Donnerstag, 29. Dezember 2011

Der Beweis



 

Man beachte in diesem Filmchen der Antifrauen-Demos in Beth-Shemesh die überragende Ausdruckkraft dieser jiddischsprechenden Pinguine, ihre Diktion und ihren reichen Wortschatz. Peter Bohlen hätte grosse Freuden an diesem Song: "Shikse".

Auf meinen Tagebucheintrag „Parallelen“ (25.12.2011) trafen viele Kommentare ein, einige davon sind zusammen mit dem Artikel im Blog selbst erschienen. Andere sandten mir schlichte E-Mails.


Meine Aussagen wurden heute von Innenminister Eli Ishai, persönlich und am Fernsehen, wenn auch mit anderen Worten offiziell bestätigt!

Der Grund dazu war der Vorschlag die in haredischen Fängen liegende Stadt Beth Shemesh, in zwei separate Städte zu teilen. In eine haredische Stadt und eine Stadt normaler Bürger, die nicht nur gesetzliche Bürgerrechte sondern auch Bürgerpflichten wahrnehmen. Diese Idee wurde von Eli Ishai, dem dafür zuständigen sephardisch-haredischen Innenminister, abgelehnt.

Seine Einwände sind zwar einleuchtend aber beschämend zugleich und machen mich zornig. Gemäss Ishai sind Haredim (er sagte nicht „nur“ aschkenasische) geistig und finanziell unfähig eine nur durch sie bewohnte Stadt zu führen. Die grosse Mehrheit dieser Familien bezahlen (wenn überhaupt) wegen ihrer Armut nur 20% der Lokalsteuern, die, neben den Beiträgen der Regierung, zum Unterhalt des Gemeinwesens notwendig sind. Mit anderen Worten, diese Hobby-Armen werden nicht nur vom Staat direkt unterhalten, sie können ohne Steuern arbeitsamer israelischer Bürger – Juden und Araber – nicht existieren, sondern müssten, Gott behüte, arbeiten gehen.

Dazu zwei Gedanken:

Erstens bestätigt Eli Ishai mit seiner Stellungsnahme das landesweit bekannte und „akzeptierte“ haredische Schmarotzertum, dem er anscheinend hilflos gegenüber zu stehen scheint. Allerdings, dem Politiker Ishai sind mit Sicherheit von mir noch nicht durchschaubare verborgene Motive zuzutrauen.

Zweitens, es bestehen keinerlei Absichten von seiten der Regierung, diesen Zustand zu ändern. Zu teuer ist dem Bibi Nethanyahu sein Ministerpräsidentenstuhl, der ihm weit wichtiger ist, als das Wohl des Staates. Denn er hält es in der Hand, diese Situation zu ändern und sei es nur mit der Änderung seiner Koalitionspolitik. Regierung und Knesset müssten durchsetzen, dass die Gesetze des Landes für alle seine Bürger die gleiche Gültigkeit haben – keine Ausnahmen für religiös durchgeknallte oder für arabische Bürger, welche wenigsten Steuern bezahlen, die israelischen Sozialleistungen ausreizen und unter keinen Umständen ihre israelische Bürgerschaft verlieren wollen, aber trotzdem nur eine kleine Minderheit finden, die für ihr Land ohne Wenn und Aber auch militärisch einsteht. Diese arabische Minderheit wächst und verdient viel Anerkennung – wenn auch vorläufig noch sehr diskret. Doch dies ist ein anderes Thema, das nicht unbedingt hierher gehört.

Montag, 26. Dezember 2011

Parallelen



Erst ein Zitat, geklaut von Claudio Casula:Ich habe die gesamte palästinensische Friedensbewegung zum Essen eingeladen. So teuer wird’s schon nicht werden, Sari Nusseibeh ist ein bescheidener Mensch.“ Man kann auch über Trauriges lachen.

