Freitag, 27. Juni 2008

Gemischte Gefühle

27.6.2008

Der ist von Ruben Mechanicus und passt so schön zum Ende dieses Tagebucheintrags:

Eine Krähe sass auf einem Baum und tat den ganzen Tag nichts. Ein kleiner Hase sah die Krähe und fragte sie: "Kann ich mich auch so hinsetzen und den ganzen Tag nichts tun?" Die Krähe gab zur Antwort: "Sicher, warum denn nicht." So setzte sich der kleine Hase auf den Boden unter der Krähe und ruhte. Plötzlich kam ein Fuchs, sprang auf den kleinen Hasen und frass ihn. Management Lektion: Um herumzusitzen und nichts zu tun, musst du sehr, sehr weit oben sitzen!

Nun zur Sache:

„Morgen“, wann immer das sein soll, werde der Gefangenenaustausch zwischen Israel und der Hisbollah stattfinden. Die zwei Soldaten Regev und Goldwasser sollen gegen einen arabischen Massenmörder namens Samir Kuntar, der in Nahariyas eine Familie zerstörte – zum Teil ideologisch stilgerecht auf Naziart, einem vierjährigen Kind den Kopf gegen die Wand schmetternd. Kuntar, in typisch israelischer Weichherzigkeit, durfte im Gefängnis heiraten und im Fernstudium einen B.A. erwerben. Als Gegenleistung hat er nun verkündet, dass er nach einer möglichen Freilassung seine Terrorkarriere wieder aufnehmen werde. Neben Kuntar sollen noch einige libanesische Gefangene gegen die zwei Soldaten ausgetauscht werden. Das heutige Tauschgeschäft ist buchhalterisch besser als das letzte, als 450 arabische Terroristen gegen ein paar tote Israelis, beziehungsweise deren noch vorhandenen Körperteile und einen israelischen Drogenhändler ausgetauscht worden sind. Vergessen wir nicht den gefangenen Soldaten Gilad Shalit, der irgendwo in Gaza in einem Keller gefangen gehalten wird (so wird berichtet) und um den heute mit der Hamas ebenso gefeilscht wird, wie mit den Hisbollah um die zwei Reservesoldaten Regev und Goldwasser.

Aber man muss sich fragen: ist es richtig, einen verurteilten blutdürstigen Terroristen wie Samir Kuntar freizusetzen, um zwei israelische Soldaten zu befreien? Soldaten, die vielleicht nicht mehr leben. Ich denke, es ist ein notwendiges Übel dies zu tun, jedoch unter der klaren Bedingung, dass Goldwasser und Regev lebend zu ihren Familien zurückkehren. Aber niemand weiss, ob die Beiden noch leben, denn im Gegensatz zu in Israel gefangenen Terroristen, die von ihren Familien und vom Roten Kreuz Familien besucht werden, weiss bei Gefangenen der Hisbollah und anderen Terrororganisationen niemand, ob sie überhaupt noch leben, wo sie sind, wie es ihnen geht, denn niemand darf sie besuchen. Deshalb kann es ohne weiteres sein, dass beim „morgigen“ Gefangenenaustausch ein quietschlebendiger Massenmörder und seine Kumpane gegen Leichenteile getauscht werden.

Israel ist, Ausnahmen in heimischen Extremistenkreisen ausgenommen, nicht in der Lage sich wie seine jihadistischen Feinde Hamas, Hisbollah, Ahmedinejad und andere, zu benehmen. Terror ist, im Gegensatz zu muslimischen Staaten, nicht integraler Teil des israelischen Regierungsprogramms. Im Gegensatz zum Jihadismus, heute tonangebend in der muslimischen Welt, lieben wir das Leben und nicht den Tod. Für Märtyrer haben wir wenig übrig, für solche, die den Tod für sich und andere suchen noch weniger.
Auch heute wissen wir nicht, wie die Verhandlungen und Abkommen mit der Hamas im Süden und der Hisbollah im Norden enden werden. Die Familien der drei entführten Soldaten haben die Medien und das Gericht eingeschaltet, sie fühlen sich von der Regierung verraten und ignoriert.

