Donnerstag, 30. Oktober 2008

Schon wieder Wahlen!!!

28.10.2008

Grundsätzlich fällt die Verantwortung für die kommenden und völlig unnötigen Wahlen auf die sephardisch-haredische Schas-Partei des Rabbi Ovadia Joseph. Sie spielt das Zünglein an der Wage in einem Parlament, das durch das für unser Land unsinnige System der Proporzwahlen, das Land nicht richtig regierbar macht. Doch noch nie war die persönliche Profilierungssucht der Parteien und ihrer Führer so krass zu erkennen, wie heute. Ehud Barak der Arbeitspartei gehört dazu, die Greise und Greisinnen der Rentnerpartei, Zippi Livnis Gegenspieler in der Kadima-Partei Shaul Mofaz, Eli Ishai, Chef der Schas und Sprachrohr seines Rabbi Ovadia Josephs, der die Politik dieser Partei vorschreibt. Sie alle stellen eigene persönliche Aspirationen dem Wohl des Landes voran.

Ich denke, dass die Arbeitspartei auch heute einige viel versprechende Knessetmitglieder und Minister besitzt, meist jüngeren Alters, die jedoch noch immer nicht an älteren Sesselkleber dieser Partei vorbeikommen. Ich denke an Ophir Pines-Paz, Izchak Herzog, an einen Ami Ayalon (zwar ein ganz klein wenig älter), die von Barak, Ben Eliezer und ihresgleichen zurückgebunden werden, teilweise sogar deswegen Ministerposten aufgaben, weil sie sich mit der Politik ihrer Partei nicht mehr identifizieren mochten.

Ich kann es nicht beschwören, doch sieht es so aus, als wäre die linke Meretz, heute die einzige Partei, von der man bisher noch keine Meldungen über Korruption und ähnlichem gehört hat. Meretz hatte in der Vergangenheit einige hervorragende Minister gestellt, wie Yossi Sarid, Yossi Beilin, Shulamit Aloni, die sich jedoch alle von der Politik verabschiedet haben.

Mir fehlt heute eine Persönlichkeit wie Tommy Lapid, der Dinge beim Namen nannte und dessen Partei Schinui in der kurzen Zeit ihrer Existenz einige schöne legislative Erfolge gegen ultraorthodoxe Erpressungspolitik zeitigte. Doch leider ist Tommy tot und seine Partei wurde in den letzten Wahlen in die Wüste geschickt und ist verschwunden.

Der Vorschlag der Vereinigung der Kadima und der Arbeitspartei steht im Raum. Die Letztere ist schon seit langem keine sozialistische Partei mehr, sie ist eine vollwertige Zentrumspartei geworden. Die politischen Begriffe „Links“ und „Rechts“ in Israel haben nichts mehr mit sozialen Anliegen zu tun, sondern sie beziehen sich, nüchtern betrachtet, fast ausschliesslich auf das Verhältnis zur arabische Welt und einem möglichen Frieden sowie auf den Grad religiöser Manifestation. Links nennt sich „Friedenlager“, was auch einen guten Schuss Realismus beinhaltet, Recht sind die Vertreter der Grossisraelideologien, die Westbanksiedler, die religiösen Parteien verschiedener Stufen religiöser Observanz bis hin zu wilden faschistoiden Ideologien extremer Nationalisten und Araberhasser.

Es wird im Volk zurzeit sehr wenig über die kommen Wahlen gesprochen. Man beschäftigt sich vor allem mit dem rauf und runter der Börsen, mit den durch die heutige Wirtschaftskrise gefährdeten Arbeitsplätzen – das obwohl Israel im Vergleich mit den USA und Europa bisher glimpflich davonkommen ist.

Eine öffentliche Diskussion wert ist der Vorschlag einer grossen Koalition der drei Grossparteien Likud, Kadima und Arbeitspartei, die zusammen etwa siebzig Knessetsitze besitzen. Damit könnte einigermassen „bequem“ regiert werden. Diese Lösung würde die kleinen Parteien aus den Machtzentren heraushalten und eine wirklich diesen Namen verdienende Regierungspolitik ermöglichen.