Wir Juden haben uns im Mittleren Osten ganz prächtig eingelebt. Religion und Traditionen des extremistischen Judentums und der extremistischen Muslime in den arabischen Ländern und in den nicht arabischen Staaten Iran und Türkei unterscheiden sich bald nur noch in Äusserlichkeiten – es sei denn, es wird wenigstens im jüdischen Israel etwas Drastisches geschehen. In der islamischen Welt bin ich da weit pessimistischer, trotz arabischem Frühling, der in kurzer Zeit übergangslos vom arabischen Winter abgelöst worden ist.

In beiden Religionen geht es dabei vor allem um "heilige" Traditionen, die meist weit älter sind, als die Religion selbst. Also heidnischen Ursprungs, dem ganz einfach und unreflektiert die jeweilige Religion übergestülpt worden ist. Das gilt für den relativ jungen Islam, aber auch für jüdische Bräuche, für die es immerhin bis gute 3000 Jahre archäologischen Nachweis gibt. Doch der Zustand in der heutigen Zeit ist für beide fatal.

Ich möchte mich auf vier Themen beschränken, bei denen jeder „Versteher“ (ein Broder-Wort) orientalischer Traditionen, seien diese noch so blutrünstig, sein Herz öffnet. Natürlich sind alle vier irgendwie miteinander verbunden. Dabei ist zu betonen, dass auch wir Juden grundsätzlich von der geschichtlichen, geographischen und religiösen Abstammung her zu den Orientalen gehören wollen – auch wenn viele von uns Namen wie Bloch, Müller, Meyer, Dreyfus, Bollag, Leibowitz, Russak oder Rosenstein usw. tragen. Es gibt einen Unterschied zwischen uns vor allem aschkenasischen Juden und der islamischen Welt: wir Juden haben die Aufklärung hinter uns, Muslime träumen noch nicht einmal davon. Doch gibt es leider mehr und mehr israelische Juden, die offensichtlich von dieser Aufklärung nichts mehr wissen wollen. Um das geht es.

Demokratie und freie Gesellschaft
Heute gibt es in muslimischen und israelischen Gesellschaften rechtsextremistische orthodox-religiöse Strömungen. Wie die kürzlichen Wahlen in vom arabischen „Frühling“ betroffenen Gesellschaften zeigen, gewinnen dort reaktionäre Parteien die Mehrheit. Die muslimische Reaktion ist im Aufschwung, die Einführung der Shariah wird verlangt, einer demokratischen Ordnung wird damit die Absage erteilt, denn Demokratie und Religion lassen sich nicht vereinbaren. Religion gehört in einem modernen Staat von diesem grundsätzlich getrennt und privatisiert. Zudem lassen arabische Traditionen eine wirkliche Demokratie nicht zu. Auch wenn die ägyptischen Muslimbrüder öffentlich das Gegenteil erklären. Sind sie erst einmal an der Macht, was die ägyptische Armee zurzeit gewalttätig zu verhindern sucht, bin ich überzeugt, dass diese Macht dann ohne demokratische, sondern mittels islamistischer Politik in eine theokratische Diktatur umgewandelt werden wird. Irans Khomeini hat der islamischen Welt 1979 gezeigt wie man das macht. Bei Ägyptens riesigen Demonstrationen für „Demokratie“ ging es nie um das Einführen eines demokratischen Regierungssystems und einer offenen Gesellschaft, sondern um wirtschaftliche Verbesserung der einzelnen Bürger. Der Islam hat sich, wie seinerzeit in Iran, die ägyptische Revolution angeeignet, wenn nicht gar gestohlen.

