Die Verfrommung Israel’s, die Zerstörung
seiner Demokratie, der Gleichheit aller seiner Bürger, ob Frauen und Männer,
Muslime und Christen, Flüchtlinge vor dem islamistischen Irrsinn in Afrika –
all das wird von dem mit Riesenschritten fortschreitenden „Erfolg“ der
extremistischen Ultraorthodoxie und rechtsextremistischer, doch nicht immer
religiöser Siedler und ihren Rabbinern auf die Gesellschaft und die
Gesetzgebung alarmierend beeinflusst.
Weit mehr als die Bedrohung durch allfällige
iranische Atombomben, beunruhigt mich diese Entwicklung zu theokratischen und
nationalistischen Regeln, die mit Menschrechten, Gleichheit der Bürger und
einer freien demokratischen Gesellschaft nichts mehr zu tun haben. Diese
Bedrohung ist hausgemacht und zerstört den freien demokratischen Staat von
innen. Der Grund für diese gut mögliche Zerstörung unseres Staatswesens,
aufgebaut durch realisierte Träume eines fortschrittlichen Judentums, durch
Menschen, die mit physischer Arbeit, sauberer politischer Arbeit und dem
Durchsetzen gegenüber einer feindlichen Umwelt des Hasses und militärischer
Angriffe, ist das Resulat einer von uns selbst fast widerspruchslos entstandenen
demographischen und politischen Entwicklung. Noch einige Jahre und Israel wird
zu einem faschotheokratischen Staat, der sich nur noch dadurch von seiner
Nachbarschaft unterscheiden wird, dass die Theokratie sich jüdisch nennt, statt
islamisch.
Es sei denn die noch immer vernünftlige
Mehrheit unserer Bürger beginnt sich zu wehren. Gerade in den letzten Wochen
ist dem Bürger klar geworden, dass die Regierung Nethanyahu keinerlei Absichten
besitzt, sich für eine humane, demokratische Zukunft unseres Landes
einzusetzen. Nethanyahu, selbst sekulär, kriecht der Ultraorthodoxie und den
Siedlern in den Hintern (ein bekanntes Beispiel: er flüsterte vor einigen
Jahren dem ultraorthodoxen Haupt der Schasspartei, Rabbi Ovadia, bei irrtümlich
angestelltem Mikrophon ins Ohr „Die [Linken und Atheisten] wissen nicht, was
Judentum ist“), unterstützt schweigend deren Gewalttaten und Praktiken gegen
Frauen, Palästinenser (in Israel und der Westbank) und demokratiebewusste
jüdische Bürger. Warum wohl? Die Antwort in diesem Zusammenhang ist bestimmt
die, dass ihm sein Stuhl als israelischer Ministerpräsident weit wichtiger ist,
als die Zukunft des Landes. Nachdem er die einmalige Chance zusammen mit der
Kadima Partei einen grundlegenden politischen Richtungswechsel durchzuziehen
entsorgt und sich vollends einer rechtradikalen Politik zugewendet hat, kann
nur noch ein Aufgebot demokratischer Bürger einen Umschwung bewirken. Israelis
haben in der Vergangenheit schon bis zu über 400'000 Menschen zu
Demonstrationen organisiert. Jetzt, wo es um den Frieden im eigenen Haus geht,
sollte so etwas auch möglich sein. Natürlich genügen Demos allein nicht, die
Vergangenheit hat gezeigt, dass Nethanyahu solche aussitzt, Versprechen wie
Bonbons verteilt und keinerlei Absicht hat, diese je einzulösen. Seit es heute
einen Tommy Lapid nicht mehr gibt, wären Parteien der Mitte wie Kadima,
Arbeitspartei und Meretz eine mögliche Lösung. Das gilt auch für arabische
Knessetmitglieder, wenn sich diese – mit Ausnahme Ahmed Tibis, den ich schätze
– konstruktiver politischer Tätigkeit zuwenden würden. Ich stelle mir vor, dass
bei entsprechender politischer Arbeit, diese Parteien eine gute Chance hätten,
Bibis Beliebtheit ist, wie ich las, wesentlich unter 50% gefallen.
