Freitag, 22. April 2011

Pessachgedanken



Der wirklich Status quo

Dazu als Einstieg ein Filmchen aus London, in dem auf sehr deprimierende Art und Weise vorgeführt wird, mit welcher Barbarei Israel und die Kulturwelt konfrontiert sind. Selbstverständlich werden darauf viele reflexartig und wie aus der Kanone geschossen antworten: „Ja, aber das sind nur einige Verrückte. Die muslimische Mehrheit ist lieb, denkt pluralistisch und strebt nach Demokratie“. Dazu ist höchstens zu sagen, dass bisher noch keine wirklich demokratisch und pluralistisch denkende Muslime bemerkbar geworden sind – auch wenn oberflächliche Seelen die heutigen Bestrebungen zu einer arabischen Demokratie, diese durch die Demonstranten in Ägypten, Libyen, Syrien und wie sie alle heissen, vertreten sehen. Zwar wünsche ich von ganzen Herzen, dass wirkliche Freiheit und nicht die in meinen Augen aufs wirtschaftliche beschränkte Freiheit dem arabischen Volk gegönnt wird – nur glauben werde ich das erst, wenn ich es sehe. Das Eingreifen des Militärs in Ägypten lässt solche Hoffnungen allerdings schwinden, auch wenn sie dem Einfluss der Muslimbrüder vorzuziehen ist.

Der Staat der Palästinenser

Deprimierend ist in diesen Wochen und Monaten der Erfolg der palästinensischen Welt in der Delegitimisierung Israels. Zwar habe ich jeden Glauben auf einen Erfolg allfälliger Verhandlung zwischen Israel und den Palästinensern verloren, ganz besonders jetzt, wenn die Aussicht besteht, dass Letztere ihren Staat von der UNO ohne die geringste Gegenleistung gratis und franko ins Haus geliefert bekommen werden. Vergessen wir allerdings nicht, dass 1947 mit der UNO-Resolution 181 Israel gegründet wurde. Israel wird, falls dieser palästinensische Staat zu Stande kommt, diesen sicherlich nicht angreifen, doch macht es sich Sorgen um die Zukunft. Wird es Raketen und Mörserbeschuss geben, wird der Terror wieder zunehmen, gegen den man sich wehren muss? Der feine Unterschied dieser Staatsgründung im Vergleich zur Gründung Israels ist der, dass Israel sich nach der von ihr akzeptierten UNO-Abstimmungsresultat erst seinen Staat erkämpfen musste, denn die arabische Welt wollte ihn sofort vernichten. Die Tatsache, dass die arabischen Angreifer zum Teil von früheren Nazioffizieren kommandiert worden waren, ist heute kaum noch bekannt, ebenso wenig wie die Tatsache, dass der aus den Zwanzigerjahren stammende muslimische Judenhass der Muslimbrüder von der Naziideologie mitgetragen wurde und heute von Hamas weiter geführt und verkündet wird.

Zu einem nicht unwesentlichen Teil ist die israelische Regierung für den heutigen Stand der Dinge selbst verantwortlich. Nicht nur, weil sie Verhandlungen aus dem Wege geht – die Palästinenser tun genau dasselbe und zum verhandeln braucht es halt mindestens zwei. Ich klage Nethanyahu und Lieberman an, nichts zu unternehmen, um der Welt ohne weinerliche Opferspiele offen Hintergründe und Fakten auf den Tisch zu legen. Auf eine umfassende Art, unter Mithilfe der zahlreichen Freunde Israels, auch jenen, die es wagen, Israel gelegentlich zu kritisieren. Denn unkritische Freunde sind keine wahren Freunde, sie sind was im jüdischen Volksmund „Tocheslecker“ (siehe Google) genannt wird. Auch wenn Israel auch heute noch ein Licht unter den finsteren Gesellschaften und Staaten des Nahen Ostens ist, gibt es noch viel zu verbessern. Es müssen antidemokratische und rassistische Entwicklungen bekämpft werden, die Israel mehr bedrohen, als die islamistische Gefahr. Gegen Gefahren von aussen gibt es die Armee. Gegen die Gefährdung von innen sind Israels Bürger selbst gefordert, denn sie bestimmen den Charakter des Staates. Der Staat Israel darf nicht stagnieren oder gar einer reaktionären Politik verfallen, die gerade unter der gegenwärtigen Regierung von Nethanyahu und Lieberman zu Recht als grosse Gefahr für den Staat gesehen wird.