Da ich denke, dass die momentane Situation vor allem von der religiösen Schas-Partei zu verantworten ist, möchte ich mich nachfolgend etwas ausführlicher mit ihr und ihrem Verhalten beschäftigen. Denn nirgends ist politische Korruption, gepaart mit (gewollter?) Ignoranz über politische Fakten so krass ersichtlich, wie bei dieser Partei.

Es ist übrigens interessant zu beobachten, dass die Vertreter der Schas, allen voran ihr Chef Eli Yishai, dieser Tage den Ungeist des rassistischen Verfolgungswahns aus der Flasche gelassen hat. Wieder wird von der Elite, von den Aschkenasen und der vermeintlichen Benachteiligung des sephardischen Bevölkerungsteils Israels geschwafelt – nach dem Motto, dass immer die „Anderen“ schuld am eigenen Versagen sind.

Schas und das Geld

Das israelische Volk muss Zippi Livni dankbar sein. Statt vor der religiösen Schas-Partei einzuknicken, hat sie abgelehnt, sich von dieser erpressen zu lassen. Nur, diese Feststellung muss mit einer Prise Salz genossen werden. Schas wollte 1 Milliarde Schekel für seine hungernden Kinder, in den Verhandlungen ging es am Schluss, so erfuhr ich in der Presse, um 850 Millionen, von Livni als Vergleich vorgeschlagen und von der Schas abgelehnt. Es ging also um eine Milliarde oder nichts. Dass Livnis Angebot immerhin nur 150 Millionen Schekel darunter lag, lässt weniger auf Prinzipientreue als auf politisches Kalkül schliessen. Trotzdem scheint, dass Livni im Land Respekt gewonnen hat. Jetzt werden wir im Februar 2009 Knessetwahlen haben, die 3 Milliarden Schekel kosten werden, das Dreifache des schas’schen Erpressungsversuches.

Eli Ishai, der Schaschef (deren wirklicher Chef der Rabbi Ovadia Joseph ist) hatte noch eine zweite Bedingung für den Eintritt in eine Regierung: eine Teilung Jerusalems dürfe nicht und mit niemandem diskutiert werden, vor allem nicht mit den Palästinensern. Auch dies lehnte Livni ab, diesmal allerdings ohne Gegenangebot, wofür ich sie schätze.

Teilung Jerusalems?

Diese „Teilung“ Jerusalems hat es in sich. Bei weitem nicht alle Nachrichtenkonsumenten, wie auch viele israelische Politiker, verstehen um was es gehen soll, es gibt verschiedene Sichten und Fakten, die vielen nicht präsent sind. Vor allem aber sollte, wer sich damit beschäftigt wissen, was geographisch das heutige völlig israelische, aber nicht völlig jüdische Jerusalem ausmacht, verglichen zum Jerusalem vor dem Siebentagekrieg in 1967.

Image:EastJerusalemMap.jpg

Von 1948, Israels Unabhängigkeitskrieg, bis 1967, dem Sechstagekrieg, war die Stadt durch Mauern und Stacheldraht geteilt. Es gab einen einzigen Durchgang: das Mandelbaumtor. Im Osten - vor allem die Altstadt – gehörte zu Jordanien, der westliche moderne Stadtteil war israelisch. Alle paar Tage wurde ein israelischer Zivilist von einem jordanischen Scharfschützen, meist von den Mauern der Altstadt herab, erschossen. Um das damalige Jerusalem herum lagen palästinensische (damals noch „arabische“) Dörfer wie Shuafat, Beit Janina, Beit Safafa und Teile von Jabel Mukaber, die heute von Jerusalem eingemeindet worden sind und neben neuen jüdischen Quartieren wie Gilo, Neve Ya’akov, Pisgav Ze’ev oder Har Homa das heutige vergrösserte Jerusalems bilden. Es fragt sich, ob Israel tatsächlich daran interessiert sein muss, offiziell unfreiwillige Israelbürger, wie es die Araber Ostjerusalem sein wollen (dass sie inoffiziell aber unheimlich gerne Israelis bleiben möchten, wird unter der Hand zugegeben – eines der Rätsel arabischen Judenhasses, das vielleicht mit dem traditionellen Mangel an Zivilcourage und dem enormen gesellschaftlichen Druck in der arabischen Gesellschaft zu erklären ist, man erinnere sich, wie sie mit vermeintlichen Kollaborateuren umgeht).

