24.4.2007
(Dieser Tagebucheintrag ist schon weit über ein Jahr alt, aber so aktuell wie dann. Deshalb finde ich, das er einen Platz im Blog verdient)
Ich bin zurzeit in Diskussionen verwickelt. Es geht um Israels Besetzung der Westbank – den Gazastreifen sind wir ja dank Arik Scharon losgeworden – und das Verhalten dort, besonders im Zusammenhang mit Strassensperren und der „Mauer“, wie der Sicherheitszaun, zu 94% aus Draht bestehend, genannt wird. Bevor ich mich in diesem Tagebucheintrag darüber auslasse, finde ich es richtig, meine Stellung zum Thema Besetzung seit 1967 ein für alle Mal zu präsentieren, obwohl das eigentlich für meine lesenden Freunde unnötig sein sollte. Sie wissen, was ich denke.1. Ich bin der Meinung, dass wir in der Westbank nichts zu suchen haben. Nach dem Sechstagekrieg wurde die Westbank wie auch Gaza, als Pfand für Frieden betrachtet, bis Rabbiner Levinger im Dezember 1975 in Sebastia bei Hebron, mit Tricks und Lügen die in diese Sache schwache israelische Regierung und die Armee hinters Licht führte und den Grundstein für das Siedlerwesen (oder Unwesen) legte. Heute sollen bereit 400'000 jüdische Siedler in der Westbank leben, die offizielle Zahl ist etwa 250'000.2. Ich bin der Meinung, dass der Sicherheitszaun eine Notwendigkeit ist, der statistisch bewiesen eine Menge israelischer Leben gerettet hat. Seit er besteht sind Terrorattentate ganz selten geworden. So lange bis nicht ein verlässlicher Frieden mit Israels Nachbarn besteht, wird dieser Zaun bestehen bleiben. Dass er nicht auf der Grünen Linie geführt wurde, ist ein Schönheitsfehler, der korrigiert werden muss und zum Teil schon korrigiert worden ist. Der Verlauf des Zaunes ist jedoch weit weniger wichtig, wie das Retten menschlichen Lebens vor palästinensischem Terror.3. Ich bin der Meinung, dass die meisten, wenn nicht sogar alle Strassensperren in der Westbank heute überflüssig sind. Es gibt genügend unbewachte Strassen und Wege für Fahrzeuge und Fussgänger, die Palästinensern ermöglichen, ihr Ziel unkontrolliert zu erreichen. Alle Betroffenen wissen das, sie werden und wurden von der Presse fotografiert. Deshalb sind diese Strassensperren heute nichts anderes als ein bewusstes Schikanieren palästinensischer Zivilisten. Je nach Charakter oder ideologischer Überzeugung der einzelnen Offiziere und Soldaten, kann das gemäss Vorschrift geschehen oder Einzelne lassen ihren lädierten Charakter walten. Wir wissen, dass seit sehr langer Zeit in der Westbank keine Terroristen in Strassensperren erwischt worden sind. Die Tatsache, dass es noch immer zu langen Schlangen vor diesen Kontrollposten kommt, hat mit der politischen Lethargie der palästinensischen Bevölkerung zu tun, die auch bei vielen israelischen Arabern im politischen Leben zu beobachten ist. Israels Armee kann froh sein, dass es in der palästinensischen und arabischen Welt keinen Gandhi gibt, der die Menschen überredet, Konflikte prinzipiell gewaltlos zu lösen. Man stelle sich vor, wie einige hundert palästinensische Zivilisten als Gruppe singend auf eine Strassensperre zugehen würden, mit dem Ziel diese ohne Gewalt und friedlich zu durchqueren. Würden israelische Soldaten auf Kinder, Frauen und andere Zivilisten schiessen? Ich bin überzeugt, dass sie es nicht tun könnten, nicht tun würden. Ich wäre froh, mich hier zu irren, aber Gandhis gibt es in der arabischen Gesellschaft nicht, einer Gesellschaft in der nur Lethargie oder extreme Gewaltbereitschaft die Norm sind.4. Israels gegenwärtige Regierung ist, obwohl es einige gute Leute darunter hat, als Gesamtes gesehen eine völlige Katastrophe. Olmert und Peretz hätten nach dem Misserfolg des zweiten Libanonkrieges sofort zurücktreten müssen, doch fehlt ihnen dazu das demokratische Verständnis und der Sinn für persönliche Verantwortung. Der iranischen Bedrohung der arabischen Welt (dazu gehören wir wenigsten gemäss klar verkündeten iranischen Absichten) haben wir zu verdanken, dass arabische Regierungen einzulenken scheinen und Israel Friedensverhandlungen anbieten. Ein ungeheurer Wandel seit den drei Neins von Khartum vor vierzig Jahren, mit seinen „keine Anerkennung, keine Verhandlungen, keinen Frieden“ mit Israel. Obwohl Olmert nach einem Kick in den Hintern aus den USA und Europa, äusserst zögerlich und mit Ausflüchten und Vorbedingungen reagiert. Ich denke, dass noch nie seit Staatsgründung, Israel so nahe war, mit der arabischen Welt ins Gespräch über Frieden, Normalisierung und schlussendlich gemeinsamer Stellung gegenüber der iranischen Bedrohung zu kommen. Es scheint, dass das für Israel abschreckende Thema der Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge kein Stolperstein zu sein braucht, denn vor kurzem ist eine saudische Stellungnahme, ganz im Sinne Israels, durch Memri der nichtarabischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden, in dem die bisherige Sicht der ausschliesslichen Schuld Israels an diesem Drama mehr als nur relativiert wird. Da es in der arabischen Welt keine eigentliche Pressefreiheit gibt, bin ich überzeugt, dass dieser Artikel mit behördlicher Bewilligung und Unterstützung publiziert worden ist. Auch deshalb ist zu hoffen, dass unser famoser Premierminister, die ausgestreckte arabische Hand ergreift und ohne Vorbedingungen zu Gesprächen bereit sein wird. Sesselkleben und Angst haben machen keinen Staatsmann. Durch eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Verhandlungsangebot der Araber, unter Führung Saudi Arabiens und ernsthaften Gesprächen könnte, entgegen bisherigen Erwartungen, aus Olmert vielleicht doch noch ein richtiger Premierminister werden.Meine Diskussion, am Anfang dieses Tagebucheintrages erwähnt, findet mit einem Freund statt, der sich auf einzelne nicht immer schöne Phänomene der israelischen Politik in den besetzten Gebieten konzentriert und darüber die Sicht fürs Ganze und die Sicht auf die Hintergründe israelischen Tuns verloren hat. Das sind die Strassensperren und der Sicherheitszaun, der Israel vor Terroristen schützt. Die Damen der „Machsom Watch“, die täglich an den Strassensperren das Geschehen beobachten, berichten und manchmal sogar helfend eingreifen, tun das nicht nur aus humanitären Gründen, sondern weil sie gegen die Besetzung der Westbank und gegen das Beherrschen eines anderen Volkes durch Israel sind. Dafür verdienen sie viel Respekt. Aber auch sie wissen warum diese Strassensperren erstellt worden sind und sie wissen inzwischen auch, dass diese Strassensperren, wie ich weiter oben schrieb, zum grössten Teil Ihrer Aufgabe entwachsen sind. Viele wissen es, nur die israelische Regierung hat das noch nicht begriffen. Ganz allgemein befremdet mich zu sehen, wie sich Aussenstehende auf irgendeinen Schwachpunkt Israels stürzen und versteifen, als ob er sämtliche und zum grössten Teil beträchtliche Leistungen des Staates Israel repräsentieren würde.
Sonntag, 31. August 2008
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