Israel wurde fast ausschliesslich von teilweise sogar marxistischen Sozialisten aufgebaut – auch wenn Theodor Herzl, Vater des politischen Zionismus, ein völlig angepasster europäischer Bürger der kolonialistischen Zeit war, wie die meisten der aufgeklärten Juden seiner Zeit. Israel, als Staat nach 1948, sollte nach dem Willen seiner Gründer und Pioniere der ersten Stunde als westlicher, aufgeklärter Staat erdacht und geführt werden, in dem Religion ihre eigene Nische haben sollte. Das ging dreissig Jahre lang einigermassen gut, doch die Gründerväter, zutiefst demokratischer Gesinnung, hatten nicht bedacht, dass eine Demokratie nur mit demokratisch gesinnten Bürgern aufgebaut und erhalten werden kann. Als sich im Laufe der siebziger und achtziger Jahre das Machtverhältnis von linker Aufklärung stetig mehr in einen reaktionären Nationalismus und eine noch reaktionärere ultraorthodoxe Religionsunkultur verwandelte, die erst die Besetzung der 1967 eroberten Westbank ideologische untermauerte und extremistischen Rabbinern der Haredim (Ultraorthodoxie) und der extremistischen Siedler in vielen Bereichen des Staates Macht verschaffte, wurde der humanistische Charakter des Landes sehr stark verändert. Extremisten üben heute starken Einfluss auf Regierung und Armee aus. Noch ist uns die arabische Welt mit ihrer rückwärtsgewandten hasserfüllten Politik in ihrem Wettlauf ins Mittelalter weit voraus, doch Israel scheint aufzuholen.

Frauen
Weder in der traditionell islamischen, noch in der orthodox jüdischen Gesellschaft sind Frauen entscheidungsfrei. Sie sind Besitz der Männer und deren Clans. Freie Partnerwahl gibt es nicht – die Eltern suchen Braut oder Bräutigam aus. Die Frau ist dem Manne untertan, er entscheidet. Ich will hier keine der vielen anthropologisch vielleicht interessanten Einzelheiten über die Stellung und die Behandlung der Frau in diesen zwei Kulturen beschreiben. Nur soviel sei gesagt, dass sich die Situation dieser jüdischen Frauen fast täglich verschlechtert. Sie sollen gezwungen werden in Autobussen nur hinten zu sitzen, nicht zusammen mit Männer auf dem selben Gehsteig zu gehen, ihr Erscheinungsbild wird laufend stärker als nicht bedeckend genug kontrolliert und kritisiert, die Möglichkeit einer jüdischen Burka könnte möglich werden, die Trennung zwischen Frau und Mann (pardon, Mann und Frau) soll immer einschneidender werden. Frauen sollen aus der Öffentlichkeit ganz verschwinden und weder gesehen noch gehört werden. Frauen die sich gegen Zumutungen dieser Art wehren, werden tätlich angegriffen, geschlagen, bespuckt und als Huren beschimpft. Aktivisten, die verbal und physisch auf Frauen eindreschen, kommen vor allem aus jiddisch sprechenden aschkenasischen Kreisen der Ultraorthodoxie. Frauenhass sephardischer und orientalischer Superfrommer scheint weniger entwickelt zu sein. Betrüblich ist die fehlende eindeutige Stellungsnahme haredischer Rabbiner der aschkenasischen Sorte. Der aschkenasische Oberrabbiner Israels, Jona Metzger, wurde darüber am Fernsehen interviewt. Er fand es schicklich, die Taten dieser Frauenhasser zu relativieren. Bisher haben sich fast ausschliesslich sephardische Rabbiner, wie das Knessetmitglied Haim Amsalem, ein wenigstens mir sehr willkommener und unheimlich sympathischer Querschläger der haredischen Welt, der sich ohne wenn und aber vor die verfolgten Frauen stellte, zur Verteidigung der Frauen aufgerafft.

Noch ist der Grad der Entwürdigung der Frau nicht auf muslimisches Niveau gesunken. Noch wurden meines Wissens keine jüdische Frauen wegen einem „Verstoss gegen die Familienehre“ getötet. Unser Hausarzt, selbst Kippaträger, der allerdings meine „linken und modernen“ politischen Ansichten völlig teilt, ist bedrückt. Die Haredisierung der israelischen Gesellschaft sei eine Schande für ganz Israel und gebe dem Judentum einen schlechten Namen. Er ist allerdings überzeugt, dass dieses relativ neue Phänomen gestoppt werden wird. Hoffentlich hat er recht.

