Israels traditionelle drusische Minderheit
Folgende Geschichte erzählte mir mein drusischer Freund Hani aus
Daliat al-Carmel: „Als Israel 1948 von arabischen Armeen und palästinensischen
Freischärlern angegriffen wurde, rief der damalige Gewerkschaftsfunktionär Abba
Hushi die Führer der drusischen Dörfer auf dem Carmel an sein Krankenbett in
einem Spital in Haifa. Er war damals schon ein einflussreicher Politiker im
Land und wurde kurz später Bürgermeister der Stadt. Er wisse, sagte er den
drusischen Scheichs, dass die Araber sie mit Waffen versorgt hätten, damit sie
an den arabischen Angriffen teilnehmen und Juden töten könnten. Doch, so sagte
er, wir sind doch traditionell Freunde. Er verspreche ihnen, dass sie, wenn sie
sich still verhalten würden, er dafür sorgen würde, dass sie den Krieg
unbeschädigt überstehen und im neuen Staat Israel als freie Bürger leben würden.
Nicht nur die Drusen auf dem Carmel, sondern die meisten Drusen Palästinas
gingen auf Abba Hushis Vorschlag ein. Sie vertrauten ihm. Abba Hushi hielt sein
Wort“.
Im Übrigen ist hinzuzufügen, dass Abba Hushi einer
der grossen unter den sozialistischen Staatsgründern war, dessen Einfluss unter
anderem die Hafenstadt Haifa zum „Roten Haifa“ machte, einer Bezeichnung die
bis heute gültig ist.
Drusen sind überall im nördlichen Israel zu finden. Rund 110‘000
leben auf dem Carmel und in Galiläa, zerstreut in zahlreichen Dörfern, in rein
drusischen wie Daliat al-Carmel und gemischten Orten wie Usifiya und Shfar‘am,
wo sie zusammen mit muslimischen und christlichen Arabern und auch Juden gut
leben. Man nennt Israels Drusen die besten Zionisten und die grössten Patrioten
des Landes. Sie sind vertreten in zionistischen Organisation, halten an
Zionistenkongressen begeisternde Reden, die ich schon selbst miterlebt habe.
Der drusische Delegierte schimpfte mit ausländischen und israelischen jüdischen
Teilnehmern, sie würden Hebräisch weder lernen oder gar sprechen. Und, adressiert
an die amerikanischen und europäischen Juden, klagte er diese an, nicht
genügend unter ihnen würden Alia machen (nach Israel emigrieren). Israels
Drusen haben sich bewusst und freiwillig der allgemeinen Wehrpflicht
unterworfen und drusische Soldaten sind in Generalsrängen zu finden. Es gibt
eine Drusen-Bataillon, doch die meisten ziehen es vor in Eliteeinheiten
zusammen mit jüdischen Wehrmännern zu dienen.
Was Frauenrechte betrifft hinkt die drusische Gesellschaft weit hinter der
jüdischen und christlichen hinterher. Sie ist nicht weniger
patriarchalisch wie die traditionelle muslimisch-arabische; der Mann herrscht
und die Frau ist ihm unterworfen – es sei denn, die Familie hat sich dem
modernen israelischen Lebensstil soweit angepasst, dass sie ihre Töchter an
jüdische Mittelschulen schickt, in denen sie den jüdisch-israelischen Lebensstil
zu einem grossen Teil erlernen und übernehmen. Ihr hebräischer Akzent ist dann
nicht arabisch, sondern sie sprechen mit dem Akzent eines Sabres, einem in
Israel geborenen Juden. Entgegen dem Willen der drusischen Scheichs, aber von
ihren Eltern bewusst unterstützt, absolvieren junge Drusinnen in wachsender
Zahl den
zweijährigen israelischen Zivildienst – so weit wie christliche Araberinnen in Elite-Kampfeinheiten, sind sie noch nicht. Ein anderes Beispiel drusischer
Frauenrechte: da Drusen keine Muslime sind, dürfen sie Alkohol trinken – aber
nur die Männer. Frauen nicht, wie ich aus Erfahrung gelernt habe.
