Mittwoch, 18. Februar 2009

Prioritäten

16.2.2009

Man mag über israelische Regierungen denken, was man will, doch die Tradition, dass Schutz der Bevölkerung vor Krieg und Terror erste Priorität hat, besteht seit der Staatsgründung in 1948. Das ist bestimmt richtig so, aber nicht, wenn es als Ausrede dafür dient, dass Regierungschefs kein Interesse für anderes übrig haben. Das ging und geht auf Kosten der Entwicklung von Sozialwerken und Bildung. Alle Ministerpräsidenten, auch Ben-Gurion, erklärten wiederholt, sie hätten kaum Zeit, sich etwas anderem zu widmen, als der Sicherheits- und Aussenpolitik. Trotzdem wurde in den ersten dreissig Jahren eines der erfolgreichsten Schulsysteme der Welt aufgebaut. Mit der wachsenden Machtübernahme durch politisch rechts stehende Parteien seit Menachem Begin begann der Niedergang, eingeleitet mit vermehrter Erziehung zu nationalistischer "Heimatliebe" auf Kosten wirklicher Bildungsfächer. Obwohl hervorragende Erziehungsminister wie Yossi Sarid und Shulamit Aloni der Meretzpartei oder die heutige Yuli Tamir der Arbeitspartei, versuchten diese Erosion zu stoppen, wurden ihre Anstrengungen durch spätere Regierungen aus koalitionspolitischen Gründen wieder rückgängig gemacht oder während ihrer Amtszeit unterlaufen, was besonders für die noch im Amt stehende Yuli Tamir zutrifft und sie frustriert. Stattdessen wurden ultraorthodoxe Schulen, in denen vor allem Abneigung zu produktiver Arbeit und keinerlei Vorbereitungen für ein produktives Leben gelehrt werden, gefördert und viele öffentliche Schulen budgetmässig benachteiligt – das Resultat ist heute zu sehen. Israels Schüler, einst zu vorderst im internationalen Vergleich, zieren die untere Hälfte. Ähnliches gilt für das grundsätzlich hervorragende israelische Sozialsystem, das besser ist, als viele europäische und sicher weit fortschrittlicher als das amerikanische. Es ist eine weitere einsame Oase in der nahöstlichen sozialen Wüste und eine der Quellen antiisraelischen Neides und, als Resultat davon, unsäglichen Hasses aus unserer Nachbarschaft. Mit wenigen Ausnahmen, vielleicht Itzhak Rabin, versuchten bisherige Regierungen nicht, Ausgewogenheit zwischen Israels Sicherheitsbedürfnis und Lebensqualität (Bildungswesen, freie Gesellschaft, zukunftsträchtige Wirtschaft) zu finden. Deshalb, da wiederhole ich mich wieder einmal, könnte der Tag kommen, an dem wir israelischen Bürger eines Morgens aufwachen und einen jüdischen Staat vorfinden, den zu schützen sich nicht mehr lohnt. Meine Theorie ist vielleicht etwas weit hergeholt, doch müssten zukunftsträchtige politische Entscheide auch diese Möglichkeit berücksichtigen.

Die hübsche Oberstin Miri Eisen, früher einmal Regierungssprecherin, hält in ihren Händen eine Landkarte Israels, in der die Grenzen Gazas und der Westbank (die grüne Linie) auf der jeweils israelischen Seite jeweils mit einem vielfarbigen Streifen versehen sind. Diese zeigen die Reichweite der bisher den Palästinensern zugänglichen Raketen an. Raketen der Hisbullah sind nicht gezeigt. Hamas- und andere palästinensische Terroristen haben in den vergangenen Jahren demonstriert, wie weit ihre Grads und Kassams reichen. Die Karte zeigt auch, wie weit dieselben Raketen, wenn von der Westbank aus abgefeuert, in Israel fliegen würden. Unser Zichron Ya'akov wäre in Zieldistanz, Haifa nicht, jedoch von Libanon aus erfahrungsgemäss schon. Was ist noch für eine kleine Kassam aus der Westbank erreichbar: der interkontinentale Flughafen Ben-Gurion, die Stadt Modiin, Tel Aviv, Kfar Saba, Raanana, eigentlich fast alle Ballungszentren um Tel Aviv. Obwohl von antiisraelischen Hysterikern und Kritikastern bestritten, muss ein allfälliger Abzug aus der Westbank in den heutige n Tagen äusserst kritisch erwägt werden, sonst hätte Israel keine Lufttransportverbindung zum Ausland mehr, das am dichtesten bevölkerte Zentrum des Landes um Tel Aviv käme unter Dauerbeschuss – kurz, sogar ich würde nervös. Mir ist klar, dass die Herrschaft Israels über die Palästinenser ausserhalb den Grenzen Israels keine Zukunft hat. Es war kein Fehler in 1967 die Westbank zu besetzen – es gab Krieg und wir wurden von dort aus beschossen – aber es war ein riesiger Fehler, dort aus nicht sicherheitstechnischen, sondern aus falsch verstandenen religiös-mythischen Gründen zu siedeln. Zwar machen sich israelische Araber ihr eigenes Leben zum grossen Teil selbst ungemütlich und das theoretische Vorhaben eines Avigdor Liebermans, einen Teil von ihnen samt ihrem Land nach Palästina abzuschieben ist, wenn man es genauer betrachtet, das Spiegelbild des palästinensischen Traums des eigenen Staates, der, sollte es einmal dazu kommen, judenrein sein müsse. Lieberman hat sich, das ist klar ersichtlich, nur an die Gepflogenheiten und die Mentalitäten der Mehrheit im Nahen Osten angepasst. Demokratieverständnis ist bei ihm als ehemaligen Russen, fast wo wenig vorhanden, wie im arabischen Nahen Osten. Damit will ich aber unter keinen Umständen, Liebermans Abschiebungstheorien begrüssen – sie sind abscheulich. Allerdings in Einem hat er meine Zustimmung: seine Freude an der hiesigen Ultraorthodoxie ist so beschränkt, wie die meine.

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