Eines noch: in der muslimischen Gesellschaft scheint die Mehrheit Frauenunterdrückung gut zu finden und sich dieser zu widmen. Da sich dagegen niemand freiwillig äussert, bietet sich nur dieser Schluss an. Unter Israels Juden ist hingegen die Reaktion der Öffentlichkeit über diese Vorkommnisse gewaltig. Die Abneigung gegen die Ultra-Orthodoxie nimmt weiter zu, ganz besonders, seit sogar ein siebenjähriges Mädchen von diesen sexbesessenen Gottesfürchtern mehrfach bespuckt, beschimpft und mit Unrat beworfen worden ist.

Mein neuer Freund Avi, der im Shopping Center Lev Hamifratz in Haifa ein kleines Kaffeehaus betreibt und wirklich zuckerlose Gipfeli serviert, erklärte mir folgende Theorie, für Araber und allzu orthodoxe Juden geltend: beiden würden unter gewaltigem sexuellem Druck leiden. Sexuell aktiv dürfen sie erst nach Heirat mit der eigenen Frau werden – vorher kein Sex (das könnte ein Grund dafür sein, warum in diesen Kreisen so jung geheiratet wird). In einer nicht mehr ganz neuen Statistik fand ich vor Jahren die Information, dass 25% aller Kunden israelischer Prostituierten ultraorthodoxe Männer seien. Für muslimische Männer fand ich keine solche Statistik.

Ehre und Schande 
Der Begriff „Ehre“ und dessen Gegenstück „Schande“ sind die Grundsätze arabischer Kultur. Das Wort Respekt gehört dazu. In seinem hervorragenden Buch „The Closed Circle: An Interpretation of the Arabs“ (erschienen leider nur in Englisch, eines der wichtigsten Bücher zum Thema), beschreibt David Pryce-Jones wie diese Begriffe arabisches Denken und Handeln bestimmen. Hier zwei Zitate, die die überragende Wichtigkeit dieser zwei Worte in der arabischen Kultur demonstrieren:

“Lying and cheating in the Arab world is not really a moral matter but a method of safeguarding honor and status, avoiding shame,”

“Honor is what makes life worthwhile: shame is a living death, not to be endured, requiring that it be avenged.”

Die Suche nach Ehre oder deren Erhalt hat, so Pryce-Jones, vor allem anderen Vorrang. Frauen werden durch Väter und Brüder ermordet, weil sie dem gängigen Ideal der Ehre nicht entsprächen und (eingebildete) Schande über die Familie bringen. Generationen widmen sich der Blutrache, statt sich dem Aufbau einer besseren Zukunft zu widmen. Ehre und Respekt der eigenen Person oder dem eigenen Clan ist die Maxime dieser Welt und somit einer der Hauptgründe, ihres zivilisatorischen Stillstandes.

In einer kleinen Broschüre, die mir 2008 von arabischen Schülerinnen des Seminars für Englischlehrerinnen im Beit Berl College geschenkt wurde, beschrieben einige dieser entzückenden Studentinnen ihre Vorstellung über ihren künftigen Ehemann. Respekt und Ehre war das tragende Element. Sie erhoffen (nicht fordern) Respekt und dessen Einverständnis ihr Studium fortsetzen oder einen Beruf ausüben zu dürfen (Uris Tagebuch 1.7.2008).
 
Erfolge in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft
Dazu sollte ein weiteres Zitat von David Pryce-Jones genügen:

“In the years of independence, the Arabs have so far made no inventions or discoveries in the sciences or the arts, no contribution to medicine or philosophy.”

Im Vergleich mit Israel, einem Staat, der in den über sechzig Jahren seiner Existenz der Welt Gewaltiges in Wissenschaft, Kunst, Medizin und Philosophie beigetragen hat, sollte obiges Statement eigentlich eine Herausforderung an die arabische Welt sein. Doch das kratzt sie nicht – nicht einmal das Ehre/Schande Syndrom klickt ein, das für einmal wirklich am Platz wäre. Allgemeinheit und das Öffentliche wird in der arabischen Welt meist negativ empfunden, denn man sieht sie als Bedrohung des Clans und der Familie. Das Ehre/Schande Syndrom ist persönlich oder gehört der Familie. Der Staat oder das Dorf gehören nicht ihr, sondern dem jeweiligen Machthaber, sei er König oder ziviler Diktator, der seine Ehre (sprich seine Macht und den damit gestohlenen Reichtum) vor seinen Feinden (sprich Konkurrenten) meist mit viel Blutvergiessen verteidigen muss – eine Tatsache, die ein Blick in die Nachkriegsgeschichte arabischer Staaten mit Leichtigkeit bestätigt. Das Ehre/Schande Syndrom gilt für die Person, nicht dem Zustand des Landes, der ihn meist nur soweit interessiert, wie er seine persönliche Ehre (sprich Besitzstand und Einfluss) erhalten kann. Obiges Zitat von David Pryce-Jones wird damit bestätigt.


