Donnerstag, 30. Oktober 2008

Schon wieder Wahlen!!!

28.10.2008

Grundsätzlich fällt die Verantwortung für die kommenden und völlig unnötigen Wahlen auf die sephardisch-haredische Schas-Partei des Rabbi Ovadia Joseph. Sie spielt das Zünglein an der Wage in einem Parlament, das durch das für unser Land unsinnige System der Proporzwahlen, das Land nicht richtig regierbar macht. Doch noch nie war die persönliche Profilierungssucht der Parteien und ihrer Führer so krass zu erkennen, wie heute. Ehud Barak der Arbeitspartei gehört dazu, die Greise und Greisinnen der Rentnerpartei, Zippi Livnis Gegenspieler in der Kadima-Partei Shaul Mofaz, Eli Ishai, Chef der Schas und Sprachrohr seines Rabbi Ovadia Josephs, der die Politik dieser Partei vorschreibt. Sie alle stellen eigene persönliche Aspirationen dem Wohl des Landes voran.

Ich denke, dass die Arbeitspartei auch heute einige viel versprechende Knessetmitglieder und Minister besitzt, meist jüngeren Alters, die jedoch noch immer nicht an älteren Sesselkleber dieser Partei vorbeikommen. Ich denke an Ophir Pines-Paz, Izchak Herzog, an einen Ami Ayalon (zwar ein ganz klein wenig älter), die von Barak, Ben Eliezer und ihresgleichen zurückgebunden werden, teilweise sogar deswegen Ministerposten aufgaben, weil sie sich mit der Politik ihrer Partei nicht mehr identifizieren mochten.

Ich kann es nicht beschwören, doch sieht es so aus, als wäre die linke Meretz, heute die einzige Partei, von der man bisher noch keine Meldungen über Korruption und ähnlichem gehört hat. Meretz hatte in der Vergangenheit einige hervorragende Minister gestellt, wie Yossi Sarid, Yossi Beilin, Shulamit Aloni, die sich jedoch alle von der Politik verabschiedet haben.

Mir fehlt heute eine Persönlichkeit wie Tommy Lapid, der Dinge beim Namen nannte und dessen Partei Schinui in der kurzen Zeit ihrer Existenz einige schöne legislative Erfolge gegen ultraorthodoxe Erpressungspolitik zeitigte. Doch leider ist Tommy tot und seine Partei wurde in den letzten Wahlen in die Wüste geschickt und ist verschwunden.

Der Vorschlag der Vereinigung der Kadima und der Arbeitspartei steht im Raum. Die Letztere ist schon seit langem keine sozialistische Partei mehr, sie ist eine vollwertige Zentrumspartei geworden. Die politischen Begriffe „Links“ und „Rechts“ in Israel haben nichts mehr mit sozialen Anliegen zu tun, sondern sie beziehen sich, nüchtern betrachtet, fast ausschliesslich auf das Verhältnis zur arabische Welt und einem möglichen Frieden sowie auf den Grad religiöser Manifestation. Links nennt sich „Friedenlager“, was auch einen guten Schuss Realismus beinhaltet, Recht sind die Vertreter der Grossisraelideologien, die Westbanksiedler, die religiösen Parteien verschiedener Stufen religiöser Observanz bis hin zu wilden faschistoiden Ideologien extremer Nationalisten und Araberhasser.

Es wird im Volk zurzeit sehr wenig über die kommen Wahlen gesprochen. Man beschäftigt sich vor allem mit dem rauf und runter der Börsen, mit den durch die heutige Wirtschaftskrise gefährdeten Arbeitsplätzen – das obwohl Israel im Vergleich mit den USA und Europa bisher glimpflich davonkommen ist.

Eine öffentliche Diskussion wert ist der Vorschlag einer grossen Koalition der drei Grossparteien Likud, Kadima und Arbeitspartei, die zusammen etwa siebzig Knessetsitze besitzen. Damit könnte einigermassen „bequem“ regiert werden. Diese Lösung würde die kleinen Parteien aus den Machtzentren heraushalten und eine wirklich diesen Namen verdienende Regierungspolitik ermöglichen.

