Donnerstag, 28. Oktober 2010

Jahrmarkt der Hetzer

Gestern Abend waren Lea und ich in "unserer" Kunstgalerie in Umm El-Fahm an einem kleinen Anlass für den hiesigen Schweizer Botschafter Walter Haffner und einige seiner Mitarbeiter. Der Abend war interessant, Gilles Fontolliet ein junger Schweizer Kunstlehrer, den ich in die Galerie als Volontär gebracht hatte, erzählte und erklärte seine Arbeit, gefolgt von Erklärungen Said Abu-Shakras. Anschliessend gingen wir ins bekannte arabische Restaurant El Babur, an der Hauptstrasse gelegen und von vielen Israelis und Touristen geschätzt. Dort assen wir wundervolle Lammkoteletts, eigentliche fast fettlose Lammrippchen (rack of lamb), an die ich mich noch 24 Stunden später mit Wonne erinnere.

Am folgenden Tag sei, so Said, eine weitere antiarabische Demonstration in Umm El-Fahm angekündigt, an der unsere hauseigenen jüdischen Faschisten Michael Ben Ami, Itamar Ben Gvir, Baruch Marzel und ihre Anhänger Hetzreden gegen Israels Araber und, als vorgeschobenes ihren Araberhass begründendes Argument, gegen die Islamische Bewegung Nordisraels des Scheich Raed Salah halten wollen. Letzteres hat eine gewisse Berechtigung, hetzt doch der Scheich ununterbrochen gegen Israel und seine jüdischen Bürger. Nur, so denke ich, wenn solche Vorwürfe von Juden wie Marzel und seinen rechtsgewickelten Kumpanen kommen, geht diese Berechtigung völlig verloren, sind diese doch die jüdische Version des Rassenhasses, wie jener der Bewegung des Scheichs die palästinensisch/muslimische Version desselben ist. Seine nordisraelische muslimische Bruderschaft ist eine Filiale der palästinensischen Hamas, den Sunniten, die vom schiitischen Iran gesteuert wird und deren oberstes Ziel die Zerstörung Israels ist.

Bei den verbalen Unflätigkeiten von Seiten Marzels, Ben Amis und Ben Gvirs blieb es nicht. Wie mir Said Abu-Shakra am Abend vorher schon erklärt hatte, verabredeten sich die Stadtbewohner darauf auf die jüdische Provokation nicht zu reagieren, ihrer Arbeit nachzugehen und die tägliche Routine einzuhalten. Eine hervorragende und mutige Entscheidung, die leider von zwei arabischen Mitgliedern der Knesset zunichte gemacht wurde. Wie mir von arabischer und drusischer Seite zugetragen wurde, nutzten die MKs Haneen Zuabi und Apo Aghbaria die Stunde, stiegen auf die "Barrikaden" und hetzten auf die israelischen Ordnungskräfte, was wiederum den örtlichen "Shabab", verstärkt durch reguläre arabische Steinewerftouristen, ermutigte gegen die Polizei vorzugehen. Als Resultat gab es Verletzte, darunter Polizisten und die zwei arabischen MKs.

Die Bande des Baruch Marzel hat ihr Ziel erreicht – ihre Provokation wurde von Politikern der Gegenseite gerne genutzt, um weiter Zwietracht zwischen Juden und Arabern Israels zu säen. Marzels Demonstration, die vor allem unseren arabischen Bürgern zeigen sollte, wer Herr im Hause ist, hat ihren Zweck erfüllt, die mutige und vernünftige Rechnung der Bürger Umm El-Fahms ist nicht aufgegangen. Die Hetzer beider Seiten haben den Tag gewonnen und gegenseitige Animosität, Vorurteile und Abneigung zwischen israelischen Arabern und Juden um eine weitere Stufe verstärkt. Man könnte meinen die Hasser beider Seiten hätten sich dazu verabredet.

Zwei Dinge fallen bei diesen Geschehnissen auf:

Erstens, wieder zeigt sich dass sich arabische Knessetmitglieder wenig oder gar nicht um die Interessen ihrer eigenen Wählerschaft kümmern. Sie hätten es in der Hand, Israels arabischer Minderheit das Leben in einer demokratischen Gesellschaft zu erleichtern und den Umgang damit zu vermitteln. Benachteiligungen, mit denen unsere arabischen Bürger leben interessieren sie nur soweit, wie diese der antiisraelischen Agitprop dienen. Lieber suchen sie Sündenböcke, statt ihrer Wählerschaft Selbstverantwortung beizubringen und ihnen als deren Parlamentvertreter zu helfen.

