Eine redigierte Fassung dieses Artikel ist parallel im Journal21 erschienen.
„Man kann
nicht eine westliche Denkform auf den Nahen Osten zwingen“. (Rabbiner Tovia
Ben-Chorin)
Vielleicht
dachte Rabbi Tovia, als er vor Jahrzehnten diesen gescheiten Satz formulierte,
an Demokratie.
In Ägypten
sterben Leute, die Armee hat den Muslimbrüdern den Kampf angesagt. Gegen
Tausend von ihnen sind bisher im Feuer der ägyptischen Armee gestorben.
Auf der
anderen Seite verfolgen Muslimbrüder und Salafisten erfolgreich Kopten
(Christen), die rund zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung bilden. Sie
lynchen diese und brennen ihre Kirchen zu Dutzenden nieder. Dem wird im Westen
wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Vielleicht deshalb, weil es ein traditionelles
Phänomen des heutigen Ägyptens ist, nicht nur in Kairo und den Grossstädten,
sondern ebenso in den Dörfern landesweit. Der Schutz verfolgter Christen
scheint für westliche Medien von weniger Interesse zu sein, als das Schicksal
islamistischer Terroristen. Die den Muslimbrüdern geistesverwandten Salafisten sind
nicht weniger aktiv und töten, ja vollumfänglich und zeremoniell exekutieren
Polizisten und Soldaten in ägyptischen Städten und im Sinai. Darum ist es
falsch die Muslimbrüder und ihre terroristischen Brüder als Opfer darzustellen.
Ähnlich wie ihre Kollegen in Gaza, die Hamas, tun sie mit perverser Freude ihr bestes
Menschen zu töten.
Unschöne
Zustände, von westlichen Politikern und Gutmenschen heftig kritisiert, vor
allem die Aktionen der Armee. Diese Kritiker benutzen völlig falsche Kriterien.
Wie Rabbi Tovia sagt, legen sie westlichen Denkformen als Massstab für die
Zustände in der arabisch-islamischen Gesellschaft an. Das ist nicht neu, das
ist so, seit in westlichen Ländern die Israelkritik entdeckt hat. Israel mit
seiner freien Gesellschaft, wird nicht als krasser Gegensatz zur totalitären
und autoritären arabisch-islamischen (oder gar islamistischen) Gesellschaft
gezeigt. Doch darum geht es hier nicht.
An
demokratischen Grundsätzen gemessen ist der Sturz des ägyptischen Präsidenten
und Muslimbruders nicht gesetzeskonform. Er hätte abgewählt werden müssen, als
Folge eines parlamentarischen Misstrauensvotum oder regulären Wahlen. Doch
demokratische Grundsätze in arabischen Ländern gelten bestenfalls für mehr oder
weniger freie Wahlen. Für mehr nicht. Mursi demonstrierte in seiner kurzen
Regierungszeit u.a. folgendes:
· Muhammad Mursi hat sich im vergangenen November per
Dekret über das Gesetz gestellt und hierdurch ein absehbares Eingreifen der
Judikative in den Verfassungsgebungsprozess unterbunden. Damit stellte er sich
über in der Verfassung vorgesehenes Recht. Eine demokratische Todsünde, in
totalitärem Stil. Das ägyptische Parlament existiert nicht, da es von Mursi
aufgelöst worden war – niemand konnte ihn von seinen, wie es sich heute zeigt,
Dummheiten abhalten – ausser der Armee.
· Mursi sei nicht Präsident aller Ägypter, sondern
der Muslimbrüder, wurde zum
zentralen Vorwurf der ägyptischen Opposition. Tatsächlich ist Muhammad Mursi mit den Stimmen von lediglich 27 Prozent der Wahlberechtigten gewählt worden. Es wäre seine demokratische Pflicht gewesen, andere Parteien in die Regierung einzubeziehen, doch er zog es vor das Land in Säkulare (und Christen) und Muslimbrüder zu spalten.
zentralen Vorwurf der ägyptischen Opposition. Tatsächlich ist Muhammad Mursi mit den Stimmen von lediglich 27 Prozent der Wahlberechtigten gewählt worden. Es wäre seine demokratische Pflicht gewesen, andere Parteien in die Regierung einzubeziehen, doch er zog es vor das Land in Säkulare (und Christen) und Muslimbrüder zu spalten.
Eine Ägypterin schrieb
nach den Wahlen: "Bei den Wahlen waren wir gezwungen, zwischen Pest und
Cholera zu wählen, zwischen Mursi und Mubaraks Leuten. Wir hassten Mursi, weil
er das Land in Säkulare und Muslimbrüder gespalten hat. Er hat den Fehler
gemacht, Religion ins Spiel zu bringen. Nicht Mursi hat Ägypten regiert, sondern
die Muslimbrüder. Mursi schreckte nicht davor zurück, das Gesetz zu ihren
Gunsten zu brechen.“ Dazu ist zu bemerken, dass Mursi, als Islamist und
Muslimbruder nicht anders handeln konnte, denn für ihn ist Religion Politik und
Politik Religion.