Ich finde es ein Armutszeugnis für die Regierung Nethanyahus, dass sie starr auf den kommenden September schaut, an dem vielleicht ein palästinensischer Staat von der UNO „bewilligt“ und ausgerufen werden wird. Sie tut nichts. Statt die Stunde zu nutzen und als erste auf die Palästinenser der Westbank zuzugehen (lassen wir Gaza für einmal auf der Seite) und ihnen positive und produktive Vorschläge zu unterbreiten, Hilfe bei der Staatsgründung anzubieten und sich positiv zu benehmen, statt in stiller Panik zu motzen, Wir wissen nicht wie sich Abu Mazen und seine Mannen die Gründung und die Führung eines eigenen souveränen Staates vorstellen und wie sie sich verhalten werden. Aber Israel darf nicht zulassen, als Miesmacher und Spielverderber dazustehen. Das kann sie ruhig der Gegenseite überlassen. Die rechtsextreme Regierungsideologie des Alles-oder-Nichts-Nationalismus ist nicht mit sicherheitspolitischen Bedenken zu verwechseln. Die Regierung braucht Druck von Seiten ihrer Freunde und Israel darf nicht in die palästinensische Tradition verfallen keine Gelegenheit auszulassen, eine Gelegenheit zu verpassen.

Die doppelte Nakba

Ich möchte hier kurz ein Thema besprechen: das der Flüchtlinge. Nicht nur der seit Jahrzehnten professionellen Flüchtlinge palästinensischer Provenienz, sondern der jüdischen Flüchtlinge aus arabischen Staaten. Denn mit kaum einem Thema in diesem Zusammenhang wird so viel Schindluder getrieben und unterschlagen. Keine anderen Flüchtlinge wurden je mit so reichen finanziellen Mitteln übergossen, auch wenn grosse Teile dieser Mittel in die Bankkonten ihrer eigenen palästinensischen Elite geflossen ist.

Der arabische Angriff auf Israel in 1948 produzierte etwa 700’000 arabische Flüchtlinge, die sich vor allem in Israels Nachbarstaaten niederliessen und dort in Flüchtlingslager gepfercht worden waren. Zwar sind von diesen Flüchtlingslager heute nur wenige noch wirkliche Elendsquartiere, aber gerade diese werden, wie das Beispiel Gaza zeigt, als solche gepflegt und zu politischen Zwecken manipulativ der weltweiten Öffentlichkeit vorgeführt, damit den Eindruck prägend, sämtliche Palästinenser lebten im Elend. Soweit das stimmt, ist dies die von arabischen Staaten seit jeher vertretene Politik. Sie ist besonders im Libanon zu beobachten, der diesen Flüchtlingen seit 1948 Eingliederung und Einbürgerung verweigert und sie künstlich im Flüchtlingsstatus hält.

In 1948 lebten in arabischen Länder rund 850'000 Juden.

Aden: 8’000
Algerien: 140’000
Ägypten: 75’000
Irak: 135’000
Libanon: 5’000
Libyen: 38’000
Marokko: 265’000
Syrien: 30’000
Tunisien: 105’000
Jemen: 55’000
(Quelle: American Jewish Yearbook 2001, Philadelphia: 
The Jewish Publication Society of America, compiled by the American Sephardi Federation)

