Montag, 11. Oktober 2010

Israels gefährliche Anpassung an die nachbarliche Kultur

Kürzlich las ich (wieder einmal) einige Zeilen Barry Rubins, in denen er kurz die Psyche und die daraus möglichen Aktionen zivilisatorisch und wirtschaftlich zurückgebliebener Kulturen beschreibt. Dann fährt er weiter:

Alle Gruppierungen, denen klar geworden ist, dass sie beim Fortschritt anderer ins Hintertreffen geraten sind, entwickeln einen Minderwertigkeitskomplex. Sie haben zwei hauptsächliche Alternativen:

Lerne von anderen, ändere eigenes Denken und Gesellschaft und strebe
nach Fortschritt als besten Weg eine nationale Renaissance zu erreichen

oder

Entscheide, dass das wirkliche Problem auf externe Unterdrückung
zurückzuführen ist und statt Reformen Schlachten geschlagen,
Menschen getötet, das eigene Territorium erweitert werden müssen, um einen
allumfassender Sieg zu erreichen.

Im Mittleren Osten scheint die zweite Variante vorherrschend zu sein. Die in dieser Region vorherrschende Sitte für jedes Versagen einen Sündenbock zu suchen, der Weigerung für sich Verantwortung zu übernehmen, ist in der arabisch/islamischen Welt das Leitmotiv für soziale und wirtschaftliche Flops. Ihre Eliten widersprechen dieser Sicht kaum, sie fördert sie vielmehr, denn so kann man sich eigenes Schaffen ersparen, mit Nichtstun die eigene Macht erhalten und für die Folgen andere verantwortlich machen. Anderes Verhalten ist in dieser Gesellschaft lebensgefährlich und so kommt es, dass der Ruf zur Selbstverantwortung vor allem aus dem Ausland kommt, von progressiv denkenden Arabern, die unreflektierte Traditionen ablehnen und den Anschluss an die Moderne suchen. Sie wissen, dass die Moderne nicht nur Waffen und andere Werkzeuge zur Gewaltausübung beinhaltet, sondern säkulare Bildung, Aufgeschlossenheit und demokratisches Grundverhalten – etwas, das vom heute so populären Islamismus völlig abgelehnt wird.

Leider hat auch das moderne Israel einige dieser Verhaltensweisen übernommen. Paranoia – vielleicht ein Stück weit berechtigt – herrscht in politisch sehr rechtsstehenden Kreisen vor. Damit gekoppelt sind Charakterschwächen zahlreicher Politiker, die als letzten und entsetzlich dummen Streich durch die Regierung ein Gesetz durchsetzen wollen, in dem jeder nichtjüdische Möchtegernneubürger Israels einen Eid ablegen muss, mit dem er Israel als jüdischen Staat anerkennt – eine Motion, die ich als innerisraelische Schande empfinde. Bekanntlich besitzt Israel noch immer keine Verfassung und wird voraussichtlich für sehr lange auch keine bekommen. Moderne Verfassungen beinhalten Dinge wie demokratische Regierungsform, Gleichberechtigung aller Bürger und beider Geschlechter, freie Meinungsäusserung und vor allem (wenigstens für mich) Freiheit von Religion. Da die Chance wächst, dass Israel innert zwei bis drei Generationen zu einer Theokratie verkommen könnte, würden sich nichtjüdische Bürger, die diesen Eid abgelegt haben, in einer Situation finden, in der sie, wie Bahais im Iran und Palästinenser im Libanon, Bürger zweiter Klasse wären – denn eben eine sie schützende Verfassung, die Bürgerrechte schützt, gibt es nicht. Ich will hier die vielen und berechtigten Einwände gegen ein solches Gesetz nicht wiederholen – sie sind in den Medien zu finden.

Was mich entsetzt ist die Tatsache, dass die Minister der Arbeitspartei zwar gegen diesen Gesetzesantrag stimmten, aber nach der Abstimmung nicht demonstrativ Nethanyahus Regierung verliessen. Ich weiss nicht, ob dann diese Regierung hirnweicher Superpatrioten zusammenkrachen würde oder ob Nethanyahu vielleicht doch seine Rechtsextremisten (Avigdor Lieberman dem Stalinisten und Eli Ishai dem Rassisten und ihren Adlaten) zum Teufel jagen und endlich eine vernünftige Koalition mit der Arbeitspartei – mit oder ohne Barak – und Zippi Livnis Kadima eingehen könnte. Dieses Gesetz bestimmt implizit, dass arabische Bürger (gegen die das ganze Theater grundsätzlich gerichtet ist) nichts als „grosszügig“ geduldete Mitbürger sind, denen jederzeit vorgeworfen werden könnte, sie seien dem jüdischen Staat gegenüber illoyal. Gäbe es in Israel eine moderne Verfassung, die verlässlich für alle gleichwertig Bürgerrechte garantiert – dann könnte man einen Loyalitätseid auf diese Verfassung verlangen – und zwar von allen: Juden, Arabern, Christen und was da sonst noch an Staatsbürgern kreucht und fleucht. Aber von Nichtjuden das Judentum als alleiniges Kriterium für Bürgertreue zu verlangen, scheint mir ein demokratisches Fehlverhalten erster Güte.

Will Israel ein jüdischer Staat sein – der Ausdruck „Staat der Juden“ gefällt mir besser – so soll er das durch positives und staatsmännisches Verhalten erarbeiten, so wie es erleuchtete Staaten des Westens tun. Theodor Herzls Hoffnung, Israel müsse „ein Licht für die Völker“ sein, können wir, falls dieses Gesetz tatsächlich in Kraft treten sollte, begraben.

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