Noch selten fühlte sich das israelische Volk innerlich so zerrissen und von Zweifeln geplagt. Ist es richtig mit der Hamas einen Waffenstillstand zu vereinbaren, der es ihr erlaubt in Ruhe ihr Waffenarsenal auszubauen und ihre Unterdrückungsmechanismen gegen die eigene Bevölkerung, dazu gehören auch etwas dreitausend Christen, deren Kirchen und Bücher verbrannt und die im Namen Allahs auch ermordet und verprügelt worden sind, zu perfektionieren?

Wir werden den Eindruck nicht los, dass unsere Regierungsmitglieder die heutige Situation für ihre persönlichen Ziele missbrauchen. Die Regierung schwankt und wird vielleicht zusammenbrechen. Sogar innerhalb der Regierungsparteien sind die persönlichen Positionskämpfe derart unverschämt, dass die Interessen des Staates und seiner Bürger dabei vergessen gehen.

Ohne die Fussball Europameisterschaft in der Schweiz, in Österreich und im Fernsehen könnte man verzweifeln.

Samstag, 14. Juni 2008

Ein Lichtblick aus Kibbuz Nir Elijahu

14.6.2008

Es wurde bekannt gegeben, der Kibbuz Nir Elijahu habe eine muslimische Araberin als Mitglied aufgenommen. Das ist ein erstmaliges und hoffentlich nicht einmaliges Ereignis dieser Art, denn in einen Kibbuz wird nicht einfach jeder aufgenommen, der gerne möchte, sondern nur Menschen, die von einer Aufnahmekommission erst geprüft und dann der Kibbuzversammlung vorgeschlagen werden. Im Falle von Anal Carmiya, arabische Krankenschwester und Mutter zweier Kinder, ging das problemlos, Amal's Kinder gingen im Kibbuz zur Schule und vor einigen Jahren wurde sie dort als Krankenschwester angestellt. Man kannte sie und Kibbuzmitglieder sind mit ihr befreundet. Obwohl Neta Be’eri, ein Fachfrau über Bevölkerungswachstum und Entwicklung der Kibbuzbewegung, es bestreitet, ist dieser Akt eine symbolische Demonstration, die so sehe ich es, vor allem gegen den jüdisch-religiösen Extremismus gerichtet ist. Da mit Ausnahme der wenigen religiösen Kibbuzim, die Kibbuzbewegung sekulären Ursprungs ist, früher dem Marxismus frönte (das ist völlig wohlwollend gemeint), zeigt eben die Kibbuzbewegung damit auf, dass die heutige Kibbuzidee, obwohl von Juden geschaffen, für alle Menschen guten Willens eine alternative Lebensart anbietet. Die uralte Idee der „Avoda Ivrit“ (jüdische Arbeit), einem Leitmotiv der frühen Pioniere, ist schon lange tot, wurde jedoch in den heutigen Tagen von rassistischen, nationalistischen und religiösen Kreisen in Israel in einem neuen Kontext übernommen, in dem jede Art des Zusammenlebens mit Arabern torpediert werden soll. Aus eben diesen Kreisen wird der Kibbuz wegen Amal Carmiya’s Aufnahme als Vollmitglied angriffen, ihm sogar „Jüdischkeit“ abgesprochen. „Die Kibbuzmitglieder stimmten für Amal den Menschen, nicht für Amal die Araberin. Von dieser Sicht sind leider noch viele jüdische Israelis entfernt, denen es gar nicht gefällt, dass, wieder einmal die Kibbuzbewegung zeigt, wie man als nichtreligiöser Israeli ein weitaus besserer Jude sein kann, als unser Gegenstück zur Hamas und ähnlichem Gesindel, den religiösen und/oder nationalistischen Hassern aus eigener Küche. Vielleicht, so Neta Be’eri, bestimmt unbewusst in Anlehnung an bekannte antijüdische Mythen (z.B. siehe Emanuel Hurwitz: „Bocksfuss, Schwanz und Hörner“): „Wenn Leute realisieren werden, dass Araber keine Hörner haben, wird unser Beispiel Schule machen.“

Dienstag, 3. Juni 2008

Kleiner, aber Besser

1.6.2008

Das Website „Lizas Welt“ ist für Israel- und Fussballfreunde eine wilde Mezie (Schnäppchen). Da ich mich für beides Interesse, lese ich mit Freude engagierte Meinungsäusserungen, bin nicht immer mit allem einverstanden, aber mit dem grössten Teil des darin Publizierten halt eben doch. Zudem hat Lizas Welt den Vorteil in deutscher Sprache zu erscheinen, was mich davon befreit, meinen Tagebuchlesern immer wieder Englisches zumuten zu müssen (dass ich meist zu faul zum ins Deutsche übersetzen bin, bleibt mein Geheimnis).