Drusen der Golan
Israel eroberte die Golanhöhe im Sechstagekrieg 1967, nachdem es
jahrelang von syrischer Artillerie beschossen worden war und unzählige Opfer
erlitten hatte. 1981 wurde die Golan annektiert und es herrscht dort
israelisches Gesetz. Heute leben auf dort gegen 20‘000 Drusen und etwa gleich viele
Juden, die unter anderem auch in Kibbuzim wohnen. Im Gegensatz zur Westbank
herrscht Frieden zwischen den zwei Bevölkerungsgruppen, fanatisches Siedlertum
und Grossisraelphantasien gibt es nicht. Die Golanhöhe ist heute eine der
wichtigsten Produzenten israelischer Landwirtschaftsprodukte, vor allem Obst
und Wein hoher Qualität. Daran sind Drusen und Juden beide beteiligt. Drusen
aus der Golan sind oft auf israelischen Jahrmärkten zu finden, wo sie vor allem
Lebensmittel anbieten, wie Olivenöl, drusische Pitot (Brot), oft enormer
Grösse. Ihre selbstgemachte Konfitüre ist sehr lecker.
Ein oberster Grundsatz des drusischen Volkes ist, volle Loyalität
dem Land gegenüber zu beweisen, in dem sie leben. Doch viele Golan Drusen haben
damit ein Problem. Durch die Annektierung der Golanhöhe durch Israel, erhielten
sie Gelegenheit israelische Bürger zu werden. Bisher haben die meisten das
abgelehnt, vor allem aus zwei Gründen. Bis anhin lebten syrische Drusen mit
besonderer Verbundenheit und Treue für die regierende Assad Familie. Diese gehört
einer anderen syrischen Minderheit an, den Alawiten. Beide Assads, Vater und
Sohn, förderten und schützten die drusische Gemeinschaft Syriens. Das ist der
eine Grund. Der zweite ist, dass bis zum heutigen blutigen Bürgerkrieg in
Syrien, Israel erfolglos versuchte mit Syrien Friedensverhandlungen
aufzunehmen, die natürlich die Rückgabe der Golan an Syrien beinhalten würde.
Das hätte zur Folge, dass Drusen israelischer Nationalität, wenn nicht sogar
alle, um ihr Leben fürchten müssten. Warum das so ist, muss, so hoffe ich,
nicht erklärt werden. Jetzt, mit der wankenden Herrschaft Bashar Assads und
seinem voraussehbaren Ende, dem aller Voraussicht nach eine noch brutalere
islamistische Herrschaft folgen wird, ist dieses Thema fast völlig vom Tisch. Früher
verbrannten Drusen der Golan demonstrativ ihre blauen israelischen Identitätskarten,
Solidarität mit der arabischen Welt zu demonstrieren. Heute, nachdem sie
offenbar erkannt haben, dass nach dem baldigen Ende der ihnen wohlgesonnenen Assad-Diktatur,
ihnen und ihrer Religion feindlich gesinnte Islamisten an der Macht sein
werden, haben sie ihre Einstellung gegenüber Israel geändert. Vor allem junge
Golan-Drusen wollen nun israelische Bürger werden. Täglich stehen Dutzende vor
den Schaltern des israelischen Innenministeriums, um israelische Staatsbürgerschaft
zu beantragen. Sie sind zum Schluss gekommen, dass diese der syrischen
Staatbürgerschaft vorzuziehen sei, dessen Regierung seine Bürger zu zehntausenden
umbringt. Bis anhin waren Drusen in Syrien eine bevorzugte Minderheit, so wie
die Alawiten Assads. Nach dessen Fall wird sich ihre Lage mit ziemlicher
Sicherheit ins Gegenteil umkehren. Drusen der Golan, ob israelische Bürger oder
nicht, wären dann zweifacher Verfolgung durch Islamisten ausgesetzt: als Drusen
mit ihrer nichtislamischen Religion und als „Israelis“, als Verräter, die
gemeinsame Sache mit dem jüdischen Erzfeind gemacht hätten.
In einem Artikel der Internetzeitung „Times of Israel“ wird ein
Druse (mit israelischem Pass) aus dem Dorf Massade auf der Golanhöhe zitiert: „Dieser
Trend wird sich verstärken. Mehr und mehr Leute verstehen, dass Israel ein gut regiertes
Land ist, in dem man leben und seine Kinder aufziehen kann. Das ist einem
Flüchtlingsleben in einem anderen Land vorzuziehen. In Syrien gibt es Massenmord
und sollten [die Drusen] unter syrische Kontrolle geraten, würden sie
voraussichtlich zu Opfern dieser Greueltaten. Wir sehen ermordete Kinder und
Flüchtlinge auf dem Weg nach Jordanien und die Türkei ohne Hab und Gut, und fragen
uns: „Wo will ich meine Kinder grossziehen. Die Antwort ist klar – in Israel
und nicht in Syrien“.“