Festliche Eröffnung der Vernissage. Zu sehen sind vor allem "mutige" Juden, die sich nach Umm el-Fahm wagten - und es immer wieder tun. |
Said Abu-Shakra und Regula Kuhn |
Schmiedeisernes Tor zu einem Herrschaftshaus |
Ich weiss nicht ob der alte Geheimrat Goethe je an Schreibstau gelitten hat. Auf jeden Fall leide ich nun schon einige gute Wochen an dieser Krankheit. Der Kopf fühlt sich leer, wenn ich ein bisschen nur auf mein literarisches Erinnerungsvermögen drücke, entkommt nur Luft mit einem lauten Pffffff.
Um mir selbst auf die Sprünge zu helfen, habe ich
einige Erfahrungen der letzten Tage und Wochen zusammengekratzt und will sie
hier, mit separaten Titeln versehen, stückweise in den kommenden Tagen wiedergeben.
Vernissage in Umm El-Fahm am 19. Mai 2012
Noch immer arbeite ich für „meine“ Kunstgalerie in
Israels grösster muslimischer Stadt. Diese Institution, vor etwa fünfzehn
Jahren von meinem Freund Said Abu-Shakra gegründet, blüht und gedeiht, unter
anderem auch durch Hilfe aus der Schweiz. Eigentlich ist die Galerie eine dreiteilige
Organisation. Es gibt die Galerie auf über tausend Quadratmeter Fläche, es gibt
denn Treffpunkt für Aktivität von Arabern und Juden und es gibt die
Kinderkunstschule. Es ist vor allem die direkte Arbeit mit den Kindern dieser
Stadt und ihren benachbarten Dörfern, und das Einbeziehen nichtarabischer und
nichtmuslimischer Israelis als ausstellende Künstler, als Kuratoren,
Kunstlehrer, Mäzene und anderem, die diesen inzwischen zu einer landesweit
anerkannten Institution gewordenen Kunstbetrieb so attraktiv macht. Die
Kinderkunstschule ist ein Sozialwerk, das Buben von den Strassen holt und Mädchen
vom Hausarrest (etwas überspitzt gesagt) bis zur Heirat rettet. Viele
Jugendliche werden damit vor Langeweile und dem dadurch erzeugten Fall in die
Drogenszene, religiösen Extremismus und Kriminalität gerettet. Die Galerie wird
von der ultrakonservativen Stadtregierung Umm El-Fahms unterstützt. Diese
gestattet ihr Aktivitäten durchzuführen, die eigentlich weder orthodoxen Muslimen
(noch orthodoxen Juden) erlaubt sind. Mädchen und Burschen aller Altersgruppen
malen und töpfern zusammen, spielen Theater zusammen, lernen Kunstgeschichte zusammen
und lernen gelegentlich auch Musik. Das Schlüsselwort dazu ist „zusammen“, denn
damit werden alte rückwärtsgewandte orientalische Traditionen in Frage gestellt
und damit die Herrschaft der Männer dieser Gesellschaften langsam untergraben.
Ein erster Schritt in den zivilisatorischen Fortschritt ist damit getan. Doch
der Weg ist noch lang und jahrelange Geduld ist gefordert. Das war nicht immer
so. In Gesprächen mit Bürgern Umm El-Fahms hörte ich auch nostalgische Sehnsucht
nach den Zeiten, in denen die Stadt von Kommunisten regiert worden war und, so
wurde mir gesagt, Kultur gross geschrieben wurde. Es hätte drei Kinos und ein
Theater gegeben, kulturelle Anlässe und anderes. Heute ist all das auf die
Galerie konzentriert – dort wurde schon ein Tag zum Thema Frauenrechte durchgeführt,
in die die britische Baroness Helena Kennedy QC (Uris Tagebuch 31.5.2004) die Damen
der Stadt in Frauenrechte einführte. Da dieser Tagebuchbericht noch aus meiner Vorblogzeit stammt und daher nicht im Blog zu finden ist, drucke ich ihn am Ende dieses Tagebucheintrags zur Lektüre ab.
