Dienstag, 15. November 2016


Ein Fest der Versöhnung  


 Gershon Knispel mit Abu Chaled Marcha, einem Brückenbauer zwischen Arabern und Juden in Israel 



Als wir neben unserem Auto standen und eine Falafel assen näherten sich zwei jüngere Männer. Wir waren zu dritt, jeder von uns hielt einen Gehstock in der Hand, wie es sich für alte Menschen geziemt. Die zwei dachten wir bräuchten Hilfe beim Einsteigen. Doch wir bedankten uns und sagten wir kämen ohne Hilfe zurecht. Dann sagte einer der Zwei: „Ich danke euch, dass ihr gekommen seid“.
Es war eine mir gut bekannte Situation in Israel’s grösster arabisch-islamischen Stadt Umm el-Fahem. Wir hatten eben die neu renovierte Kunstgalerie, der einzigen Kulturstätte der Stadt, verlassen, in der die Vernissage des israelisch-brasilianischen Bildhauers und Kunstmalers Gershon Knispel stattgefunden hatte. Meine Freunde, Raja und George sahen mich ratlos an – gelte ich unter Freunden doch als „Fachmann“ für jüdisch-arabische Angelegenheiten. Und neu war die Situation für mich nicht.
Die zwei Männer hatten sich dafür bedankt, dass wir jüdische Israelis ihre arabische Stadt besuchen. Eine Situation, die mir im Laufe der Jahre in Umm el-Fahem wiederholt begegnet ist. Dazu muss ich ausholen. Der jüdische Durchschnittisraeli hat Angst arabische Städte und Dörfer zu besuchen. Sehr oft, ja mehrheitlich, wird mir vorgeworfen, ich sei total bescheuert, verantwortungslos und ähnliches meine Freunde in Umm el-Fahem zu besuchen, einer Stadt gewaltfreudiger Islamisten, die mir nur zu gerne die Kehle durchschneiden würden. Scheich Ra‘ed Salah, ehemaliger Bürgermeister von Umm el-Fahem (er soll der beste je amtierende Bürgermeister gewesen sein, bis er an Religiosität erkrankte) und Anführer der nordisraelischen islamischen Bruderschaft wurde. Inzwischen ist er zur zentralen Figur antisemitischen Hetzens geworden. Er ist es, der alle paar Tage schreiend lügt: „Al Aksa ist in Gefahr!“. Zur Zeit sitzt er allerdings wegen Aufhetzung zur Gewalt im Gefängnis. Dort beruhigt er sich – bis er entlassen wird. Dann darf er wieder zur Gewalt aufrufen, um sich damit erneut erholsame Gefängnisferien zu verdienen. Doch meine persönlichen Erfahrungen mit islamistischem Judenhass in Umm el-Fahem sind seit über fünfzehn Jahren anders. In dieser Jahren erfuhr ich viel menschliche Wärme und eben auch Dankbarkeit dafür vor dieser Stadt und ihren Bürgern keine Angst zu haben und sie sehr oft zu besuchen. Meine einzige Erfahrung mit islamistischem Extremismus war ein eher erheiterndes Erlebnis: Ich hatte mich in der Stadt verfahren und hielt einen etwas zwölfjährigen Jungen an um den Weg zur Galerie zu erfragen. Der Kleine war gerade mit anderen Kindern und Jugendlichen dabei fahnenschwingend für Scheich Salah zu demonstrieren. Er wickelte die Fahne auf, stieg in mein Auto und dirigierte mich zur Galerie auf der anderen Seite der Stadt. Dort stieg er aus, öffnete seine grüne Fahne und demonstrierte, wenn auch allein, weiter. Er hatte, trotz islamistischer Gehirnwäsche, seine Freundlichkeit und Gastfreundschaft nicht verloren. Was mir als Anzeichen dafür erschien, dass die Kinder eigentlich keine Ahnung haben, für was sie demonstrieren, sondern von extremistisch religiös-ideologischen Hassern manipuliert werden.
Wenn immer ich das Café Sunrise besuchte, um meiner Frau einen Mohnkuchen zu kaufen, blieb ich dort bei Kaffee und Kuchen, mit dem Café-Inhaber und seinen Bäckern sitzen. Wir erzählten uns gegenseitig Geschichten. Und sie bedankten sich für den jüdischen Besuch. Ob privat, in Geschäften und Gasthäusern, oder gar wie eben auf der Strasse - diese offene Dankbarkeit für jüdischen Besuch berührt mich bis heute. Und sie ist mir peinlich, denn ich sehe darin einen Beweis wie sehr unverkrampftes Verhalten zwischen jüdischen und arabischen von massregelnder ideologischer Politik abhängig ist. Nationalistische Palästinenser, die sich gerne hinter ihrem Islam und Palästinismus tarnen und ihre versöhnlich sein wollenden Mitbürger bedrohen, wie auch extrem nationalistische jüdische Israelis der frommen und säkularen Sorte machen es jedem versöhnlichen Menschen schwer, sich als ein Solcher zu benehmen.
Die Vernissage in der Kunstgalerie von Umm el-Fahem war ein Beispiel dafür, dass diesem Problem mit Zivilcourage  begegnet werden kann.