Israels Regierung muss sich fragen, ob bei der von ihm vertretenen Weigerung Jerusalem mit dem palästinensischen Staat (wenn immer der kommt) zu teilen, diese „zugewonnenen“ palästinensischen Dörfer oder wenn man will, Quartiere, zu Israel gehören sollen oder nicht.

Schon seit Jahren, wenn immer die „Ewigkeit“ eines israelischen Jerusalems beschwört wird, einem Jerusalem, das exklusiv Israel gehört, schüttle ich den Kopf. Warum muss Jerusalem geteilt werden, warum soll der üble Zustand von vor 1967 wieder hergestellt werden. Wäre es nicht schön, wenn Juden und Palästinenser diese Stadt gemeinsam als Hauptstadt ihres Landes, ohne Mauern, Stacheldraht und Heckenschützen teilen würden. Wir Israelis hätten die Knesset, die Palästinenser würden sich in Ostjerusalem ein eigenes Parlament bauen und ihre Ämter im Ostteil der Stadt errichten. Gemeinsam könnte die Stadt regiert werden, gemeinsam könnte Unrat entsorgt, die Kanalisation erneuert, das Tramsystem, an dem gerade gebaut wird, könnte von Juden und Arabern betrieben und benutzt werden, während im Schulwesen beide Völker ihr jeweils eigenes staatliches Schulprogramm durchführen und es zu echter Bildung, zum Lehren gegenseitigen Respekts und Pluralismus nutzen, statt es, wie die heutigen palästinensischen Schulen, zum Lehren von Judenhass zu missbrauchen – eine Eigenschaft, die wie keine andere im Umgang mit anderen in dieser Ecke der Welt fehlt. Auch hier muss die beiden Seiten eigene Forderung des „Alles oder Nichts“ überwunden werden.

Die Ultra-Orthodoxie

Innerhalb der Ultra-Orthodoxie herrscht nicht nur Zwist zwischen den Höfen der Hassidim, sondern auch Rassismus aschkenasischer (osteuropäischer) Haredim gegenüber sephardischen (orientalen und nordafrikanischen) Juden, ob sie fromm sind oder gar völlig säkular. Sephardische Kinder werden in religiösen Schulen der Aschkenasim möglichst nicht aufgenommen und wenn dazu gerichtlich gezwungen, diskriminiert. Heirat zwischen den zwei Volksteilen wird tunlichst vermieden.

Abschliessend

Es sei denn, die Wähler wenden für einmal Vernunft an und lassen die Kleinparteien aus dem Spiel, werden Schas und die Ultra-Orthodoxen der der aschkenasischen Welt wiederum Zünglein auf der Waage spielen. Alles wie gehabt und zum Nachteil des Landes. Doch wie Ben Gurion vor Jahrzehnten feststellte: „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist“. Aber ob Wunder oder nicht, solange Politiker, vor allem Knessetabgeordnete, nicht dem Volk, sondern ausschliesslicher ihrer Partei oder ihrem religiösen Oberhaupt verantwortlich sind, so lange wird sich nichts ändern. Nur schon aus diesem Grund ist auf weite Sicht eine Revolution im Wahlsystem unumgänglich. Israel, das keine politisch selbstständige Kantone oder Provinzen besitzt, muss in Wahlkreise eingeteilt werden, in denen sich Kandidaten direkt ihren Wählern stellen müssen. Das hätte erstens den Vorteil, dass jeder Wähler „seinen“ Vertreter kennt und ihn bei Missfallen abwählen kann. Der zweite Vorteil wäre, dass kleine Parteien verschwinden würden, sehr zum Wohle der Demokratie und der Regierbarkeit des Landes. Es gibt einige aktive Vertreter dieses Anliegens im Land, manche wollen das amerikanische, andere sogar das Schweizer System als Muster verwenden. Doch Einzelheiten darüber zu diskutieren, das ist ein Thema für sich.

