Montag, 13. Oktober 2008

Liberté, Egalité, Fraternité

13.10.2008

Da soll mir noch einer sagen, in Israel werden die Grundsätze der französischen Revolution nicht ernst genommen. Den letzten Beweis, dass alle israelischen Bürger gleichberechtigt sind wurde kürzlich in Akko geliefert und hält noch immer an. Doch erst eine Einführung zum Thema: zum Yom Kippur in Israel gehört die schöne alte Tradition, dass man an diesem Tag nicht Auto fährt. Man sieht nur Fahrräder, sogar auf der Autobahn. Dieser wundervolle und völlig freiwillige Brauch beruht nicht, wie einige Apologeten behaupten, auf Respekt vor religiösen jüdischen Bräuchen, sondern ausschliesslich auf Angst. Angst vor dem gesteinigt werden. Das ist der Grund, dass ich meine Frau Lea, die keine längere Distanzen zu Fuss gehen kann, schon im Rollstuhl zur Synagoge und dann wieder nach Hause schob, Sie kam jeweils gesund und ausgeruht an, während ich verschwitzt, ausgelaugt und physisch fertig einige Stunden ausruhen musste. Einmal versuchte ich es mit unserem elektrischen Golfmobil für Invalide – es geschah mir nichts, obwohl ich böse Blicke in meinem Rücken fühlte. Das Auto lasse ich aber zu Hause – freiwillig zwar, obwohl ich das Recht auf meiner Seite hätte. Ich muss zugeben, dass ein autofreier Tag etwas für sich hat – aber er muss freiwillig bleiben, solange kein vernünftiges Gesetz ihn vorschreibt. Aber als religiöser Brauch darf er nicht mit Steinen und sonstiger Gewalt durchgesetzt werden. Es ist eine der zahlreichen Feigheiten der säkularen Gesellschaft Israels im Umgang mit fragwürdigen Traditionen, es in den Jahrzehnten des Nachgebens gegenüber religiöser Erpressungen nie die nötige Zivilcourage gefunden zu haben, um solchen totalitären Bräuchen entgegen zu treten.

Am soeben zu Ende gegangenen Yom Kippur ist es in Akko zu einem Eklat gekommen. Akko, die alte romantische Ritterstadt hat knapp 50'000 Einwohner, davon etwa ein Drittel Araber, zwei Drittel Juden. Zusammen mit Haifa galt sie seit Jahrzehnten als Musterstadt des friedlichen Zusammenlebens, eine nicht immer wahre Behauptung. Beide Gruppen haben oft Angst voreinander und es braucht wenig, um gegenseitigen Hass zu produzieren. Beiden ist gemeinsam, dass sie mehrheitlich relativ arm sind. Auf beiden Seiten ist die Zahl ungebildeter, erfolgloser und gewaltbereiter Jugend aus ärmlichen Familien hoch.

Als am vergangenen Yom Kippur ein Araber es wagte, auf dem Weg zu seiner Tochter durch ein jüdisches Quartier zu fahren, flogen Steine auf sein Auto. Leicht verletzt floh er ins Haus seiner Tochter und rief eine Ambulanz. Die Ambulanz wurde ebenfalls mit einem Steinhagel begrüsst, es sollen ihr auch die Reifen durchstochen worden sein. Darauf hin wurden arabische Jugendliche aufgeboten, arabische Politiker schalteten sich umgehend ein und benutzten den Vorfall für ihre eigenen politischen Winkelzüge. Auch heute noch schlagen sich Juden und Araber gegenseitig die Köpfe ein, es gibt Verletzte, zwei Häuser wurden angezündet, Autos ebenso und, das sehe ich als Fehler des Bürgermeisters von Akko, das traditionelle Theaterfestival der Stadt, wurde voreilig abgesagt. Es würde, so sagte der Bürgermeister, ein Festival der Polizei werden und das widerspreche dem Geist dieser Veranstaltung. Durch diese Absage werden vor allem Akkos Araber bestraft, die vom Tourismus leben.

Grundsätzlich finden ich, dass die Mehrzahl der jüdischen Steinewerfer nicht, wie in Jerusalem an früheren steinigen Wochenenden, Talmudstudenten sind, sondern ganz einfach Chaoten, mit und ohne Kippa auf dem Kopf. Vorgebend die Heiligkeit des höchsten jüdischen Feiertages, Yom Kippur, zu verteidigen, werden sie gewalttätig. Es erstaunt, warum sie nicht in ihren Synagogen und Betstuben den Feiertag im Gebet verbringen, statt ihre angebliche jüdische Religiosität am heiligsten Tage des Judentums mit physischer Gewalt zu festigen. Es gibt im Nahen Osten den Begriff „Shabab“, der die arabische männliche Jugend bezeichnet, die mehrheitlich arm, schulisch unterversorgt und sehr empfänglich für die Abartigkeiten jedes religiösen und politischen Extremismus ist. Inzwischen haben wir gelernt, dass es einen ähnlich spiegelbildlich motivierten jüdischen Shabab gibt. In Akko sind die beiden aufeinander geprallt, es soll, so habe ich gelesen, auch ein gewisser „Shababtourismus“ stattfinden, denn noch sind diese Unruhen nicht völlig beendet. Wie nicht anders zu erwarten, haben sich auf beiden Seiten extremistische Politiker eingeschalten und hetzen die zwei Gruppen gegeneinander auf.

Für die Polizei war die Schuldfrage offenbar einfach, das Durchsetzen der öffentlichen Ordnung hingegen weniger. Dem französischen Grundsatz der Egalité entsprechend, hieben sie fair und ausgewogen auf alle Radaubrüder, ob Juden oder Araber, ein und versuchten auf diese Art, Ordnung herzustellen.

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