Orientalische (heute sephardisch genannt wollende) Juden lebten seit Jahrtausenden in diesen Ländern und waren dort, im Vergleich zu ihren europäischen (aschkenasischen) Brüdern, gut integriert, soweit ihr Status als Nichtmuslime dies zuliess. In Nordafrika gehörten sie mehrheitlich zur unteren Mittelklasse, während in den mittelöstlichen Ländern wie Irak, Syrien, Ägypten sie zu grossen Teilen zur Oberschicht gehörten, oft einflussreich und vermögend. In den Jahren nach der Gründung Israels wurden in arabischen Ländern jedoch Pogrome veranstaltet und Juden und ermordet. Sie wurden enteignet und aus dem Land verjagt. Die Mehrheit von ihnen endete mittellos in Israel, wo sie, in einem schwierigen und langjährigen aber erfolgreichen Prozess zu israelischen Bürgern wurden. Wie europäische Juden zur gleichen Zeit und in den Jahrzehnten vorher.

Die rund 850'000 Juden aus arabischen Ländern wurden integriert. Sie jammerten, sie machten viele unangenehme Erfahrungen, doch sie wurden zu Israelis. Weil sie es wollten und weil der Staat der Juden alle jüdischen Flüchtlinge als Heimat und als Zuflucht dient, der hauptsächliche Grundsatz seiner Existenz. Von diesen Flüchtlingen träumt keiner von einer Rückkehr in die „Heimat“ – in den Irak, nach Ägypten, nach Jemen, Syrien oder Libanon. Sie hängen sich keine Schlüssel ihrer ehemaligen Häuser in Bagdad, Alexandrien, Sana’a, Damaskus oder Beirut um den Hals. Sie wurden nicht in Flüchtlingslager gepfercht, sie erhielten, wie jeder andere Jude, die sofortige Bürgerschaft Israels. Und vor allem, sie nehmen am bürgerlichen Leben des Staates der Juden teil, in der Politik, als Akademiker, Militärs und Geschäftsleute. Anderen blieb der soziale Aufstieg eher verwehrt – wie in jedem anderen Land auch, machte nicht jeder Karriere. Doch sind sie in Israel Teil eines Sozialstaates, der sich Bürgern in Not annimmt. Sie sind in die israelische Gesellschaft integriert, ihr politischer Einfluss ist gestiegen und sie träumen nicht davon, als hauptberufliche Flüchtlinge zu leben, Rachegelüste zu pflegen und von der Rückkehr in ihre zurück gelassenen Häuser und Ländereien nachzutrauern. Sie sind kritischer gegenüber Arabern, mit der Begründung, sie würden sie doch weit besser kennen, als ihre aschkenasischen Mitbürger.

Damit will ich eigentlich nur eines feststellen. Es gab zwei Nakbas. Eine selbstverschuldete arabische und eine unverschuldete jüdische. Auch wenn die Opfer der zweiten an „Wiedergutmachung“ aus der arabischen Welt nicht interessiert sind, muss die israelische Regierung der Welt diese jüdische Nakba in Erinnerung rufen. Wie die Juden Europas haben die Juden der arabischen Welt ihren Gastländern während den Jahrtausenden ihres Aufenthaltes viel beigetragen, kulturell, wirtschaftlich und wissenschaftlich. Dann wurden sie enteignet, verfolgt und verjagt.

Palästinensische Flüchtlinge wurden zu Leidensprofis, unterstützt von der UNO, der EU und den USA und als Berufsflüchtlinge weitergezüchtet durch die gesamte arabische Welt, also von ihren Brüdern. Jüdisch-orientalische Flüchtlinge hingegen wurden zu produktiven vollwertigen Bürgern des Staates Israels, die zwar nicht vergessen haben woher sie oder ihre Eltern kamen, doch ihre Anstrengung gilt dem Aufbau ihrer eigenen Existenz durch eigene Arbeit in einem Land, in dem sie sich zu Hause fühlen, zusammen mit Juden aus anderen Teilen der Welt. Für einmal müssen sie sich nicht als Minderheit fühlen, sich nicht dauernd erklären, beweisen und verteidigen – sie sind Teil des Souveräns eines demokratischen Staates.

1 Kommentar:

Mark hat gesagt…

Früher gab es Berufsrevolutionäre und heute eben Berufsflüchtlinge. Irgend etwas läuft einfach so gewaltig schief in der Welt.