Ich traf mich gestern mit Esther zum Kaffee im Café Mokka. Sie erzählte mir über einen Besucher aus der Schweiz, der – wie bei uns und Freunden in Israel üblich – einige Tage beherbergt wurde. Dieser Besuch war, wie sie überrascht feststellten, gar kein Israelfan sondern ein „Israelkritiker“, der endlich einmal das von ihm kritisierte Israel besuchen wollte. Wohl um seine Kritiken bestätigt zu sehen. Aus ihm wurde aus dem Saulus ein Paulus. Als Beispielt brachte er die Luftangriffe Israels auf Gaza ins Gespräch und musste herausfinden, dass diese durch Raketen, Mörser und Antitankwaffen, von Hamas liebevoll auf israelische Kindergärten, Schulen, Privathäuser und ähnlichem geschossen, ausgelöst wurden. Das hatte er nicht gewusst, so wie vieles andere auch, wie zum Beispiel die Tatsache, dass Israel ein ganz normales Land ist, das sich dummerweise in einer ganz und gar nicht normalen Region befindet. In einer Region der Diktaturen, der Korruption, der endlosen und blutigen Gewalt und vor allem in einer Region, in der von ganzem Herzen gehasst wird. Man hasst seine Nachbarn, die Sunniten hassen die Schiiten, die Muslime hassen Christen und Juden, die Islamisten hassen die gesamte nichtislamische Welt und die meisten Bewohner dieser Region hassen vereint und mit Inbrunst Israel, den Staat der Juden. Oder, dass die ach so verpönte Besetzung der Westbank und des heute freie Gazas das Resultat des arabischen Angriffs auf Israel in 1967 ist (was durchaus nicht heisst, dass Israel dort bleiben soll!). Esthers Gast ist (oder war) ein typisches Produkt medialer Gehirnwäsche, so wie sie besonders in der europäischen Presselandschaft gängig ist. Aber diese zwei Wochen hat er genutzt und hat mit Hilfe von Esther und ihrem Mann Alex viel gelernt. Er merkte, dass alles sehr viel anders ist, als sein von den Medien verformtes Hirn es gespeichert hatte. Plötzlich verstand er, dass es zu Geschehnissen einen Auslöser und einen Kontext gibt. Zurück daheim habe Esther's Gast seine neuen Erkenntnisse schon angewendet, wie zum Beispiel die israelische Reaktion auf die Beschiessung des Schulbusses, bei der "nur" ein Kind getötet worden war, weil alle anderen zwei Minuten vorher ausgestiegen waren.
Ich frage mich öfters: was ist es denn, das einen europäischen Journalisten zum Experten über den Nahen und Mittleren Osten macht? Hat er Arabistik oder gar Judaistik studiert, vielleicht Politwissenschaft, Islam oder Geschichte. Weit wichtiger als das: kennt er die Länder, über die er sich als Fachmann ausgibt nicht nur persönlich, sondern spricht er deren Sprache, hat er dort viele Jahre gelebt und einen tiefen Einblick in ihre Lebensgewohnheiten, ihre Art zu denken, ihre Sicht zu Geschehen im Rest der Welt gewonnen. Betreibt dieser Wissensvermittler, der – leider – mehrheitlich Vorurteile oder realisierte Wünsche seiner Redaktion weitergibt und damit die Einstellung zu Arabern und Juden prägt Fernrohrjournalismus aus Nikosia, Beirut oder gar ausschliesslich vom Schreibtisch seiner Redaktion aus, gestützt bestenfalls durch Stippvisiten an die Orte des Geschehens. Oder schreibt er einfach von Kollegen ab, wie ich auch schon gehört habe?
Ich habe Journalisten in Israel kennen gelernt, die das Land, die besetzten Gebiete, Gaza und vor allem die Mentalität und Geschichte der Juden und der Palästinenser tatsächlich kennen und verstehen, besser oft als alteingesessene Israelis. Meist wohnen sie seit sehr langer Zeit in Israel. Sie organisieren ihre „Scoops“ nicht über das American Colony Hotel in Jerusalem. Sie haben tatsächliches Hintergrundwissen und hinterfragen und überprüfen alles, das von offiziellen Stellen Israels und seiner Feinde aufgetischt wird, aber auch was in der internationalen und lokalen Presse steht. Und vor allem haben sie Empathie zu Israel, den Juden und deren Geschichte, denn ohne diese lässt sich das Geschehen um Israel und seinen Nachbarn nicht verstehen. Anders als in den geschlossenen Gesellschaften arabischer Länder, der Westbank und Gaza sind in Israel Journalisten frei zu recherchieren, auch wenn durchaus sein kann, dass Pressestellen der Armee und der Regierung ihre Sicht etwas gefärbt vermitteln. Zensur gibt es ausschliesslich für Themen der Sicherheit.
Die Sicht ausländischer Bürger, die keine besondere Beziehung zu Israel haben, wird vor allem durch die von ihnen frequentierte Presse bestimmt, Zeitschriften, Radio und Fernsehen. Dazu kommen persönliche Einstellungen gegenüber Juden und Rassismus auch gegen das arabische Volk, die von purem Rassismus bis zu Anhimmelung reichen kann. Die Tatsache, dass die Brutalität des Lebens in der arabischen Welt, die dortigen Kriege (gerade heute sichtbar wie kaum zuvor), die Verfolgung Andersgläubiger, Frauen und Minderheiten ist heute beim besten Willen nicht zu ignorieren oder gar abzustreiten, genau so wie die Tatsache, dass all das wenig, eigentlich gar nichts mit Israel zu tun hat.
Israel schloss Friedensverträge mit den Regierungen Jordaniens und Ägyptens ab, die bisher technisch funktioniert haben. Ich schreibe „mit den Regierungen“, denn die von diesen Regierungen regierten Völker machen kaum mit, sondern hassen weiter. Ob die arabischen Revoluzzer der heutigen Tage den Antiisraelismus ihrer Massen ändern wollen oder können bleibt abzuwarten. Bisher sind keine Anzeichen dafür sichtbar geworden, hat doch das Thema Israel mit den Zuständen gar nichts zu tun und diente doch nur als Ausrede der nun angegriffenen Diktatoren, um von eigener Korruption und Misswirtschaft abzulenken. Doch da noch alles im Fluss ist, sollte man sich noch endgültigen Beurteilungen enthalten, auch wenn heute bekannt gegeben wurde, dass eine Mehrheit der Ägypter den Friedensvertrag mit Israel annullieren möchte. Nur eines: in der Presselandschaft ist es relativ still geworden zu Israel. Haben die Medien die wirklichen Probleme des Nahen Ostens entdeckt? Wohl kaum, sobald Mubarak tot, Assad und Gaddafi definitiv abgesetzt sein werden, könnte es in der arabischen Welt wieder langweiliger werden. Dann zurück nach Israel, in dem jeder Journalist in einer angenehmen westlichen Atmosphäre mit wenig Gefährdung des eigenen Lebens, sich aufhalten und kreativ News produzieren darf.