen mit der Stadt Hama zu Tode kartätschte und sein Sohn heute mit seinem Krieg gegen Aufständige schon gut 100‘000 Tote erzielt hat, mit steigender Tendenz. Von den Gehängten und Geköpften in islamischen Ländern, von den Janjaweed im Sudan, von den Taliban, denen jede Ziege wertvoller ist als eine Frau – die Reihe dieser islamistischen Errungenschaften könnte endlos weitergeführt werden.  

Als vor einigen Monaten, sogar für Ministerpräsident Nethanyu, zu viele Raketen aus Gaza in Israel gelandet waren und er endlich entschied, sich zu wehren, war es das erste Mal, dass ein Teil der Welt Spuren von Verständnis für diese Massnahme zeigte, denn die Zahl der Raketen, auch wenn deren Mehrzahl von israelischen Raketen abgeschossen worden war oder erfolglos in leeren Feldern landeten und verpuffte, überstieg das „Normalmass“ und bedrohte sogar Tel Aviv. Der relativ erfolglose Raketenregen aus Gaza – das in diesem Zusammenhang widerliche Wort „selbstgebastelt“ wurde und wird in diesem Zusammenhang gerne angewendet, auch wenn es nicht stimmt – war nicht in der Absicht der Hamas und seiner iranischen Verbündeten. Doch auch hier wird von „Überreaktion“ gesprochen und Bilanzen werden erstellt, wie etwa, Israel habe etwa zehn Todesopfer erlitten und die Hamasbürger einige mehr – ergo stimmt die Bilanz nicht. Viel wurde von den Kindern in Gaza berichtet, die unter Ängsten litten. Aber die zigtausend israelischen Kinder, die traumatisiert wurden und seit vielen Jahren darunter leiden und jahrelang, wenn nicht lebenslang therapiert werden müssen, sind nur in der jüdischen Presse erwähnt. Für sie wird Rot immer die Farbe des Schreckens und der Gefahr sein. „Zeva adom“ (rote Farbe) ist das Codewort für einen Angriff auf die Städte im Süden.
Ignoranz und Denkfaulheit
Die auf Denkfaulheit und sträflicher Ignoranz beruhende, aber dennoch populäre Behauptung der „Israelkritiker“, dass Israel auf dem Staatsgebiet eines imaginären Palästinas gegründet worden sei, obwohl die Palästinenser mit dem Holocaust und dem zweiten Weltkrieg gar nichts zu tun gehabt hätten, ist eine grundsätzliche Lüge. Seit den späten zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde in Palästina Judenhass gepredigt. Beruhend auf den Lehren des Hassan al-Banna, dem Begründer der Muslimbruderschaft, organisierte der damalige Grossmufti Jerusalems und spätere Nazi-Kriegsverbrecher Mohammed Amin al-Husseini Terrorattacken und Pogrome unter den palästinensischen Juden. Die über sechzig Opfer des Pogroms in Hebron in 1929 belegen nur einen der zahllosen Fälle. Husseini, ein begeisterter Anhänger Hitlers, der zwei SS-Divisionen bosnischer Muslime für Hitler auf die Beine stellte, die sich vor allem mit Judenmorden im alten Jugoslawien hervortaten, verbrachte den Krieg bei Hitler, wurde aber nach dem Krieg nie vor Gericht gestellt. Die Motivation seiner Taten war Judenhass, mit Begründungen aus dem Koran kaschiert. Er und seine zahlreichen Anhänger verübten unzählige Anschläge und lehrten die bis anhin ein sehr verträgliches und beidseitig profitables Verhältnis mit Juden lebenden Araber (heute zu Palästinensern mutiert), ihre jüdischen Nachbarn zu hassen. Ein Teil der damaligen arabischen Bevölkerung nahm daran teil, denn schon zu Husseinis Zeiten wurden Araber Palästinas, die nicht spurten, von Islamisten terrorisiert. Nichts hat sich daran geändert. 
