Freitag, 29. Mai 2009

Alternativen

29.5.2009

Seit Jahren ist eine meiner Standardfragen bei fast jeder Art politischer Diskussion: „Was ist die Alternative?“. Das ganz besonders im Zusammenhang auf politische Gespräche, wenn es um einen möglichen Friedensschluss mit der arabischen Welt, speziell zum Thema der möglichen Zweistaatenlösung mit den Palästinensern geht. Wollen wir gerade dieses Thema kurz betrachten:

Erst die Definition, so wie ich sie verstehe: Zweistaatenlösung heisst, dass neben Israel, ungefähr entlang der „Grünen Linie“ oder gemäss ausgehandelter Grenzführung ein Staat der Palästinenser entstehen soll. Ein palästinensischer Staat neben dem jüdischen Staat. Ein Staat der Araber neben dem Staat der Juden. So wie es in 1947 die UNO-Resolution 181 verlangte, auf die die arabische Welt mit Krieg auf Israel reagierte. Aus heutiger Sicht, wie sähe das aus?

Palästina wäre arabisch, mit einer wachsenden muslimischen Mehrheit. Das, weil die Geburtenrate der Muslime weit höher ist, als die der christlichen Minderheit und noch wichtiger, weil Christen in der Westbank und noch mehr in Gaza, verfolgt werden und deshalb in steigendem Mass auswandern. Das neue Palästina wäre judenrein, denn der einheimische Hass auf Juden, würde eine jüdische Präsenz nicht zulassen, etwas, das vor allem von Hamas offen ausgesprochen wird, nach dem ihnen ein judenreines Gaza kostenlos in die Hände gefallen ist. Wenn man Gaza als Beispiel voller palästinensischer Selbstverwaltung ansieht, sieht man eine fundamentalistische, gewaltintensive faschistische Gesellschaft, die sich selbst zerstört. Wäre das das Los der Westbank?

Israel, neben den USA, so denke ich, der multikulturellste Staat der Welt, in dem neben den monotheistischen und anderen Religionen auch eine riesige kulturelle und vorwiegend jüdische Vielfalt herrscht, bliebe die einzige wirkliche und mehrheitlich säkulare Demokratie im Nahen und Mittleren Osten – auch wenn das einige unserer eigenen Fundamentalisten und Rabbis ungern sehen. Es würde auch die einzige wirkliche Wirtschaftsmacht der Region bleiben – kommt mir nicht mit den Erdölländer, deren Reichtum beruht weder auf Erfindungsgeist, Schaffenskraft oder Fleiss, die wirkliche Arbeit wird dort von Ausländern aus dem Fernen Osten oder dem Westen geleistet, die Könige, Scheichs und Emire kassieren, so lang das Opel reichen wird.

Im Falle der Zweistaatenlösung, hätte es Israel völlig selbst in der Hand, den Charakter seiner Bevölkerung auf demokratische Art zu steuern. So wie die Schweiz, die USA und europäische Staaten es auf demokratische Art tun. Die ultra-orthodoxe Hegemonie in zivilrechtlichen Dingen darf nicht ewig wären und wird es auch nicht. Denn zu Ende gedacht, wäre die Herrschaft der wild wachsenden Ultra-Orthodoxie, die dem Staat mehrheitlich nichts gibt, dafür aber umsomehr nimmt (die arabische Bevölkerung ist wenigsten eine arbeitende Bevölkerung und trägt, wie viel das auch immer ist, dem israelischen Bruttonationalprodukt bei) ebenso ein Ende des jüdischen Staates, dem es wirtschaftlich und wissenschaftlich an Nachwuchs fehlen würde. Das gleiche gilt, genau so existenziell, für seine Sicherheitsbedürfnisse, denn der ultraorthodoxe Sektor des Landes verweigert der Nation jährlich rund 40'000 wehrfähige junge Männer, eine Zahl, die mit jedem Jahr wächst.

Für die drei oder mehr Millionen palästinensischen Flüchtlinge im Libanon, Syrien, Jordanien und sonst wo in der arabischen Welt, wäre die vorgesehene Rückkehr in den neuen Staat Palästina ein Problem, denn es ist vorauszusehen, dass für sie alle, die in der arabischen Welt ausgegrenzt werden (Ausnahme Jordanien), in der kleinen Westbank nicht genügend Platz ist. Die arabische Welt käme also nicht umhin Palästinenser zu integrieren und so selbst einen Teil zur Lösung des Flüchtlingsproblems beizutragen. Wie das jüdische Volk in Israel eine Heimat und in der Welt eine Diaspora hat, hätte das palästinensische Volk ein Heimat in Palästina und eine Diaspora in der arabischen Welt, in der sie bis heute als Flüchtlinge gehalten werden, denen die Integration verweigert wird.

Leider bringt es die gegenwärtige israelische Regierung nicht fertig das Wort „Zweistaatenlösung“ über die Lippen zu bringen. Sie ist zu stark in den Klauen rechtsextremer Parteien und Regierungschef Nethanjahu besitzt den Mut nicht, sich diesen Erpressern zu stellen, denn sein Posten scheint ihm wichtiger zu sein, als der Staat, sein Volk und dessen Zukunft.

