Seit Wochen, ja Monaten koche ich fast über, wenn ich in der Schweizer Presse, vor allem im Internet, Berichte über den Nahen Osten, Israel, Juden, Islam, Palästinenser und andere Araber lese. Das gilt ganz besonders für Leserbriefe und Leserkommentaren, die oft in grosser Zahl wahllos dazu veröffentlicht werden. Über den Daumen gepeilt sind diese Ergüsse mehrheitlich von Judenhass in vielen Formen geprägt, vom klassischen Antisemitismus der Kirchen und dem rassistischen Rassismus der Nazizeit, die – wenigsten bei einer gesunden Zahl dieser kommentierenden Schweizer durchaus auch heute noch besteht – bis zur heutigen modernen Form als „Israelkritik“. Die Zahl dieser „Kommentare“ bringt die Vermutung nahe, es seien nicht nur einige wenige Spinner am Werk, sondern, dass die Zahl Juden hassender Schweizer beträchtlich ist.
Der getarnte Judenhass der Gegenwart
Heute modern und schamlos als Aufhänger für gröbsten Judenhass missbraucht, ist die sogenannte Israelkritik, vor allem aus der rot-grünen Politszene. Der neue Judenhass aus Kreisen, deren Gedankengut zu Teilen auf jüdischem, humanistischem und sozialistischem Gedankengut beruht - sollte man denken. Doch dieses Gedankengut ist schon sehr lange vergessen und hat einem läppischen und naiven Gutmenschentum Platz gemacht, das Tatsachen seiner Ideologie anpasst, statt die Ideologie den Tatsachen (eine Gefahr, die allen Ideologien anhaftet). Was heute geschieht ist eine völlige Umkehrung der Werte. Der Verfolgte wird zum Verfolger und das Opfer wird zum Täter hochstilisiert. Der zum unmenschlichen Islamismus verkommene Islam (einer der drei monotheistischen Hochreligionen und Hochkulturen) hat sich zum Erben des nazistischen Judenhasses ernannt, das sogar schon seit den zwanziger Jahren, als die noch wachsende Nazibewegung das Wohlwollen der damaligen Muslimbrüder weckte. Noch vor siebzig Jahren waren Juden als Feiglinge verschrien, die sich nicht wehrten und widerstandslos zu Millionen vergasen liessen. Als wäre nicht die Judenvernichtung der Nazis die böse Tat, sondern die Unmöglichkeit der europäischen Juden, sich dagegen zu wehren. Als hätte es keine Ghettoaufstände und jüdische Partisanen im damaligen Osteuropa oder keine Juden in der Resistance gegeben. Doch sogar diese Helden, am Beispiel des Warschauer Ghettoaufstandes, wurden mir persönlich schon als jüdische Mörder deutscher SS-Schergen angeklagt. Die SS-Männer hätten sich doch gegen diese Ghettojuden wehren müssen.
Heute hat das jüdische Volk einen eigenen und vor allem demokratischen und erfolgreichen Staat, der sich mit der in jeder Beziehung besten Armee der Welt seit der Gründung Israels militärisch erfolgreich gegen arabische Angriffe verteidigt. Wir Israelis werden Barbaren genannt, auch das ein auf den Kopf stellen der Realitäten der Region. Der wehrhafte Jude gehört nicht ins Konzept des Judenhassers und dieser will sich damit nicht abfinden. Selbstverständlich sind mit „Israel“ alle Juden gemeint, ob in Israel oder anderswo lebend. Das in der irrigen Annahme, jede Art von Israelkritik sei politisch korrekt, also auch der dazuhörenden Antisemitismus. Teile der Schweizer Judenheit hat das noch nicht begriffen. Sie überlässt bisher den Widerstand gegen den Judenhass ihren nichtjüdischen Freunden, von denen es, im Gegensatz zu früher, nicht wenige gibt.
Das Abgleiten der Israelkritik in den Antisemitismus
Grundsätzlich ist Israelkritik, Kritik am Verhalten der jeweiligen Regierung, sei das innen- oder aussenpolitisch. Nirgends ist diese Kritik härter als in Israel selbst, denn dort bleibt sie sachlich. Israelis sind von der Politik ihrer Regierung direkt betroffen und tragen, anders als Israelkritiker im Ausland Folgen und Verantwortung israelischer Politik, aber auch der Politik und dem Terror aus den Reihen Israels Feinde. Israelische Kritik am eigenen Staat ist daher keine akademische Uebung mit politischen Theorien.