Irans Ahmedinejad und seine ebenfalls schiitischen Hisbollahis im Libanon hassen uns ausschliesslich, weil wir Juden sind. Einen anderen Grund gibt es nicht. Damit führen sie Hitlers antisemitische Ideologie und seine Taten weiter, sie sind seine Erben. Ebenso sind es die heutigen Muslimbrüder und ihre palästinensische Filiale, Hamas Erben – schwarz auf weiss in den Hamasgrundsätzen verankert. Das Gefühl der Palästinenser, man habe ihnen etwas weggenommen, auch wenn sie selbst Verantwortung dafür tragen, können die Schiiten nicht haben. Doch Vernunft hat im Mittleren Osten wenig zu suchen, sie hat rechthaberischer Gewalt Platz gemacht, wenn sie überhaupt je zu finden war. 
Es gibt ein antijüdisches Argument monumentaler Frechheit. Nämlich die Frage: „Ja habt denn ihr Juden vom Holocaust nichts gelernt? Ihr behandelt die Palästinenser wie einst die Nazis euch.“. Wir Juden – es kann sein, dass Mitglieder der JVJP mir nicht mir beipflichten – haben gelernt, dass wir auf uns selbst gestellt sind, uns nur selbst helfen können und deshalb stark sein müssen. Wir haben gelernt, nicht in fremde Hintern zu kriechen und uns nur auf uns selbst zu verlassen. Als die Juden schon 1938 an der Evian Konferenz um Asyl vor den Naziverfolgungen ansuchten, wurde diese Bitte von allen 32 teilnehmenden Ländern abgelehnt. Das Resultat kennen wir alle. Damals und bis zum Kriegsende konnten sich die europäischen Juden nicht wehren. Zwar gab es Ausnahmen, wie die Ghettoaufstände in Polen und die jüdischen Partisanen in Osteuropa. Das ist der Grund, dass Israel militärisch stark ist – sonst hätte es nicht überlebt. Israel und seine Juden haben aus der Geschichte gelernt. Seine Kritiker nicht.
Zusammenfassung
Israel hat Probleme. Viele sogar. Darunter gibt es auch selbst verursachte. Probleme der äusseren Sicherheit, Probleme der Integration neuer Einwanderer, die obwohl Juden aus verschiedenen Kulturkreisen gekommen sind. Europäische und amerikanische Juden, orientalische und sephardische Juden, arabische Minderheiten, die sich in Muslime, Christen und Drusen aufteilen. Es gibt Juden, die von Grossisrael träumen und dies gewaltsam durchsetzen wollen, ja es gibt sogar einige, die den einstigen Tempel wieder auf dem Tempelberg erbauen wollen. Es gibt ultra-orthodoxe Juden, die den Staat materiell aussaugen und religiös erpressen. Das ist eine Auswahl israelischer Probleme, die der Staat lösen muss. Israel ist eine pulsierende Demokratie, die nicht nur von aussen, sondern auch von innen gefährdet ist. Es ist ein multikultureller Staat par excellence, mit einer kleinen Bevölkerung mit riesigen kulturellen Unterschieden. Und trotzdem – oder eben deshalb – blüht es. 