(Dieser Artikel wurde ins Journal21 übernommen. Mein Freund Reinhard Meier, emeritierter NZZ-Redaktor, hat meine Zeilen redigiert. Da ich nun mal in keiner Weise ein Thomas Mann bin, der handschriftlich Druckreifes aufs Papier bringen konnte, bin ich Reini höchst dankbar für sein Arbeit.)

Samstag, 24. Dezember 2011

Bescherung



Heute ist Weihnachtsabend. Viel davon verspürt man in Israel nicht, es sei denn, man begibt sich nach Nazareth oder ins Wadi Nisnas, dem arabisch-christlichen Quartier Haifas. Oder man fährt ins Ausland nach Bethlehem, wo dieser Abend ganz gross begangen wird – so gross, dass sogar Yassir Arafat, zu Lebzeiten Schutzherr des palästinensischen Christentums – jedes Jahr als Ehrengast empfangen worden war und dafür sorgte, dass die Zahl christlicher Bürger dieser Stadt real und auch relativ stark abnahm und heute kaum noch zwanzig Prozent aller Einwohner beträgt (früher waren es achtzig Prozent). Nach dieser Schätzung (die Zahlen sind ungefähre Zahlen) gibt es 162.000 palästinensische Christen im Heiligen Land, 120.000 leben in Israel (innerhalb der Grünen Grenze), 40.000 wohnen im Westjordanland (einschließlich Ost-Jerusalem), und 2.000 leben im Gaza-Streifen. Mehr als 80 % leben in städtischem Umfeld, 20 % auf dem Lande. Schätzungen zufolge waren vor 1948 etwa 15 % der Bevölkerung Christen; ihre Zahl ging bis 1967 auf etwa 5% im Westjordanland und 1% im Gaza-Streifen zurück. Heute sind weniger als 2% Christen im Westjordanland und weniger als 0,25% im Gaza-Streifen. Diese Angaben stammen von Bischof Yunib A. Mounan, dessen vor einigen Monaten gehaltene Rede ich hier kurz besprechen will.

Diese Rede, gehalten vor einigen Monaten von einem arabischen Christen, ist sehr mutig. Zwischen den Zeilen lese ich die Verzweiflung darüber, sich zwischen Hammer und Amboss zu fühlen, zwischen der Tatsache als schrumpfende Minderheit in einem Land zu leben, dessen muslimische Mehrheit täglich extremistischer wird. Man kann von einem palästinensischen Christen, der in einem Meer muslimischer Mitbürger lebt, realistisch nicht verlangen, dass er in der palästinensischen Öffentlichkeit Sympathie für Israel ausdrückt – auch in dieser Rede demonstriert der Bischof eine gewisse Enthaltsamkeit seiner Aussagen Israel gegenüber. Er lehnt die Sicht, die Flucht der Christen sei auf muslimischen Terror zurückzuführen, öffentlich ab. Das Gegenteil zu behaupten, wäre seiner Gesundheit abträglich. Dann fragt er „was ist das Heilige Land ohne (palästinensische) Christen?“, dem ich höchsten und noch grundsätzlicher beifügen möchte, „was wäre das Heilige Land ohne Juden?“. Es gäbe keines, denn erst die Juden haben es in ein heiliges Land auch für Christen gemacht. Seine Haltung zur Besetzung und zu den Entwicklungen in der Westbank ist israelkritisch – meine ist es ja auch.

