Die Sache mit den gleichen Rechten und Pflichten für alle
Endlich ist das wichtigste demokratische Grundsatzproblem Israels aufs
Tapet gekommen. Ein Beitrag im „YNet“ (Yediot Ahronot“ bringt
es auf den Punkt. Das Hauptproblem der Haredim volle Bürgerpflichten zu
übernehmen sei, dass es Frauen im Militär gebe. Dies allein rechtfertige die
haredische Weigerung Soldat zu werden. Es ist ein Grund, doch bestimmt nur einer von
mehreren. Sie, die Haredim würden lieber auswandern, als wirkliche israelische
Juden zu sein, was meine Freundin Esther Scheiner wiederum zum Anlass nahm,
eine überzeugende Persiflage in ihrem Blog zu schreiben.
Der Hauptgrund jedoch, da bin ich überzeugt, ist ein rein politischer. Die
Rabbiner haben Angst die Kontrolle über ihre Haredim zu verlieren – ein reines
Machtspiel also. Aus demselben Grund werden Haredim von ihren Rebbes arm
gehalten, abgehalten einen wirklichen Beruf zu erlernen und sich von der
gesunden israelischen Gesellschaft abzusondern. Und, um nicht zu vergessen, eine
perverse Sexualmoral durchzusetzen, die Frauen unter anderem als unrein zu sieht. Mehr will
ich darüber nicht schreiben, ausser vielleicht meine Überzeugung, dass die Armee haredische
Soldaten nicht eigentlich will oder gar braucht. Doch unsere Armee ist Teil
eines demokratischen Staates, in dem alle dieselben Rechte und Pflichten haben
– wenngleich eine grosse Minderheit sich vor allem an den Rechten orientiert. Das
bisherig einzige Haredi-Battalion „Nahal Haredi“, etwa 600 Soldaten und davon
keine 400 wirkliche Haredim, sind, wie mir von einem von ihnen persönlich
erklärt worden ist, hat sich nicht bewährt, organisatorisch und militärisch. Zudem, wie schon im YNET Artikel steht, versuchen
ultraorthodoxe Rabbiner den Offizieren ins Handwerk zu pfuschen und
militärische Befehlsgewalt auszuüben, Kashrut muss speziell auf diese Haredim
ausgerichtet sein und die Anwesenheit von Frauen ist in diesem Battalion völlig
verboten. Nur schon das allein ist eine Beleidigung jeder Frau, die sich dem zweijährigen
Frauenmilitärdienst unterzieht und ihre Leben riskiert und jenen Frauen, die in
der Armee, auch in den hohen Rängen, eine wichtige Rolle als Berufsoffiziere
spielen.
Die Sache mit der nationalen Kashrut und der religiösen
Vergewaltigung der Bürger
Nun ist es kein Geheimnis, dass ich für Kashrut wenig übrig habe. Sie vermittelt
mir den Geruch des Antisozialen, der Absonderung zwischen jüdischen und nichtjüdischen
Menschen, die nicht genau so essen und genau so leben wie jene, die sich ausschliesslich dem
Einhalten uralter jüdischer Gesetze verschrieben haben. Natürlich ist es
durchaus legitim jüdische Speisegesetze einzuhalten. Man kann, wenn man will,
sich koscher ernährende Juden respektieren, doch es kommt, wie in allem anderen, wirklich auf deren
Motivation an. Warum leben sie koscher? Reduzieren sie damit das Judentum
auf Nahrungseinnahme? Zwingen sie damit andere Menschen, sich koscher zu
ernähren. Nachfolgend einige der Gründe für mein Koscherproblem:
·
Kashrut
ist ein auf Nahrungsmittel und deren Zubereitung ausgerichtetes Gesetz der jüdischen
Religion. Zwar bin ich kein Experte, doch weiss ich, dass Kashrut auf die
Aussagen in Leviticus 11 und Deuteronomium 14, 3 - 21 beruhen . Dort
werden Tiere, Fische und Geflügel aufgezählt, jene die man essen und jene die
man nicht essen darf. Chinesische und andere asiatische Küche hat hier wenig zu
suchen, obwohl wir Juden auch dazu wunderbar kluge und völlig koschere
Umgehungsprozedere gefunden haben.
