Mittwoch, 29. August 2012

Israels Problem Nummer 1

 

Die Verfrommung Israel’s, die Zerstörung seiner Demokratie, der Gleichheit aller seiner Bürger, ob Frauen und Männer, Muslime und Christen, Flüchtlinge vor dem islamistischen Irrsinn in Afrika – all das wird von dem mit Riesenschritten fortschreitenden „Erfolg“ der extremistischen Ultraorthodoxie und rechtsextremistischer, doch nicht immer religiöser Siedler und ihren Rabbinern auf die Gesellschaft und die Gesetzgebung alarmierend beeinflusst.  

Weit mehr als die Bedrohung durch allfällige iranische Atombomben, beunruhigt mich diese Entwicklung zu theokratischen und nationalistischen Regeln, die mit Menschrechten, Gleichheit der Bürger und einer freien demokratischen Gesellschaft nichts mehr zu tun haben. Diese Bedrohung ist hausgemacht und zerstört den freien demokratischen Staat von innen. Der Grund für diese gut mögliche Zerstörung unseres Staatswesens, aufgebaut durch realisierte Träume eines fortschrittlichen Judentums, durch Menschen, die mit physischer Arbeit, sauberer politischer Arbeit und dem Durchsetzen gegenüber einer feindlichen Umwelt des Hasses und militärischer Angriffe, ist das Resulat einer von uns selbst fast widerspruchslos entstandenen demographischen und politischen Entwicklung. Noch einige Jahre und Israel wird zu einem faschotheokratischen Staat, der sich nur noch dadurch von seiner Nachbarschaft unterscheiden wird, dass die Theokratie sich jüdisch nennt, statt islamisch.

Es sei denn die noch immer vernünftlige Mehrheit unserer Bürger beginnt sich zu wehren. Gerade in den letzten Wochen ist dem Bürger klar geworden, dass die Regierung Nethanyahu keinerlei Absichten besitzt, sich für eine humane, demokratische Zukunft unseres Landes einzusetzen. Nethanyahu, selbst sekulär, kriecht der Ultraorthodoxie und den Siedlern in den Hintern (ein bekanntes Beispiel: er flüsterte vor einigen Jahren dem ultraorthodoxen Haupt der Schasspartei, Rabbi Ovadia, bei irrtümlich angestelltem Mikrophon ins Ohr „Die [Linken und Atheisten] wissen nicht, was Judentum ist“), unterstützt schweigend deren Gewalttaten und Praktiken gegen Frauen, Palästinenser (in Israel und der Westbank) und demokratiebewusste jüdische Bürger. Warum wohl? Die Antwort in diesem Zusammenhang ist bestimmt die, dass ihm sein Stuhl als israelischer Ministerpräsident weit wichtiger ist, als die Zukunft des Landes. Nachdem er die einmalige Chance zusammen mit der Kadima Partei einen grundlegenden politischen Richtungswechsel durchzuziehen entsorgt und sich vollends einer rechtradikalen Politik zugewendet hat, kann nur noch ein Aufgebot demokratischer Bürger einen Umschwung bewirken. Israelis haben in der Vergangenheit schon bis zu über 400'000 Menschen zu Demonstrationen organisiert. Jetzt, wo es um den Frieden im eigenen Haus geht, sollte so etwas auch möglich sein. Natürlich genügen Demos allein nicht, die Vergangenheit hat gezeigt, dass Nethanyahu solche aussitzt, Versprechen wie Bonbons verteilt und keinerlei Absicht hat, diese je einzulösen. Seit es heute einen Tommy Lapid nicht mehr gibt, wären Parteien der Mitte wie Kadima, Arbeitspartei und Meretz eine mögliche Lösung. Das gilt auch für arabische Knessetmitglieder, wenn sich diese – mit Ausnahme Ahmed Tibis, den ich schätze – konstruktiver politischer Tätigkeit zuwenden würden. Ich stelle mir vor, dass bei entsprechender politischer Arbeit, diese Parteien eine gute Chance hätten, Bibis Beliebtheit ist, wie ich las, wesentlich unter 50% gefallen.  