Ich las vor kurzem den wenigstens teilweise richtigen Spruch „ein mutiger Muslim, ist ein toter Muslim“. Damit sind, um es ganz sicher zu stellen,  Muslime mit Zivilcourage gemeint. Ich denke das trifft auch auf Christen in der arabisch-muslimischen Welt zu, wie Palästina-Gaza, Irak, Saudi-Arabien, Ägypten – um nur einige zu nennen – täglich demonstriert. Es ist eine Situation, der sich westliche Christen vielleicht nicht bewusst sind, es sich nicht vorstellen können – falls es sie überhaupt interessiert. Christenverfolgungen gab doch für Europäer nur in der Zeit der alten Römer, die ihre Christen noch durch Löwen verspeisen liessen. Der Heilige Abend wäre bestimmt eine Gelegenheit, sich über die verfolgten Christen in arabischen Landen mindestens Gedanken zu machen, statt das (unter anderem) dem Juden, Israeli und Schweizer Uri Russak zu überlassen.

Dienstag, 20. Dezember 2011

Esthers Tagebuch

Liebe Freunde und andere Leser,

eigentlich hätte ich schon vor Monaten auf den Blog meiner Freundin Esther Scheiner aufmerksam machen sollen, doch ich werde älter und denke vielleicht mehr an weniger wichtiges. Esther schreibt frisch von der Leber weg und beschreibt die kleinen und grossen Dinge in Israel, die ihr aufstossen oder gefallen. Sie, und das gilt auch für ihren Alex, haben sich in der relativ kurzen Zeit in Israel fabelhaft eingelebt, sind sehr aktiv und leisten erfolgreich ihren Beitrag zum Leben in Israel. Ich empfehle Esthers Website allen, die eine zartere und humorvolle Beschreibung israelischer Psyche und israelischer Verhaltensweise kennenlernen wollen.

Montag, 12. Dezember 2011

Ein Gedicht von Konstantinos Kavafis



Als Einstieg eine Feststellung: Im Jahre 2012 wird die grosse Mehrheit der Muslime im Mittleren Osten und Nordafrika von radikalislamistischen Regimen regiert sein, die glauben, dass mit einem Jihad auf Amerika und Israel, mit der Zerstörung Israels, mit der Unterdrückung der Christen, mit dem weiteren Reduzieren des rechtlichen Status der Frau, sie den Willen Gottes, als dessen Diktatoren zu regieren, erfüllen. Ich meine damit Ägypten, Gaza, Iran, Libanon, Libyen, Tunesien und die Türkei. Es könnten noch weitere dazukommen. Das ist das Resultat freier Wahlen in diesen Ländern und beweist eigentlich nur, wie reaktionär die Mehrheit der muslimischen Welt agiert und Demokratie ausschliesslich auf den Akt des Wählens reduzieren.

Das Gedicht des griechischen Dichters Konstantinos Kavafis (1863–1933) „Warten auf die Barbaren“ beschreibt die heutige Situation, besonders mit Hinblick auf Europa, das angstvoll und fast gelähmt das Entstehen einer barbarischen Übernahme entgegen sieht – und nichts tut. Man kann viel in seine Worte hineinlesen, das dieser Situation entspricht.

Kavafis lebte im ägyptischen Alexandrien, das seit seiner Gründung in der Antike von allen im östlichen Mittelmeerraum engagierten Grossmächten kulturell geprägt wurde. Seine Gedichte schrieb er in Neugriechisch, einer relativ neuen und wiedererweckten Sprache, ähnlich wie das heute in Israel gesprochene Neuhebräisch, das auf dem biblischen Althebräisch basiert. Mein Schwager Dov mit dem zutiefst orientalischen Namen Rosenblum, stammt aus Alexandrien. Er und seine gesamte Familie wurden nach dem israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948 aus Ägypten gejagt, nachdem ihre gesamte Habe vom Staat beschlagnahmt worden war. Identisches fand in anderen arabischen Ländern, in den Juden lebten, statt. Was ist heute von Alexandriens uralter europäischer Kultur geblieben?