Die Frage, warum Israel und seine Probleme so populär in der Medienlandschaft sind, wird oft damit beantwortet, man stelle an Israel, einem westlichen Staat, einen höheren ethischen Standard, als an seine Feinde. Wenn dem wirklich so ist, wäre das ein grosses Kompliment an Israel und eine zutiefst rassistische Beleidigung aller arabischen und muslimischen Völker des Mittleren Ostens, denen so unterschoben wird, kulturell und ethisch minderwertig zu sein. Israel kommt auch ohne solche zweifelhaften Komplimente aus, die im Englischen „backhanded compliments“ genannt werden.
Hier einige Argumente, die den Unterschied zwischen Israelkritik und Antisemitismus ausmachen:
· Die Anwendung doppelter Standards, indem man von Israel ein Verhalten fordert, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet und verlangt wird.
· Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik des Nationalsozialismus.
· Das Bestreben, alle Juden kollektiv für Handlungen des Staates Israel verantwortlich zu machen.
· Delegitimation des Existenz- und Selbstverteidigungsrechts Israels.
· Aufgreifen traditioneller antisemitischer Stereotype in neuer Form.
Diese und andere Argumente werden in den gedruckten und elektronischen Medien oft angetönt – je nach dem, ob der Journalist, der Berichte zum Thema schreibt, eine politische Haltung einfliessen lässt (was sogar in der israelischen Tageszeitung „Ha’aretz“ der Fall ist), die dann von dankbaren Lesern in ihren Leserbriefen und vor allem Internet-Kommentaren ausgeschlachtet werden. Ich bin nicht der Meinung, dass Meinungsäusserungen unterdrückt werden sollen, doch fehlt es Redaktionen am Mut, gegenüber antisemitischen Beiträgen Stellung zu beziehen. Mit dem Löschen eines bestimmten Kommentars ist es nicht getan. Sie ist die Massnahme des Drückebergers.
Beispiele aus eigener Sammlung und Presse
Zitate wie folgende gibt es zuhauf, ganz besonders im Internet. Dort sind sie in ein einschlägigen Websites und mehr noch, als Leserkommentare zu finden, sei es in der Internetfassung des Tages-Anzeiger, der BaZ, der NZZ (heute weniger, da nicht mehr alle Artikel Kommentar ermöglichen) und fast allen Tages-, Wochen- und Monatsveröffentlichungen. In gedruckten Ausgaben, offenbar strenger kontrolliert werden, ist Judenhass heute weniger zu finden. Die Quellen nachstehender Zitate befinden sich am Ende dieses Abschnitts.
1. „Ich bin überzeugt, dass der Staat Israel aufgelöst werden muss – je eher, desto besser. Aber human! Ohne Juden zu töten, ihre Gesundheit zu beeinträchtigen oder ihnen ihre Habseligkeiten wegzunehmen. Man müsste ihnen ein Gebiet geben, das unbewohnt ist – beispielweise die Antarktis …. Oder wäre es besser, die Juden auf dem Mars anzusiedeln?“ (Fux)
2. "Ich kenne keine Juden, darum mag ich sie wohl" Pichler
3. „Solange Ihr Euren "Talmud" und den "Schulchan Aruch" Euren Kindern ins Hirn programmiert, wonach jeder Nicht-jüdisch-Gläubige "soviel wert wie der Esel im Stall ist" und man jeden "Goy" (eben nicht Eurem Glauben folgenden Menschen) betrügen und gar totschlagen darf (die Zitate kennst Du freilich selbst, sonst liefere ich sie Dir).“ (Rüttimann)
4. „Es ist doch unglaublich, wie intensiv wir uns in der 7,6 Mio. Einwohner zählenden Schweiz mit den 18 000 Juden beschäftigen (müssen), die bei uns leben. Diese jüdische Präsenz lässt sehr viele Schweizer, denen es das Wort verschlagen hat, die Faust im Sack machen. Im Radio, und ich höre gerne DRS 2, wimmelt es von jüdischen Schriftstellern und Künstlern, die dort vorgestellt werden, sodass ich mich manchmal frage, ob es auch nichtjüdische gibt.“ (Stöhlker)
5. „…., dass für die schrecklichen Ereignisse in Nazi-Deutschland die damaligen deutschen Zionisten eine Teilschuld mittragen müssen, weil sie als kleine Minderheit den Bogen überspannten ……“ (Eisenring)
Quellen:
1. „Böses Israel“ DAS MAGAZIN 18/2008. Diese Seite wurde von der Internetredaktion des MAGAZINS gelöscht, doch ist der Kommentar im Anhang zu finden.