Eines der Riesenwerke von Gershon Knispel

Die Vernissage galt dem jüdischen Künstler Gershon Knispel. Knispel ist ein 1932 in Deutschland geborener Künstler, der heute in Brasilien lebt. Noch immer scheint er überzeugter Kommunist zu sein. Ich hier nicht zu seiner Kunst Stellung nehmen – ich fühle mich dazu höchst inkompetent. Seine Werke sind vornehmlich gigantischer Grösse, doch nicht nur deswegen eindrücklich, auch wenn, so meine eigene inkompetente Meinung, in seiner Malerei und seinen Skulpturen stark an den Sozialistischen Realismus erinnert. Doch sind besonders sein Bilder nie langweilig. Auch ist Gershon ganz offensichtlich ein erfolgreicher Künstler, dessen Werke bemerkenswerte Preise erziehlen.


(l.-r.) Knessetmitglied Yousef Jabarin, Abu Chaled Marha, Gershon Knispel, alt-Knessetmitglied Afu Aghbaria
An der Vernissage nahmen schätzungsweise 300 Menschen teil, die aus vielen Orten Israels angereist kamen. Gershon Knispel sprach auf eine Art, die mich lebhaft an Lenin oder sogar Trotzky erinnerte, nicht weniger als seine inzwischen völlig altbacken wirkenden altsozialistischen Anschauungen, inklusive seinem Aufruf zu einer revolutionären Renaissance abgelaufener Ideologien. Trotzdem, oder vielleicht deshalb, fand ich ihn rührend. Es gibt sie noch, diese uralten Leninisten – wieweit sie sich selbst noch ernst nehmen können weiss ich nicht. Zu unserem heimischen Konflikt meint er, Israel habe mit Aegypten Frieden geschlossen und diesen die Sinai-Halbinsel zurückgegeben, also könne Israel auch mit den Palästinensern Frieden schliessen. Allerdings lässt er den dazugehörigen Kontext völlig ausser Acht. Wo ist der Schatten, über den er springen könnte? Doch haben Gershon und auch ich wohl andere Sorgen.
Ich selbst fühlte mich an diesen Anlass etwas berauscht. Ich fühlte mich in alte Zeiten versetzt, fühlte mich animiert, aktiviert, sogar weit jünger als es mein achzigstes Alterjahr eigentlich vorsah. Ich wurde beweglich wie in alten Zeiten, rannte herum, begrüsste alte Bekannte und Freunde, fotografierte – als wäre ich mindestens dreissig Jahre jünger. Und damit hatte Freund Said Abu-Shakra, Gründer und Leiter der Galerie, wenigstens bei mir ein grosses Ziel erreicht.
Als wir die Galerie nach gut drei Stunden verliessen, erhielt jeder von uns eine Falafel, eigentlich der Inbegriff kombinierter arabischer und israelischer Esskultur. Die Falafel-Kugeln waren grösser als üblich. 

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