Mittwoch, 13. Juli 2011

Albträume


Rechtsextremistische Gesetze und Gesetzesvorlagen fliegen uns Israelis um die Ohren. In unseren Nachbarländern, bisher undemokratisch bis ins Innerste, regt sich der Geist der Freiheit und Demokratie – was immer diese arabischen Völker darunter verstehen wollen, sie drücken sich momentan frei aus und opfern für dieses Recht auch ihr Leben. Unabhängig vom Erfolg dieser Bewegung nach Demokratie erkämpfen sich Syrer, Libyer, Ägypter, Bahrainer und Tunesier die Freiheit, ihre Meinung frei und gefahrlos auszudrücken.

In Israel geschieht dieser Tage das genaue Gegenteil. Angelehnt an den Titel von Thilo Sarrazins Buch, könnte man sagen „Israel schafft sich ab“, wenn auch in einem anderen Zusammenhang. Gestern wurde in der Knesset das Gesetz angenommen, das den Vorschlag eines Boykotts der besetzten Gebiete, auch innerhalb Israels, seiner Produkte, Universitäten und Kultur unter Strafe stellt. Jeder, der einen dahingehenden Vorschlag macht oder vielleicht auch laut daran denkt, soll bestraft werden. Das ist der Beginn eines Abrutschens in staatlichen Meinungsterror, einem faschistischen Gesetz, das die bisher auch von mir vertretene Überzeugung, Israel sei eine höchst demokratische Insel in einem arabischen Meer totalitären Terrors, als überholt zeigt. Israel hat sich damit auf den schlüpfrigen Weg in eine von faschistoiden Siedlern, Supernationalisten und von der Ultraorthodoxie verstärkte Minderheit gleiten lassen, die die Regierung beherrscht und ihr sagt wo es durchgeht.

Schon geht es weiter. Das nächste Gesetz in Vorbereitung ist das Recht politisch links stehende Organisationen, wie die Finanzierung von Menschenrechts- und Friedensgruppen, durch Knessetmitglieder untersuchen zu lassen. Soeben ist zu erfahren, die Idee Mitglieder des Obersten Gerichts durch Knessetkommissionen politisch zu durchleuchten, so wie es in den USA gebräuchlich ist, sei in der Knesset in Umlauf gebracht worden . Der Skandal dabei ist nicht diese Oberrichter genauer anzuschauen, was rechtens wäre, sondern der offensichtliche Zusammenhang mit der Furcht der parlamentarischen Rechten, dieses Gericht könnte das Boykottgesetz als ungesetzlich und ungültig erklären. In anderen Worten, die faschistische Rechte ist sich über die ethischen und gesetzlichen Zweifel ihres Gesetzes durchaus klar, doch will sie es unter allen Umständen durchboxen und den Obersten Gerichtshof Israels dazu entsprechend terrorisieren.

All das ist vor allem ein Resultat dessen, dass es in Israel keine Verfassung gibt. Es sind genau jene Politiker und Rabbiner, welche die oben geschilderten undemokratischen Gesetze vertreten, die eine Verfassung mit aller Kraft verhindern. Denn eine moderne Verfassung – nur um eine solche geht es – würde Meinungsfreiheit, Privatisierung und Freiheit von Religion, Frauen- und Minderheitsrechte und andere moderne Errungenschaften garantieren. Kein Wunder, dass reaktionäre, sich exponentiell vermehrende Elemente, sich einer Verfassung verweigern.

Mir sind Israelkritiker in Israel und noch mehr im Ausland keineswegs lieb. Darüber habe ich in meinem letzten Tagebucheintrag geschrieben. Doch sollen sie das Recht haben sich zu äussern. Wenn diese Israelbasher zu Taten schreiten, dann muss sich Israel tätlich wehren. Doch wenn heute ihre freie Meinungsäusserung verboten wird, wissen wir nicht wohin das führen kann. Zur Demokratie gehört auch seinen Gegnern zuzuhören. Unter Meinungsfreiheit hat jeder das Recht, sich genau so frei selbst zu äussern und ihnen zu entgegnen. Solange sie nicht in Gewalttätigkeiten ausartet ist diese Freiheit sakrosankt. Gesetze gegen diese Freiheit sind nicht gewaltlos, denn sie geben den Mächtigen der Politik die Möglichkeit legal Gewalt gegen Andersdenkende anzuwenden.

Es gibt zwei Möglichkeiten dieses Abrutschen der Demokratie in eine Diktatur der Nationalisten und Superfrommen zu stoppen: Neuwahlen, die aber zurzeit aus parlamentarischen Mehrheitsgründen nicht durchführbar sind oder ein öffentlicher Aufstand der demokratischen Kräfte im Land, der fordern würde, dass sich das Land auf seine demokratische und humanistische Tradition zurückbesinnt.

Es sind nicht nur die Knessetmitglieder der Rechten, die das gestrige Abstimmungsresultat zu verantworten haben. Bei einem verantwortungsvollen vieler Knessetmitglieder wäre das Gesetz nicht durchgekommen. Zahlreiche Parlamentarier der Kadima (Zippi Livni) und auch des Likud (z.B. Nethanyahu, der ja offiziell gegen das Gesetz war) drückten sich vor der Abstimmung. Wieder einmal zeigte sich der 18. Knesset als ein Parlament mehrheitlich verantwortungsloser Anpasser, deren Sorge vor allem ihrem eigenen Parlamentssitz gilt.

Vielleicht haben sich viele Israelis schon zu stark an die Traditionen des Mittleren Ostens assimiliert. Das könnte das heutige Demokratieverständnis einer wachsenden Zahl seiner Mitbürger beschädigt haben. Denn es ist dieses lebendige Demokratieverständnis, das den Staat der Juden seine bisherige Erfolgsstory zu verdanken hat. Es war es auch, das Israel in einer Region dunkelstem Mittelalters, zu einem leuchtenden Stern der Demokratie machte, einem Status, den es unter allen Umständen zu erhalten gilt.

2 Kommentare:

esther hat gesagt…

Uri, ich danke dir für diesen Artikel, der mir zutiefst aus meiner Seele spricht. Ich beobachte die Entscheidungen der derzeitigen Knesset mit grosser Sorge und hoffe nur, dass der OGH das Gesetz noch kippen kann, bevor ihm ein Maulkorb umgeschnallt wird!
Neuwahlen sind sicher nicht das Mittel der Wahl, aber ein lautes und deutliches Aufmucken, das ist nun schon mehr als überfällig!

R.M. hat gesagt…

Gut und deutlich. RM