·
Heute,
wo Judentum für viele Juden, vor allem ausserhalb
Israels, zum oberflächlichen „Live Style“ geworden ist, den man zu Hause pflegt
und ausserhalb nicht immer einhält, stellt sich die Frage sozialer Doppelmoral.
Das hat den Vorteil andere Menschen, mit denen man zusammen sein will (oder
soll), nicht völlig vor den Kopf zu stossen. Doch schützt dieser Live Style auch
davor denken zu müssen? „Man tut’s
einfach“ und hinterfragt nichts, wie mir einmal von einer Dame
mitgeteilt wurde, dazumal im Zusammenhang mit Beschneidung. Etwas zu
hinterfragen heisst noch lange nicht, dass man kritisiert oder gar ablehnt. Man
will einfach wissen, warum etwas zur Tradition geworden ist. Alles soll
hinterfragt werden und unreflektierte Tradition als einzige Begründung darf
nicht gelten.
·
Kashrut
ist eine sehr geldintensive Einnahmequelle für orthodoxe jüdische Männer. Sie,
die keinen Beruf erlernt haben, ist die Arbeit als Kashrutaufseher (Maschgiach)
eine wundervolle Aufgabe, gut bezahlt und vor allem vieles verteuernd, wie untenstehendes
Beispiel bezeugt.
·
In
Israel hat sich Kashrut in sehr vieles eingenistet, das eigentlich gar nichts
mit essen zu tun hat. Nur ein Beispiel von vielen: Die meisten israelischen
Hotels haben am Wochenende einen sogenannten Schabbat-Lift, für den man keinen
Knopf drücken muss, denn er fährt langsam aber stets ohne anzuhalten in einem
Tempo, bei dem jeder ein- und aussteigen kann ohne irgendeinen
Steuermechanismus berühren zu müssen. Soweit so gut. Diese Schabbat-Lifts
brauchen aber, obwohl sie mit Essen nichts zu tun haben, in Israel einen
Kashrut-Aufseher und zwar für die gut vierundzwanzig Stunden Dauer des
Schabbat. Von Freitagabend bis Samstagabend. Das sind drei Arbeitstage von je
acht Stunden. Da Schabbat-Aufseher am Schabbat nicht fahren dürfen, leben sie
mit der ganzen Familie übers Wochenende im Hotel (vor allem in den zahlreichen
grossen Luxushotels Israels). Das kostet das Hotel nicht nur drei Tagessaläre,
sondern auch den Aufenthalt dreier Familien mit Kost und Logis über das
Wochenende. Bestimmt ist das einer der Gründe für die unverschämten Preise
israelischer Hotels.
·
Die
Kashrut, wie auch das Zivilstandswesen und der öffentliche Verkehr Israels,
bringt das orthodoxe Establishment in eine Machtposition, die das Land und
seine weit über fünfzig Prozent säkularer Bürger erpresst und ihnen einen
Lebensstil aufzwingt, den sie überhaupt nicht mögen. Sogar im Restaurant des
Möbelwarenhauses IKEA schleichen Mashgichim herum und passen auf, dass sich ja
niemand aus dem milchigen Café einen Milchkaffee ins fleischige Restaurant holt
– von mir vor kurzem beobachtet. Aber man arrangiert sich. Die Koalitionspolitik aller
Regierungen lässt nichts anderes zu. Man könnte heute sagen, russische
Einwanderer hätten Israel auf ihre Art gerettet: immerhin gibt es heutige
russische Lebensmittelgeschäfte und ausgezeichnete, meist nicht russische
Restaurants, in denen jeder essen darf, was ihm schmeckt.
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