Montag, 8. August 2011

Frühling im Hochsommer



Der arabische Frühling (2)

Der arabische Frühling hat bisher Tausende Tote gekostet und ein Ende ist nicht in Sicht. Es scheint auch keine Rolle zu spielen welche Ziele die Demonstranten in Ägypten und die zu Aufständischen gewordenen Demonstranten in Syrien und Libyen eigentlich wollen. Denn die völlig offenen und undefinierten Wünsche der Demonstranten dieser Länder spielen keine Rolle, als werden als Bedrohung für das jeweilige Regime gesehen und gnadenlos zusammengeknallt, auch wenn die Aufständischen Libyens zurück schiessen. In Syrien können sie das nicht, die Opfer sind wehrlose Zivilisten. Gestern gab Herr Dr. med. Assad im Radio bekannt, „er dürfe doch wohl noch sein Regime verteidigen“. Es fehlte nur noch das in der Schweiz übliche Nachwort „Oder?“ Womit sein Demokratieverständnis für die ganze Welt sichtbar geworden ist – als ob es dessen bedurft hätte. In der arabischen Welt geht es immer nur um eines: um die Macht. Das Volk ist ausschliesslich dafür da, diese Macht seinen Tyrannen und deren Geheimdiensten zu erhalten. Es geht nie um das Wohl des Volkes, sondern nur um die Macht und deren Privilegien. 

In Ägypten ist inzwischen klar geworden, dass die von der noch regierenden Armee gehätschelten Muslimbrüder zusammen mit den macht- und blutrünstigen Salafisten (den Hauptverantwortlichen für die mörderischen Angriffe auf die Kopten) sich für die Machtübernahme vorbereiten. Der Ablauf des iranischen Aufstandes in 1979, wurde von Khomeini und seinen Mullahs genutzt um sein Land in eine mörderische, seine Bürger unterdrückende Theokratie zu verwandeln. Ähnliches scheint sich in Ägypten anzubahnen. Der arabische Frühling verwandelt sich in einen arabischen Winter.

In Palästina könnte sich ähnliches wiederholen, wie 2007 in Gaza. Die „relativ“ gemässigte Palestinian Authority der PLO/Fatah verlor dort die tatsächlich recht demokratischen Wahlen. Hamas, palästinensische Filiale der Muslimbrüder Ägyptens, putschte gegen die Wahlverlierer, ermordete 118 Menschen und übernahm die alleinige Macht, schafften die letzten Ansätze von Demokratie ab und machte Gaza zu einer weiteren arabischen Diktatur. Ähnlich kamen die iranischen Mullah an die Macht. Vom Stil her erinnert all dies nicht wenig an die Machtübernahme Hitlers in 1933, dessen eifrige Schüler die damaligen Muslimbrüder bekanntlich waren und es, wie die iranischen Mullahs und ihr Ahmedinejad, heute noch sind.

Der arabische Frühling kühlt sich ab. Das Ende ist absehbar und wird kaum den ersten frohen Erwartungen entsprechen.

Der israelische Frühling (2)

Der israelische Frühling hingegen macht Freude. Nethanyahu und die meisten seiner Vorgänger der letzten dreissig Jahre interessierte es offenbar wenig, wie das Volk, mit Ausnahme der heute Tycoone genannten Schwerreichen, deren Zigarren er raucht, eigentlich lebt und sich fühlt. Nethanyahu führte seinerzeit die grenzenlose und fast völlig unkontrollierte Marktwirtschaft ein. Diese war gut für die israelische Wirtschaft. Aber auch wenn die Arbeitslosigkeit relativ gering ist, verdient die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung nur den gesetzlichen Mindestlohn. Haus- und Konsumentenpreise stiegen ins Uferlose, die Saläre aber nicht und der israelische Mittelstand weiss heute nicht, wie er mit seinem Einkommen den Monat übersteht.
Jetzt demonstriert und protestiert dieser Mittelstand. Erst ging es um Wohnkosten, egal ob um Mieten oder um Wohnungskauf. Beides ist unerschwinglich geworden.
Täglich fast kommen weitere Forderungen dazu, alle mit dem Anspruch nach einem sozialeren Staat verbunden, einem Staat, der seine Prioritäten endlich auf die Reihe bringt. Dazu gehören (gemäss Haaretz): 

• Das in der Unabhängigkeitserklärung vorgesehene kostenlose Schulsystem soll wieder eingeführt werden. Das schon ab drei Monaten, um Müttern die Rückkehr ins Erwerbsleben zu ermöglichen.

