Sonntag, 20. April 2008

Gedanken zu Pessach


20.4.2008

Danke, Frau Moses – ohne sie wären wir vielleicht noch immer verirrte Touristen in der Wüste.
Nach 39½ Jahren der Wanderschaft in der Wüste, fragte Frau Moses diskret nach dem Weg ins verheissene Land.

Beduinensoldaten

Vor drei Tagen sind vier Soldaten in Gaza gefallen, drei davon aus der Einheit unseres Enkels. Der Vierte war Beduine, also einer der arabischen Bürger Israels, die freiwillig in die Armee eintreten und dort oft eine geachtete Karriere als Fährtenleser und Kundschafter machen, bis in hohe Offiziersränge. Der Familie dieses Beduinensoldaten soll das Haus demoliert werden, begründet mit irgendwelchen gesetzlich abgedeckten bürokratischen Zwängen. Die meist, aber nicht nur, im Negev lebenden Beduinen Israels werden von den israelischen Behörden drangsaliert, sie werden in künstlich für sie erbaute Städte gesteckt, ihr Weideland wird weniger, die Arbeitslosigkeit unter ihnen soll fünfzig Prozent übersteigen, die Kriminalität ist überdurchschnittlich hoch. Es grenzt schon an ein Wunder, dass Beduinen sich freiwillig zur Armee melden, in dieser gefährlichste Aufgaben übernehmen, um dann, ausser sie werden Berufssoldaten, wieder in ein für die Meisten ärmliches Leben zurückzukehren, wenn sie zurückkehren, denn ihre Verlustrate ist überdurchschnittlich hoch. Wenn das Land weiterhin mit Hausabbrüchen und ähnlichen Schikanen seine Beduinen „pflegt“ wird das zum Schuss in den eigenen Fuss. Das Volk israelischer Beduinen zeigt immer wieder, dass sie zu „Höherem“ fähig sind – es gibt auch schon beduinische Ärztinnen (Frauen sind auch dort Opfer überholter Traditionen, fast mehr noch als bei anderen) und andere Akademiker. Solches muss gefördert werden, aus Gründen der Fairness und um Beduinen als Bürger Israels ebenso zu respektieren und zu motivieren – statt sie mit Schikanen zu demotivieren.

Nostalgie weiter spinnen

Heute Nachmittag war ich zu Besuch bei Jamal und Dalia, einem drusischen Ehepaar in Daliat Al-Carmel. Bei Gesprächen mit Drusen komme ich meist schnell auf Politik und israelische Geschichte zu sprechen. Jamal, ehemaliger Offizier beim Gefängnisdienst und heute Leiter bei den Sicherheitsdiensten der israelischen Eisenbahn, ist sehr gesprächig und kann sich sorgfältig ausdrücken. Er trauert den ersten zwanzig Jahren der israelischen Geschichte nach, den Jahren des Aufbaus und der gegenseitigen Solidarität, der Mapai-Herrschaft (das beinhaltet die Arbeitspartei der Staatsgründer und der Histadrut, der damals übermächtigen Gewerkschaft Histadrut). Da habe es noch gegenseitige Verantwortung zwischen den Bürgern gegeben, praktisch alle seien arm gewesen und nicht wie heute viele Arme und einige wenige viel zu Reiche, die Eigentümer der Wirtschaft. Heute sei jeder sich selbst der Nächste. Diese Art Gedanken höre ich meist von älteren Leuten der Gründergeneration, die alten Zeiten nachtrauern und z.B. nicht verstehen wollen, dass der Kibbuz in seiner traditionellen Form ausgedient hat, die Leute nur noch dem Geld nachrennen und wer das nicht kann, hoffnungslos zurückbleibt. Das stimmt, doch die Geschichte bleibt nicht stehen, Anpassung ist gefordert, auch wenn sie nicht immer angenehm ist. Auf der anderen Seite ist nicht lange alles Soziale und Wirtschaftliche in Israel schlecht. Wäre Israel bei seinen beträchtlichen landwirtschaftlichen Errungenschaften stehen geblieben und hätte nicht in neue Technologien, sei es High-Tech, Chemie, Bio-Tech oder Waffen, investiert, wären wir heute nicht eine wirtschaftliche Macht, sondern wohl auch nicht mehr da. Der heutige Wirtschaftsboom beruht auf Nutzung israelischer Innovationskraft und der Ausbildung an den Hochschulen. Dieser Boom ist für die Zukunft nicht gesichert, denn Schulung aller Stufen, vom Kindergarten bis zur Universität, leidet an fehlenden staatlicher Mitteln, die statt dessen an die nimmersatten ultra-orthodoxen Schulen investiert, Schulen, die zur wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung des Landes nicht nur nichts beitragen, sondern abträglich sind. Steuergelder werden verschwendet, an jene, die sich weigern unseren Staat auch nur anzuerkennen und ihn alleine als Milchkuh zur Stillung ihrer parasitären Bedürfnisse akzeptieren. Seit langem ist es leider so, dass die Bildungs- und Finanzpolitik der Regierung von der rabiaten und arbeitsfaulen Ultra-Orthodoxie und die Aussen- und besondern die Sicherheitspolitik von rechtsextremen Siedlungsfanatikern gesteuert werden. Dabei finde ich heute besonders Ersteres, den Einfluss auf die Bildungs- und Finanzpolitik, weit gefährlicher als der Einfluss der Rechten, der gezwungen durch die politischen Ereignisse, teilweise und vor allem auf die Gegenwart begrenzt, auch von linken Politikern wie Yossi Beilin vertreten wird. Natürlich ist die Motivation eine völlig andere. Politiker der Linken und der Mitte sorgen sich um den Zustand, die Sicherheit und die Entwicklung des Landes während der extreme Nationalismus sich von biblischen Versprechen und Mythen leiten lässt.

