Freitag, 4. März 2011

Spitaltage


Um multikulturellen Erfolg in Israel zu sichten, genügen wenige Tage Spitalaufenthalt. So wie ich gerade in diesen sonnigen Tagen, an denen ich gerne etwas anderes täte.

Seit Montag befinde ich mich im Hillel Jaffe Spital in Hadera in einem Zweierzimmer im Neubau des Spitals. Mein erster Zimmergenosse hiess Achmad und wurde gestern entlassen. Ahmad ist Student und arbeitet in Umm El-Fahm im neuen und wirklich feinen Restaurant Kanari. Dieses Lokal gibt es seit drei Monaten und Sami, der Besitzer, ist für den frommen und konservativen Ort eine Ausnahmeerscheinung. Allerdings wohnt er im benachbarten Ara, wo
weniger konservative Sitten herrschen. Sami scheint etwa 40 Jahre alt zu sein, spricht tadelloses englisches Englisch, denn er hatte lange Jahre in England studiert und gearbeitet und ist ein moderner Mensch zu sein, wie Du und ich. Er lernte in England ein spanisches Mädchen aus Teneriffa auf den kanarischen Inseln kennen. Sie heirateten und er liess sich auf ihrer heimatlichen Insel nieder, eröffnete eine Süssigkeitenfabrik und ein Restaurant. Sie haben drei Kinder, seine christliche Frau trat zum Islam über. Da Sami seine Kinder in der arabischen Kultur, die in Israel etwas weniger oppressiv ist als in den umliegenden Ländern, aufwachsen lassen will, kehrten sie nach Israel zurück. Ausnahmen, wenn ich schon von oppressiver arabischer Kultur schreibe, wie der gerade wieder mal in einem Gefängnis einsitzende Scheich Ra'ed Salah, bestätigen die Regel, auch wenn sich der Scheich alle paar Monate kurz aufbläst, zu hasserfüllten Krawallen aufruft, die ihn meist ins erholsame Zuchthaus bringen, wo er gerade jetzt wieder residiert, wie mir Ahmad lachend erzählte. Warum unsere jüdischen Faschisten wie Baruch Marzel und Ben Arie dem Scheich nicht die Ehrenmitgliedschaft in ihrem Extremistenverein angeboten haben, ist mir noch immer unverständlich, verfolgt er doch dieselben Ziele, spiegelbildlich gesehen. Er ist deren Geistesbruder in Rassenhass und überdrehtem Nationalismus. Vielleicht weil Sami bei seinen Aufenthalten in England und Spanien als Geschäftsmann lebte und weder Zeit noch Neigung für palästinensischen Patriotismus besitzt, scheut er sich nicht in Umm El-Fahm auch Juden gegenüber zu sagen, was er wirklich denkt. Doch dazu in einem anderen Tagebucheintrag.

Hier im Hillel Jaffe Spital läuft nichts ohne arabische Mitarbeiter. Fast alle Ärzte in unserer Abteilung sind Araber, der Chefarzt Dr. Jarkovsky ist keiner, sein Stellvertreter, Dr. Abu Much ist einer und beide gleichen sich im Äusseren und auch in ihrer Art uns Patienten gegenüber, wie ein Ei dem Anderen. Ich habe hier noch keinen nichtarabischen Assistenzarzt getroffen, jedoch einige Stageure, die in Deutschland studieren. Das Pflegepersonal ist gemischt: Schwestern und Pfleger arabischer Herkunft, einige russische Juden beigemischt, Sabres habe ich noch keine gesichtet. Die Putzfrauen sprechen Russisch. Alles funktioniert tadellos, d.h. alles, was menschliche Betreuung und Interaktion betrifft. Das Haus 2 des Hillel Jaffe Spitals ist neu, doch irgendwie scheint die Planung nicht ganz der Wirklichkeit zu entsprechen. Unser Zweierzimmer – in Israel eigentlich ein Luxus - ist als Einzelzimmer konzipiert, die Dreierzimmer als Zweierzimmer, das luxuriöse Badezimmer (für zwei) lässt aus den Hähnen das Wasser nur gerade tröpfeln. Wirklich wichtig ist jedoch die Tatsache, dass wir Patienten ernst genommen werden, auch wenn der materielle Luxus ein wenig zu wünschen übrig lässt. Bisher hat sich noch niemand darüber aufgeregt.

Soeben habe ich den Zimmerpartner Nummer Drei bekommen, Muhammad, ein netter Mann mittleren Alters. Sein Vorgänger, Moshe, blieb nur gerade eine Nacht, denn er hatte „bloss“ eine Lungenentzündung. Er hinterliess mir, ich war gerade nicht im Zimmer als er sich verabschiedete, Getränke und Gebäck. Der Neue, Mohammad, packte als Erstes einen wunderschönen grünen Gebetsteppich aus, legte ihn vor der Türe ans Fenster und betete. Wie ist er zu beneiden, denn obwohl es in der Abteilung genügend Muslime gibt, hatte er nicht den Drang einen Minjan der Muslime (wenn es so etwas überhaupt gibt) zusammensuchen zu müssen. Offen gebe ich zu, darüber wenig Ahnung zu haben, doch ist mir verschiedentlich schon aufgefallen, wie frei Muslime dem Gebot fünfmal täglich zu beten, nachkommen. Im Olivenölladen von Umm El-Fahm bat mich der Inhaber um einige Minuten Zeit, um dieser Pflicht nachzukommen, im Frucht- und Gemüsestand an der Landstrasse Nummer 4 in benachbarten Faradis geschah mir dasselbe – beide benutzten jedoch statt einem schönen Teppich plattgedrückte Kartone. Muhammad war schon sechsmal auf den Hadsch nach Mekka und ist inzwischen Reiseleiter für diesen Pilgertrip geworden. Muhammad ist, wie ich, zur Beobachtung hier, allerdings hat er seine Angiographie schon hinter sich. Er schnarche nicht und scheint, im Gegensatz zu Ahmad, ein guter Schläfer zu sein, sodass ihn mein Schlafgetöse nicht stören sollte.

Soeben ruft eine Hilfsschwester: „Chewre, bou le’echol!“ (Freunde, kommt essen!). Tatsächlich, es gibt warme Hühnerschenkel, sogar zwei, mit Hühnersuppe (ebenfalls warm) mit Fideli statt Matzeknödel, denn es ist Erew Schabbat. Ich setze mich an den runden Tisch. Eine Dame mittleren Alters (hoch in den Achtzigern) stellt mir ihre junge Tochter vor (hoch in Fünfzigern, aber blond und schön füllig). Ich verkneife mir zu sagen, ich sei schon vergeben, erhebe mich wie der Gentleman, der ich bin und höre mich sagen: „Na’im meod“ (sehr angenehm), schüttle zwei Hände, setze mich wieder hin, würge schnell meine zwei Pouletschenkel hinunter und flüchte zurück ins Zimmer, jedoch nicht vergessend, „Schabbat Schalom“ zu sagen. Hier geht es gesittet zu, in diesem Spital der Jeckes und der Araber.

Noch weiss ich nicht, wann ich hier herauskomme. Ferien stelle ich mir anders vor, etwa in Arosa im Tiefschnee oder auf der sommerlichen Alp. Vielleicht klappt das noch.

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