Freitag, 28. Dezember 2012

Wie NGOs Israel schaden - ein Gastbeitrag

Von Alexander Scheiner

Seit einigen Jahren lebe ich in Israel. Die mir seit Jahren wohlbekannten Feinde sind immer noch höchst aktiv. Neuerdings hat Israel, und damit auch die Juden weltweit, auch innere Feinde. Diese sind erstens gewisse ultraorthodoxe Juden (i.e., die Neturei Karta),  sowie nahezu perfekt organisierte internationale Organisationen  von hauptsächlich säkularen Juden, die Palästina mit grossem Aufwand und grossem Erfolg unterstützen: mit der infamen, von Palästinensern gegründeten  BDS-Waffe, die Israel wirksam und mit voller Absicht  schädigt.
Die schweizerische NGO jvjp.ch ist wohl eine der aktivsten pro-palästinensischen NGO’s in der Schweiz die ich kenne. Erstens mit politischen  Aktivitäten, insbesondere der aktiven  und intensiven Unterstützung von palästinensischen, arabischen und islamischen Institutionen, die nicht nur Israel defamieren,  delegitimieren und dämonisieren, sondern auch Juden weltweit. All dies seit Jahren, mit bemerkenswerter Dynamik und Professionalität und Erfolg. Zweitens, mit der Instrumentalisierung von einzelnen, wahrscheinlich politisch naiven (Rand)Juden in der Schweiz.
Diese jüdischen Aktivisten  vertreten zu 100% die Ziele des notorisch antiisraelischen, aber auch klar antijüdischen BDS-MovementSie unterstützen den Boykott gegen Israel mit Rat und Tat. Sie sind aktiv im Russel-Tribunal gegen Israel beteiligt,  und befürworten den sogenannten Goldstone-Report, obwohl dieser inzwischen berichtigt wurde. Vor einigen Jahren wurde sogar eine Lesung einer palästinensischen Hassliteratin in den Räumen einer jüdischen Gemeinde in Zürich durchgeführt.
Einer der jüdischen Aktivisten, damals im Vorstand einer jüdischen Gemeinde in Zürich, hat sich nicht entblödet, am Schabbat an der Bahnhofstrasse in Zürich, für palästinensische Freunde Olivenöl zu verkaufen.
Im Jahr 2013 beabsichtigen sie,  einen Jom Ijun durchzuführen.  Bei aller mir gegebenen  Toleranz als liberaler Schweizerjude,  Judentum als  Politikum zu instrumentalisieren ist hanebüchen.  Der Jom Ijun 2013 wird als Verarschungszeremoniell durchgeführt: man zeigt, man ist ja irgendwie Jude.

Diese Aktivitäten haben bis heute den Palästinensern kaum etwas Positives gebracht. Im Gegenteil, die Zahl der palästinensischen Arbeitslosen in Israel, Jehudah und Schomron stieg enorm an. Gleichzeitig sank dort die Kaufkraft und damit die Lebensqualität. Aber,  Israel und uns Juden haben diese Aktivitäten enorm geschadet: der wirtschaftliche Schaden beläuft sich auf einige 100 Millionen US$. Schlimmer, der gesellschaftliche Schaden ist enorm: akademische Boykotte von jüdischen Schülern,  Studenten und Professoren weltweit, dazu ein  weltweiter kultureller Boykott. Ausserhalb Israels werden Juden belästigt und verprügelt. In Frankreich wurden Juden ermordet. In der Schweiz wurde der Grossverteiler Migros mit  Erfolg veranlasst, israelische Waren zu boykottieren.

(Gastbeiträge müssen sich nicht mit der Sicht von Paul Uri Russak decken. Sie wiedergeben ausschliesslich die Sicht des Autors.)

Samstag, 15. Dezember 2012

Zukunftsspekulationen und anderes



Flüchtlinge – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Aus dem Sechstagekrieg habe ich verschiedene Erinnerungen, positive und negative. Eine davon, unblutig doch politisch wichtig, waren die ostwärts fliehenden palästinensischen Flüchtlinge. Es war ein Flüchtlingszug auf den Strassen, ganze Familien, alte Leute und Kinder bewegten sich langsam in Richtung Jordanien. Wir Reservesoldaten hatten Befehl ihnen nicht zu helfen, weder Lebensmittel noch Wasser zu geben. Wer diesen idiotischen Befehl gab, hätte wissen sollen, dass israelische Soldaten, ganz besonders die der Reserve, darauf pfeifen würden. Wir sind bestimmt nicht die einzige Einheit gewesen zu sein, die so handelte. Wir fütterten die Leute, gaben ihnen Wasser und liessen sie im Schatten ruhen. Doch dann zogen sie weiter. Soviel ich weiss sind die meisten dieser Flüchtlinge am Ende in ihre Dörfer zurückgekehrt.

