Dienstag, 1. Juli 2008

Die Geschichtsträchtigkeit des arabischen Israeli



Neben dem im letzten Tagebucheintrag besprochenen Tauschgeschäft mit Hisbollah und Hamas gibt es dieser Tage ein weiteres Thema, das aber von Presse und Regierung diskreter behandelt wird. Es geht um zwei miteinander verflochtene Gesetze, die, falls von der Knesset angenommen, Israel plötzlich in einen rassistischen Staat verwandeln würde, das Wort Apartheid wäre dann nicht mehr so völlig deplatziert wie bisher. Es geht, kurz gesagt, darum, unseren arabischen Mitbürgern die Ehe mit palästinensischen Bürgern aus der Westbank, Gaza oder andern arabischen Ländern zu verweigern – vordergründig aus Gründen der Sicherheit. Als hätten wir keinen Shin Beth, die sich seit Jahrzehnten erfolgreich um Sicherheit des Landes vor Mord und Terror aus palästinensischen und anderen Kreisen kümmert. Der damit verbundene zweite Gesetzesentwurf, würde dem Innenministerium, einer ohnehin traditionell religiös-rassistischen Behörde, völlige rechtliche Unabhängigkeit verschaffen – seine Entscheidungen könnten nicht mehr vor Gericht angefochten werden. Es gibt Leute, zu denen ich mich zähle, denen solchen Bedrohungen demokratischer Grundsätze aufs Gemüt schlagen, Der Versuch diese Problematik offen zu legen findet gar nicht immer Beifall.

Zu obigem direkt verbunden sehe ich die gestern eröffnete Photoausstellung in unserer Kunstgalerie in Umm El-Fahm. Das Thema ist die Geschichte Umm El-Fahms und seiner Region, dem Wadi Ara, photographisch dokumentiert seit 1903. Ich sehe diese Ausstellung, als bisher wichtigstes Unterfangen der Galerie. Es sind rund 450 Bilder mit dazugehörigen Legenden zu sehen, aus aller Welt zusammengetragenen und vor allem durch das von Said Abu-Shakra ins Leben gerufene Archiv arabischer Geschichte, das, geleitet von Dr. Mustafa Kabha und seinen jüdischen und arabischen Mitarbeitern in Freizeitarbeit schon eine enorme Arbeit geleistet hat. Die Ausstellung wurde vom Kurator Guy Raz eingerichtet und bleibt bis Dezember 2008 geöffnet.

Der Eindruck, den diese Ausstellung vermittelt, ist friedfertig und unbedrohlich, ich selbst sehe sie als versöhnlich. Diese Feststellung, so deplatziert sie auch klingen mag, muss gemacht werden, denn es gibt noch immer viele jüdische Israelis, denen jede arabische Aktivität und Initiative verdächtig ist. Die Ausstellung stellt höchsten bestehende Vorurteile in Frage, wie etwa den uralten Slogan „Ein Land ohne Volk, für ein Volk ohne Land“, das in den Urzeiten des politischen Zionismus im Trend lag, zwar von Theodor Herzl abgelehnt worden ist, aber inzwischen nur noch von rechtsextremer Seite gelegentlich hervor geschleppt wird – als gäbe es keine wirklichen Argumente für den jüdischen Staat.


Es ist zu sehen, wie Umm El-Fahm vor der Staatsgründung in 1944 aussah, es wird bildlich dokumentiert wie die heutige Autobahn durchs Wadi Ara als Kamelweg in 1925, als ungeteerte Landstrasse in 1935, bis zum ersten Ausbau durch die israelische Regierung in 1962 und als heute vierspurige Autobahn und Hauptverkehrsader in den Norden des Landes entstanden ist.
Es gibt Bilder, oder ganze Wände davon, die mir unter die Haut gingen. Wie zum Beispiel Familienbilder, zum Teil mehrere Generation alt, darunter sogar eine muslimische „Ktuba“, einen Ehevertrag.
Die Ausstellung ist in sich geschlossene Räume unterteilt in
Themen wie Familien, Konflikte damals und heute, alte Menschen, Kinder, Besuche der militärischen Behörden in den Jahren der militärischen Administration dieser Region Israels (1948 bis 1966), Arbeit damals und heute, es gibt Bilder „freundschaftlicher“ Besuche (jüdischer)
Palmachsoldaten in 1948, es gibt Bilder arabischer Aufrührer und deren Anführer aus der britischen Mandatszeit, Sportklubs (vor allem Fussball, hauptsächlich seit 1948).