Montag, 20. Oktober 2008

Ist das Wort “Frieden” zum reinen Gruss verkommen?

15.10.2008

Heute früh las ich in den Internet-Nachrichten folgende Überschrift: „Palästinenser an Strassensperre durch zionistische Soldaten gedemütigt; Terrorangriff verhindert“ (Palestinians humiliated at checkpoint by Zionist soldier; terror attack averted). Zwar heisst der Titel im Original YNET Artikel „Soldaten verhindern Terrorangriff“, aber Avi Isseroff benutzte in seiner Meldung ironisch den internationalen Pressestil, wie er von Journalisten aus dem Ausland so gerne angewendet wird.

Die in diesem Bericht beschriebenen neun Rohrbomben hätten Menschen verletzt und vielleicht auch getötet. Wie der Trennungszaun zwischen Israel und den besetzten Gebieten, beweist dieser Zwischenfall an einer Strassensperre, dass es halt doch eine Berechtigung für dafür gibt, auch wenn sie vielen, wie auch mir, gar nicht gefallen. In unseren gefährlichen Landen haben wir leider nicht die Wahl zwischen Sicherheit und Ästhetik oder, wenn man so will, Verantwortungslosigkeit. Vorläufig noch, bleibt Ästhetik auf Platz zwei. Liebe Gutmenschen, das tut mir wirklich leid!

Der letzte Satz führt nahtlos zu meiner nächsten Mitteilung. Nach langer Überlegung sind Lea und ich der Bewegung „Shalom Ahshav“ (Frieden jetzt) beigetreten. Wir sind weder Blauäugig noch naive Gutmenschen – wer Uris Tagebuch seit längerem liest, wird das bestätigen. Shalom Ahshav beizutreten war gelegentlich ein Thema, aber den letzten Stoss dazu gaben uns die faschistoiden Vorfälle aus Siedlerkreisen der vergangenen Wochen und Tage, über die ich mir auch schriftliche Gedanken gemacht hatte (26/27.9.2008). Kaum jemand stellt sich diesen „Superzionisten“ entgegen, schon gar nicht politische Parteien und ihre Politiker, die, statt das Land trotz den zur Zeit stattfindenden Verhandlungen zur Regierungsbildung, anständig zu regieren, sich auf individuelle Egotrips begeben und dabei das tägliche Geschäft recht- und linksextremen jüdischen und arabischen Mobs überlassen – eine Wertung vorzunehmen, wer dabei schlimmer als der andere ist, erspare ich mir nach dem mehrtägigen Jom Kippur-Aufruhr in Akko, an denen Juden und Araber sich brüderlich mit Steinen, Keulen und Zündhölzern liebkosten.

Zurück zu Shalom Ahshav. Diese Gruppe ist keine Sammlung unbedarfter Gutmenschen, wie als Beispiel Uri Avneris Gush Shalom in Israel oder als anderes Beispiel, die Jüdinnen und Juden für einen gerechten Frieden in Palästina. Zwar gibt es in vielen Ländern Freundesgruppen von Shalom Ahshav, doch das sind eben Freundesgruppen, Sympathisanten. Shalom Ahshav ist eine israelische Organisation, die in Israel lebt und agiert und bestenfalls zu Informations- und Sammelreisen ins Ausland fährt. Shalom Achshav arbeitet vor allem unter den Juden Israels, als hundertprozentig zionistische Organisation vertritt sie nicht Frieden um jeden Preis und nationalen Selbstmord, wie es pazifistische „Friedens“-Extremisten so gerne tun. Die Bewegung vertritt den klassischen humanistischen Zionismus, was leider von den Schreibern und Scheiberinnen von Schlagzeilen über unsere nationalistischen Superpatrioten viel zu wenig wahrgenommen wird. Für mich trifft zu, dass ich auf Grund meiner eigenen Erfahrungen und Aktivitäten mit arabischen Israelis und meiner Ablehnung extremistischen Gedankengutes, ich mich nur soweit für Palästinenser einsetze, wie diese ihre teilweise gerechtfertigten Anliegen friedlich vertreten. Für mich sind arabische Extremisten genau so verbrecherisch wie jüdische – ob politisch links oder rechts ist reine Semantik. Im Einheitsbrei des Terrors und seiner Opfer, auch wenn die Palästinenser in „Punkten“ führen, ist nur massgebend, ob er nicht nur verurteilt, sondern auch bekämpft wird – da führt Israel allein auf weiter Flur, die palästinensische Welt ist noch immer im Stadium des Feierns terroristischer Gewalt gefangen.