Warum erzähle ich das? Es könnte sich wiederholen, doch diesmal ohne Rückkehr. Die Jahrhundert lange Indoktrination der Palästinenser (früher Araber) zum Judenhass, den sie zwar nicht alle teilen, aber bestenfalls hinter vorgehaltener Hand ablehnen. Wie weit das heute noch so ist, ist schwer abzuschätzen. Wie weit wir linken Israelis naiv sind, ob der palästinensische Hass auf uns so stark ist, wie ihn die palästinensische Führung der islamistischen Hamas oder der leicht weniger offen Israel hassenden Fatah uns zu verstehen geben, darüber kann nur spekuliert werden.
Wenn sogar ein Benny Morris, einer der „neuen Historiker“,  seine Ansichten radikal änderte und für gewisse Linksextremisten zum Verräter wurde, sich mit dem Thema einer endgültigen Vertreibung der Palästinenser beschäftigt, könnte, sollten diese eine dritte Intifada anzetteln, ein eine solche eintreten. Mit extremradikalen Rechtsparteien als Partner, muss damit gerechnet werden. Da mit Schönreden (oder eher Ausreden) ohne Taten durch beide Exponenten Abbas und Nethanyahu wirkliche Gespräche kaum möglich sind, sehen wir einem trostlosen 2013 entgegen.

Der arabische Winter
Meine trüben Prophezeiungen zum „arabischen Frühling“ der innert kurzer Zeit zum arabischen Winter mutiert ist, haben sich bewahrheitet. Den „Frühling“ gibt es nirgends mehr. In Ägypten, wie in allen betroffenen arabischen Ländern, ist tiefster Winter ausgebrochen. Die hier Muslimbrüder (in Ägypten in den zwanziger Jahren gegründete Bewegung des reaktionären Islams, zum dem heute die Hamas gehört) genannten Islamisten, haben sich die Revolution unter den der innert kürzester Zeit Nagel gerissen und damit Voraussagen vieler bestätigt. Wie lange wir noch bis zum Ausbruch eines Bürgerkrieg à la Syrien warten müssen, wird sich zeigen. Hoffnungsvoll positive Voraussagen haben sich, wie wir heute wissen, in der arabischen Welt noch nie bewahrheitet.

 
Obenstehendes Bild schreiender islamistischer Eiferer in Kairo lehrt das Fürchten. Ob diese Schriften schwingenden Muslime lesen oder gar schreiben können, darf man bezweifeln. Bestenfalls haben sie den Koran auswendig gelernt. Die Hälfte aller Männer Ägyptens sind Analphabeten, bei den Frauen sind es etwa siebzig Prozent. Das entspricht etwa dem arabischen Durchschnitt, in dem nur „unsere“ Palästinenser der besetzten Gebiete und Gaza besser dastehen. Damit kann man weder moderne demokratische Politik noch wirtschaftlichen Erfolg erzielen. Welcher oben gezeigter gestandenen ägyptischen Männer hat schon Karl Marx oder Marcuse gelesen, um nur eine bescheidene Frage zu stellen. 
 
Journal 21

Möglicherweise habe ich eine masochistische Ader. Ich schreibe gerne Artikel im Journal21 und ebenso gerne Kommentare zu Artikel anderer Autoren. Ich werde als Antwort mit Kommentaren eingedeckt, die von antisemitischem Dreck bis zu gelegentlichen Zustimmungen reichen. Neu ist das für mich nicht. Gemeinsam ist allen Dreckwerfern, dass sie das anonym tun. Mit anderen Worten, sie nehmen Meinungsfreiheit war, um sich dahinter feige zu verstecken. Das hat mit mir gar nichts zu tun – es zeigt höchstens, wie sich Feiglinge hinter eben dieser Meinungsfreiheit austoben. Sie würden, so wurde dieses Verhalten schon begründet, sonst bedroht – telefonisch oder eben durch Stellungnamen anderer. Mir kommen die Tränen. Gemeinsam ist all diesen Werfern eigenen Drecks, dass sie nie auf die Themen meiner Artikel oder Kommentare eingehen, sondern persönlich werden. Das reicht von Lügen, sachlichen Verdrehungen bis hin zu persönlichen Unterstellungen und Verleumdungen rassistischer Art. Nur mit Humor hat’s noch keiner versucht.
 