Umm El-Fahm von Abu Ayads Aussichtspunkt aus gesehen |
Am vergangenen Samstag fand die Vernissage einer
neuen Ausstellung statt. Zum Thema „Ort – Zuhause“ stellen siebzehn jüdische
und arabische Künstler Gemälde und Skulpturen aus. An sieben verschiedenen
Orten: in der Galerie selbst, bei vier Familien in deren Haus und einem Zelt und zwei von
israelischen (Arabern und Juden) Studenten restaurierten alten Häusern. Mit zehn Kleinbussen wurden
diese besucht. Ich möchte darüber nicht im Detail berichten, sondern nur einige
Fotos über diesen Stadtausflug sprechen lassen.
Regula und Walo Kuhn (oben) bei im Atelier von Fuad Aghbaria (rechts). Fuad ist daneben auch Fahrlehrer und Kunstlehrer in einem College.
31.5.2004 – arabischer Feminismus auf Englisch
Regula und Walo Kuhn (oben) bei im Atelier von Fuad Aghbaria (rechts). Fuad ist daneben auch Fahrlehrer und Kunstlehrer in einem College.
Abu Ayad und sein Maler |
Die Klause von Abu-Ayad. Hier ist der schönste Aussichtspunkt auf Umm El-Fahm. |
Neue Villen in Umm el-Fahm |
Neue Villen in Umm el-Fahm |
Umm El-Fahm, eine sehr photogene Stadt, besonders aus der Ferne betrachtet |
31.5.2004 – arabischer Feminismus auf Englisch
Nur mit dem Detail, dass die Vorsitzende des British
Council zu Besuch komme und einen Empfang veranstalte, an dem auch viel
gegessen werde, forderte Said Abu-Shakra Lea und mich auf, heute in die Galerie
in Umm El-Fahm zu kommen. Auf Punkt 12.30 Uhr. Bei Said isst man immer gut.
Was ist dieser British Council? Der British Council
ist eine riesige öffentlich-staatliche Organisation, die sich, kurz gesagt, dem
Internationalismus verschrieben hat. Sie fördert Wissenschaft und Kultur,
Tourismus und viele Arten zwischenmenschlicher Beziehungen. Der British Council
ist in 110 Ländern vertreten, stellt Bibliotheken
und Informationszentren auf und vermittelt Studienplätze in England für Ausländer
und im Ausland für Engländer. Der British Council vermittelt England der Welt
und die Welt den Engländern.
Baroness Helena (Rufname Helen) Kennedy QC (Queens
Council), ist Mitglied des Oberhauses und hat noch eine Reihe weiterer
Beschäftigungen, wie die der Juristin, vor allem vielseitig in der
Kriminaljustiz, Vorsitzende des Internationalen Theaterfestivals, Präsidentin
des national Kinderbüros, Commissioner der nationalen Erziehungskommission,
Vorsitzende der Kommission für menschliche Genetik. Die Baroness Kennedy
besitzt fünfzehn Ehrendoktorate, das Zählen der Ehrenposten erschöpft mich.
Helen (wir nennen uns in diesen Kreisen beim Vornamen) strahlt Energie aus. Zu
all dem vorhin erwähnten ist sie eine überzeugte und erfolgreiche Zivil- und
Frauenrechtlerin.
Lea und ich verstanden erst nicht, warum sehr viele
arabische Frauen anwesend waren. Nach dem reichlichen Mittagessen auf der
Terrasse besammelten wir uns im Theatersaal der Galerie. Hier erst fanden wir
heraus um was es in diesem Treffen ging. In ihrer Ansprache berichtete Helena
Kennedy über Kurse, die von den britischen Botschaften zum Thema „Frauen im
öffentlichen Leben“ durchgeführt werden.
Diese Kurse seien stets ausgebucht und es gäbe Wartelisten. Sie spricht
über die soziale Stellung der arabischen Frau, die dreifach benachteiligt sei,
durch Traditionen, Religion und die wirtschaftlich-soziale Rückständigkeit
ihrer Gesellschaft. Ich hatte das Gefühl, die anwesenden jüdischen Frauen – von
der Natur der Sache her alle fortschrittlich gesinnt, modern denkend und
selbständig, sonst wären sie gar nicht hier – mussten daran denken, dass es
auch in der jüdischen Gesellschaft solche Benachteiligungen gibt.
Der Neid der
arabischen Teilnehmerinnen auf die Powerfrau Helena Kennedy war fühlbar, vielen
drückten sich in ihren Fragen an Helena entsprechend aus. Wie, fragte eine,
könne sie so viele Ämter bewältigen, der Zeitaufwand müsse gewaltig sein.