Zurück zu Shalom Achshav. Die Organisation beobachtet sehr genau und, im Unterschied zu Betzelem oder Amnesty International, berichtet verlässlich was in den besetzten Gebieten geschieht. Im Unterschied zu den eben genannten Organisationen frönt Shalom Achshav nicht dem Apologetentum und drückt sich politisch oft wunderschön unkorrekt aus. Da ich für palästinensische Aspirationen, ihrem Verhältnis zu Terror und sonstiger Gewalt gegen Juden und ihren eigenen Brüder null Verständnis habe, bin ich der oft ausgesprochenen Meinung, dass wir uns als Juden, nicht so wie unsere Gegner benehmen dürfen – solange wenigstens, wie es die Umstände zulassen. Auch die Palästinenser haben eine Geschichte und diskutable Ansprüche in unserem gemeinsamen Konflikt. Doch solange sie sich nicht von ihren „Alles oder Nichts“ Vorstellungen (eine Sicht, die leider auch unter Juden um sich greift) lösen können, gibt es keine Aussicht auf eine Lösung. Israel gilt nun mal und es ist gut so, als regionale Supermacht – wären wir’s nicht, wären wir schon lange nicht mehr da. Doch Macht verpflichtet, Judentum noch mehr und, ob es die Welt wahrnehmen will oder nicht, wir dürfen uns unter keinen Umständen das politische Benehmen und die mörderische Philosophie rechtextremer Grossisrael-Juden als Vorbild nehmen. Für uns positive Vorbilder dafür gibt es zuhauf, denken wir an Yossi Beilin, Yossi Sarid, die Omas der Machsom Watch, Yeshayahu Leibowitz, an Martin Buber, an den kürzlich verstorbenen Friedensflieger Abie Nathan, auch Shimon Peres gehört dazu und Itzchak Rabin, dem nur seine Ermordung durch einen jüdischen Faschisten, die Enttäuschungen der letzten zehn Jahre ersparten.

Zum Abschluss nochmals die Feststellung Ulrich Sahms: „Die Unfähigkeit der Palästinenser zur Selbstkritik wird sie weiter ins Unglück stürzen.“ Auch wenn in den vergangenen Monaten und Jahren israelische Friedenssucher der denkenden Variante oft nicht mehr weiter wissen, hat das vor allem mit dieser pathologischen palästinensischen Unfähigkeit zu tun.

