Kriegskosten
Israel und seine liebevollen
Nachbarn bekriegen sich schon seit fast hundert Jahren. Kriege kosten Geld,
Geld das durch Kriege grundsätzlich vergeudet ist. Die Wirtschaft produziert
Waffen, die man nicht essen und mit denen man ausser Toten nichts produzieren
kann. Die einen tun das, weil sie andere hassen und zerstören wollen, während
diese anderen Waffen produzieren müssen, um sich zu verteidigen. Diese
„Anderen“ sind Israel. Israel hat eine blühende Wirtschaft, sowie einen
Ueberschuss an Talenten und kann daher seine selbst erfundenen und selbst
hergestellten Waffen exportieren. Darin ist Israel weltweit einer der
Marktführer. Mit dem damit verdienten Geld kann in Lebensmittel und
Produktionsmittel investiert werden, sodass das Ganze doch noch einen positiven
Effekt hat. Doch glaubt mir, Israel würde liebend gerne friedliche Produkte
herstellen, friedliche Produkte erfinden und noch mehr Nobelpreise verdienen –
wenn die bösen Nachbarn es zulassen würden. Sogar mit einer
rechtsextremistischen Regierung, wie die heutige.
Anders ist es mit
Israels Nachbarn. Daher die Frage: was waren die wirklichen Kosten dieser
Kriege für die arabische Welt und ihr Volk. Die noch schwierigere Frage, die
keiner Araber zu fragen wagt: was sind die realen Kosten der Nichtanerkennung
Israels in 1948 und warum investierten die arabischen Staaten ihre Gelder nicht
in Bildung, im Gesundheitswesen und in Infragstrukturen statt Kriegen? Die
schwierigste Frage, die ebenso kein Araber hören will, ist ob Israel
tatsächlich der wirkliche Feind der arabischen Welt und des arabischen Volkes
ist?
Diese Frage stellte vor zwei Monaten Abdulateef al-Mulhim in der „Arab
News“ vom 6. Oktober 2012.
Meine erste Reaktion war: „Lebt Abdulateef noch“. Ich habe bisher noch nichts
gegenteiliges gehört.
Doch „Spass“ beiseite. Was Abdulateef schreibt ist das Grundlegenste,
das eigentlich die arabische Welt bewegen sollte, es aber nicht tut. Der
UNO-Bericht zur sozialen Entwicklung analysiert das alle paar Jahre. Eine
intelligente Zusammenfassung fand ich in der TAZ.
Keiner soll mir entgegnen Israel sei an dieser arabischen Misere
schuld. Was solches erzählt bestätigt damit bestensfalls seine eigene Dummheit und Ignoranz.
Demokratie in Israel
Dieser Tage fanden die Primaries für die im Januar 2013 stattfindenden
Knessetwahlen statt. Erst die Primaries des Likud, dann die der Arbeitspartei.
Bei dieser nahmen Lea und ich teil, sind wir doch Parteigenossen. Früher waren wir
Unterstützer der Meretz Partei, zu der wir als ehemalige Kibbutznikim
(Haschomer Hazair) der ebenso ehemaligen marxistischen Mapam gewisse Sympathien
hegten. Die Urnen standen im ultraorthodoxen Hotel Eden-Inn in Zichron Yaakov.
Das ist das Hotel, in dem die Fenster des Hallenbades mit Leintüchern abgedeckt
werden, wenn sich die Frauen baden. Vor der Eingangstüre stehen dann bärtige
Wächter in schwarzer Kluft, die haredische Keuschheit der Badenden hütend. Doch
das gehört nicht zu den Wahlen, ich bin abgeschweift und entschuldige mich
dafür. Aber eigentlich doch nicht ganz! Denn Primaries gibt es in
ultrareligiösen Parteien nicht, der herrschende Rabbi bestimmt, welche Männer (Gott
behüte, ja keine Frauen) ihn im Knesset vertreten dürfen. Eine demokratische
Feinheit, die zu beachten ist.
Wen traf ich im Wahllokal? Mussa den Dicken mit seiner Frau, aus dem
Nachbardorf Faradis. Mussa ist Wirtschaftler und leitet den Betrieb des Karmel-Spitals
in Haifa. Verglichen mit ihm bin ich untergewichtig. Doch wie alle Dicken ist
er ein lieber Kerl, herzlich und bewusst dankbar in einem demokratischen Land
leben zu dürfen. Ich lernte Mussa vor zwölf Jahren während dem arabischen
Aufstand in Israel kennen. Er, wie viele vernünftige Einwohner von Faradis,
versuchten Frieden zu stiften und die fanatische islamistische Jugend seines
Dorfes unter Kontrolle zu halten, was erst nach zwei Tagen gelang. Die Polizei,
die sich fürchtete sich ins Dorf hinein zu begeben, hatte daran wenig Anteil.