Um über den Nahen Osten
realistisch und wahr berichten zu können, ist man gezwungen politisch unkorrekt
zu schreiben. Man muss fragen dürfen, warum beispielsweise wirkliche Demokratie
in der arabisch-muslimischen Welt nicht Fuss fassen kann. Sind es die religiösen
Vorschriften der Scharia, die grösstenteils diametral einer freien Gesellschaft
entgegenstehen oder sind es autoritäre stammeshörige Traditionen in arabischen Ländern.
Oder ist es die gewaltige Bildungslücke der arabischen Gesellschaft im Vergleich
zum Westen und dem Rest der Welt? Mit einer analphabetischen Mehrheit kann eine
moderne Demokratie wenig anfangen und eine blühende Wirtschaft, die allen
zugutekommt, kann auch nicht errichtet werden. Besonders nicht wenn Demokratie
ausschliesslich auf Wahlen reduziert wird, wie das in arabischen Ländern und
anderen Drittweltstaaten der Fall ist, in denen alle anderen Grundsätze wie
Bürgerrechte, Gleichberechtigung, Minderheiten- und Frauenrechte, wie auch
Freiheit für und von Religion unbeachtet bleiben. So kommt bestenfalls ein neuer
Diktator, zivil-faschistisch oder
militärisch, an die Macht (der Vorgänger ist dann tot oder sitzt im Gefängnis),
zwar demokratisch gewählt – aber damit ist das Thema Demokratie abgehackt,
erledigt. Bis zur nächsten Revolution oder dem nächsten Putsch, wo es wiederum
zum vorübergehenden Gesprächsthema werden wird.
Die zweite Frage wäre:
warum sind Araber unfähig ihre Probleme ohne Gewalt zu lösen? Die Antwort ist,
so denke ich, dieselbe, wie die Antwort auf die erste Frage im Zusammenhang mit
Demokratie. Sie hat viel mit der höchst antidemokratischen Einstellung des
„Alles oder Nichts“ zu tun, mit der Verweigerung Verantwortung zu übernehmen
und so gezwungen Sündenböcke zu suchen. Zur Gewalttätigkeit ist es dann nicht
mehr weit.
Auf Grund dieser Überlegungen
ist es schwierig für oder gegen die zurückgekehrte Militärdiktatur zu sein.
Unübersehbar wird das Militär heute von der Bevölkerungsmehrheit unterstützt. Denn
sie schafft Ordnung und unterdrückt die fromme Gewalt der Muslimbrüder und
ihrer Mitterroristen. Die einjährige Erfahrung mit einer islamistischen
Regierung hat den Bürgern offenbar genügt, sich von Mursis religiös- extremistischen
und korrumpierten und auch wirtschaftlich unfähigen Diktatur zu entwöhnen, denn
er zeigte sich noch unfähiger als sein militärischer Vorgänger.
Ben Caspit, einer der
bekanntesten Journalisten Israels, fasste die Situation, soweit sie Israel und
die USA (die den Westen repräsentiert) betrifft wie folgt zusammen: „There’s no
question that in this case, Israel is keeping its fingers crossed for the
Egyptian military in general, and its commander-in-chief Gen. Abdel Fattah
al-Sisi in particular. Israel is watching US conduct with some amusement, but
also with a similar degree of concern. The Americans are in a serious bind. On
one hand, they cannot support a military coup or cheer the killing of hundreds
of civilians. On the other, they understand that this is what the majority of
Egyptians want, and they’ve started realizing that their gamble on the Muslim
Brotherhood was a particularly stupid mistake.“
Ein Detail sollte
hervorgehoben werden: Die ägyptische Armee gleicht in einem frappant der Volksbefreiungsarmee
Chinas. Beide besitzen einen enormen Anteil an der Industrie ihrer jeweiligen
Länder. Das ist eine Tatsache, auch wenn es für China schwierig ist, genaue
Zahlen zu finden. In Ägypten sind es, gemäss Joshua Hammer, einem
amerikanischen Journalisten, gut vierzig Prozent. Allerdings ist das
technologische Niveau Chinas mit dem Ägyptens in keiner Weise vergleichbar.
Und eben darum: vielleicht gibt es
auch einen wirtschaftlichen Grund für die Vorgänge in Ägypten. Wäre das der
Fall, käme auch hier das Zitat von Rabbi Tovia zur Geltung.
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