Zweitens, die dieses heutige Festival des Rassenhasses auslösenden jüdischen Knessetmitglieder, haben genau so wenig Respekt für Demokratie, wie die Objekte ihres Hasses. Genau so wie Jihadisten eine Rückkehr des Kalifats herbeihassen und herbeibomben wollen, wollen jüdische Nationalisten der vorliegenden extremen Sorte, eine Rückkehr zur Lebensart der Zeiten König Davids oder ähnlichem. Sie beide lehnen die Moderne mit ihrer Demokratie und persönlichen Freiheiten ab um überholten Sehnsüchten nachzulaufen, Sehnsüchte, deren Werte unseren Werten diametral entgegenstehen.

Montag, 18. Oktober 2010

Ueli Maurer in Israel

In keiner Schweizer Abstimmung und bei keinen Parlamentswahlen wäre mir je in den Sinn gekommen SVP zu stimmen. Gott behüte. Ich werde es auch in der Zukunft kaum tun, auch wenn es vor vier Tagen ein Schweizer Bundesrat fertig brachte diese an dieser meiner politischen Einstellung ein wenig zu rütteln.

Da ich netterweise zum Empfang für Bundesrat Ueli Maurer bei Walter Haffner, dem Schweizer Botschafter in Israel, eingeladen wurde, machte ich das Beste daraus und sprach mit interessanten Leuten, die etwas zu sagen hatten. Allen voran Ueli Maurer selbst. Zwar möchte ich diesen Empfang nicht hemdärmlig bezeichnen, auch wenn allen voran Ueli Maurer und Botschafter Haffner (siehe Bild links) den Tenueton bestimmten. So fühlt man sich in Israel schnell zu Hause.

Ueli Maurer hat mich und meine Vorurteile überrascht. Er ist sehr zugänglich und hört, was mir am meisten gefiel, gerne und gut zu. Da in meiner Hierarchieliste zwischenmenschlicher Beziehungen das aufmerksames Zuhören mit Abstand auf Rang Eins liegt (die Ablehnung der israelischen Unsitte andere zu wiederholt und respektlos zu
unterbrechen, ist wesentlicher Teil davon) war das wichtig. Dreimal machte ich mich an ihn heran um etwas loszuwerden – jedes Mal wurde es zu einem kurzen Gespräch, das einen angenehmen Eindruck hinterliess. In seiner Ansprache an’s Publikum sprach er von den Similaritäten zwischen Israel und der Schweiz, die er (sinngemäss, da ich an den genauen Wortlaut nicht erinnere) folgendermassen beschrieb: „Israel hat viel Sand, wir [die Schweiz] haben sehr viele Steine und beide Länder müssen daher durch Intelligenz und Fleiss ihren Weg machen und beide tun das mit Erfolg. Zudem gab er die in allen Medien zitierte Erklärung ab, seine Reise sei vom Gesamtbundesrat beschlossen worden, obwohl Politiker grün-rot-brauner [diese Farbangabe stammt eindeutig von mir] Ueberzeugung diese verhindern wollten. (Bild mit Monika Schmutz-Kirgös, Stellvertreterin von Botschafter Haffner)

Das angebotene Buffet war wunderbar und ich stellte den grossen Appetit einiger Schweizer Delegierter für Falafel Bölleli fest. Am Gartentisch, zusammen mit zwei Schweizern stellte ich ebenso fest, dass ein umfassendes Nichtwissen über Israel, jüdische Geschichte und Eigenheiten arabischer und jüdischer Kultur besteht. Sympathisch daran ist die Tatsache, dass ein grosses Interesse besteht, dieses Manko zu überkommen.

Ich möchte Botschafter Haffner für den Abend danken. Nur schon die Erkenntnis, dass nichtjüdische Schweizer, angefangen bei Ueli Mauer, aber auch meine zwei Tischpartner (eine Koordinatorin aus Ueli Maurers Department und ein Schweizer Mitglied der TIPH in Hebron) sich informieren wollen und offen sind Neues zu erfahren ohne auf politische Korrektheit zu machen.

Montag, 11. Oktober 2010

Israels gefährliche Anpassung an die nachbarliche Kultur

Kürzlich las ich (wieder einmal) einige Zeilen Barry Rubins, in denen er kurz die Psyche und die daraus möglichen Aktionen zivilisatorisch und wirtschaftlich zurückgebliebener Kulturen beschreibt. Dann fährt er weiter:

Alle Gruppierungen, denen klar geworden ist, dass sie beim Fortschritt anderer ins Hintertreffen geraten sind, entwickeln einen Minderwertigkeitskomplex. Sie haben zwei hauptsächliche Alternativen:

Lerne von anderen, ändere eigenes Denken und Gesellschaft und strebe
nach Fortschritt als besten Weg eine nationale Renaissance zu erreichen

oder

Entscheide, dass das wirkliche Problem auf externe Unterdrückung
zurückzuführen ist und statt Reformen Schlachten geschlagen,
Menschen getötet, das eigene Territorium erweitert werden müssen, um einen
allumfassender Sieg zu erreichen.