Da ich denke, dass die momentane Situation vor allem von der religiösen Schas-Partei zu verantworten ist, möchte ich mich nachfolgend etwas ausführlicher mit ihr und ihrem Verhalten beschäftigen. Denn nirgends ist politische Korruption, gepaart mit (gewollter?) Ignoranz über politische Fakten so krass ersichtlich, wie bei dieser Partei.

Es ist übrigens interessant zu beobachten, dass die Vertreter der Schas, allen voran ihr Chef Eli Yishai, dieser Tage den Ungeist des rassistischen Verfolgungswahns aus der Flasche gelassen hat. Wieder wird von der Elite, von den Aschkenasen und der vermeintlichen Benachteiligung des sephardischen Bevölkerungsteils Israels geschwafelt – nach dem Motto, dass immer die „Anderen“ schuld am eigenen Versagen sind.

Schas und das Geld

Das israelische Volk muss Zippi Livni dankbar sein. Statt vor der religiösen Schas-Partei einzuknicken, hat sie abgelehnt, sich von dieser erpressen zu lassen. Nur, diese Feststellung muss mit einer Prise Salz genossen werden. Schas wollte 1 Milliarde Schekel für seine hungernden Kinder, in den Verhandlungen ging es am Schluss, so erfuhr ich in der Presse, um 850 Millionen, von Livni als Vergleich vorgeschlagen und von der Schas abgelehnt. Es ging also um eine Milliarde oder nichts. Dass Livnis Angebot immerhin nur 150 Millionen Schekel darunter lag, lässt weniger auf Prinzipientreue als auf politisches Kalkül schliessen. Trotzdem scheint, dass Livni im Land Respekt gewonnen hat. Jetzt werden wir im Februar 2009 Knessetwahlen haben, die 3 Milliarden Schekel kosten werden, das Dreifache des schas’schen Erpressungsversuches.

Eli Ishai, der Schaschef (deren wirklicher Chef der Rabbi Ovadia Joseph ist) hatte noch eine zweite Bedingung für den Eintritt in eine Regierung: eine Teilung Jerusalems dürfe nicht und mit niemandem diskutiert werden, vor allem nicht mit den Palästinensern. Auch dies lehnte Livni ab, diesmal allerdings ohne Gegenangebot, wofür ich sie schätze.

Teilung Jerusalems?

Diese „Teilung“ Jerusalems hat es in sich. Bei weitem nicht alle Nachrichtenkonsumenten, wie auch viele israelische Politiker, verstehen um was es gehen soll, es gibt verschiedene Sichten und Fakten, die vielen nicht präsent sind. Vor allem aber sollte, wer sich damit beschäftigt wissen, was geographisch das heutige völlig israelische, aber nicht völlig jüdische Jerusalem ausmacht, verglichen zum Jerusalem vor dem Siebentagekrieg in 1967.

Image:EastJerusalemMap.jpg

Von 1948, Israels Unabhängigkeitskrieg, bis 1967, dem Sechstagekrieg, war die Stadt durch Mauern und Stacheldraht geteilt. Es gab einen einzigen Durchgang: das Mandelbaumtor. Im Osten - vor allem die Altstadt – gehörte zu Jordanien, der westliche moderne Stadtteil war israelisch. Alle paar Tage wurde ein israelischer Zivilist von einem jordanischen Scharfschützen, meist von den Mauern der Altstadt herab, erschossen. Um das damalige Jerusalem herum lagen palästinensische (damals noch „arabische“) Dörfer wie Shuafat, Beit Janina, Beit Safafa und Teile von Jabel Mukaber, die heute von Jerusalem eingemeindet worden sind und neben neuen jüdischen Quartieren wie Gilo, Neve Ya’akov, Pisgav Ze’ev oder Har Homa das heutige vergrösserte Jerusalems bilden. Es fragt sich, ob Israel tatsächlich daran interessiert sein muss, offiziell unfreiwillige Israelbürger, wie es die Araber Ostjerusalem sein wollen (dass sie inoffiziell aber unheimlich gerne Israelis bleiben möchten, wird unter der Hand zugegeben – eines der Rätsel arabischen Judenhasses, das vielleicht mit dem traditionellen Mangel an Zivilcourage und dem enormen gesellschaftlichen Druck in der arabischen Gesellschaft zu erklären ist, man erinnere sich, wie sie mit vermeintlichen Kollaborateuren umgeht).

