Ein Fest der Versöhnung
Gershon Knispel mit Abu Chaled Marcha, einem Brückenbauer zwischen Arabern und Juden in Israel
Als wir neben unserem Auto standen und eine Falafel
assen näherten sich zwei jüngere Männer. Wir waren zu dritt, jeder von uns
hielt einen Gehstock in der Hand, wie es sich für alte Menschen ziemt. Die zwei
dachten wir bräuchten Hilfe beim Einsteigen. Doch wir bedankten uns und sagten wir kämen ohne Hilfe zurecht. Dann
sagte einer der Zwei: „Ich danke euch, dass ihr gekommen seid“.
Es war eine mir gut bekannte Situation in Israel’s
grösster arabisch-islamischen Stadt Umm el-Fahem. Wir hatten eben die neu
renovierte Kunstgalerie, der einzigen Kulturstätte der Stadt, verlassen, in der
die Vernissage des israelisch-brasilianischen Bildhauers und Kunstmalers
Gershon Knispel stattgefunden hatte. Meine Freunde, Raja und George, sahen mich
ratlos an – gelte ich unter Freunden doch als „Fachmann“ für jüdisch-arabische Angelegenheiten. Und
neu war die Situation für mich nicht.
Die zwei Männer hatten sich dafür bedankt, dass wir
jüdischen Israelis ihre arabische Stadt besuchen. Eine Situation, die mir im
Laufe der Jahre in Umm el-Fahem wiederholt begegnet ist. Dazu muss ich
ausholen. Der jüdische Durchschnittisraeli hat Angst arabische Städte und Dörfer
zu besuchen. Sehr oft, ja mehrheitlich, wird mir vorgeworfen, ich sei total
bescheuert, verantwortungslos und ähnliches meine Freunde in Umm el-Fahem zu
besuchen, einer Stadt gewaltfreudiger Islamisten, die mir nur zu gerne die
Kehle durchschneiden würden. Scheich Ra‘ed Salah, ehemaliger Bürgermeister von
Umm el-Fahem (er soll der beste je amtierende Bürgermeister gewesen sein, bis
er an Religiosität erkrankte) und Anführer der nordisraelischen islamischen
Bruderschaft wurde. Inzwischen ist er zur zentralen Figur antisemitischen
Hetzens geworden. Er ist es, der alle paar Tage schreiend lügt: „Al
Aksa ist in Gefahr!“. Zur Zeit sitzt er wegen Aufhetzung zur Gewalt
im Gefängnis. Dort beruhigt er sich – bis er entlassen wird. Dann darf er wieder
zur Gewalt aufrufen, um sich damit erneut erholsame Gefängnisferien zu
verdienen. Doch meine persönlichen Erfahrungen mit islamistischem Judenhass in
Umm el-Fahem sind seit über fünfzehn Jahren anders. In dieser Jahren erfuhr ich
viel menschliche Wärme und eben auch Dankbarkeit dafür vor dieser Stadt und
ihren Bürgern keine Angst zu haben und sie sehr oft zu besuchen. Meine einzige
Erfahrung mit islamistischem Extremismus war ein eher erheiterndes Erlebnis:
Ich hatte mich in der Stadt verfahren und hielt einen etwas zwölfjährigen
Jungen an um den Weg zur Galerie zu erfragen. Der Kleine war gerade mit anderen
Kindern und Jugendlichen dabei fahnenschwingend für Scheich Salah zu
demonstrieren. Er wickelte die Fahne auf, stieg in mein Auto und dirigierte
mich zur Galerie auf der anderen Seite der Stadt. Dort stieg er aus, öffnete
seine grüne Fahne und demonstrierte, wenn auch allein, weiter. Er hatte, trotz
islamistischer Gehirnwäsche, seine Freundlichkeit und Gastfreundschaft nicht
verloren. Was mir als Anzeichen dafür erschien, dass die Kinder eigentlich
keine Ahnung haben, für was sie demonstrieren, sondern von extremistisch
religiös-ideologischen Hassern manipuliert werden.