Natürlich beschäftigt mich das, doch spornt es an weiterzumachen. Diese Erfahrung ist für mich nicht neu. Seit ich über Israel und verwandtes schreibe, bin ich damit konfrontiert. Aber das Feld diesen Miesmachern, Lügnern und Antisemiten zu überlassen kommt für mich nicht in Frage. Immerhin habe ich den Vorteil in Israel zu leben und nicht in der Schweiz. So komme ich nicht in Versuchung diese Idioten finden zu wollen (was durchaus möglich ist) und ihnen meine Faust auf die Nase zu pflanzen. 

Wow, das tut gut!

Dienstag, 4. Dezember 2012

Die Rede, die Bibi nie gehalten hat

 

Binyamin Netanyahu ist nicht mutig, sondern feige. Sonst hätte er sich von Beginn an für einen palästinensischen Staat eingesetzt – mit eindeutigen Bedingungen - in Hinblick auf Israels Sicherheit, versteht sich – statt sich in der UNO lächerlich zu machen. Nur um klar zu stellen: ich bin dieser Meinung schon seit langer Zeit, nicht erst seit Abbas sich darum bemüht, Präsident eines wirklichen Staates zu werden. Zwar ist Palästina auch heute, nach Abbas‘ „erfolgreichen“ Bemühungen, noch lange kein wirklicher Staat, sondern eine imaginäres Gebilde, das ohne weltweites Schnorren auch weiterhin nicht überleben könnte. Es ginge auch ohne Schnorrerei, aber dann müsste sich der Charakter der palästinensischen Führung, sei es Fatah oder Hamas völlig ändern – Ehrlichkeit statt Korruption, religiöse Freiheit statt hasserfülltem Fundamentalismus, Bildung statt auswendig lernen, Menschenrechte statt religiöser oder militärischer Diktatur, Aufbau statt Krieg und vor allem Respekt für andere! Davon sind Palästinenser und auch fast alle anderen Araber noch weit entfernt.

Was Abbas jetzt auf dem Papier erhalten hat, ändert nichts für sein Volk, mögen sie feiern und sich an grundloser Glückseligkeit besaufen. Netanyahu hat sich für die kommenden Knessetwahlen eine Fraktion zusammengestellt, die kaum noch mehr rechtsextremistisch sein könnte und vielen Bürger sogar Furcht einflösst. Er entfernte sich damit noch weiter von der politische Mitte des Landes und da die Arbeitspartei sich, gemäss Parteipräsidentin Shelley Yacimovitz keine linke sozialdemokratische Partei mehr sein soll, sondern eine des politischen Zentrums, sieht sich das Land sieht sich Israel heute von den Träumen seiner Gründerväter so weit entfernt, das sich diese – inklusive Menachem Begin – in ihren Gräbern mit Turbinengeschwindigkeit umdrehen.

Netanyahu's missed opportunity

By Shlomo Avineri (Haaretz, Dec. 04, 2012)

How Netanyahu might have responded to Abbas: 'You have already come a long way, Mr. President. In the name of the people of Israel, in all their diversity, I would like to congratulate you.'
Following is the speech that the prime minister of Israel should have delivered at the UN General Assembly after Palestinian Authority President Mahmoud Abbas' address:

"I would like to congratulate the president of the Palestinian Authority on the courageous step you took. In coming to the UN General Assembly seeking recognition of Palestine as a nonmember state, you have embarked on the path toward a historic compromise between the Jewish national movement - Zionism - and the Palestinian national movement.
"We are looking toward the future, but we cannot ignore history. How much pain and suffering would have been avoided, for both peoples, had the Palestinian movement accepted the United Nations' partition plan on November 29, 1947, rather than 65 years later. Instead, the Palestinian national movement and the Arab League waged war not only against Israel, but also against the UN decision.
"Had the Palestinian movement accepted the idea of two states for two peoples back then, as we did, the war of 1948, which you call the Nakba, would not have taken place. The refugee problem would not have been created, tens of thousands of soldiers and civilians on both sides would not have been killed, the Arab countries would not have gotten entangled in war, and on May 15, 1948, two states would have been established on the territory of the British Mandate: Israel and Palestine, one alongside the other.