 

Warten auf die Barbaren (1904)

Worauf warten wir, versammelt auf dem Marktplatz?

Auf die Barbaren, die heute kommen.
Warum solche Untätigkeit im Senat?
Warum sitzen die Senatoren da, ohne Gesetze zu machen?

Weil die Barbaren heute kommen.
Welche Gesetze sollten die Senatoren jetzt machen?
Wenn die Barbaren kommen, werden diese Gesetze machen.
Warum ist unser Kaiser so früh aufgestanden?
Warum sitzt er mit der Krone am größten Tor der Stadt
Hoch auf seinem Thron?

Weil die Barbaren heute kommen,
Und der Kaiser wartet, um ihren Führer
Zu empfangen. Er will ihm sogar eine Urkunde
Überreichen, worauf viele Titel
Und Namen geschrieben sind.
Warum tragen unsere zwei Konsuln und die Prätoren
Heute ihre roten, bestickten Togen?
Warum tragen sie Armbänder mit so vielen Amethysten
Und Ringe mit funkelnden Smaragden?
Warum tragen sie heute die wertvollen Amtsstäbe,
Fein gemeißelt, mit Silber und Gold?

Weil die Barbaren heute erscheinen,
Und solche Dinge blenden die Barbaren.
Warum kommen die besten Redner nicht, um wie üblich
Ihre Reden zu halten?

Weil die Barbaren heute erscheinen,
Und vor solcher Beredtheit langweilen sie sich.
Warum jetzt plötzlich diese Unruhe und Verwirrung?
(Wie ernst die Gesichter geworden sind.) Warum leeren
Sich die Straßen und Plätze so schnell und
Warum gehen alle so nachdenklich nach Hause?

Weil die Nacht gekommen ist und die Barbaren doch nicht
Erschienen sind. Einige Leute sind von der Grenze gekommen
Und haben berichtet, es gebe sie nicht mehr, die Barbaren.
Und nun, was sollen wir ohne Barbaren tun?
Diese Menschen waren immerhin eine Lösung.
(Übersetzt vermutlich von Wolfgang Josing)

Im Gedicht bereiten sich die alten Römer auf den Einfall der Barbaren vor und planen, diesen bei Ankunft unterwürfig in den Hintern zu kriechen. Ganz besonders wird im ersten Teil des Gedichtes diese geplante Unterwürfigkeit beschrieben. Auch wenn dann die Barbaren nicht kamen (was nicht der Geschichte entspricht), könnte dieses Gedicht eigentlich gut auf das Verhalten verschiedener europäischer Regierungen zutreffen, die noch immer nicht merken wollen, dass die Barbaren schon eingetroffen sind und sich fast, aber noch nicht ganz, heimisch fühlen. Immerhin benimmt sich Israel - obwohl sich europäisch sehend, aber nicht in Europa liegend - anders und weigert sich den Kopf in den Sand zu stecken.

Aber eben, da gibt es ein Problem. Die projizierten Gefahren der Barbaren, werden von Politikern, die heute israelische Politik bestimmen, missbraucht. Über antidemokratische, gar faschistoide Gesetze, die dieser Wochen und Monate in einer Knesset mit rechtsradikaler Mehrheit vorgeschlagen werden, versucht Bibi Nethanyahu und Regierungs- und Parlamentsmitglieder noch weiter rechts von ihm die Demokratie, Israels wertvollstes Gut, auszuhöhlen. Sein Aussenminister Lieberman beneidet Russland und dessen Vladimir Putin, platzt vor Neid über Putins Machtfülle und neostalinistischen Regierungsstil und versucht diesen nachzuahmen. Seine Jünger helfen ihm dabei. Jüdische Rechtsextremisten wie die Hügeljugend der besetzten Gebiete, radikale Siedler und nationalreligiöse Rabbiner, die zum Hass auf Araber und Andersdenkende (man denke an den Mord an Itzchak Rabin), aufrufen und Gewalttaten gegen beide bibeltreu (wie sie meinen) unterstützen, sind eine relativ kleine, aber mächtige Regierungsstrippen ziehende Minderheit, die, bewusst oder unbewusst den Palästinensern hilft, Israel international zu desavouieren. Das hat wenig damit zu tun, dass islamistische Palästinenser Israel und Juden traditionell hassen und terrorisieren, sondern wie bei diesen, stammt die Motivation jüdisch-nationalistischer Juden aus ähnlichem ideologisch und religiös motiviertem rassistischem Hass. Wir sind halt, wie viele alte Israelis meinen, doch Cousins.


