Dienstag, 8. Mai 2012

Die Antwort auf meine Antwort





Die oft gestellte Frage

Wenn auf Besuch in der Schweiz wird mir oft die Frage gestellt, ob ich nicht lieber in der Schweiz wohnen würde. Meine Standardantwort darauf ist meist: „Ich liebe die Schweiz, ihre Berge, die frische Luft, die guten Restaurants und die Ruhe. Und vor allem meine Familie und Freunde dort. Aber leben in Israel ist weit interessanter“. Es geht täglich „um die Wurscht“. Kurz gesagt, in Israel geht es auch weiterhin um dem Aufbau, die Gestaltung und das Überleben eines modernen demokratischen Staates in einer extrem feindlichen Umwelt, in der Schweiz geht es zu einem gross Teil um Besitzstandwahrung, auch wenn dieser zu wahrende Besitz wahrlich beeindruckend ist. Das soll kein Urteil sein, sondern nur eine Beschreibung des heutigen Zustandes, die, so gesehen, durchaus von einem gewissen Neid motiviert sein kann. Denn „solche Sorgen möchte ich haben“, sagen viele Israel.

Keine Bibiwahlen

Was heute geschah, wird in die Geschichte eingehen. Ich hatte gestern Abend gerade vier Zeilen unter dem Titel „Bibiwahlen“ geschrieben und wollte diesen Tagebucheintrag heute früh vervollständigen. Früh morgens las ich als erstes Jacques Ungar’s Bericht im Tachles online. Jacques hat seine Nase immer ganz zuvorderst. Die Knessetwahlen seien abgesagt und stattdessen sei Kadima mit seinem neuen Chef Shaul Mofaz Nethanyahu’s Regierung beigetreten. Das wiederum bestätigt meine weiter oben geschriebene Aussage in Israel sei das Leben interessanter, denn diese Meldung ist umwerfend. Ein politischer Geniestreich.
Jetzt kommen Hoffnungen hoch, Prioritäten können neu gesetzt werden und die ausserordentlichen finanziellen Ergebnisse der israelischen Wirtschaft und die hohen Steuern von Israels arbeitenden Bürgern würden wirklich denen zugute kommen, die sie erarbeitet haben und nicht zur Förderung haredischer Kinderproduktion und Arbeitsscheu missbraucht werden.

In den Medien und unter Politikern wird geflucht und gelobt. Ich selbst wunderte mich erst, dann aber, seit ich schon lange der Meinung war Kadima (und auch die Arbeitspartei, die sich noch immer ziert) müsse Regierungsverantwortung übernehmen, bevor Nethanyahu unter dem Druck der Rechtsextremisten und der Ultraorthodoxen das Land in eine Zukunft führen würde, an die ich nur mit Schaudern denken kann – da habe ich mich sogar gefreut.

Eines muss man Nathanyahu lassen: er ist ein ganz schlauer und ausgefeilter Politiker, der das Angebot von Mofaz als Möglichkeit sah, sich aus den Klauen vor allem der das Staatsbudget schädigenden Ultraorthodoxie zu lösen und den Einfluss der Siedler zu schwächen. Hoffentlich sehe ich das richtig. Ob er die Frommen für vierzig Jahre in die Wüste schicken und ohne sie Regierungspolitik gestalten wird, werden wir sehen.

Zwei Bedingungen hat Nethanyahu von Mofaz akzeptiert: Das Tal-Gesetz, mit dem der Staat das haredisches Drückebergertum vor Arbeit und Wehrdienst aktiv unterstützt, weil er (und zahlreiche Vorgänger) sich in die koschere Mausefalle ultraorthodoxer Parteien hat fallen lassen, soll revidiert werden. Die zweite Bedingung ist die Revision des Regierungssystems. Was damit gemeint ist, ist nicht ganz klar: das unmögliche Wahlsystem Israels, in dem es keine Mindestgrenze, sagen wir von fünf Prozent der Stimmen, einer Partei erst ermöglicht, überhaupt in die Knesset einzuziehen. Oder vielleicht die Organisation der Regierung selbst, z.B. einer stark limitierten Zahl Minister, die den Kuhhandel zu Koalitionsbildung etwas limitierten könnte.

Nethanyahu hat jetzt neu eine Knessetmehrheit von 94 Sitzen. Ultraorthodoxe Parteien (Schas 11, United Torah 5) von gesamthaft 16 Sitzen könnten problemlos aus der Koalition entfernt werden, diese würde nicht weniger stark bleiben. Auch auf Lieberman’s rechtsextreme Israel Beitenu (15 Sitze) könnte verzichtet werden, für sein Amt als Aussenminister gibt es weit geeignetere und vielleicht sogar höflichere Leute, vor allem in der Kadima. Doch wird er noch für innenpolitisches gebraucht.

Sollte sich im Laufe der kommenden Wochen und Monate tatsächlich eine Regierung resistent gegen religiöse Erpressungen und vielleicht sogar politischem Druck aus Siedlerkreisen entwickeln, könnte das für die Arbeitspartei der Ansporn sein, ebenfalls der Regierung beizutreten. Alles was von ihrer Vorsitzenden bisher zu hören war ist reinste politische Heissluft, genau so wie vor erst zwei Wochen die vielzitierte Feststellung Mofaz’ über Nethanyahu den Lügner. Auch wenn’s stimmt: Politik ist eben Politik. In Israel wie in anderen demokratischen Staaten.

Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass die Abmachungen zwischen Nethanyahu und Mofaz, die in deren Einzelheiten noch nicht bekannt sind, auch zufriedenstellend umgesetzt werden.

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