2. Kopie des Briefes: siehe Anhang
5. „Böses Israel“ DAS MAGAZIN 18/2008. Diese Seite wurde von der Internetredaktion des MAGAZINS gelöscht, doch sind die Kommentare im Anhang zu finden.
Mag sein, dass eine öffentliche Auseinandersetzung mit Antisemiten erfolglos wäre – aber stetes Schlucken auch der schlimmsten Anwürfe ist psychohygienisch ungesund. Da ziehe ich sogar ein lautes jüdisches „Leckt mich am Arsch“ an den Judenhass und seine Vertreter vor. Ein Dampfablassen, das bestimmt einen erleichternden Einfluss auf das eigene seelische und körperliche Wohlbefinden hätte.
Das Zögern der Schweizer Judenheit (Ausnahmen bestätigen die Regel) sich energisch, eindeutig und selbstbewusst mit antisemitischen Anwürfen und Angriffen auseinanderzusetzen will ich nicht analysieren. Ein mutiger Mann, Frank Lübke, wurde aus jüdischen Kreisen angeschossen, weil er aggressiv gegen Judenhasser vorging und vor Gericht auch gewann – aber er musste die Schweiz verlassen. Gesunde Aggressivität und der Willen, sich nicht alles gefallen zu lassen, scheint in der Schweiz einen hohen Preis zu besitzen. Gegen den Strom zu schwimmen kann teuer sein.
Einzelpersonen, private oder Vertreter jüdischer Organisationen, die Opfer von Judenhassern werden, müssen die Mittel und vor allem die Unterstützung haben, gegen diese vorzugehen. Die jüdische, aber auch die allgemeine Presse, muss sich aktivieren und aggressiv antijüdischen Abschaum blossstellen. Ich könnte mir sogar Demonstrationen vorstellen, die bestimmt auch von nichtjüdischen Schweizern mitgetragen würden. Die Schweizer Presse, mitverantwortlich für das Phänomen „Israelkritik“, sollte dazu bewegt werden, statt einfach Unangenehmes und Unanständiges im Internet zu löschen (was mir beim TagiMagi passierte), dazu Stellung zu beziehen. Und vor allem sollte das Rückgrat einer grossen Zahl von Schweizer Juden gestählt werden. Sie könnten dazu ein Beispiel an Israel nehmen, das bei all seinen Problemen und Fehlern, nicht bei jedem antisemitischen Windchen gleich einknickt.
Der SIG hat 2010 zusammen mit der GRA einen sehr interessanten Bericht erstellt, der historische Hintergründe, Grafiken und im Anhang viele Beispiele judenhasserischer Vorfälle in der Schweiz präsentiert. Doch seine Vorschläge zur Bekämpfung des Schweizer Antisemitismus sind ungenügend – sie meiden die Öffentlichkeit, sie sind zu brav. Realistisch gesehen zeigen Jahrzehnte solcher Aktivitäten alles andere als Nachhaltigkeit. Von einer breiten öffentlichen Auseinandersetzung habe ich bisher nichts gemerkt. Antisemitismus wird immer weniger anonym, Briefeschreiber und Organisationen signieren mit ihrem wirklichen Namen. Ich erinnere mich an Erika Rothschild i.A., einer wundervollen mutigen Jüdin und Holocaustüberlebenden in Zürich, die vor Jahrzehnten schweizweit Schulklassen besuchte, in Radio und Fernsehen auftrat und viel erreichte. Wo finden wir heute Juden dieses Niveaus, die den eher theoretischen Aktivitäten der SIG und GRA eine persönliche, durch Persönlichkeit und Erfahrung vertiefte praktische Note aufsetzen?
Henryk W. Broder hat den Antisemitismus/Israelhass auf den Punkt gebracht – soll er das letzte Wort haben:
„Waren die Juden reich, waren sie Ausbeuter, waren sie arm, waren sie Schmarotzer. Waren sie intelligent, waren sie überheblich. Waren sie dumm, waren sie Parasiten. Das heißt, aus der Sicht des Antisemiten kann der Jude nichts richtig machen. Und aus der Sicht des Antizionisten kann Israel nichts richtig machen. Hält es Gaza besetzt, ist es besetzt. Räumt es Gaza, dann ist es nur ein Trick, um die Besetzung mit anderen Mitteln aufrecht zu erhalten. Deshalb ist der linke Antizionismus eine vollkommen verlogene Geschichte, während der klassische bürgerliche Antisemitismus à la Möllemann und Hohmann doch relativ überschaubar ist.“ (Cicero vom 2.7.2011)
Quellen:
|
Zitat 2 - Pichler |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Zitat 1 - Das Magazin (Tagi) |
|
Zitat 5 |