Nun bitte, zu Shlomo Boldes, der den neuen Historikern und Postzionisten eine Absage erteilt. Liza wirft zwar Ilan Pappé und Avi Shlaim in den selben Kübel wie Tom Segev, was dieser aber nicht verdient. Tom Segev ist und bleibt Zionist und weigert sich, sich „Israelkritikern“ und verschämten Galutjuden als Feigenblatt anzudienen. Das Selbe gilt noch stärker für Benny Morris, der sich zu einer Neuauslegung der damals entdeckten Fakten durchgerungen hat. Zudem bin überzeugt, dass nach dem Totalangriff auf das gerade geborenen Baby Israel erst von lokalen, dann noch Araber genannten Terroristen und umgehend von der arabischen Welt, Israel das tat, was die Siegermächte nach über ihrem Sieg über die Nazis und Faschisten ebenfalls taten – sie haben den Sieg konsolidiert. Ich habe Boldes’ Artikel leicht redigiert, damit er besser ins Tagebuch passt.

Zu den bevorzugten Quellen, auf die sich die „Israelkritiker“ aller Couleur berufen, gehören die Arbeiten der so genannten Neuen Historiker in Israel. Diese „Postzionisten“ befassen sich vor allem mit der Geschichte des Zionismus sowie der israelischen Staatsgründung. Wer heute behauptet, der arabische Angriff auf Israel hätte die heute Palästinenser genannten Araber des Landes befreien sollen, weiss (falls er die Fakten zur Kenntnis nehmen will), dass die Angreifer Irak, Jordanien, Syrien und Ägypten sich nur einen Anteil Palästinas unter den Nagel reissen wollten. Insofern ist es heute nicht anders, als die palästinensischen Flüchtlinge als solche von der arabischen Welt gehasst und als Manövriermasse betrachtet und behandelt werden. Einige der neuen Historiker behaupten der „Nahostkonflikt“ gehe nahezu vollständig auf das Konto Israels: Die arabischen Staaten hätten nämlich gar keinen Plan zur Vernichtung des jüdischen Staates gehabt und seien Israel während seiner Gründungsphase auch nicht kräftemäßig überlegen gewesen; die meisten Palästinenser seien im Zuge „ethnischer Säuberungen“ gewaltsam vertrieben worden; der Friedensprozess scheitere nicht an der Unnachgiebigkeit der Araber, sondern regelmäßig an Israel. Benny Morris schert da aus. „Verändert hat sich meine Haltung, als ich die Studie „Righteous Victims“ über den israelisch-arabischen Konflikt von 1881 bis zum Jahr 2000 schrieb“, sagte er kürzlich in einem Interview mit der Zeitschrift konkret.* Übrigens, „ Righteous Victims“ ist ein leicht zu lesendes wenn auch dickes Buch, dessen Lektüre sich lohnt. Folgt man neuhistorischer Schlussfolgerungen, dann handelt es sich bei Israel um nichts weniger als einen beispiellosen Terrorstaat, dessen Historie eine einzige Kriminalgeschichte ist und der deshalb im Nahen Osten seit seiner Gründung 1948 das Friedenshindernis schlechthin darstellt. Was man den Neuen Historikern vor allem vorwerfen kann, ist das völlige Vernachlässigen des Kontexts, in dem Israel in seinen Freiheitskampf hineingezogen wurde, ihn führte und gewann. Damit setzt sich Shlomo Boldes auseinander.

Kleiner, aber besser

Von Shlomo Boldes

Wir sollten uns von dem Gedanken verabschieden, dass der Gründungsprozess des Staates Israel ein feinerer, eleganterer gewesen sein könnte als der anderer Staaten – auch wenn kein Staat der Erde 60 Jahre nach seiner Gründung ein solches intellektuelles, technisches, demokratisches und historisches Niveau erreicht hat. Nehmen wir Deutschland zum Vergleich. Wann setzen wir die deutsche Staatswerdung an? Mit Otto dem Großen? Mit Friedrich dem Großen? 1870? Dann müssten wir Israel 2008 mit Deutschland 1930 vergleichen! Oder Frankreich. Seien wir gnädig, erlassen wir den Franzosen den sonnigen Louis und wählen wir das in der Rückschau vergleichsweise vorteilhafte Jahr 1789. Dann hat die Wiege der Aufklärung im Jahre 1849 ihren Sechzigsten gefeiert. Waren die Verhältnisse damals wirklich humaner als im heutigen Israel? In den USA im Jahr 1826? In der Sowjetunion von 1977?