• Reduktion oder Abschaffung indirekter Steuern.

• Die beträchtlichen Steuerüberschüsse (gemäss Reuter US$ 75 Millionen allein im Juli 2011) müssen den Bürgern zugute kommen.

• Budget für staatliche Hilfe bei Hypotheken und Wohnmieten.

• Mehr Personal und mehr Betten im medizinischen Bereich.

• Keine weitere Privatisierung im staatlichen Wohlfahrtsbereich und bei den psychiatrischen Diensten.

• Graduelles Eliminieren des Outsourcings im öffentlichen Dienst. Das heisst, dass sämtliche Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes Staatsangestellte sein sollen und auch die letzte Putzfrau und Teeverteilerin anständig bezahlt und sämtliche Sozialleistung erhalten wird, Dinge, um die sie sonst betrogen werden.

Diese Liste ist bei weitem nicht vollständig. Meiner Meinung gehören auch dazu: Vorschläge zur Finanzierung dieser Forderungen, denn es geht nicht darum mehr Mittel als vorhanden auszugeben. Es geht darum einen revolutionären Wechsel der Prioritäten und Werte in die Wege zu leiten. Völlig unfaire und politisch bedingte Bevorzugungen, besonders nichtproduktiver Elemente der Bevölkerung, sind aufzuheben. Dazu gehören vor allem die Milliarden, die an die ultraorthodoxe Minderheit von zehn Prozent der israelischen Bevölkerung und deren arbeitsfähige Männer, die inzwischen schon zu 65 Prozent (Tendenz steigend) prinzipiell nicht arbeiten, sondern sich und ihre Familien vom Staat aushalten lassen. Dieser Lebensstil wird mit Milliarden von Schekeln staatlich gefördert. Dazu gehören Arbeitslosengelder, Unterhalt und Saläre der Talmudschulen (Yeshivot) und Mädchenschulen, Produktivität und Steuerausfälle, Stipendien für eben diese Yeshivaschüler und einiges mehr. Genaue Zahlen sind nicht zu finden, dieser staatliche Dienst an eine kleine Minderheit, die dem Staat vorwiegend ablehnend gegenübersteht, wird sehr diskret gehandhabt. Gelder wie diese müssten der gesamten Bevölkerung zu gut kommen und die Ultraorthodoxen sollten genau so wie alle anderen Bürger so behandelt werden. Demokratisch und fiskalisch nicht vertretbare Gesetze müssen fallen gelassen werden. Haredim waren bei den Protesten der 300'000 arbeitenden Bürger von gestern Abend nicht zu sehen, doch einige ihrer Politiker äusserten sich wohlwollend - vielleicht ängstigen sie sich um ihre Pfründe und wollen einen offenen Konflikt vorläufig vermeiden.

Siedler aus den besetzten Gebieten sind noch dabei. Doch auch sie führen einen Lebensstil, der vom Steuerzahler mitfinanziert wird. Auch hier geht es um Milliarden von Schekeln, mit denen Siedlungen subventioniert werden, die hohen Kosten militärischen Schutzes und ähnlichem. Sollte der Moment kommen, an dem diese staatliche Spezialbehandlung in Frage gestellt wird, ist vorauszusehen, dass die demonstrative Unterstützung der Protestbewegung sofort abgebrochen werden wird.

