Montag, 16. Juli 2012

Israels fromme Probleme




Die Sache mit den gleichen Rechten und Pflichten für alle

Endlich ist das wichtigste demokratische Grundsatzproblem Israels aufs Tapet gekommen. Ein Beitrag im „YNet“ (Yediot Ahronot“ bringt es auf den Punkt. Das Hauptproblem der Haredim volle Bürgerpflichten zu übernehmen sei, dass es Frauen im Militär gebe. Dies allein rechtfertige die haredische Weigerung Soldat zu werden. Es ist ein Grund, doch bestimmt nur einer von mehreren. Sie, die Haredim würden lieber auswandern, als wirkliche israelische Juden zu sein, was meine Freundin Esther Scheiner wiederum zum Anlass nahm, eine überzeugende Persiflage in ihrem Blog zu schreiben.  Der Hauptgrund jedoch, da bin ich überzeugt, ist ein rein politischer. Die Rabbiner haben Angst die Kontrolle über ihre Haredim zu verlieren – ein reines Machtspiel also. Aus demselben Grund werden Haredim von ihren Rebbes arm gehalten, abgehalten einen wirklichen Beruf zu erlernen und sich von der gesunden israelischen Gesellschaft abzusondern. Und, um nicht zu vergessen, eine perverse Sexualmoral durchzusetzen, die Frauen unter anderem als unrein zu sieht. Mehr will ich darüber nicht schreiben, ausser vielleicht meine Überzeugung, dass die Armee haredische Soldaten nicht eigentlich will oder gar braucht. Doch unsere Armee ist Teil eines demokratischen Staates, in dem alle dieselben Rechte und Pflichten haben – wenngleich eine grosse Minderheit sich vor allem an den Rechten orientiert. Das bisherig einzige Haredi-Battalion „Nahal Haredi“, etwa 600 Soldaten und davon keine 400 wirkliche Haredim, sind, wie mir von einem von ihnen persönlich erklärt worden ist, hat sich nicht bewährt, organisatorisch und militärisch. Zudem, wie schon im YNET Artikel steht, versuchen ultraorthodoxe Rabbiner den Offizieren ins Handwerk zu pfuschen und militärische Befehlsgewalt auszuüben, Kashrut muss speziell auf diese Haredim ausgerichtet sein und die Anwesenheit von Frauen ist in diesem Battalion völlig verboten. Nur schon das allein ist eine Beleidigung jeder Frau, die sich dem zweijährigen Frauenmilitärdienst unterzieht und ihre Leben riskiert und jenen Frauen, die in der Armee, auch in den hohen Rängen, eine wichtige Rolle als Berufsoffiziere spielen.

Die Sache mit der nationalen Kashrut und der religiösen Vergewaltigung der Bürger

Nun ist es kein Geheimnis, dass ich für Kashrut wenig übrig habe. Sie vermittelt mir den Geruch des Antisozialen, der Absonderung zwischen jüdischen und nichtjüdischen Menschen, die nicht genau so essen und genau so leben wie jene, die sich ausschliesslich dem Einhalten uralter jüdischer Gesetze verschrieben haben. Natürlich ist es durchaus legitim jüdische Speisegesetze einzuhalten. Man kann, wenn man will, sich koscher ernährende Juden respektieren, doch es kommt, wie in allem anderen, wirklich auf deren Motivation an. Warum leben sie koscher? Reduzieren sie damit das Judentum auf Nahrungseinnahme? Zwingen sie damit andere Menschen, sich koscher zu ernähren. Nachfolgend einige der Gründe für mein Koscherproblem:

·       Kashrut ist ein auf Nahrungsmittel und deren Zubereitung ausgerichtetes Gesetz der jüdischen Religion. Zwar bin ich kein Experte, doch weiss ich, dass Kashrut auf die Aussagen in Leviticus 11 und Deuteronomium 14, 3 - 21 beruhen . Dort werden Tiere, Fische und Geflügel aufgezählt, jene die man essen und jene die man nicht essen darf. Chinesische und andere asiatische Küche hat hier wenig zu suchen, obwohl wir Juden auch dazu wunderbar kluge und völlig koschere Umgehungsprozedere gefunden haben.

·       Heute, wo Judentum für viele Juden, vor allem ausserhalb Israels, zum oberflächlichen „Live Style“ geworden ist, den man zu Hause pflegt und ausserhalb nicht immer einhält, stellt sich die Frage sozialer Doppelmoral. Das hat den Vorteil andere Menschen, mit denen man zusammen sein will (oder soll), nicht völlig vor den Kopf zu stossen. Doch schützt dieser Live Style auch davor denken zu müssen?  „Man tut’s einfach“ und hinterfragt nichts, wie mir einmal von einer Dame mitgeteilt wurde, dazumal im Zusammenhang mit Beschneidung. Etwas zu hinterfragen heisst noch lange nicht, dass man kritisiert oder gar ablehnt. Man will einfach wissen, warum etwas zur Tradition geworden ist. Alles soll hinterfragt werden und unreflektierte Tradition als einzige Begründung darf nicht gelten.

·       Kashrut ist eine sehr geldintensive Einnahmequelle für orthodoxe jüdische Männer. Sie, die keinen Beruf erlernt haben, ist die Arbeit als Kashrutaufseher (Maschgiach) eine wundervolle Aufgabe, gut bezahlt und vor allem vieles verteuernd, wie untenstehendes Beispiel bezeugt.

·       In Israel hat sich Kashrut in sehr vieles eingenistet, das eigentlich gar nichts mit essen zu tun hat. Nur ein Beispiel von vielen: Die meisten israelischen Hotels haben am Wochenende einen sogenannten Schabbat-Lift, für den man keinen Knopf drücken muss, denn er fährt langsam aber stets ohne anzuhalten in einem Tempo, bei dem jeder ein- und aussteigen kann ohne irgendeinen Steuermechanismus berühren zu müssen. Soweit so gut. Diese Schabbat-Lifts brauchen aber, obwohl sie mit Essen nichts zu tun haben, in Israel einen Kashrut-Aufseher und zwar für die gut vierundzwanzig Stunden Dauer des Schabbat. Von Freitagabend bis Samstagabend. Das sind drei Arbeitstage von je acht Stunden. Da Schabbat-Aufseher am Schabbat nicht fahren dürfen, leben sie mit der ganzen Familie übers Wochenende im Hotel (vor allem in den zahlreichen grossen Luxushotels Israels). Das kostet das Hotel nicht nur drei Tagessaläre, sondern auch den Aufenthalt dreier Familien mit Kost und Logis über das Wochenende. Bestimmt ist das einer der Gründe für die unverschämten Preise israelischer Hotels.

·       Die Kashrut, wie auch das Zivilstandswesen und der öffentliche Verkehr Israels, bringt das orthodoxe Establishment in eine Machtposition, die das Land und seine weit über fünfzig Prozent säkularer Bürger erpresst und ihnen einen Lebensstil aufzwingt, den sie überhaupt nicht mögen. Sogar im Restaurant des Möbelwarenhauses IKEA schleichen Mashgichim herum und passen auf, dass sich ja niemand aus dem milchigen Café einen Milchkaffee ins fleischige Restaurant holt – von mir vor kurzem beobachtet. Aber man arrangiert sich. Die Koalitionspolitik aller Regierungen lässt nichts anderes zu. Man könnte heute sagen, russische Einwanderer hätten Israel auf ihre Art gerettet: immerhin gibt es heutige russische Lebensmittelgeschäfte und ausgezeichnete, meist nicht russische Restaurants, in denen jeder essen darf, was ihm schmeckt.

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