Freitag, 30. August 2013

Andere Völker, andere Sitten



„Man kann nicht eine westliche Denkform auf den Nahen Osten zwingen“. (Rabbiner Tovia Ben-Chorin)

Vielleicht dachte Rabbi Tovia, als er vor Jahrzehnten diesen gescheiten Satz formulierte, an Demokratie.

In Ägypten sterben Leute, die Armee hat den Muslimbrüdern den Kampf angesagt. Gegen Tausend von ihnen sind bisher im Feuer der ägyptischen Armee gestorben.

Auf der anderen Seite verfolgen Muslimbrüder und Salafisten erfolgreich Kopten (Christen), die rund zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung bilden. Sie lynchen diese und brennen ihre Kirchen zu Dutzenden nieder. Dem wird im Westen wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Vielleicht deshalb, weil es ein traditionelles Phänomen des heutigen Ägyptens ist, nicht nur in Kairo und den Grossstädten, sondern ebenso in den Dörfern landesweit. Der Schutz verfolgter Christen scheint für westliche Medien von weniger Interesse zu sein, als das Schicksal islamistischer Terroristen. Die den Muslimbrüdern geistesverwandten Salafisten sind nicht weniger aktiv und töten, ja vollumfänglich und zeremoniell exekutieren Polizisten und Soldaten in ägyptischen Städten und im Sinai. Darum ist es falsch die Muslimbrüder und ihre terroristischen Brüder als Opfer darzustellen. Ähnlich wie ihre Kollegen in Gaza, die Hamas, tun sie mit perverser Freude ihr bestes Menschen zu töten.

Unschöne Zustände, von westlichen Politikern und Gutmenschen heftig kritisiert, vor allem die Aktionen der Armee. Diese Kritiker benutzen völlig falsche Kriterien. Wie Rabbi Tovia sagt, legen sie westlichen Denkformen als Massstab für die Zustände in der arabisch-islamischen Gesellschaft an. Das ist nicht neu, das ist so, seit in westlichen Ländern die Israelkritik entdeckt hat. Israel mit seiner freien Gesellschaft, wird nicht als krasser Gegensatz zur totalitären und autoritären arabisch-islamischen (oder gar islamistischen) Gesellschaft gezeigt. Doch darum geht es hier nicht.

An demokratischen Grundsätzen gemessen ist der Sturz des ägyptischen Präsidenten und Muslimbruders nicht gesetzeskonform. Er hätte abgewählt werden müssen, als Folge eines parlamentarischen Misstrauensvotum oder regulären Wahlen. Doch demokratische Grundsätze in arabischen Ländern gelten bestenfalls für mehr oder weniger freie Wahlen. Für mehr nicht. Mursi demonstrierte in seiner kurzen Regierungszeit u.a. folgendes:

·       Muhammad Mursi hat sich im vergangenen November per Dekret über das Gesetz gestellt und hierdurch ein absehbares Eingreifen der Judikative in den Verfassungsgebungsprozess unterbunden. Damit stellte er sich über in der Verfassung vorgesehenes Recht. Eine demokratische Todsünde, in totalitärem Stil. Das ägyptische Parlament existiert nicht, da es von Mursi aufgelöst worden war – niemand konnte ihn von seinen, wie es sich heute zeigt, Dummheiten abhalten – ausser der Armee.

·       Mursi sei nicht Präsident aller Ägypter, sondern der Muslimbrüder, wurde zum zentralen Vorwurf der ägyptischen Opposition. Tatsächlich ist Muhammad Mursi mit den Stimmen von lediglich 27 Prozent der Wahlberechtigten gewählt worden. Es wäre seine demokratische Pflicht gewesen, andere Parteien in die Regierung einzubeziehen, doch er zog es vor das Land in Säkulare (und Christen) und Muslimbrüder zu spalten.

Eine Ägypterin schrieb nach den Wahlen: "Bei den Wahlen waren wir gezwungen, zwischen Pest und Cholera zu wählen, zwischen Mursi und Mubaraks Leuten. Wir hassten Mursi, weil er das Land in Säkulare und Muslimbrüder gespalten hat. Er hat den Fehler gemacht, Religion ins Spiel zu bringen. Nicht Mursi hat Ägypten regiert, sondern die Muslimbrüder. Mursi schreckte nicht davor zurück, das Gesetz zu ihren Gunsten zu brechen.“ Dazu ist zu bemerken, dass Mursi, als Islamist und Muslimbruder nicht anders handeln konnte, denn für ihn ist Religion Politik und Politik Religion.