Ein Blick in die heutige Ausgabe meiner Hauszeitung „Haaretz“ gibt einen Einblick in die heutige Situation. Hier vier Headlines zum Thema, allein heute publiziert! Es sind nur wenige Muster, täglich gibt es weitere und bestimmt werden bei weitem nicht alle Vorfälle publiziert. 

  • Neun Teenager des brutalen Zusammenschlagens eines arabischen Jugendlichen in Jerusalem angeklagt
Anklage beschreibt die Kette der Ereignisse, die zum brutalen Zusammenschlagen des siebzehnjährigen Jamal Julani aus Ost-Jerusalem führte, der bewusstlos auf der Strasse liegen blieb und jetzt in kritischem Zustand im Spital liegt. Sein Leben wurde durch Mund zu Mundbeatmung eines jüdischen Medizinstudenten am Ort der Tat gerettet. 

  • Orthodox-feministische Organisation verklagt Haredi-Radiostation für 104 Million Shekel
Gruppenklage, weil diese Station keine Frauen interviewe: „Frauenstimmen völlig zum Schweigen gebracht“. Bilder und Stimmen von Frauen sind nicht nur, doch vor allem, aus Jerusalems Öffentlichkeit verschwunden. 

  • Polizei untersucht Drohungen an Araber, sich nicht mit jüdischen Mädchen zu treffen
Die Lehava Antiassmilationsgruppe verteilte vor Tagen Flugblätter an Araber sich nicht jüdischen Frauen zu nähern: “Wir wollen nicht, dass ihr verletzt werdet” stand darauf. 

  • Maskierte Männer attackieren einen palästinensischen Schäfer in den Hügeln südlich von Hebron
Asmail Adara, aus dem Dorf Bir al Eid, wurde mit Rasierklingen und Stöcken von zwei Männer angegriffen. Der Schäfer Asmail Adara war seine Herde unterwegs. Anscheinend kannte er seine Angreifer.

Die Titel sind von mir aus dem Englischen übersetzt. Ich hätte gerne die entsprechenden Links hinzugefügt, doch sind diese Artikel auf der Haaretz-Website kostenpflichtig. Doch in der International Herald Tribune, dem Partnerblatt von Haaretz, ist ein interessanter Artikel zu lesen, der den Umgang in israelischen Schulen mit dem Thema beschreibt. Darauf können wir stolz sein.

Es geht nicht an, dass dieses Thema, jüdischer Rassismus und jüdische Gewalt in Israel, relativiert wird. Bestimmt werden nun nicht wenige jüdische Leser dieses Tagebucheintrags aufschreien und hellsichtig bemerken, die Palästinenser seien noch viel gewalttätiger als wir Juden. Mag sein, doch gibt es auch unter Palästinensern Menschen, die sich gegen Rassismus und Gewalttätigkeit stellen. Ihre demokratischen Strukturen sind jedoch, wenn überhaupt vorhanden, völlig traditionslos und die in Israel vorhandene Zivilcourage gibt es kaum in Ansätzen. Ihre Furcht vor Terror aus eigenen Reihen innnerhalb der eigenen Gesellschaft verhindert ein Aufbäumen gegen palästinensische Gewalt, auch die gegen sie selbst. Wir jüdischen Israelis haben diese Einschränkungen nicht, wir können uns lauthals und mittels Gerichten, Polizei (nicht immer ganz stubenrein, doch vorhanden) und eigenen Initiativen gegen diese Selbstbeschmutzung wehren. Über palästinensische Untaten brauche ich mich nicht zu schämen, über jüdische jedoch schon, denn da fühle ich mich mitverantwortlich. Wir können unseren Stolz auf Israel und seine grossartigen Leistungen und Errungenschaften verlieren, wenn wir nicht als Juden dagegen Stellung beziehen. Meine Befürchtung "Wir wollen nicht eines Tages aufwachen und einen Staat Israel vorfinden, für den einzusetzen sich nicht mehr lohnt" (Paul Uri Russak zur gesellschaftlichen Entwicklung in Israel, 2002) darf unter keinen Umständen wahr werden. 

1 Kommentar:

Wohnungsräumung hat gesagt…


vielen Danke ... Ich hoffe, dass weitere Themen :)