Israels Regierung muss sich fragen, ob bei der von ihm vertretenen Weigerung Jerusalem mit dem palästinensischen Staat (wenn immer der kommt) zu teilen, diese „zugewonnenen“ palästinensischen Dörfer oder wenn man will, Quartiere, zu Israel gehören sollen oder nicht.

Schon seit Jahren, wenn immer die „Ewigkeit“ eines israelischen Jerusalems beschwört wird, einem Jerusalem, das exklusiv Israel gehört, schüttle ich den Kopf. Warum muss Jerusalem geteilt werden, warum soll der üble Zustand von vor 1967 wieder hergestellt werden. Wäre es nicht schön, wenn Juden und Palästinenser diese Stadt gemeinsam als Hauptstadt ihres Landes, ohne Mauern, Stacheldraht und Heckenschützen teilen würden. Wir Israelis hätten die Knesset, die Palästinenser würden sich in Ostjerusalem ein eigenes Parlament bauen und ihre Ämter im Ostteil der Stadt errichten. Gemeinsam könnte die Stadt regiert werden, gemeinsam könnte Unrat entsorgt, die Kanalisation erneuert, das Tramsystem, an dem gerade gebaut wird, könnte von Juden und Arabern betrieben und benutzt werden, während im Schulwesen beide Völker ihr jeweils eigenes staatliches Schulprogramm durchführen und es zu echter Bildung, zum Lehren gegenseitigen Respekts und Pluralismus nutzen, statt es, wie die heutigen palästinensischen Schulen, zum Lehren von Judenhass zu missbrauchen – eine Eigenschaft, die wie keine andere im Umgang mit anderen in dieser Ecke der Welt fehlt. Auch hier muss die beiden Seiten eigene Forderung des „Alles oder Nichts“ überwunden werden.

Die Ultra-Orthodoxie

Innerhalb der Ultra-Orthodoxie herrscht nicht nur Zwist zwischen den Höfen der Hassidim, sondern auch Rassismus aschkenasischer (osteuropäischer) Haredim gegenüber sephardischen (orientalen und nordafrikanischen) Juden, ob sie fromm sind oder gar völlig säkular. Sephardische Kinder werden in religiösen Schulen der Aschkenasim möglichst nicht aufgenommen und wenn dazu gerichtlich gezwungen, diskriminiert. Heirat zwischen den zwei Volksteilen wird tunlichst vermieden.

Abschliessend

Es sei denn, die Wähler wenden für einmal Vernunft an und lassen die Kleinparteien aus dem Spiel, werden Schas und die Ultra-Orthodoxen der der aschkenasischen Welt wiederum Zünglein auf der Waage spielen. Alles wie gehabt und zum Nachteil des Landes. Doch wie Ben Gurion vor Jahrzehnten feststellte: „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist“. Aber ob Wunder oder nicht, solange Politiker, vor allem Knessetabgeordnete, nicht dem Volk, sondern ausschliesslicher ihrer Partei oder ihrem religiösen Oberhaupt verantwortlich sind, so lange wird sich nichts ändern. Nur schon aus diesem Grund ist auf weite Sicht eine Revolution im Wahlsystem unumgänglich. Israel, das keine politisch selbstständige Kantone oder Provinzen besitzt, muss in Wahlkreise eingeteilt werden, in denen sich Kandidaten direkt ihren Wählern stellen müssen. Das hätte erstens den Vorteil, dass jeder Wähler „seinen“ Vertreter kennt und ihn bei Missfallen abwählen kann. Der zweite Vorteil wäre, dass kleine Parteien verschwinden würden, sehr zum Wohle der Demokratie und der Regierbarkeit des Landes. Es gibt einige aktive Vertreter dieses Anliegens im Land, manche wollen das amerikanische, andere sogar das Schweizer System als Muster verwenden. Doch Einzelheiten darüber zu diskutieren, das ist ein Thema für sich.

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