"Moreover, had the PLO leadership heeded the call of Egyptian President Anwar Sadat and joined him in his historic visit to Jerusalem in 1977, it would have been possible, in the atmosphere of reconciliation that prevailed, to begin to resolve the conflict between our two national movements.
"But we are looking toward the future. I know that there are many points of disagreement between us, and because of these we have failed to reach an agreement until now. But with an honest desire for peace and with the international recognition you have now received, these disagreements can be resolved by negotiations between us. I therefore call on you, sir, the president of the Palestinian Authority, and your entourage, to join me on my plane and return to the Middle East together. Over the long flight, we will be able to clarify between us a few of the principles ahead of the negotiations. At Ben-Gurion International Airport you will be welcomed like royalty, just like Sadat - the first person who had the courage to accept the historical reality of the existence of a Jewish state in the Middle East. Israel responded accordingly, and with a far-reaching willingness to compromise.

"I propose that we travel together from the airport to the Knesset. In the name of the Knesset and in the name of all the people of Israel, I invite you to bring a message of peace and reconciliation to your nation and mine. It is clear to me that, just as the Israeli public saw Sadat as a messenger of peace and reconciliation, that is how they will see you. Because it is the people of Israel - not the countries of the world - whom you must convince that you have chosen a path of reconciliation and compromise after so many years of animosity and refusal.
"I have no illusions that the path will be easy. The problems we face are complex, and they are not limited to territorial issues. But from the moment it becomes clear both to us and to you that each side accepts the legitimacy of the other, there will be an opening for reconciliation, even if it is difficult and complicated to get there.

"You have already come a long way, Mr. President. In the name of the people of Israel, in all their diversity, I would like to congratulate you. Let us say clearly and unequivocally that there is room for two states in our region: the Jewish nation-state and the Palestinian nation-state. The key is in our hands - in your hand, Mr. President."
This speech, of course, was not delivered. Because that would require courage, wisdom and a Zionism that combines vision with realism - the Zionism of David Ben-Gurion, who led the way to Israel's independence by accepting the partition plan, and of Menachem Begin, who welcomed Sadat to Jerusalem even as he gave up all of Sinai. How painful it is to realize that these qualities, which guarantee these two leaders a place in history, are so lacking in the prime minister of Israel today.
Shlomo Avineri, der Autor dieses Artikels im heutigen Haaretz, ist einer der vernünftigsten Männer in Israel. Er weiss genau, dass auch wenn Bibi obige Ansprache gehalten hätte, Abbas die darin enthaltende Aufforderung kaum aufgegriffen hätte, denn ein Sadat, der über seinen eigenen Schatten springt, ist er nicht. Abbas ist sich kaum klar, dass das Palästina, das man ihm vor wenigen Tagen „geschenkt“ hat, nur einen Bruchteil der Grösse besitzt, die die Palästinenser, hätten sie Resolution 181 in 1948 angenommen, erhalten hätten. Sukzessiv, in jeder späteren Verhandlung, Camp David und Taba mit Barak und Clinton oder das beinahe hundertprozentige Angebot von Ehud Olmert, waren geschrumpfte Versionen davon. Uns allen ist bekannt, ob man es glauben will oder nicht, dass es für sie nur eine akzeptierbare Version des Staates Palästina gibt, nämlich vom Jordan (oder noch östlicher) bis zum Mittelmeer, möglichst judenfrei.
Aber dennoch hätte Bibi eine Rede im vorgeschlagenen Stile halten müssen und Mahmud Abbas die Hand bieten, einem wirklichen, erfolgsversprechenden Staat Palästina auf die Füsse zu helfen. Wäre Abbas über seinen eigenen Schatten gesprungen hätten beide, Israel und Palästina gewonnen, eine win-win Situation wäre entstanden. Hätte Abbas abgelehnt, würde Israel heute nicht als „Friedensverweigerer“ dastehen. Schade. Für einmal gilt Abba Ebans bekannter Ausspruch in abgeänderter Form: „die Palästinenser würden keine Chance verpassen eine Chance zu verpassen“ für Israel.