Der deutsche Journalist Ulrich W. Sahm fasste aus seiner Sicht die Ausstellung im N-TV zusammen. Hier der Link dazu.

Zusammenfassend werden an dieser historischen Ausstellung Mythen aus vorisraelischer Zeit, als die damals noch nicht Palästinenser genannten Araber fröhlich ihrer Arbeit nachgingen, unter Olivenbäumen rasteten und Kaffee tranken, friedfertig mit einander umgingen und gegen niemanden auch nur die geringsten Animositäten hegten, widerlegt. Das nostalgisch verfälschte Vorgaukeln einer früheren Romantik (zugegebenermassen auch in anderen Kulturen zu finden), von Apologeten der palästinensischen Sache wie beispielsweise Sumaya Farhat-Naser in bestem Deutsch unter die Gläubigen gebracht, wird hier fotografisch nicht nur in Frage gestellt, sondern widerlegt.
Wie hat sich das arabische Leben vor und seit dem Entstehen Israel entwickelt? Hier eine kleine Auswahl:
· Dem grassierenden Analphabetismus (ganz besonders unter Frauen) hat die israelische Schulpflicht ein Ende gesetzt. Nur noch ältere Generationen sind noch davon betroffen.
· Statt auf dem Land im feudalen Westen lebender Grossgrundbesitzer, der sein Land dem jüdischen Nationalfonds verkaufte und so seine für ihn als eine Art Leibeigene schuftenden Fellachen um ihr Einkommen brachte – denn Besitz hatten sie ja keinen – studieren viele Araber, lernen Berufe und haben selbständige Existenzen. Industrien, auch High Tech, haben in der hiesigen arabischen Gesellschaft Einzug gehalten.
· Arabische Israelis besitzen heute den mit grossem Abstand höchsten Lebensstandard aller Araber im Mittleren Osten, nicht nur materiell, sondern vor allem auch sozial, durch das Leben in einer freien Gesellschaft, statt in einer in der arabischen Welt üblichen Gesellschaft der Angst (Society of fear).
· Arabische Israelis nehmen als Teil der freien israelischen Gesellschaft an staatlichen Diskurs teil, auch wenn sie traditionell noch nicht völlig demokratische Gepflogenheiten verstehen. Ihre Politiker sehen sich grösstenteils noch als Vertreter der muslimischen Umma, statt als Vertreter ihrer Wähler.
· Dem Clansystem der Grossfamilien (Chamullah) geht, wenn auch sehr langsam, der Schnauf aus. Sehr langsam werden die autoritären Bindungen innerhalb der Grossfamilie schwächer, Söhne (und gelegentlich auch Töchter) ziehen es heute vor, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und nicht den Eltern oder dem Clanältesten hörig zu bleiben. Selbständigkeit hält Einzug, was aber kein Grund sein muss, das Familienleben grundsätzlich zu beeinträchtigen.

Trotzdem ist etwas geblieben, das uns Westlern mit unserem Kult fürs Jungsein und dem wirtschaftlichen (ausser als Konsumentensegment) und gesellschaftlichen Abschreiben ältere Menschen leider verloren gegangen ist, nämlich Höflichkeit und Respekt vor Eltern und älteren Mitmenschen.

Parallel zur oben beschriebenen Ausstellung werden in den Räumen der Kinderkunstschule photographische Arbeiten einer Gruppe junger arabischer Damen, die eine Ausbildung als Sozialwissenschaftlerinnen im Beit Berl College absolvierten. Die sieben klassenbesten Mädchen dieser Abschlussklasse drücken ihre Empfindungen als arabische Töchter in der Form grossformatiger Photographien aus. Im Katalog dieser kleinen Präsentation „Open Mind“, in Deutsch etwa mit „Aufgeschlossener Geist“ zu übersetzen). In diesem schmalen Büchlein sind Dinge zu lesen, die man aus traditioneller arabischer Feder nicht erwartet, schon gar nicht aus der Feder von Frauen.