Ein Blick in die heutige Ausgabe meiner
Hauszeitung „Haaretz“ gibt einen Einblick in die heutige Situation. Hier vier
Headlines zum Thema, allein heute publiziert! Es sind nur wenige Muster,
täglich gibt es weitere und bestimmt werden bei weitem nicht alle Vorfälle
publiziert.
- Neun Teenager des brutalen Zusammenschlagens eines arabischen Jugendlichen in Jerusalem angeklagt
Anklage beschreibt die Kette der Ereignisse, die
zum brutalen Zusammenschlagen des siebzehnjährigen Jamal Julani aus
Ost-Jerusalem führte, der bewusstlos auf der Strasse liegen blieb und jetzt in
kritischem Zustand im Spital liegt. Sein Leben wurde durch Mund zu Mundbeatmung
eines jüdischen Medizinstudenten am Ort der Tat gerettet.
- Orthodox-feministische Organisation verklagt Haredi-Radiostation für 104 Million Shekel
Gruppenklage, weil diese Station keine Frauen
interviewe: „Frauenstimmen völlig zum Schweigen gebracht“. Bilder und Stimmen
von Frauen sind nicht nur, doch vor allem, aus Jerusalems Öffentlichkeit
verschwunden.
- Polizei untersucht Drohungen an Araber, sich nicht mit jüdischen Mädchen zu treffen
Die Lehava Antiassmilationsgruppe verteilte vor Tagen
Flugblätter an Araber sich nicht jüdischen Frauen zu nähern: “Wir wollen nicht,
dass ihr verletzt werdet” stand darauf.
- Maskierte Männer attackieren einen palästinensischen Schäfer in den Hügeln südlich von Hebron
Asmail Adara, aus dem Dorf Bir al Eid, wurde mit
Rasierklingen und Stöcken von zwei Männer angegriffen. Der Schäfer Asmail Adara
war seine Herde unterwegs. Anscheinend kannte er seine Angreifer.
Die Titel sind von mir aus dem Englischen
übersetzt. Ich hätte gerne die entsprechenden Links hinzugefügt, doch sind
diese Artikel auf der Haaretz-Website kostenpflichtig. Doch in der International Herald Tribune, dem Partnerblatt von
Haaretz, ist ein interessanter Artikel zu lesen, der den Umgang in israelischen
Schulen mit dem Thema beschreibt. Darauf können wir stolz sein.
Es geht nicht an, dass dieses Thema,
jüdischer Rassismus und jüdische Gewalt in Israel, relativiert wird. Bestimmt
werden nun nicht wenige jüdische Leser dieses Tagebucheintrags aufschreien und
hellsichtig bemerken, die Palästinenser seien noch viel gewalttätiger als wir
Juden. Mag sein, doch gibt es auch unter Palästinensern Menschen, die sich
gegen Rassismus und Gewalttätigkeit stellen. Ihre demokratischen Strukturen
sind jedoch, wenn überhaupt vorhanden, völlig traditionslos und die in Israel
vorhandene Zivilcourage gibt es kaum in Ansätzen. Ihre Furcht vor Terror aus
eigenen Reihen innnerhalb der eigenen Gesellschaft verhindert ein Aufbäumen
gegen palästinensische Gewalt, auch die gegen sie selbst. Wir jüdischen
Israelis haben diese Einschränkungen nicht, wir können uns lauthals und mittels
Gerichten, Polizei (nicht immer ganz stubenrein, doch vorhanden) und eigenen
Initiativen gegen diese Selbstbeschmutzung wehren. Über palästinensische
Untaten brauche ich mich nicht zu schämen, über jüdische jedoch schon, denn da
fühle ich mich mitverantwortlich. Wir können unseren Stolz auf Israel und
seine grossartigen Leistungen und Errungenschaften verlieren, wenn wir nicht
als Juden dagegen Stellung beziehen. Meine Befürchtung "Wir wollen nicht eines Tages
aufwachen und einen Staat Israel vorfinden, für den einzusetzen sich nicht mehr
lohnt" (Paul Uri
Russak zur gesellschaftlichen Entwicklung in Israel, 2002) darf unter keinen Umständen wahr werden.