Samstag, 1. Dezember 2012

Gedankenstützen

 

Kriegskosten

Israel und seine liebevollen Nachbarn bekriegen sich schon seit fast hundert Jahren. Kriege kosten Geld, Geld das durch Kriege grundsätzlich vergeudet ist. Die Wirtschaft produziert Waffen, die man nicht essen und mit denen man ausser Toten nichts produzieren kann. Die einen tun das, weil sie andere hassen und zerstören wollen, während diese anderen Waffen produzieren müssen, um sich zu verteidigen. Diese „Anderen“ sind Israel. Israel hat eine blühende Wirtschaft, sowie einen Ueberschuss an Talenten und kann daher seine selbst erfundenen und selbst hergestellten Waffen exportieren. Darin ist Israel weltweit einer der Marktführer. Mit dem damit verdienten Geld kann in Lebensmittel und Produktionsmittel investiert werden, sodass das Ganze doch noch einen positiven Effekt hat. Doch glaubt mir, Israel würde liebend gerne friedliche Produkte herstellen, friedliche Produkte erfinden und noch mehr Nobelpreise verdienen – wenn die bösen Nachbarn es zulassen würden. Sogar mit einer rechtsextremistischen Regierung, wie die heutige.

Anders ist es mit Israels Nachbarn. Daher die Frage: was waren die wirklichen Kosten dieser Kriege für die arabische Welt und ihr Volk. Die noch schwierigere Frage, die keiner Araber zu fragen wagt: was sind die realen Kosten der Nichtanerkennung Israels in 1948 und warum investierten die arabischen Staaten ihre Gelder nicht in Bildung, im Gesundheitswesen und in Infragstrukturen statt Kriegen? Die schwierigste Frage, die ebenso kein Araber hören will, ist ob Israel tatsächlich der wirkliche Feind der arabischen Welt und des arabischen Volkes ist? 

Diese Frage stellte vor zwei Monaten Abdulateef al-Mulhim in der „Arab News“ vom 6. Oktober 2012. Meine erste Reaktion war: „Lebt Abdulateef noch“. Ich habe bisher noch nichts gegenteiliges gehört. 

Doch „Spass“ beiseite. Was Abdulateef schreibt ist das Grundlegenste, das eigentlich die arabische Welt bewegen sollte, es aber nicht tut. Der UNO-Bericht zur sozialen Entwicklung analysiert das alle paar Jahre. Eine intelligente Zusammenfassung fand ich in der TAZ.  

Keiner soll mir entgegnen Israel sei an dieser arabischen Misere schuld. Was solches erzählt bestätigt damit bestensfalls seine eigene Dummheit und Ignoranz.

Demokratie in Israel

Dieser Tage fanden die Primaries für die im Januar 2013 stattfindenden Knessetwahlen statt. Erst die Primaries des Likud, dann die der Arbeitspartei. Bei dieser nahmen Lea und ich teil, sind wir doch Parteigenossen. Früher waren wir Unterstützer der Meretz Partei, zu der wir als ehemalige Kibbutznikim (Haschomer Hazair) der ebenso ehemaligen marxistischen Mapam gewisse Sympathien hegten. Die Urnen standen im ultraorthodoxen Hotel Eden-Inn in Zichron Yaakov. Das ist das Hotel, in dem die Fenster des Hallenbades mit Leintüchern abgedeckt werden, wenn sich die Frauen baden. Vor der Eingangstüre stehen dann bärtige Wächter in schwarzer Kluft, die haredische Keuschheit der Badenden hütend. Doch das gehört nicht zu den Wahlen, ich bin abgeschweift und entschuldige mich dafür. Aber eigentlich doch nicht ganz! Denn Primaries gibt es in ultrareligiösen Parteien nicht, der herrschende Rabbi bestimmt, welche Männer (Gott behüte, ja keine Frauen) ihn im Knesset vertreten dürfen. Eine demokratische Feinheit, die zu beachten ist.