Eigentlich hinkt der Vergleich, denn in Bezug auf Deutschland müssen wir die Phase der territorialen Grundsteinlegung betrachten, also die Zeit, als die Deutschen Orden mit den Polen und anderen slawischen Völkern im Osten aufräumten. Die französische Katholisierung und die englische Entkatholisierung – verliefen sie humaner als die vorgeblichen „ethnischen Säuberungen Palästinas“? Das, was „ethnische Säuberung“ genannt wird, ist ein historischer Prozess, der tragischerweise Bestandteil jeder Nationenbildung war – nur die israelische soll nach Meinung der arischen Mehrheit frei davon bleiben?

David gegen Goliath – ein unzulässiger Mythos? Die israelische Gründungssaga sei historisch falsch, sagen Israelkritiker, weil die Israelis in Wahrheit die besseren Waffen als die Araber gehabt hätten. Wenn ich die Geschichte recht erinnere, hatte auch David die bessere Waffe. Er war kleiner, aber besser. David gegen Goliath – die Allegorie passt wie der Stein aufs Auge! Welcher Selbstgerechte erhebt da einen Vorwurf?

Natürlich hat Ben Gurion aus taktischen Erwägungen heraus 1947 dem UN-Teilungsplan zugestimmt. Natürlich war der Plan für ihn „unannehmbar“. Natürlich ist Israel auch heute noch zu klein, wenn man das Staatsgebiet mit der Fläche der arabischen Staaten vergleicht und ins Verhältnis zur Zahl der Juden einerseits und der Araber andererseits setzt. Aber den politisch dämlichen Fehler, den Teilungsplan abzulehnen, hat die arabische Seite begangen. Soll Israel sich politische Klugheit und taktische Raffinesse vorwerfen lassen? Sind die Israelis schuld an der Blödheit der arabischen Führer?

Was soll da bewiesen werden? Dass Deutschland heute noch viel größer wäre, wenn es weder Hitler noch Wilhelm II. gegeben hätte? Genau so ist es! Und es gäbe auch längst ein Palästina, wenn die arabische Seite das nicht verhindert hätte. Vielleicht hätten die palästinensischen Staatsbürger schon 1949 um die Annexion durch Jordanien gebettelt. Menschlich nachvollziehbar und politisch durchführbar wäre das gewesen.

Oder anders: Sollen wir Juden dankbar sein, dass der Aufstand im Warschauer Ghetto niedergeschlagen wurde, da man uns ansonsten bis heute die grausame Tötung zahlloser SS-Männer hätte vorwerfen können?

Und was, bitte, ist eine „autochthone Bevölkerung“? Die einstigen Volksdeutschen an der Wolga oder in Siebenbürgen, im Sudetenland und im Elsass, die „heim ins Reich“ geführt wurden? Die türkischen Deutschen in Berlin-Kreuzberg sind heute längst „autochthon“ – ebenso wie die jüdischen Bewohner Jaffas.

Was beweisen zudem die Tagebücher Ben Gurions, so lange man sie nicht mit denen von Wilhelm II., Robespierre oder Napoleon, von Heinrich VIII. oder Lenin, von Fürst Metternich oder Josef Pilsudski vergleicht? Nichts – außer, dass Politik in Zeiten der Revolution und des Krieges ein hartes Geschäft ist.

Der Vorschlag, „die Palästinenser zu deportieren“, hört sich in deutschen Ohren sofort nach Eichmann und Endlösung an. So hätte es Julius Streicher dargestellt. Dahinter steckt aber, historisch betrachtet, nichts anderes als das, was die jüdische Bevölkerung der gesamten arabischen Welt – von Marokko bis zum Irak – nach 1948 erlebte und Europa seit dem Ende des Römischen Reiches bis 1945. David Ben Gurion (Foto, Mitte) wird von Monsieur Eric Rouleau korrekt zitiert: „Diese Maßnahme hat nichts Unmoralisches"!

