Vater
und Sohn – Tommy und Yair Lapid (Wahlkommentar)
Noch
immer trauere ich dem überzeugten Säkularisten Tommy Lapid nach, dessen Leben
sein Sohn Yair in einem wunderschönen und hochinteressanten Buch „Memoiren nach
meinem Tod“ geschrieben hat. Yair‘s Abschneiden wurde in den gestrigen Knessetwahlen
zur Sensation, er erzielte noch mehr Parlamentssitze, neunzehn, als sein Vater in
1999 mit 15 Sitzen. Sein Sohn will unter anderem das Hauptziel seines Vaters realisieren,
den Parasitenstatus der Haredim in Israel abzuschaffen. Nun werden
wir sehen, wie er das bei Nethanyahu, der Ministerpräsident, wenn auch
geschwächt, bleiben wird, das durchbringt. In Bibis Rede nach den Wahlen wird
dieser Punkt schon erwähnt. Auch wenn ich Nethanyahu nie ein Wort glaube, hat
er sich der neuen Realität schon angepasst. Yair Lapid will das Problem
höflicher als sein Vater angehen und den sich vor Arbeit und Bürgerpflichten,
vor allem der Militärdienstpflicht, drückenden Haredim fünf Jahre Zeit geben,
sich darauf vorzubereiten. Arbeiten sollen sie ab sofort, doch Soldaten sein
erst nach fünf Jahren. Ich selbst kann mich damit nicht anfreunden, denn damit
wird Israels wirkliches Hauptproblem wiederum auf die lange Bank geschoben und würde
sogar nach den in vier Jahren wieder stattfindenden Knessetwahlen weiter
grassieren. Das wäre, so denke ich, der Tod dieser Initiative. Im Übrigen ist
zu vermerken, dass diese Initiative für volle Bürgerpflichten für alle, auch
für arabische Israelis gelten soll. Wie gesagt, mit Yair’s Plan kann ich mich nicht
anfreunden.
Man
wirft Yair Lapid vor, sich in seiner Partei „Jesh Atid“ (Es gibt eine Zukunft)
wie ein Diktator zu gebärden. In den Statuten seiner Partei steht, dass er den
Parteivorsitz bis 2020 behalten wird. Doch ich verstehe diesen Passus. In den
von ihm geschriebenen Memoiren seines Vaters Tommy „Memories after my dead“
beschreibt er, auf welche Art dessen Partei „Schinui“ zusammenbrach. Parteimitglieder,
vor allem jüngere profilsüchtige Profitierer, rissen das Kommando an sich und booteten Tommy und seine
Freunde aus. Im Buch wird beschrieben, wie Tommy Lapid, noch Justizminister mit
seinem Freund, dem Innenminister Avraham Poraz, ihre letzte Parteiversammlung
verliessen und die internen „Revolutionäre“ dem Schicksal überliessen. Die Schinui
Partei verlor sämtliche Sitze und verschwand aus der politischen Landschaft
Israels. Tommy starb wenig später.
Ich
denke Yair Lapid hat daraus gelernt und sich deshalb genügend Zeit ausbedungen,
seine Partei und seine Politik so zu führen, dass ihre Zukunft gesichert
bleibt. Ob diese Zukunft sich nach seinen Wünschen entwickeln wird, das werden
wir sehen. Im Moment hat er dazu die Chance seines Lebens.
Enkelin Hadass
wählt zum ersten Mal und ist stolz darauf
Gestrige
Wahlen für die Knesset waren bei weitem nicht meine ersten. Wenn ich
gelegentlich an die Wahlen in den frühen sechziger Jahren denke, an denen
unsere Kibbuz, der als Kibbuz des Haschomer Hazair zur marxistischen Partei „Mapam“
(heute nicht mehr marxistisch und Teil der linken Partei „Meretz“) gehörte,
befällt mich Wehmut. An einem Demonstrationsmarsch durch die Strassen Haifa, an
dem wir rote Fahnen wedelten und die Internationale sangen, hatten wir viel Spass.
Wir retteten sogar das Leben eines kleinen Jungen, der seinen Kopf durch einen
Eisenzaun gesteckt hatte und ihn nicht mehr heraus ziehen konnte. Chawer
Esra, Elektriker des Kibbuz, brachte es fertig den Kleinen zu befreien. Die
Mutter rief dankbar und unter Tränen: „Wie kann ich meinen Dank zeigen, ihr
habe mein Kind gerettet“. Im Chor antworteten wir: „Wählt Mapam!“
Alles
wieder von vorne
Wir sind umgezogen. Vom schönen
Zichron Yaakov ins ebenso schöne Tiv'on. Zugleich ist dieser Umzug ein
wirklicher Schritt in einen neuen Lebensabschnitt. Wir wohnen nun in einer sogenannten
Altersresidenz. Unsere Tochter Michal nennt es einen Club Mediteranée für
Pensionäre. Zusammen mit noch etwa 250 Alterskollegen, unter denen wir
allerdings zu den jüngeren zählen. Das Anzahlsverhältnis zwischen Männlein und
Weiblein steht bei etwa 1:5. Wir Männer haben’s also schön. Eine der ersten
Fragen, aus weiblichem Mund an mich gerichtet war: „Bist du allein?“. Mein
Freund Arie Levy der Schreiner aus Zichron Ya’akov, der mich besuchte - Lea war
gerade bei ihrer Schwester im Kibbuz – fing an zu lachen. Ich verstand nicht
warum, und er musste mich über das Verhalten fröhlicher Witwen aufklären. Wie
gesagt, Männer haben es hier sehr schön. Als wir vor zweieinhalb Jahren von
unserem Häuschen in eine Wohnung zogen, dachten Lea und ich es sei der letzte
Umzug. Doch ausgesundheitlichen Gründen mussten wir nochmals umziehen und sind,
da es eine solche Institution in Zichron Yaakov (noch) nicht gibt, im nahe
gelegenen Tiv’on gelandet.