Freitag, 9. Dezember 2011

Zukunftsaussichen



Täglich klarer wird die Entwicklung das Abschiednehmen vom arabischen Frühling zum arabischen Winter. Wie im mittelöstlichen Wetter gibt es nur zwei Jahreszeiten – Sommer und Winter. Einen Frühling und einen Herbst gibt es kaum, das Ende des heissen Sommers wird mit kaltem regnerischen Wetter ersetzt, meist von einem Tag auf den anderen. Ähnlich wie die arabische Politik, in der an den Beispielen Ägypten, Tunisien, Jemen, Libyen usw. hoffnungsvolle und grundsätzlich friedliche Demonstration innert Tagen zu Quellen von rassistischem und religiösem Hass geworden sind. Wahlen, von denen Erneuerung und Befreiung der arabischen Gesellschaft von ihren mittelalterlichen und korrupten Fesseln erwartet wird und wurde bringen die reaktionärsten Kräfte zur Mehrheit. In Ägypten errangen die Muslimbrüder und die mordenden Salafisten zusammen über sechzig Prozent der Stimmen, in Tunisien über vierzig Prozent, in Marokko sieht es fast ebenso aus. In anderen Ländern des arabischen Frühlings ist es noch nicht zu Wahlen gekommen. Islamisten haben demokratische Wahlen gewonnen, werden voraussichtlich an die Macht kommen und machen damit diese Wahlen mit Sicherheit zu zweifachen Wahlen: zu den ersten und zu den letzten. Wie im Iran, werden die Wahlgewinner alles tun, um an der Macht zu bleiben, demokratische Wahlen hin oder her. Damit setzen sie die arabische Tradition fort, die allerdings auch schon unter sekulärer Herrschaft seit dem Entstehen arabischer Staaten in den Nachkriegsjahren bestand. Schuld daran sind die wählenden Bürger, doch kann man sie nicht wirklich dafür verantwortlich machen. Tribalistische Gewalt zur Lösung von Problemen ist die dahinter stehende Tradition. Demokratie wird in der arabischen Welt wird noch immer als degenerierte westliche Schwäche verstanden, auch wenn Gutmenschen durch die Medien uns das Gegenteil einzureden versuchen. Der oft gehörte Einwand, die Mehrheit der arabischen Welt sei für Frieden, wirkt sehr fragwürdig, wenn über 60 Prozent der ägyptischen, marokkanischen und tunesischen Bürger islamistischen Fanatiker in ihre postrevolutionären Parlamente wählen oder diesen die Stimmenmehrheit verschaffen.

Ari Shavit hat in einem in der jüdischen Zeitschrift Tachles veröffentlichten Artikel diese fatale Entwicklung beschrieben. Wie auch ich, sieht Shavit eine ähnliche Entwicklung in Israel, in der Extremisten der ultrafrommen und der ultranationialistischen Sorte den jüdisch-israelischen Weg zurück ins schwarze Mittelalter vorantreiben. Der einzige Unterschied ist, wie er schreibt, ist, dass in der arabischen post-revolutionären Welt, die Mehrheit diesen Weg in die Dunkelheit will, während es in Israel eine Minderheit ist, deren finstere Machenschaften von Nethanyahus bestimmt nicht bekämpft, sondern teilweise gefördert werden. Und die weltliche Mehrheit sitzt auf dem Hintern, jammert und schimpft, arbeitet, zahlt mit ihren Steuern diese Misere und „hat keine Zeit“, sich mit Politik zu beschäftigen.

Wie sehr Tommy Lapid in Israels Politszene fehlt!