Montag, 13. Oktober 2008

Liberté, Egalité, Fraternité

13.10.2008

Da soll mir noch einer sagen, in Israel werden die Grundsätze der französischen Revolution nicht ernst genommen. Den letzten Beweis, dass alle israelischen Bürger gleichberechtigt sind wurde kürzlich in Akko geliefert und hält noch immer an. Doch erst eine Einführung zum Thema: zum Yom Kippur in Israel gehört die schöne alte Tradition, dass man an diesem Tag nicht Auto fährt. Man sieht nur Fahrräder, sogar auf der Autobahn. Dieser wundervolle und völlig freiwillige Brauch beruht nicht, wie einige Apologeten behaupten, auf Respekt vor religiösen jüdischen Bräuchen, sondern ausschliesslich auf Angst. Angst vor dem gesteinigt werden. Das ist der Grund, dass ich meine Frau Lea, die keine längere Distanzen zu Fuss gehen kann, schon im Rollstuhl zur Synagoge und dann wieder nach Hause schob, Sie kam jeweils gesund und ausgeruht an, während ich verschwitzt, ausgelaugt und physisch fertig einige Stunden ausruhen musste. Einmal versuchte ich es mit unserem elektrischen Golfmobil für Invalide – es geschah mir nichts, obwohl ich böse Blicke in meinem Rücken fühlte. Das Auto lasse ich aber zu Hause – freiwillig zwar, obwohl ich das Recht auf meiner Seite hätte. Ich muss zugeben, dass ein autofreier Tag etwas für sich hat – aber er muss freiwillig bleiben, solange kein vernünftiges Gesetz ihn vorschreibt. Aber als religiöser Brauch darf er nicht mit Steinen und sonstiger Gewalt durchgesetzt werden. Es ist eine der zahlreichen Feigheiten der säkularen Gesellschaft Israels im Umgang mit fragwürdigen Traditionen, es in den Jahrzehnten des Nachgebens gegenüber religiöser Erpressungen nie die nötige Zivilcourage gefunden zu haben, um solchen totalitären Bräuchen entgegen zu treten.

Am soeben zu Ende gegangenen Yom Kippur ist es in Akko zu einem Eklat gekommen. Akko, die alte romantische Ritterstadt hat knapp 50'000 Einwohner, davon etwa ein Drittel Araber, zwei Drittel Juden. Zusammen mit Haifa galt sie seit Jahrzehnten als Musterstadt des friedlichen Zusammenlebens, eine nicht immer wahre Behauptung. Beide Gruppen haben oft Angst voreinander und es braucht wenig, um gegenseitigen Hass zu produzieren. Beiden ist gemeinsam, dass sie mehrheitlich relativ arm sind. Auf beiden Seiten ist die Zahl ungebildeter, erfolgloser und gewaltbereiter Jugend aus ärmlichen Familien hoch.

Als am vergangenen Yom Kippur ein Araber es wagte, auf dem Weg zu seiner Tochter durch ein jüdisches Quartier zu fahren, flogen Steine auf sein Auto. Leicht verletzt floh er ins Haus seiner Tochter und rief eine Ambulanz. Die Ambulanz wurde ebenfalls mit einem Steinhagel begrüsst, es sollen ihr auch die Reifen durchstochen worden sein. Darauf hin wurden arabische Jugendliche aufgeboten, arabische Politiker schalteten sich umgehend ein und benutzten den Vorfall für ihre eigenen politischen Winkelzüge. Auch heute noch schlagen sich Juden und Araber gegenseitig die Köpfe ein, es gibt Verletzte, zwei Häuser wurden angezündet, Autos ebenso und, das sehe ich als Fehler des Bürgermeisters von Akko, das traditionelle Theaterfestival der Stadt, wurde voreilig abgesagt. Es würde, so sagte der Bürgermeister, ein Festival der Polizei werden und das widerspreche dem Geist dieser Veranstaltung. Durch diese Absage werden vor allem Akkos Araber bestraft, die vom Tourismus leben.

Grundsätzlich finden ich, dass die Mehrzahl der jüdischen Steinewerfer nicht, wie in Jerusalem an früheren steinigen Wochenenden, Talmudstudenten sind, sondern ganz einfach Chaoten, mit und ohne Kippa auf dem Kopf. Vorgebend die Heiligkeit des höchsten jüdischen Feiertages, Yom Kippur, zu verteidigen, werden sie gewalttätig. Es erstaunt, warum sie nicht in ihren Synagogen und Betstuben den Feiertag im Gebet verbringen, statt ihre angebliche jüdische Religiosität am heiligsten Tage des Judentums mit physischer Gewalt zu festigen. Es gibt im Nahen Osten den Begriff „Shabab“, der die arabische männliche Jugend bezeichnet, die mehrheitlich arm, schulisch unterversorgt und sehr empfänglich für die Abartigkeiten jedes religiösen und politischen Extremismus ist. Inzwischen haben wir gelernt, dass es einen ähnlich spiegelbildlich motivierten jüdischen Shabab gibt. In Akko sind die beiden aufeinander geprallt, es soll, so habe ich gelesen, auch ein gewisser „Shababtourismus“ stattfinden, denn noch sind diese Unruhen nicht völlig beendet. Wie nicht anders zu erwarten, haben sich auf beiden Seiten extremistische Politiker eingeschalten und hetzen die zwei Gruppen gegeneinander auf.