Die Welt stellt an Israel Ansprüche, die an keinen anderen zivilisierten westlichen Staat gestellt werden. Eine Begründung dazu ist völlig rassistisch nämlich, dass man von Israel mehr und besseres erwarte, als von seinen Nachbarn. Was in anderen Worten heisst, dass die arabisch-muslimische Welt eine Welt der Unfähigen, Zurückgebliebenen und Primitiven sei, die statt in Strohröckchen mit Leintüchern behangen herumlaufen, ihre Frauen malträtieren und Ungläubige köpfen. Gutgemeinte Vorurteile, die unseren Konflikt mit den Nachbarn verniedlicht. Ist Israelkritik wirklich nur gutgemeint?

Mittwoch, 23. Januar 2013

Heutige Tage



Vater und Sohn – Tommy und Yair Lapid (Wahlkommentar) 

Noch immer trauere ich dem überzeugten Säkularisten Tommy Lapid nach, dessen Leben sein Sohn Yair in einem wunderschönen und hochinteressanten Buch „Memoiren nach meinem Tod“ geschrieben hat. Yair‘s Abschneiden wurde in den gestrigen Knessetwahlen zur Sensation, er erzielte noch mehr Parlamentssitze, neunzehn, als sein Vater in 1999 mit 15 Sitzen. Sein Sohn will unter anderem das Hauptziel seines Vaters realisieren, den Parasitenstatus der Haredim in Israel abzuschaffen. Nun werden wir sehen, wie er das bei Nethanyahu, der Ministerpräsident, wenn auch geschwächt, bleiben wird, das durchbringt. In Bibis Rede nach den Wahlen wird dieser Punkt schon erwähnt. Auch wenn ich Nethanyahu nie ein Wort glaube, hat er sich der neuen Realität schon angepasst. Yair Lapid will das Problem höflicher als sein Vater angehen und den sich vor Arbeit und Bürgerpflichten, vor allem der Militärdienstpflicht, drückenden Haredim fünf Jahre Zeit geben, sich darauf vorzubereiten. Arbeiten sollen sie ab sofort, doch Soldaten sein erst nach fünf Jahren. Ich selbst kann mich damit nicht anfreunden, denn damit wird Israels wirkliches Hauptproblem wiederum auf die lange Bank geschoben und würde sogar nach den in vier Jahren wieder stattfindenden Knessetwahlen weiter grassieren. Das wäre, so denke ich, der Tod dieser Initiative. Im Übrigen ist zu vermerken, dass diese Initiative für volle Bürgerpflichten für alle, auch für arabische Israelis gelten soll. Wie gesagt, mit Yair’s Plan kann ich mich nicht anfreunden.

Man wirft Yair Lapid vor, sich in seiner Partei „Jesh Atid“ (Es gibt eine Zukunft) wie ein Diktator zu gebärden. In den Statuten seiner Partei steht, dass er den Parteivorsitz bis 2020 behalten wird. Doch ich verstehe diesen Passus. In den von ihm geschriebenen Memoiren seines Vaters Tommy „Memories after my dead“ beschreibt er, auf welche Art dessen Partei „Schinui“ zusammenbrach. Parteimitglieder, vor allem jüngere profilsüchtige Profitierer, rissen das Kommando an sich und booteten Tommy und seine Freunde aus. Im Buch wird beschrieben, wie Tommy Lapid, noch Justizminister mit seinem Freund, dem Innenminister Avraham Poraz, ihre letzte Parteiversammlung verliessen und die internen „Revolutionäre“ dem Schicksal überliessen. Die Schinui Partei verlor sämtliche Sitze und verschwand aus der politischen Landschaft Israels. Tommy starb wenig später. 

Ich denke Yair Lapid hat daraus gelernt und sich deshalb genügend Zeit ausbedungen, seine Partei und seine Politik so zu führen, dass ihre Zukunft gesichert bleibt. Ob diese Zukunft sich nach seinen Wünschen entwickeln wird, das werden wir sehen. Im Moment hat er dazu die Chance seines Lebens.
 
Enkelin Hadass wählt zum ersten Mal und ist stolz darauf 

Gestrige Wahlen für die Knesset waren bei weitem nicht meine ersten. Wenn ich gelegentlich an die Wahlen in den frühen sechziger Jahren denke, an denen unsere Kibbuz, der als Kibbuz des Haschomer Hazair zur marxistischen Partei „Mapam“ (heute nicht mehr marxistisch und Teil der linken Partei „Meretz“) gehörte, befällt mich Wehmut. An einem Demonstrationsmarsch durch die Strassen Haifa, an dem wir rote Fahnen wedelten und die Internationale sangen, hatten wir viel Spass. Wir retteten sogar das Leben eines kleinen Jungen, der seinen Kopf durch einen Eisenzaun gesteckt hatte und ihn nicht mehr heraus ziehen konnte. Chawer Esra, Elektriker des Kibbuz, brachte es fertig den Kleinen zu befreien. Die Mutter rief dankbar und unter Tränen: „Wie kann ich meinen Dank zeigen, ihr habe mein Kind gerettet“. Im Chor antworteten wir: „Wählt Mapam!“ 