Was ist oder sind die Alternativen:

Die Einstaatenlösung, ist ein einziges Israel auf beiden Seiten der Grünen Grenze, vom Mittelmeer bis zu Jordan. Damit hätten sich die Grossisraelanhänger ein faules Ei gelegt. Um eine Demokratie zu bleiben, müssten sämtliche Palästinenser der Westbank (und Gaza) israelische Bürger werden. Ich könnte mir zwar denken, dass sie nichts dagegen hätten, denn sie träumen von den Vorteilen und Wohltaten, die Israels arabische Bürger geniessen (übrigens dieser Neid ist eine der Motivationen für ihren Hass auf ihre israelischen Brüder, wie mir von arabischen Freunden wiederholt gesagt wird). Aber in wenigen Jahren wäre die israelische Mehrheit arabisch, der jüdische Staat würde der Vergangenheit angehören. Es sei – und das wäre das Schlimmste, eine wirkliche Katastrophe – Israel würde tatsächlich zum Apartheid-Staat.

Der Transfer der Araber in arabische Länder, eine wiederholt aus rechtsextremistischen jüdischen Kreisen geforderte Idee, ist nicht nur der grösste Albtraum unserer arabischen Bürger und ihren Brüdern in der Westbank. Es ist auch der grösste Albtraum jedes anständigen und nach demokratischen Grundsätzen lebenden Israelis, auch wenn unsere arabischen Politiker in der Knesset diese Haltung mit ihren gelegentlichen Äusserungen und demonstrativen Aktionen erschweren. Ich verstehe nicht, wie die Idee der Deportationen, in der jüdischen Geschichte ein immer wiederkehrendes Phänomen, von einem jüdischen Menschen erwägt werden kann.

Der Anschluss der Westbank zu Jordanien, seinem früheren Besetzer, und von Gaza zu Ägypten, wäre für Israel bestimmt die beste Lösung. Nur, der jordanische König weiss genau, warum er nicht noch mehr Palästinenser in seinem Land will, der Schwarze September, der Aufstand und Mordversuch an König Hussein von 1970, mit seinen Tausenden von Toten steckt immer noch in den Knochen der vorwiegend beduinischen Elite Jordaniens. Der Anschluss zu Jordanien wäre das Ende des jordanischen Königreiches. Wie ich las, wurde kürzlich in einer Knessetsitzung der Vorschlag diskutiert, Jordanien müsse den Palästinensern der Westbank die jordanische Staatsangehörigkeit verleihen. Die jordanische Regierung zitierte daraufhin den israelischen Botschafter zu sich und verwahrte sich vor der Tatsache, dass ein fremdes (das israelische) Parlament über Zivilrechtliches in einem fremden Land bestimmen wolle. Auch Ägypten würde bestimmt keine weiteren Anhänger der Muslimischen Bruderschaft (Hamas) aus Gaza wollen, seine einheimischen Jihadisten reichen Mubarak völlig aus. Die Übernahme palästinensischer Gebiete durch Jordanien und Ägypten ist also keine realistische Lösung.

Was bleibt? Nur die Zweistaatenlösung mit ihren Problemen. Zurzeit, nach den niederschmetternden Folgen von Israels gutgemeintem Abzug aus Gaza, ist sogar die Lust liberaler Israelis vergangen, Palästinensern vertrauensvoll die Selbstverantwortung zu geben und ihnen die Westbank zu überlassen. Das hat gar nichts mit reaktionären Ideologien und Siedlern zu tun, die direkt an den zweiten Tempel anknüpfen wollen, so wie Jihadisten eine Rückkehr zum Kalifat erstreben. Es ist reinstes Sicherheitsdenken, wenn man die dem Abzug aus Gaza erfolgte Situation auf die Westbank übertragen würde. Raketen auf den nationalen Flughafen, auf Grossstädte und Industrien, würden das Land stilllegen. Es gibt viele Israelis, die versuchen mit Palästinensern in Kontakt zu kommen und Beziehungen aufzubauen. Das ist schwierig für beide Seiten, aber ohne gegenseitiges Vertrauen werden die schönsten Friedensabschlüsse nichts nützen – sie würden von Extremisten beider Seiten sabotiert. Also, Vertrauen aufbauen, ohne sich in gegenseitigen Hass und nutzlose Vorwürfe hineinzusteigern, ist die Vorstufe zum Erreichen der Lösung, ein enorm schwieriges Vorhaben, von dem man sich nicht durch nutzlosen ideologischen und religiösen Hass abbringen lassen darf.

1 Kommentar:

Roland M. Seide hat gesagt…

Hallo nach Israel

Vielen Dank Uri für diesen wirklich differenzierten Blick auf die komplexe Situation im nahen Osten.
Meiner Meinung nach gibt es keine andere echte Chance auf Frieden als das gegenseitige 'Risiko des Vertrauens'.

Viele Grüsse aus der Schweiz
Roland M. Seide