Die Regierungskoalition
Noch nie in seiner Geschichte hat sich das
israelische Wahlsystem mit seinen Auswüchsen so negativ bewiesen. Minderheiten,
vor allem Rechtsextremisten und Superorthodoxe, sind in der Lage, die Regierung zu Entscheiden zu erpressen, die sogar
Nethanyahu nicht in den Kram passen. Trotzdem besteht gerade mit der
gegenwärtigen Riesenkoalition die noch nie dagewesene Möglichkeit revolutionäres,
noch nie dagewesenes zu erreichen und Israel als wirklich demokratischen Staat
ohne wacklige Füsse zu sichern. Mit einer Koalitionsmehrheit von rund achtzig
Prozent hat Ministerpräsident Nethanyahu heute die Möglichkeit grosses zu tun,
das die interne Situation Israels aufs positivste verändern würde. Doch diese
Superkoalition wackelt schon. Das zu revidierende Tal-Gesetz, das er auf Entscheid
des Obersten Gerichtshofes revidieren oder gar abschaffen muss, bringt ihn in
Nöte. Er, der am liebsten alles beim Alten lassen möchte, dem der eigene Stuhl
wichtiger ist, als das Wohl und der demokratische Charakter Israels, muss
Entscheide treffen, die er nicht mag.
- Nethanyahu
könnte, wie er zurzeit vorgibt zu tun, demokratische Pflichten für
sämtliche Bürger Israels durchsetzen. Jeder Bürger, der Fit für
Militärdienst oder Zivildienst ist, soll dienen. Weder Lebensstil noch,
Zivilstand, Religion noch Volkszugehörigkeit darf als Ausrede dienen. Nur
die Armee selbst darf nach militärischen Kriterien entscheiden, wen sie will.
- Nethanyahu
könnte, wenn er den Mut dazu hätte, das israelische Oberrabbinat auflösen
und undemokratische Macht über Zivilstand, Geburten und Todesfälle, das
Koscherwesen und alles mit Religion verbundene privatisieren oder religiös
neutralen staatlichen Ämtern überlassen. Das Oberrabbinat ist eine völlig
überflüssige kostenaufwendige Bürokratie selbsternannter reaktionärer
bärtiger Tyrannen, die nicht erkennen wollen, dass wir im 21. Jahrhundert
leben. Es wurde von den einstigen britischen Mandatsbehörden geschaffen,
um einen zentralen Gesprächspartner für Religiöses zu haben, so wie in
allen westlichen aufgeklärten Staaten. Im heutigen Israel wird der Mensch
auf seine Religion reduziert, ein Unfug sondergleichen. Mit der
Privatisierung aller Religionen in Israel, wäre dieses Amt überflüssig.
Solange es bestehen bleibt, schadet es unserer Demokratie. Haredische
Juden anerkennen das Oberrabbinat schon heute nicht an, sie haben ihre
eigenen Rabbiner, die über ihre Höfe wie Könige herrschen. Doch eben das
ist ihre Privatsache und demokratisch legitim, auch wenn es die Mitglieder
dieser Höfe von selbständigem Denken und Entscheiden abhält. Die
staatlichen Oberrabbiner sind das nicht.
- Nethanyahu
könnte, wenn er wollte, die wachsende raffgierige Oligarchie,
Wirtschaftskriminalität und organisiertes Verbrechen und ihre nicht nur
wirtschaftlichen, sondern auch ethisch negativen Einflusse, bekämpfen.
Zwar können die zahlreichen Gerichtsverfahren und Verurteilungen korrupter
Politiker und Beamter als positives Beispiel betrachtet werden, weil
Korruption im gesamten Mittleren Osten zum akzeptierten Lebensstil gehört,
aber nur in Israel, dieser Ausnahmedemokratie der Region, strafrechtlich
verfolgt wird und für die Täter tatsächlich Konsequenzen hat. Persönliche
Sesselkleberei ist eine Abart der Korruption, es ist die völlige Ablehnung
persönlicher Verantwortung und Übernahme persönlicher Konsequenzen für
eigenes politisches Fehlverhalten, sind noch immer Fremdworte in der
israelischen Politszene.
Die Haredim
Eines meiner Lieblingsthemen. Für einmal nur eine
einzige Beobachtung. Die etwa 800'000 aber in einem Supertempo von jährlich
über acht Prozent wachsenden haredische Bevölkerung könnte in wenigen
Jahrzehnten die Mehrheit der Juden in Israel bilden. Sie leben in einer sozial
völlig abgeschirmten Gesellschaft. Ihr Lebensstil des Thoralernens statt
nützlicher Arbeit und die daraus folgenden Konsequenzen auf die Gesellschaft, ist
der Grund, dass Israel unter den OECD Staaten abgeschlagen mit einem fast
zwanzig Prozent kleineren Anteil arbeitender Menschen unter den arbeitsfähigen
Bürgern dasteht. Womit das israelische BSP sehr viel niedriger in Erscheinung
tritt, als es die israelische Wirtschaft eigentlich verdient.