Wenn immer ich das Café Sunrise besuchte, um meiner Frau
einen Mohnkuchen zu kaufen, blieb ich dort bei Kaffee und Kuchen, mit dem
Café-Inhaber und seinen Bäckern sitzen. Wir erzählten uns gegenseitig
Geschichten. Und sie bedankten sich für den jüdischen Besuch. Ob privat, in
Geschäften und Gasthäusern, oder gar wie eben auf der Strasse - diese offene
Dankbarkeit für jüdischen Besuch berührt mich bis heute. Und sie ist mir
peinlich, denn ich sehe darin einen Beweis wie sehr unverkrampftes Verhalten zwischen
jüdischen und arabischen von massregelnder ideologischer Politik abhängig ist.
Nationalistische Palästinenser, die sich gerne hinter ihrem Islam und Palästinismus
tarnen und ihre versöhnlich sein wollenden Mitbürger bedrohen, wie auch extrem
nationalistische jüdische Israelis der frommen und säkularen Sorte machen es
jedem versöhnlichen Menschen schwer, sich als ein Solcher zu benehmen.
Die Vernissage in der Kunstgalerie von Umm el-Fahem
war ein Beispiel dafür, dass diesem Problem mit Zivilcourage begegnet werden kann.
Eines der Riesenwerke von Gershon Knispel
Die Vernissage galt dem jüdischen Künstler Gershon
Knispel. Knispel ist ein 1932 in Deutschland geborener Künstler, der heute in
Brasilien lebt. Noch immer scheint er überzeugter Kommunist zu sein. Ich hier nicht zu seiner Kunst Stellung nehmen – ich fühle mich dazu höchst
inkompetent. Seine Werke sind vornehmlich gigantischer Grösse, doch nicht nur
deswegen eindrücklich, auch wenn, so meine eigene inkompetente Meinung, in
seiner Malerei und seinen Skulpturen stark an den Sozialistischen Realismus
erinnert. Doch sind besonders sein Bilder nie langweilig. Auch ist Gershon ganz
offensichtlich ein erfolgreicher Künstler, dessen Werke bemerkenswerte Preise
erziehlen.
(l.-r.) Knessetmitglied Yousef Jabarin, Abu Chaled Marha, Gershon Knispel, alt-Knessetmitglied Afu Aghbaria
An der Vernissage nahmen schätzungsweise 300 Menschen
teil, die aus vielen Orten Israels angereist kamen. Gershon Knispel sprach auf
eine Art, die mich lebhaft an Lenin oder sogar Trotzky erinnerte, nicht weniger
als seine inzwischen völlig altbacken wirkenden altsozialistischen
Anschauungen, inklusive seinem Aufruf zu einer revolutionären Renaissance
abgelaufener Ideologien. Trotzdem, oder vielleicht deshalb, fand ich ihn
rührend. Es gibt sie noch, diese uralten Leninisten – wieweit sie sich selbst
noch ernst nehmen können weiss ich nicht. Zu unserem heimischen Konflikt meint
er, Israel habe mit Aegypten Frieden geschlossen und diesen die Sinai-Halbinsel
zurückgegeben, also könne Israel auch mit den Palästinensern Frieden
schliessen. Allerdings lässt er den dazugehörigen Kontext völlig ausser Acht.
Wo ist der Schatten, über den er springen könnte? Doch haben Gershon und auch
ich wohl andere Sorgen.
Ich selbst fühlte mich an diesen Anlass etwas
berauscht. Ich fühlte mich in alte Zeiten versetzt, fühlte mich animiert,
aktiviert, sogar weit jünger als es mein achzigstes Alterjahr eigentlich
vorsah. Ich wurde beweglich wie in alten Zeiten, rannte herum, begrüsste alte Bekannte
und Freunde, fotografierte – als wäre ich mindestens dreissig Jahre jünger. Und
damit hatte Freund Said Abu-Shakra, Gründer und Leiter der Galerie, wenigstens
bei mir ein grosses Ziel erreicht.
Als wir die Galerie nach gut drei Stunden verliessen,
erhielt jeder von uns eine Falafel, eigentlich der Inbegriff kombinierter
arabischer und israelischer Esskultur. Die Falafel-Kugeln waren grösser als
üblich.