Leider sind vor wenigen Tagen Knessetmitglieder der patriotischeren Sorte wiederum auf eine Idee für neuen Gesetzesvorlage gekommen: diesmal wollen sie ein neues Grundgesetz einführen, das die jüdische „Reinheit“ des Staates weiter unterstreichen soll. Arabisch soll als zweite offizielle Landessprachen abgeschafft werden, sie soll, so verstehe ich es, einfach zu einer weiteren Fremdsprache werden, obwohl der arabische Bevölkerungsanteil Israels zwanzig Prozent beträgt. Fast zeitgleich wurde ein weiterer Gesetzesvorschlag eingereicht, in dem demokratische Regeln dem Prinzip einer nationalen jüdischen Heimstätte untergeordnet werden sollen. Beide dieser Gesetzesvorlagen werden auch von zahlreichen Mitgliedern der „moderaten“ und oppositionellen Kadimapartei unterstützt. Allerdings haben schon einige derer Mitglieder ihre Unterschrift zurückgezogen. Diese Serie antidemokratischer Gesetze (diese zwei Fälle, denke ich zwar, werden wohl von der Knesset nicht angenommen), könnten zu weiteren Nägeln im Sarge der israelischen Demokratie werden. 

Schade dass die heutigen Demonstranten sich (vielleicht noch) nicht mit gefährdeten demokratischen Grundsätzen befassen, sich für eine zeitgemässe Verfassung stark machen und sich für die wirkliche Gleichheit israelischer Minderheiten einsetzen würden – denn das, für was sie sich einsetzen, soll für alle Bürger gelten, ob Juden oder nicht. Der Lernprozess der Verantwortlichen dieser Protestaktion hat begonnen, wie die wachsende Zahl ihrer Anliegen zeigt. Die Protestbewegung für einen sozialen Staat, dessen Priorität das Wohlergehen und die Sicherheit seiner Bürger an erster Stelle stehen muss, stellt Weichen für die Zukunft, die jetzt begonnen hat. Sie ist weder kapitalistisch noch sozialistisch, sondern stellt einfach den Bürger in den Mittelpunkt, statt wie bisher nur den Bürger mit sehr viel Geld, den Grossisraelfantasten oder den Parasiten, der zwar kein Geld hat und es dennoch fertig bringt unsere Regierung soweit zu bringen, dass sie ihn und seine Gesellschaft unterstützen muss, will sie die Regierungsmacht nicht verlieren.

Der israelische Frühling hat begonnen. Er ist friedlich und gewaltlos – typisch jüdisch, wie er sein sollte, es aber nicht immer ist.

1 Kommentar:

Alexander Scheiner hat gesagt…

Lieber Uri, was hat der "arabische Frühling" eigentlich gebracht? In Tunesien eine neue Verfassung. Darin steht zB, dass es keinen Frieden mit Israel geben wird und auch nie irgendwelche Beziehungen. Nun ja, damit kann Israel leben. Dann werden halt die vielen Tausend Juden, die aus Tunesien vertrieben wurden, nie mehr dieses schöne Land besuchen. In Aegypten? Der Friedensvertrag, der Aegypten erlaubte, in den Tourismus zu investieren, wird in Frage gestellt. Der alte Grundsatz "Verträge müssen eingehalten werden" gilt eben nicht für diese Länder. Auch damit kann Israel leben. Dann ist eben alles wegen den Islambrüdern für die Katz. Und im künftigen Palästina? Dort hat man ja nie aus der Geschichte gelernt. Diese wird sogar mit viel Fantasie und Lügen umgeschrieben! Herr Dr. Abbas hat sein Doktorat mit der These gemacht, ob es die Schoah je gab. Heute werden noch Kinder im Chindsgi zu Selbstmordatentätern erzogen! Zudem darf Herr Dr. Abbas nicht nach Gaza, man würde ihm dort zu 72 Jungfern verhelfen. Auch damit kann Israel leben. Und Gaza? Ist fest in den Händen der palästinensischen Terrorbande Hamas. Auch damit kann Israel leben. Mit was denn, kann sich Israel schwer abfinden? Mit den Israelischen Paläst.-Freunden und den jüdischen Paläst.-Freunden im
Ausland. Ich habe da kein Verständnis mit diesen Quislingen. Ganz und gar nicht.