Alles wieder von vorne

Wir sind umgezogen. Vom schönen Zichron Yaakov ins ebenso schöne Tiv'on. Zugleich ist dieser Umzug ein wirklicher Schritt in einen neuen Lebensabschnitt. Wir wohnen nun in einer sogenannten Altersresidenz. Unsere Tochter Michal nennt es einen Club Mediteranée für Pensionäre. Zusammen mit noch etwa 250 Alterskollegen, unter denen wir allerdings zu den jüngeren zählen. Das Anzahlsverhältnis zwischen Männlein und Weiblein steht bei etwa 1:5. Wir Männer haben’s also schön. Eine der ersten Fragen, aus weiblichem Mund an mich gerichtet war: „Bist du allein?“. Mein Freund Arie Levy der Schreiner aus Zichron Ya’akov, der mich besuchte - Lea war gerade bei ihrer Schwester im Kibbuz – fing an zu lachen. Ich verstand nicht warum, und er musste mich über das Verhalten fröhlicher Witwen aufklären. Wie gesagt, Männer haben es hier sehr schön. Als wir vor zweieinhalb Jahren von unserem Häuschen in eine Wohnung zogen, dachten Lea und ich es sei der letzte Umzug. Doch ausgesundheitlichen Gründen mussten wir nochmals umziehen und sind, da es eine solche Institution in Zichron Yaakov (noch) nicht gibt, im nahe gelegenen Tiv’on gelandet.  

Doch wir sind weiterhin selbstständig. Wir kochen, laden Gäste zu Mahlzeiten ein, fahren mit dem Auto wohin wir wollen und sind frei. Nur, die Wohnung hat statt vier nur noch zwei Zimmer, der Balkon ist statt 30 m2 nur noch 7 m2 gross. Dafür sind Handwerker im Haus, Putzfrauen und eine Pflegerin für Lea – die Organisation ist unübertrefflich und das Personal ist nett. Wir rufen uns alle beim Vornahmen, soziales ist gross geschrieben. Täglich, ausser am Wochenende, obwohl es hier nicht religiös zugeht, da Religion hier Privatsache ist, finden Vorträge und Kurse statt, jeden Morgen bin ich schon um halb acht im Hallenbad und schwimme meine Runden. Jüdische Feste werden gefeiert. Ich fühle mich um über fünfzig Jahre in den Kibbuz zurückversetzt. Da wir in Tiv’on alte Freunde aus der Schweiz haben und es eine Reformgemeinde gibt, wird uns das bei der Eingewöhnung helfen. Soweit geht es uns prächtig und es gibt keinen ersichtlichen Grund, der dagegen spricht.

Ganz besonders gefällt mir ein anderer junger Mann, der Israel. Er ist nur sieben Jahre älter als ich. Er kommt aus Amerika, ist Musiker und spielt verschiedene Instrumente. Darauf spielt er Jazz und Blues und wir haben bereits Pläne. Nur eben, auch seine Frau ist krank und auch er wurde zum Chauffeur für medizinischen Tourismus. Wir werden hier eine Zukunft haben, eine, so hoffe ich aber, musikalische.

Vor einigen Tagen rief uns eine Dame an und lud uns zum sofortigen Zvieri ein. Sie heisst Reef und kommt aus Südafrika.  Wir seien neu hier und auch nett, habe sie gehört. Ihre ebenfalls anwesende Freundin gehört zu den Machsom Watch Frauen, jenen, meist Omas, die in den besetzten Gebieten beobachten, wie man die Palästinenser an Strassensperren (Machsom in Hebräisch) plagt. Die meisten Strassensperren sind zwar aufgehoben, aber der Krieg dieser Machsom Watch Damen gegen die Soldaten und Polizisten Israels geht weiter. Ich beschrieb im Tagebucheintrag vom 10. Juni 2009 meine Erfahrungen mit zwei anderen Machsomistinnen. Mein damaliger Eindruck war ziemlich negativ und ich fand das Benehmen meiner Begleiterinnen oft deplaziert. Doch meine neue Bekannte sieht das anders und hegt,so sagt sie, keine Animositäten gegen unsere Sicherheitsbehörden. Sie zeigte sich über meine eigenen vierstündigen Erfahrungen überrascht. Wieder einmal wird mir demonstriert, dass Verallgemeinerungen, d.h. das Benehmen einzelner auf das Benehmen einer ganzen Gruppe zu übertragen, nicht immer stimmen.