Für die Polizei war die Schuldfrage offenbar einfach, das Durchsetzen der öffentlichen Ordnung hingegen weniger. Dem französischen Grundsatz der Egalité entsprechend, hieben sie fair und ausgewogen auf alle Radaubrüder, ob Juden oder Araber, ein und versuchten auf diese Art, Ordnung herzustellen.

Freitag, 10. Oktober 2008

Politischer Aktivismus



9.10.2008

Ich weiss nicht, wo in Amerika diese Tafel steht. Ersichtlich ist einzig, dass es eine jüdische Gemeinde ist – wahrscheinlich eine orthodoxe, da ihr Name in aschkenasischem Hebräisch geschrieben ist (Sholom statt Shalom). Aber diese jüdische Gemeinde nimmt Stellung bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen, denn nach den Neujahrswünschen ist ins Deutsche übersetzt zu lesen: „Bitte wählt den Schwarzen“ (Please vote for the „Shvartzeh“ – ein englisch-jiddischer Ausdruck, der unfeinen Art). Diese Tafel ist nicht nur amüsant, sondern sie imponiert, denn das sonst unter Juden in verächtlicher Absicht benutzte Wort „Shvartzeh“, wird hier ins Gegenteil verkehrt und ruft respektvoll zur Stimme für Barrack Obama auf. Auch wenn es vielleicht von einigen politisch korrekten Neurotikern nicht so erkannt wird.

Kann es sein, dass ich nicht genügend Zeitung lese oder Fernsehnachrichten schaue – politisch scheint es in Israel relativ ruhig zu sein. Das unsere neue Ministerpräsidents-Kandidatin daran arbeite eine Regierung aufzustellen, etwas das eigentlich jedermann beschäftigen sollte, stellen das dem Thema Iran und dessen Atomwaffen sowie die Präsidentschaftswahlen der USA die vordergründigen Hauptsorgen dar. Meine aus Amerika stammenden hiesigen Freunde sind geteilter Meinung. Die meisten ziehen McCain vor, da die rassistische, beschämend aus jüdischen Kreisen stammende Propaganda gegen Obama, bei labilen Gemütern zu wirken scheint. Als Bürger der Schweiz und Israels darf ich nicht mitwählen und so halte ich mich aus Diskussionen zu diesem Thema heraus, nur über die oben erwähnte Anti-Obama Lügenpropaganda gebe ich meinen Senf auch ungefragt dazu.

Erwähnenswert sind die Glückwunschtelefone von meinen drusischen und arabischen Freunden zu den Festtagen. Bei den Muslimen habe ich wenigstens Gelegenheit zu Id El-Fitr, dem Abschluss des Ramadans zu gratulieren, bei den Drusen habe ich über ihre religiösen Festtage nicht die geringste Ahnung. Freund Hani hat mir zwar Aufklärung über die Geheimnisse der Drusenreligion versprochen. Wenn es so weit ist, hoffe ich in der Lage zu sein, darüber aufzuklären. Auf jeden Fall denke ich, dass es eigentlich unsinnig sein sollte, freundschaftliche Interaktionen dieser Art zu erwähnen. In einer normalen und gesunden (wenn es das überhaupt gibt) multikulturellen Gesellschaft, müsste dies eine Selbstverständlichkeit sein. Aber in unserer Regionen, in der gegenseitige Furcht und gegenseitiger Hass allzu oft zur Norm gehören, bleibt mir leider keine andere Wahl als darüber zu schreiben.