Um über den Nahen Osten realistisch und wahr berichten zu können, ist man gezwungen politisch unkorrekt zu schreiben. Man muss fragen dürfen, warum beispielsweise wirkliche Demokratie in der arabisch-muslimischen Welt nicht Fuss fassen kann. Sind es die religiösen Vorschriften der Scharia, die grösstenteils diametral einer freien Gesellschaft entgegenstehen oder sind es autoritäre stammeshörige Traditionen in arabischen Ländern. Oder ist es die gewaltige Bildungslücke der arabischen Gesellschaft im Vergleich zum Westen und dem Rest der Welt? Mit einer analphabetischen Mehrheit kann eine moderne Demokratie wenig anfangen und eine blühende Wirtschaft, die allen zugutekommt, kann auch nicht errichtet werden. Besonders nicht wenn Demokratie ausschliesslich auf Wahlen reduziert wird, wie das in arabischen Ländern und anderen Drittweltstaaten der Fall ist, in denen alle anderen Grundsätze wie Bürgerrechte, Gleichberechtigung, Minderheiten- und Frauenrechte, wie auch Freiheit für und von Religion unbeachtet bleiben. So kommt bestenfalls ein neuer Diktator, zivil-faschistisch  oder militärisch, an die Macht (der Vorgänger ist dann tot oder sitzt im Gefängnis), zwar demokratisch gewählt – aber damit ist das Thema Demokratie abgehackt, erledigt. Bis zur nächsten Revolution oder dem nächsten Putsch, wo es wiederum zum vorübergehenden Gesprächsthema werden wird.

Die zweite Frage wäre: warum sind Araber unfähig ihre Probleme ohne Gewalt zu lösen? Die Antwort ist, so denke ich, dieselbe, wie die Antwort auf die erste Frage im Zusammenhang mit Demokratie. Sie hat viel mit der höchst antidemokratischen Einstellung des „Alles oder Nichts“ zu tun, mit der Verweigerung Verantwortung zu übernehmen und so gezwungen Sündenböcke zu suchen. Zur Gewalttätigkeit ist es dann nicht mehr weit.

Auf Grund dieser Überlegungen ist es schwierig für oder gegen die zurückgekehrte Militärdiktatur zu sein. Unübersehbar wird das Militär heute von der Bevölkerungsmehrheit unterstützt. Denn sie schafft Ordnung und unterdrückt die fromme Gewalt der Muslimbrüder und ihrer Mitterroristen. Die einjährige Erfahrung mit einer islamistischen Regierung hat den Bürgern offenbar genügt, sich von Mursis religiös- extremistischen und korrumpierten und auch wirtschaftlich unfähigen Diktatur zu entwöhnen, denn er zeigte sich noch unfähiger als sein militärischer Vorgänger.

Ben Caspit, einer der bekanntesten Journalisten Israels, fasste die Situation, soweit sie Israel und die USA (die den Westen repräsentiert) betrifft wie folgt zusammen: „There’s no question that in this case, Israel is keeping its fingers crossed for the Egyptian military in general, and its commander-in-chief Gen. Abdel Fattah al-Sisi in particular. Israel is watching US conduct with some amusement, but also with a similar degree of concern. The Americans are in a serious bind. On one hand, they cannot support a military coup or cheer the killing of hundreds of civilians. On the other, they understand that this is what the majority of Egyptians want, and they’ve started realizing that their gamble on the Muslim Brotherhood was a particularly stupid mistake.“

Ein Detail sollte hervorgehoben werden: Die ägyptische Armee gleicht in einem frappant der Volksbefreiungsarmee Chinas. Beide besitzen einen enormen Anteil an der Industrie ihrer jeweiligen Länder. Das ist eine Tatsache, auch wenn es für China schwierig ist, genaue Zahlen zu finden. In Ägypten sind es, gemäss Joshua Hammer, einem amerikanischen Journalisten, gut vierzig Prozent. Allerdings ist das technologische Niveau Chinas mit dem Ägyptens in keiner Weise vergleichbar.

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