Im Mittleren Osten scheint die zweite Variante vorherrschend zu sein. Die in dieser Region vorherrschende Sitte für jedes Versagen einen Sündenbock zu suchen, der Weigerung für sich Verantwortung zu übernehmen, ist in der arabisch/islamischen Welt das Leitmotiv für soziale und wirtschaftliche Flops. Ihre Eliten widersprechen dieser Sicht kaum, sie fördert sie vielmehr, denn so kann man sich eigenes Schaffen ersparen, mit Nichtstun die eigene Macht erhalten und für die Folgen andere verantwortlich machen. Anderes Verhalten ist in dieser Gesellschaft lebensgefährlich und so kommt es, dass der Ruf zur Selbstverantwortung vor allem aus dem Ausland kommt, von progressiv denkenden Arabern, die unreflektierte Traditionen ablehnen und den Anschluss an die Moderne suchen. Sie wissen, dass die Moderne nicht nur Waffen und andere Werkzeuge zur Gewaltausübung beinhaltet, sondern säkulare Bildung, Aufgeschlossenheit und demokratisches Grundverhalten – etwas, das vom heute so populären Islamismus völlig abgelehnt wird.

Leider hat auch das moderne Israel einige dieser Verhaltensweisen übernommen. Paranoia – vielleicht ein Stück weit berechtigt – herrscht in politisch sehr rechtsstehenden Kreisen vor. Damit gekoppelt sind Charakterschwächen zahlreicher Politiker, die als letzten und entsetzlich dummen Streich durch die Regierung ein Gesetz durchsetzen wollen, in dem jeder nichtjüdische Möchtegernneubürger Israels einen Eid ablegen muss, mit dem er Israel als jüdischen Staat anerkennt – eine Motion, die ich als innerisraelische Schande empfinde. Bekanntlich besitzt Israel noch immer keine Verfassung und wird voraussichtlich für sehr lange auch keine bekommen. Moderne Verfassungen beinhalten Dinge wie demokratische Regierungsform, Gleichberechtigung aller Bürger und beider Geschlechter, freie Meinungsäusserung und vor allem (wenigstens für mich) Freiheit von Religion. Da die Chance wächst, dass Israel innert zwei bis drei Generationen zu einer Theokratie verkommen könnte, würden sich nichtjüdische Bürger, die diesen Eid abgelegt haben, in einer Situation finden, in der sie, wie Bahais im Iran und Palästinenser im Libanon, Bürger zweiter Klasse wären – denn eben eine sie schützende Verfassung, die Bürgerrechte schützt, gibt es nicht. Ich will hier die vielen und berechtigten Einwände gegen ein solches Gesetz nicht wiederholen – sie sind in den Medien zu finden.

Was mich entsetzt ist die Tatsache, dass die Minister der Arbeitspartei zwar gegen diesen Gesetzesantrag stimmten, aber nach der Abstimmung nicht demonstrativ Nethanyahus Regierung verliessen. Ich weiss nicht, ob dann diese Regierung hirnweicher Superpatrioten zusammenkrachen würde oder ob Nethanyahu vielleicht doch seine Rechtsextremisten (Avigdor Lieberman dem Stalinisten und Eli Ishai dem Rassisten und ihren Adlaten) zum Teufel jagen und endlich eine vernünftige Koalition mit der Arbeitspartei – mit oder ohne Barak – und Zippi Livnis Kadima eingehen könnte. Dieses Gesetz bestimmt implizit, dass arabische Bürger (gegen die das ganze Theater grundsätzlich gerichtet ist) nichts als „grosszügig“ geduldete Mitbürger sind, denen jederzeit vorgeworfen werden könnte, sie seien dem jüdischen Staat gegenüber illoyal. Gäbe es in Israel eine moderne Verfassung, die verlässlich für alle gleichwertig Bürgerrechte garantiert – dann könnte man einen Loyalitätseid auf diese Verfassung verlangen – und zwar von allen: Juden, Arabern, Christen und was da sonst noch an Staatsbürgern kreucht und fleucht. Aber von Nichtjuden das Judentum als alleiniges Kriterium für Bürgertreue zu verlangen, scheint mir ein demokratisches Fehlverhalten erster Güte.

Will Israel ein jüdischer Staat sein – der Ausdruck „Staat der Juden“ gefällt mir besser – so soll er das durch positives und staatsmännisches Verhalten erarbeiten, so wie es erleuchtete Staaten des Westens tun. Theodor Herzls Hoffnung, Israel müsse „ein Licht für die Völker“ sein, können wir, falls dieses Gesetz tatsächlich in Kraft treten sollte, begraben.