Doch wir sind weiterhin
selbstständig. Wir kochen, laden Gäste zu Mahlzeiten ein, fahren mit dem Auto
wohin wir wollen und sind frei. Nur, die Wohnung hat statt vier nur noch zwei
Zimmer, der Balkon ist statt 30 m2 nur noch 7 m2 gross.
Dafür sind Handwerker im Haus, Putzfrauen und eine Pflegerin für Lea – die
Organisation ist unübertrefflich und das Personal ist nett. Wir rufen uns alle
beim Vornahmen, soziales ist gross geschrieben. Täglich, ausser am Wochenende,
obwohl es hier nicht religiös zugeht, da Religion hier Privatsache ist, finden
Vorträge und Kurse statt, jeden Morgen bin ich schon um halb acht im Hallenbad
und schwimme meine Runden. Jüdische Feste werden gefeiert. Ich fühle mich um über fünfzig Jahre in den Kibbuz zurückversetzt. Da wir in Tiv’on alte Freunde aus der Schweiz haben
und es eine Reformgemeinde gibt, wird uns das bei der Eingewöhnung helfen. Soweit
geht es uns prächtig und es gibt keinen ersichtlichen Grund, der dagegen
spricht.
Ganz besonders gefällt mir ein
anderer junger Mann, der Israel. Er ist nur sieben Jahre älter als ich.
Er kommt aus Amerika, ist Musiker und spielt verschiedene Instrumente. Darauf
spielt er Jazz und Blues und wir haben bereits Pläne. Nur eben, auch seine Frau
ist krank und auch er wurde zum Chauffeur für medizinischen Tourismus. Wir werden
hier eine Zukunft haben, eine, so hoffe ich aber, musikalische.
Vor einigen Tagen rief uns eine
Dame an und lud uns zum sofortigen Zvieri ein. Sie heisst Reef und kommt aus
Südafrika. Wir seien neu hier und auch
nett, habe sie gehört. Ihre ebenfalls anwesende Freundin gehört zu den Machsom
Watch Frauen, jenen, meist Omas, die in den besetzten Gebieten beobachten, wie
man die Palästinenser an Strassensperren (Machsom in Hebräisch) plagt. Die
meisten Strassensperren sind zwar aufgehoben, aber der Krieg dieser Machsom
Watch Damen gegen die Soldaten und Polizisten Israels geht weiter. Ich beschrieb
im Tagebucheintrag vom 10. Juni 2009 meine Erfahrungen mit zwei anderen
Machsomistinnen. Mein damaliger Eindruck war ziemlich negativ und ich fand das
Benehmen meiner Begleiterinnen oft deplaziert. Doch meine neue Bekannte sieht das anders und hegt,so sagt sie, keine
Animositäten gegen unsere Sicherheitsbehörden. Sie zeigte sich über meine
eigenen vierstündigen Erfahrungen überrascht. Wieder einmal wird mir
demonstriert, dass Verallgemeinerungen, d.h. das Benehmen einzelner auf das
Benehmen einer ganzen Gruppe zu übertragen, nicht immer stimmen.
1 Kommentar:
Lieber Uri,
Dir und Lea wünsche ich in eurem neuen Heim in Tivon viel Glück. Ich freue mich, dass ihr euch schon gut eingelebt hat.
Der Bericht über die Wahlen in Israel und Yair Lapid gefällt mir. Ist er auch ein Staatsmann? Kann er die Palästinenser veranlassen, endlich echte Friedensgespräche aufzunehmen? Nun bleibt zu hoffen, dass die umtriebige JVJP den Schweizerischen Bundesrat nicht „jetzt erst recht“ veranlassen wird, die diplomatischen Beziehungen mit Israel abzubrechen, erstens, weil Israel als lebendige Demokratie die Harmonie unter den Palästinensern stört, und zweitens, um die Palästinenser bei ihrem Gang zum ICC zu unterstützen.
Da wir jetzt beim Thema sind, halte ich nochmals ganz klar fest, dass die propalästinensischen jüdischen NGO’s unbedingt für ihre israelschädlichen und verwerflichen Aktivitäten zur Rechenschaft gezogen werden müssen.
Alexander Scheiner, Israel
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