„Meine Mutter wurde darüber befragt“, erzählte Helen dem Publikum, „sie
antwortete: meine Tochter ist eine lausige Hausfrau“. Das sei ihre Antwort.
Wenn man für das, wofür man einstehe auch anpacken wolle, sei alles möglich und
sie müsse halt Prioritäten setzen. Sie setze sich für Frauenrechte ein,
organisiere feministische Lobbyarbeit und findet durch ihre Überzeugungskraft
meist offene Türen. Vor allem, sagte sie, sei ihr klar, dass die arabischen
Frauen nicht gegen ihre Männer kämpfen, sondern um das Recht mitzureden. Mit
ihrem Interesse für die universalen Rechte und Stellung der Frau, provozieren
die Teilnehmerinnen anwesende Ehemänner. Lea sass in der hintersten Reihe
zusammen mit zwei Frauen, einer Jüdin und einer Araberin, mit denen sie ins
Gespräch gekommen war. Der Rest der Sitzreihe war von Männern besetzt, die
während dieser frauenrechtlichen Frage- und Antwortstunde mit einem Ruck
aufstanden und demonstrativ den Saal verliessen. Lea war schockiert. Die Zeiten
für Frauenrechte sind in der arabischen
Gesellschaft steinig, auch wenn es schon Familien gibt, Said und Siham gehören
dazu, in denen in jeder Beziehung Gleichberechtigung herrscht. Allerdings
sollten wir Juden nicht überheblich
sein, denn auch unsere orthodoxen Brüder vertreten noch heute ähnliche
Vorstellungen.
Internationale Politik wurde auch besprochen. Mit dem
Irakkrieg sei England wieder zur Kolonialmacht geworden, wird Helen
vorgeworfen. Sie antwortete, sie sei zwar mit der britischen Teilnahme im
Irakkrieg nicht einverstanden, aber kolonialistische Absichten habe ihr Land
keine. Auf die obligate Bemerkung über die Leiden der Palästinenser unter der
israelischen Besetzung antwortete Helen, dass die Leiden aller Menschen in der
Region schlimm seien und Mitgefühl und Hilfe verdienen. Gerade in Israel setzen
sich viele Aktivisten für Frieden und Koexistenz ein. Die kleine Schottin mit
den roten Haaren hat diplomatisch Klasse und lässt sich nicht vereinnahmen. An
solchen Anlässen teilzunehmen ist für uns ein Geschenk, es hilft mit
Vorurteilen aufzuräumen. Wir haben noch über einiges nachzudenken.
Vor einer Woche sass ich bei Segiv dem Coiffeur und
wartete auf meinen Haarschnitt. Es traten zwei Damen aus dem arabischen Dorf
Arara ein, einem Nachbarort von Umm El-Fahm. Sie wurden von Segiv als
Stammkundinnnen herzlich begrüsst. Segiv ist bedingungsloses Likudmitglied,
Anhänger Nethanyahus und nicht nur deswegen nicht der hellste, aber er und
seine Kundinnen demonstrierten, wie in Israel Normalität gelebt wird. Haare
waschen, schneiden, färben und wellen ist eine intime Dienstleistung und mit
seinem Erfolg Kundinnen aus dem entfernten arabischen Dreieck zu gewinnen,
stieg meine Hochachtung für Segiv.
Zum Abschluss noch etwas wichtiges: Meine Kollegen
der lokalen Polizei, zu der ich bald zurückkehren werde, hat einen
einzigartigen Erfolg zu verzeichnen. Sie verhaftete gestern einen mobiles Puff,
einen Wohnwagen in dem ein Faltbett, eine gut ausgestattete Bar und eine
Schachtel Kondome diverser Grössen gefunden wurde. Selbstverständlich sind
diese Sexarbeiter- und arbeiterinnen Ausländer – wie jeder, der nicht in
unserer weinfröhlichen Stadt wohnt. Wer's glaubt wird seelig.
1 Kommentar:
Ich bin überrascht, Umm ist ein schönes Städtchen. Ich wünsche Ihnen lieber einen Schreib- als einen Samenstau. Grüsse, Maximilian Teusch
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