Dieser parasitäre Lebensstil der haredischen
Bevölkerung wird vor allem von seinen allmächtigen Rabbinern ihren Schäfchen
aufgezwungen , auch wenn heute, wie aus vielen Quellen zu vernehmen ist, der
Wunsch die eigene Familie selbst zu erhalten und auch Militärdienst zu leisten,
unter haredischen jungen Männer wächst. Das könnte, wer weiss, zu einem
internen haredischen Aufstand führen. Die reaktionäre Macht haredischer
Rabbiner könnte im Laufe der kommenden Jahrzehnte gebrochen oder wenigsten
geschwächt werden. Ich denke, dass diese Entwicklung jedoch an gewisse Änderungen
im haredischen Lebensstil gebunden sein muss. Es kann schlicht nicht sein, dass
der Staat seine Einrichtungen, die all seinen Bürgern zu Verfügung stehen, haredischen
Ansprüchen anpassen muss. Wie superkoschere und völlig frauenlose Einheiten im
Militär, ohne die haredischer Militärdienst nicht zu realisieren ist. Ich
denke, dass nicht die Mehrheit sich allen haredischen Sonderwünschen
bedingungslos zu beugen hat, sondern Haredim sich an die allgemeinen Regeln
unserer Gesellschaft soweit wie notwendig anpassen müssen. Es geht nicht um ihr
privates Leben, sondern um die Eingliederung in die moderne israelische
Gesellschaft mit all ihren Rechten und Pflichten. Und um einen gewissen Stolz,
sich nicht von der arbeitenden Bevölkerung aushalten zu lassen. Wenigsten so
lange, wie Israel ein säkularer Staat bleiben kann.
Die Westbankbesiedlung
Die Welt weiss nicht, dass bis 1977, als Menachem
Begin in Israel die Macht übernahm, in der Westbank weniger als fünftausend
Israelis in der Westbank lebten. Mit Begins Machtübernahme änderte sich das,
heute sind es etwa 400'000, er öffnete den ideologischen Besetzern die
Schleusen. Allerdings sind ein grosser Teil der heutigen Westbanksiedler aus
wirtschaftlichen Gründen dorthin gezogen – die schönen grossen Villen, die gute
Luft und die noch besseren Preise und staatlichen Vorzugsbedingungen sind auch
heute noch sehr attraktiv.
Doch die Westbankbesiedlung kostet Israel einen
enormen Preis, vielleicht nicht im Zusammenhang mit der Sicherheit des Staates,
aber im Laufe der jahrelangen Besetzung ist das Land in einen moralischen Sumpf
geraten, in den es immer tiefer sinkt. Prof. Jeshajahu Leibowitz bemerkte schon
vor über dreissig Jahren, dass Besetzung den Besatzer korrumpiere. Diese
Prophezeiung ist eingetroffen: Araberhass droht den humanistischen Zionismus zu
zerstören. Nicht wenige Siedler verfolgen heute Palästinenser in den Gebieten,
schlagen sie, zerstören ihre Ernten und Olivenbäume, bedrohen und töten sie, zünden
Hauser und Moscheen an – sie haben sich auf einen Weg und ein Niveau begeben,
der dem palästinensischer Terroristen peinlich nahesteht. Auch wenn man,
realistisch gesehen, von Israel den Abzug aus der Westbank heute nicht erwarten
darf, Israels Sicherheit hat mit dem faschistischen Verhalten gewisser Siedlerkreise
kaum etwas zu tun, ausser vielleicht, dass es auch unschuldige Palästinenser,
die eigentlich mehr unter Terror aus ihren eigenen Kreisen leiden, uns Juden
noch weiter entfremdet. Sogar wenn man das jüdische Recht auch im Kernland des
biblischen Eretz Israel zu wohnen prinzipiell anerkennt und der politischen Phantasterei
der Palästinenser eines völlig judenfreien Palästinas mit Ablehnung
gegenübersteht – das jüdische Israel muss sich wieder auf die Philosophie der
Gründergenerationen besinnen.
Abschliessend
Nun werden bestimmt viele fragen, warum der Uri in
dieser Liste Israels echter und kritischer Sorgen, die „Friedensbemühungen“ der
zwei Verhandlungspartner Palästinenser und Israelis nicht erwähnt. Der Grund
dafür ist meine Überzeugung, dass weder Palästinenser noch die gegenwärtige
israelische Regierung an einem wirklichen Friedensabkommen und einem
friedlichen Nebeneinanderleben interessiert sind. Den Palästinensern der
Westbank (und auch Gazas) geht es relativ gut (was sie jedoch nie zugeben
dürfen), sie werden von der Welt materiell auf quantitativ absurde Weise
finanziell unterstützt. Ob der Löwenanteil dieser Unterstützung auf Schweizer
Bankkonten landet ist für Israel nicht von Interesse, müsste es aber für die
Palästinenser selbst sein. Doch sie machen lieber Aussenstehende für ihre
allfälligen Nöte verantwortlich. Nach weit über sechzig Jahren arabischer Feindschaft
und vielen stets gewonnenen Kriegen, hat sich in Israel eine Regierung
breitgemacht, welcher der Status Quo willkommen ist und mit seiner
Siedlungspolitik Israel langsam aber sicher in die Hölle reitet. Gegen die
palästinensische und muslimische Bedrohung kann sich Israel halten, auch wenn
ein wehrhaftes Israel (also wehrhafte Juden) von vielen der westlichen Welt,
als Oxymoron gesehen wird. Nach 1945, also nachdem die Nazis vernichtet waren,
warf man uns Juden vor, uns nicht gewehrt zu haben (quasi, als wären wir am
Holocaust selbst schuld), während heute Israel vorgeworfen wird, es sei zu
wehrhaft, ja zu einem Militaristenstaat geworden – eine Behauptung, die jeder,
der Israel kennt, als eine der vielen ideologischen Vorurteile dummer
Ignoranten erkennt.
Deshalb stehe ich zu oben beschrieben drei Themen als
Israels wichtigste existenzielle Gefahr und denke, Israel selbst ist heute sein
eigener grösster Feind. Frieden bringt uns dies Einsicht zwar nicht, das Überleben als zionistischer demokratischer Staat aller seiner Bürger aber schon. Das bis sich die gegenseitige Einstellung der Regierungen und Bürger beider Partner einer neuen Realität stellt.
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