Maysa Abu Ammar (21 Jahre)


Mit einer Offenheit sondergleichen wird die gesellschaftliche Stellung der arabisch-palästinensischen Frau beschrieben, die Erziehung zum Schweigen, zur Unterwürfigkeit gegenüber Männern (und sei es der eigene Bruder), denen all das gestattet ist, das der Frau verboten wird, ihre Reinheit als Repräsentantin der „Familienehre“, das Fehlen sexueller Information durch die Mütter and andere, mit der offenen israelischen Gesellschaft nicht zu vereinbarende Tabus arabischer Traditionen bis hin zur Beschneidung muslimischer Frauen, die unter palästinensischen Frauen durch die Bücher von Ayaan Hirsi Ali thematisiert worden ist. Maysa fragt wie eine islamische Gesellschaft Mädchen so behandeln könne. Instruktiv sind die Gedanken der Mädchen zur Heirat. Alle Sieben entwarfen Inserate, in denen ein Ehemann gesucht wird und das inserierende Mädchen sich selbst beschreibt und sein Vorstellungen bekannt gibt. Ein Teil der Inserate wurde im Namen der Eltern entworfen. So beschreibt sich Maysa im Inserat ihrer Eltern als gut erzogen, höflich, respektvoll, religiös und schön. Sie sucht einen ebenso religiösen jungen Mann, respektvoll, gut erzogen und gut etabliert. In ihrem eigenen Inserat steht hingegen: Sunni Muslim Mädchen sucht einen passenden Mann für sich selbst. Sie sei arabische muslimische Palästinenserin, gut gebildet, gut aussehend, ambitiös, religiös, unabhängig, modern und es würde ihr nichts ausmachen, in einem anderen Land zu leben. Maysa will einen respektvollen, verständnisvollen, religiösen, hart arbeitenden, offenen jungen Partner. Passende Anfragen an …..

Nadia Abu Muck (20 Jahre)

Nadia sucht einen hochgebildeten, gut aussehenden, grossen jungen Mann bis 26 Jahre alt, der gerne reist, konservativ und respektvoll zu anderen ist. Rawid beschreibt sich als Muslima, gebildet und schöne palästinensische Lady, in Israel lebend und 20 Jahre alt. Sie sucht einen Arzt bis 34 Jahre alt, der sie unterstützt und ihre Studien weiterführen lässt. Marwa sucht einen liebenden und sorgenden Mann für ein muslimisches Mädchen. Der Bräutigam soll aufgeschlossen sein und Marwa so akzeptieren, wie sie ist. Er soll sie zum Weiterführen ihres Studiums und zur Arbeit ausserhalb des Hauses ermuntern. Der gutaussehende Kandidat soll nicht älter als 25 Jahre alt und Muslim sein sowie einen respektvollen Job besitzen. Ein guter Familien „Background“ ist auch wichtig. Das waren einige Beispiele.

Respekt ist ein Hauptkriterium, die Angst ihr Studium nicht weiterführen zu dürfen ein weiteres. Der Eindruck, den diese sieben Mädchen vermitteln ist (Maysa vielleicht ausgenommen), durch das Fenster ihrer Ausbildung in einem jüdischen College, die Freiheiten einer offenen Gesellschaft gesehen und ein Stück weit erfahren zu haben. Nun wollen sie in den Genuss dieser Freiheit kommen ohne auf der anderen Seite auf die Sicherheit ihrer eigenen familiären Traditionen zu verzichten, vor allen aus Angst vor der weiten Welt, denke ich. Doch sie sind ein Beweis der von mir weiter oben vertretenen These der langsamen Auflösung der traditionellen palästinensischen Grossfamilie.


Diese Ausstellung ist eine Reise nach Umm El-Fahm wert.

Keine Kommentare: