Von den zwei arabischen Ländern, in denen Revoluzzer inzwischen den Präsidenten gestürzt haben (das andere Land ist Tunisien, bei anderen ist noch nichts entschieden), ist Ägypten das wichtigste. Es ist flächenmässig gross, hat eine immense, jährlich um eine Million wachsende Bevölkerung, die einzige arabische Armee, die etwas taugt (so denken Experten), obwohl sich Ägypten seit seiner glorreichen Niederlage im Yom Kippurkrieg nie mehr einem Gegner militärisch stellen musste, es hat eine einzigartige wunderbare antike Geschichte, die Millionen Menschen bis heute verzaubert – es besitzt vieles, nur nicht einen funktionierenden Staat. Wie alle arabischen Staaten herrscht vor allem Korruption, Willkür, religiöser Hass auf andere und wachsender religiöser Fanatismus.
Die vor wenigen Wochen erfolgte ägyptische Revolution, die Mubarak stürzte, hat bisher noch keine klare Änderungen der Politik Ägyptens gebracht. Die Aussichten sind nicht glänzend. Das Militär hat die Macht völlig übernommen, von demokratischerem Verhalten ist wenig zu sehen und zu hören. Die Armee wird sich auch nicht beeilen die noch immer nicht definierten demokratischen Ziele der Revolution zu erreichen. Sie ist, ähnlich wie die Armee Chinas, völlig in der ägyptischen Wirtschaft involviert, ihr und ihren Offizieren gehören grosse Teile davon und das, wie in einem autoritären Staat üblich, ist einer der Gründe, dass sie grundsätzlich an einer wirklichen Demokratisierung nicht interessiert ist. Auf der anderen Seite ist die ägyptische Armee heute die einzige Macht, die den Muslimbrüdern die Stirn bieten kann. Wenn viele Medienkommentatoren versichern, die muslimische Bruderschaft werde sich an demokratische Spielregeln halten, ist das Wunschdenken, denn Islamismus ist demokratischem Handeln diametral entgegengesetzt, ein Oxymoron. Gaza gibt ein wundervolles Muster dafür ab. Erst demokratische Wahlen, dann Wahlgewinn und fertig die Demokratie, stattdessen Christenjagd, Sittenpolizei, Judenhass und Raketen – ausser den Raketen ist von all dem auch im heutigen Ägypten etwas zu finden.
Ich habe Geschehnisse und Entwicklungen der vergangenen Tage gesammelt und gebe einige davon hier wieder:
• Kirchen in Flammen, mindestens 12 Tote und viele Verletzte in Kairo (David D. Kirkpatrick, NYT 8.5.2011).
• Riesige Demonstration und Gottesdienst in der al-Nur Moschee in Kairo zum Andenken an Osama Bin Laden, gepaart mit hysterischen Aufrufen zum Amerikahass und zum Abschlachten aller Juden. (al-Jaseera TV, 6. Mai 2011)
• Amr Mussa, Gegner Israels und nicht religiöser unabhängiger Spitzenkandidat für den Job als Mubaraks Nachfolger, erwarte eine Parlamentsmehrheit der Muslimbrüder, zusammen mit noch radikaleren muslimischen Organisationen.
• Amr Moussa, wird, so ist aus seinen Aussagen herauszulesen, mit den muslimischen „Parteien“, die wie er meint, den grössten Block im Parlament einnehmen werden, zusammenzuarbeiten und mit ihnen Kompromisse eingehen.
• Moussas grundsätzliches Argument gegen den bestehenden Friedensvertrag mit Israel ist, dass Ägypten nichts von diesem Frieden gewonnen habe. Ich meine, Ägypten habe den Sinai, die Ölfelder und den Suezkanal zurückerhalten. Dass sich die Gelegenheit Handel und Tourismus zwischen den beiden Ländern und ein Senken des ägyptischen Militärbudgets nicht realisiert hat, hat sich Ägypten selbst zuzuschreiben. Israel, dessen Vertreter von Wirtschaft und Kultur mit grosser Energie versucht hatten Handel und kulturelle Kontakte zu fördern ist da völlig schuldlos. Es scheiterte stets am dröhnenden Hass ägyptischer Gewerkschaften, Berufsverbände und Kulturschaffenden und deren Funktionäre.
• Die muslimische Brüderschaft Ägyptens wird ihren Israel- und Judenhass nicht selbst aktivieren müssen. Es genügt, wenn sie ihrer Filiale in Gaza, der Hamas, den Auftrag geben Israel wieder mit Terror und Raketen auf Zivilisten einzudecken. Ohne Mubarak wird sie die neue ägyptische Regierung, so wie es sich heute darbietet, nicht daran hindern.
• Al Jazeera berichtet über eine riesige Demonstration (siehe Bild), in der unter anderem ein Marsch nach Gaza zur Unterstützung von Hamas geplant wurde. Noch verweigert die ägyptische Regierung die Unterstützung dieses Marsches, doch sollte sich der vorausgesagte Machtzuwachs der Muslimbrüder und anderer Extremisten bei den Septemberwahlen bestätigen, sollte islamistischer Einfluss auf die ägyptische Politik weiter steigen.
• Die Muslimbrüderschaft und die noch extremistischeren Salafis (die sich ganz besonders auf das Morden von Christen spezialisiert haben) stehen in Verhandlungen, um ein Wahlbündnis einzugehen. (Telegraph, 13. Mai 2011)
Mit diesen Gedanken und Hinweisen auf die heutige Situation in Ägypten soll keine Panik ausgelöst werden, etwas das in Israel selbst kaum geschehen wird. Nachdem ich schon einige Kriege (1967 und 1973 aktiv, 2006 und 2009 als zuschauender Pensionär) miterlebt habe, glaube ich das beurteilen zu können. Bedrohungen auf Israel haben meist einen gegenteiligen Effekt: Tausende im Ausland lebende Israels eilen freiwillig nach Israel, um sich ihrer militärischen Einheit anzuschliessen.
Es könnte auch anders kommen, wirklicher Frieden ausbrechen, die grosse Liebe zwischen Ägyptern und Juden zurückkehren, wie sie bis in Anfangs Dreissiger Jahre bestand – aber nur wenige glauben daran.
Übrigens, hat jemand in den letzten paar Wochen von Wael Ghonim, dem Google Direktor aus Kairo gehört? Er wurde als grosser Organisator der ägyptischen Revolution gefeiert und durch die Medien geschleppt. Seit längerer Zeit wird er bestenfalls noch in Rückblicken erwähnt, möglicherweise sitzt er heute in einem Gefängnis, wo er in den ersten Tagen des Aufstandes schon für zehn Tage einsass. Seit Ende Februar 2011 ist kaum noch etwas von ihm zu hören. Ist er vielleicht das erste Opfer des Phänomens „Die Revolution frisst ihre Kinder?“
Das Wall Street Journal stellt den wirtschaftlichen Determinismus, auf den sich die Medien so gerne berufen, in Frage. Er lautet ungefähr so: „Offizielle in den USA und Europa, sehen in der näheren Zukunft keine Gefahr für den ägyptisch-israelischen Friedensvertrag. Sie meinen, Kairo werde nie und nimmer die Milliarden, die von dort strömen, aufs Spiel setzen“. Diese Sicht der Dinge kann für den Rest der Welt Geltung haben, doch im Mittleren Osten funktioniert das nicht, wie folgende drei Beispiele aus Vergangenheit und Gegenwart beweisen:
• Yassir Arafat wird mit Israel Frieden schliessen, denn er will seinen Staat finanzieren und Entschädigungen erhalten.
• Syrien wird sich mässigen und sich dem Westen zu- und vom Iran abwenden, um Handel und Investitionen zu erhalten.
• Iran wird lieber reich werden, statt die dumme Idee der islamistischen Revolution zu verfolgen.
Alle drei dieser an sich vernünftigen Prognosen, haben sich als völlig falsch erwiesen. Im Mittleren Osten gehen die Uhren halt anders, um den Schweizer Historiker Herbert Lüthy zu bemühen.
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