Wen traf ich im Wahllokal? Mussa den Dicken mit seiner Frau, aus dem Nachbardorf Faradis. Mussa ist Wirtschaftler und leitet den Betrieb des Karmel-Spitals in Haifa. Verglichen mit ihm bin ich untergewichtig. Doch wie alle Dicken ist er ein lieber Kerl, herzlich und bewusst dankbar in einem demokratischen Land leben zu dürfen. Ich lernte Mussa vor zwölf Jahren während dem arabischen Aufstand in Israel kennen. Er, wie viele vernünftige Einwohner von Faradis, versuchten Frieden zu stiften und die fanatische islamistische Jugend seines Dorfes unter Kontrolle zu halten, was erst nach zwei Tagen gelang. Die Polizei, die sich fürchtete sich ins Dorf hinein zu begeben, hatte daran wenig Anteil. Mussa und eine grössere Anzahl Geschäftsleute und Lehrer errichteten ein grosses „Friedenszelt“. Ich möchte hier meinen damaligen Eintrag in Uris Tagebuch einfügen, da er noch in der Vorblogzeit geschrieben worden ist. Ich denke, er ist gerade heute wieder interessant: 

22.10.2000 – Im Friedenszelt in Faradis

Hochinteressanter Abend im Zelt in Faradis. Gegen 150 Leute kamen und es wurde sehr offen gesprochen. Die Frustration der Araber ist spürbar, wird auch offen ausgesprochen. Ihre Lebensbedingungen sind schlechter, die Arbeitslosigkeit hoch, sie fühlen sich in der israelischen Gesellschaft nicht akzeptiert. Einer definiert sich als Palästinenser, ein anderer findet keine Arbeit in irgend einer technischen Sparte, obwohl er ausgebildeter Ingenieur ist. In der Universität Haifa demonstrieren die arabischen Studenten aus genau diesem Grund – man lässt sie studieren und nachher können sie auf dem Bau arbeiten. Das gilt vor allem bei technischen Berufen. Wie ich höre will die linke Meretz Partei von Zichron Ya’akov Faradis für zwei Monate boykottieren, weil sie sich von den dortigen Arabern verraten fühlt. Sehr kindisch, finde ich. Die anwesenden Juden sind alle bereits überzeugte Liberale, die mit der Problematik kein Problem haben. Man überzeugt die bereits Überzeugten.

Gestern sei noch Ami Ayalon dagewesen, Sicherheitsberater von Barak. Morgen komme der stellvertretende Aussenminister, ein arabischer Israeli. Heute war ich da.

Ich hatte den Fotoapparat mit und erhielt von Mussa, dem Leiter der Zeltaktivitäten Bewilligung zu photographieren. Nach zwei Stunden bat mich einer der arabischen Teilnehmer, ob er mit mir reden könne. Dann fragte er mich, warum ich fotografiere. Ich erklärte es ihm. Dann aber er sagte er mir, ich solle es unterlassen – vielleicht hätte es Leute hier, die nicht fotografiert werden wollen. Er traue niemandem, keinem Juden, keinem Araber nur den Hunden und Katzen auf der Strasse. Ich hatte schon genügend Bilder im Kasten, also willigte ich mutig ein. Eine halbe Stunde später schloss ein 20-jähriger Israeli aus einem Kibbutz seine wirklich schöne Ansprache mit den Worten, er suche arabische Freunde. Da stand mein Fotofeind auf und bot sich dazu an und die beiden umarmten sich vor allen 150 Anwesenden. Hätte ich doch diese Szene fotografieren können. Zurückkommend auf die oben erwähnte Fotophobie, eine gewisse Paranoia der arabischen Bürger ist offenbar berechtigt. Im Dorf Faradis werden sie von anderen israelischen Arabern über ihre politische Meinung gefragt, die Antworten geheim auf Band aufgenommen und weitergeleitet. Diese Information bekam ich von einem jüdischen Israeli. Unwahrscheinlich tönt sie nicht. 

Wie ich stimmte Mussa u.a. auch für Raleb Majadle, einem der Kandidaten der Liste. Raleb ist schon lange Knessetmitglied, war schon Minister für Kultur und Sport (den man ihm nicht ansieht) und ist der erste der drei oder vier arabischen Kandidaten auf unserer Soziliste. Das bringt mich auf ein anderes Thema, nähmlich die arabischen Knessetmitglieder. Die meisten „Israelkenner“ wissen gar nicht, dass es arabische Parlamentarier nicht nur in den sogenannten arabischen Parteien gibt. Es gibt sie auch in den grossen Parteien, eben wie der sanfte Raleb in der Arbeitspartei oder ein Druse im Likud, einem antiarabischen Feuerfresser. Sie haben Mut. Erstens nicht aus Prinzip antiisraelisch zu sein und zweitens auch exekutive Verantwortung als Minister zu übernehmen. 

Soweit für heute.