Mussa und eine grössere Anzahl Geschäftsleute und Lehrer errichteten ein
grosses „Friedenszelt“. Ich möchte hier meinen damaligen Eintrag in Uris
Tagebuch einfügen, da er noch in der Vorblogzeit geschrieben worden ist. Ich
denke, er ist gerade heute wieder interessant:
22.10.2000 – Im Friedenszelt in Faradis
Hochinteressanter
Abend im Zelt in Faradis. Gegen 150 Leute kamen und es wurde sehr offen
gesprochen. Die Frustration der Araber ist spürbar, wird auch offen
ausgesprochen. Ihre Lebensbedingungen sind schlechter, die Arbeitslosigkeit
hoch, sie fühlen sich in der israelischen Gesellschaft nicht akzeptiert. Einer
definiert sich als Palästinenser, ein anderer findet keine Arbeit in irgend
einer technischen Sparte, obwohl er ausgebildeter Ingenieur ist. In der
Universität Haifa demonstrieren die arabischen Studenten aus genau diesem Grund
– man lässt sie studieren und nachher können sie auf dem Bau arbeiten. Das gilt
vor allem bei technischen Berufen. Wie ich höre will die linke Meretz Partei
von Zichron Ya’akov Faradis für zwei Monate boykottieren, weil sie sich von den
dortigen Arabern verraten fühlt. Sehr kindisch, finde ich. Die anwesenden Juden
sind alle bereits überzeugte Liberale, die mit der Problematik kein Problem
haben. Man überzeugt die bereits Überzeugten.
Gestern
sei noch Ami Ayalon dagewesen, Sicherheitsberater von Barak. Morgen komme der
stellvertretende Aussenminister, ein arabischer Israeli. Heute war ich da.
Ich
hatte den Fotoapparat mit und erhielt von Mussa, dem Leiter der Zeltaktivitäten
Bewilligung zu photographieren. Nach zwei Stunden bat mich einer der arabischen
Teilnehmer, ob er mit mir reden könne. Dann fragte er mich, warum ich
fotografiere. Ich erklärte es ihm. Dann aber er sagte er mir, ich solle es
unterlassen – vielleicht hätte es Leute hier, die nicht fotografiert werden
wollen. Er traue niemandem, keinem Juden, keinem Araber nur den Hunden und
Katzen auf der Strasse. Ich hatte schon genügend Bilder im Kasten, also
willigte ich mutig ein. Eine halbe Stunde später schloss ein 20-jähriger
Israeli aus einem Kibbutz seine wirklich schöne Ansprache mit den Worten, er
suche arabische Freunde. Da stand mein Fotofeind auf und bot sich dazu an und
die beiden umarmten sich vor allen 150 Anwesenden. Hätte ich doch diese Szene
fotografieren können. Zurückkommend auf die oben erwähnte Fotophobie, eine
gewisse Paranoia der arabischen Bürger ist offenbar berechtigt. Im Dorf Faradis
werden sie von anderen israelischen Arabern über ihre politische Meinung
gefragt, die Antworten geheim auf Band aufgenommen und weitergeleitet. Diese
Information bekam ich von einem jüdischen Israeli. Unwahrscheinlich tönt sie
nicht.
Wie ich stimmte Mussa u.a. auch für Raleb Majadle, einem der Kandidaten
der Liste. Raleb ist schon lange Knessetmitglied, war schon Minister für Kultur
und Sport (den man ihm nicht ansieht) und ist der erste der drei oder vier
arabischen Kandidaten auf unserer Soziliste. Das bringt mich auf ein anderes
Thema, nähmlich die arabischen Knessetmitglieder. Die meisten „Israelkenner“
wissen gar nicht, dass es arabische Parlamentarier nicht nur in den sogenannten
arabischen Parteien gibt. Es gibt sie auch in den grossen Parteien, eben wie
der sanfte Raleb in der Arbeitspartei oder ein Druse im Likud, einem
antiarabischen Feuerfresser. Sie haben Mut. Erstens nicht aus Prinzip
antiisraelisch zu sein und zweitens auch exekutive Verantwortung als Minister
zu übernehmen.
Soweit für heute.
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