Ilan Pappé stellt darüber hinaus richtig fest, dass diese Maßnahme – wenn man Pappé eins zu eins übernimmt, ohne es zu begründen – in einer Reihe mit den Maßnahmen (fast) aller anderen Völker steht. Jetzt aber ist diese Zeit Geschichte geworden – „Narrativ“ der einen wie der anderen Seite wird so etwas heute gerne genannt. Damit sind die Geschichten gemeint, die sich die Enkel und Urenkel der vertriebenen arabischen Einwohner Jaffas ebenso wie deutsche Touristen erzählen – die Letztgenannten, wenn sie Verdun oder die Strände der Normandie besuchen, wenn sie in Danzig und Stettin auf Spurensuche gehen.

Die vertriebenen Palästinenser leben heute im Libanon und in Syrien oder in der Westbank, so wie die Schlesier und Ostpreußen in Bayern und Niedersachsen leben. Für die Integration haben diejenigen zu sorgen, die diese Menschen in Verantwortung für die Folgen ihres kriegerischen Handelns aufgenommen haben. Wenn sie das zu teuer kommt, mögen sie sich bei ihren einstigen Führern und deren historischer Weitsicht (siehe oben) bedanken. In Friedland gibt es kein Schlesier-Lager mit Menschen, die darauf warten, endlich wieder nach Breslau ziehen zu dürfen. Und es gibt heute auch keinen Versuch einer deutschen Bundesregierung mehr, aus einem solchen Umstand Forderungen an Polen abzuleiten.

Erinnert sich noch jemand an das in den achtziger Jahren legendäre Buch „Die offenen Adern Lateinamerikas“ des Uruguayers Eduardo Galeano? Was sind die Argentinier, Chilenen und Brasilianer anderes als die Erben der „ethnischen Säuberungen“ von Spaniern und Portugiesen? Wohin konnten die Inkas und Mayas fliehen? Argentinien sollte sich um sein Existenzrecht Sorgen machen!

Vor diesem Hintergrund ist es überhaupt nicht „verwunderlich“, dass die internationale Gemeinschaft die „Gräueltaten“ Israels nicht verurteilt hat. Denn beim Anblick der Ereignisse 1948 ff. hat sie in den Spiegel gesehen. Nicht nur Deutschland mit seinem Menschheitsverbrechen, auch Großbritannien, Frankreich, die USA. Diese zivilisierte Welt ließ danach in Indien, Algerien und Vietnam noch einiges folgen, was die Pläne von zionistischen Hardlinern wie Zeev Jabotinsky als Fantasien eines Schwächlings erscheinen lässt.

Man mag es Unrecht nennen, was der arabischen Bevölkerung Palästinas in Teilen widerfahren ist, wie den Indianern Nord- und Südamerikas im 18. und 19. Jahrhundert, den Slawen im Osten des Heiligen Römischen Reiches oder den Iren vom 16. Jahrhundert bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts – ja, man kann sogar den Normannen bei der Einnahme der keltischen Insel 1066 ihr Unrecht vor Augen halten. Steht deshalb das Existenzrecht Großbritanniens in Frage? Muss die Krone endlich dieses Unrecht anerkennen, „um ein normaler Staat zu werden“? Oder das Nato-Mitglied Türkei die Massaker an den Armeniern öffentlich bedauern, bevor man den Türken die territoriale Integrität zugesteht?

Die Welt, auch die jüdische, muss aufhören, die Staatswerdung Israels als etwas Heiligeres zu betrachten, als es die Herausbildung anderer Nationalstaaten war. Umgekehrt kann niemand, der bei Verstand ist, auch nur den geringsten Zweifel haben, dass die Zeitspanne, in der der immer noch sehr junge jüdische Staat in einem wahrhaftigen Friedenszustand mit allen seinen Nachbarn leben und gedeihen wird, um Jahrhunderte kürzer sein wird, als sie es etwa im Falle Deutschland/Frankreich oder Irland/Großbritannien war.

Wo also, bitte, ist das Problem?

* „Wenn sie die Bombe kriegen, werden sie Israel zerstören“. Interview mit Benny Morris und Nasrin Amirsedghi, in: konkret 6/2008, S. 28f. (nur Printausgabe)

PS: Im übrigen verfasste Efraim Karsh zum Thema einen längeren Artikel in Commentary unter dem Titel „1948, Israel, and the Palestinians — The True Story“, mit Fussnoten und allem was dazu gehört.