Wo ist der Kontext? (Kontext = Hintergrund, Zusammenhang)

Man sollte ein Buch darüber schreiben. Über die Meinung der Israelkritiker die allwissend sich mit israelischen „Missetaten“, d.h. Verteidigungsmassnahmen, auseinander setzen wollen, dies aber mit Reflexen und Vorurteilen, statt mit Wissen und einem Versuch zur Analyse tun. Auffallend ist, das Unterschlagen des Kontexts in Bezug auf israelische Aktivitäten, obwohl der Bezug und der Hintergrund dazu jedem der sich mit der Materie befasst, geläufig sein müsste. Ist es das nicht, dann hat der Kommentator seine Hausaufgaben nicht gemacht und sollte sich zurückhalten. Damit sei nicht behauptet, Israel produziere keine Fehlleistungen, sogar Israelis sind Menschen und Menschen machen Fehler, doch es sind, eben Fehler, nicht Grundsatzpolitik. Das geht sogar soweit, dass Israel sich schon für Dinge entschuldigt hat, für die es keine Verantwortung trägt. Israel ist, im Gegensatz zu seinen Feinden, nicht stolz darauf, wenn Kinder und andere Unbeteiligte, eigene und andere, zu schaden kommen.

Hier zwei Beispiele des Unterschlagens des Kontextes:

· Im Zweiten Libanonkrieg fielen Tausende von Raketen auf Nordisrael um ein Maximum an materialen Zivilschäden und toten israelischen Zivilisten zu erreichen. Die Schäden waren enorm, die Zahl toter Zivilisten blieb zwar wesentlich unter den Hoffnungen der Hisbollah. Der Krieg, vordergründig ausgelöst durch die Entführung von zwei israelischen Soldaten und den Tod von acht weiteren, wurde zum Misserfolg. Die durch die israelische Luftwaffe verursachten Schäden in Libanon waren beträchtlich, doch ausschliesslich gegen Anlagen der Hisbollah gerichtet – die sich, wie üblich unter und hinter Zivilisten verbargen und diese so zu Geiseln nahmen. Das war so in Beirut und in Städten und Dörfern des südlichen Libanon. Die Kritiker sprachen von Unverhältnismässigkeit israelischer Angriffe, vergessen jedoch diese in den Kontext mit den libanesischen Geiseln zu stellen. Dieses Beispiel kann in den heutigen Tagen im Zusammenhang mit den Vorgängen in Gaza problemlos angewendet werden. In beiden Fällen wäre die Alternative nicht zu reagieren, eine Alternative, die keine ist.

· Jenin (Ausgangsort der meisten Terroranschläge in Israel der vorhergehenden Monate) in 2002: ein Teil des Flüchtlingslagers, in der Grösse eines Fussballplatzes, wurde von israelischen Infanteristen in einem verlustreichen Kampf erobert und zerstört. Es starben 56 Menschen, etwa die Hälfte davon Soldaten. Von der palästinensischen Lügenkampagne der 5000 zivilen Opfer wollen wir für einmal nicht reden. Terroristen verminten Häuser und nahmen Zivilisten zu Geiseln. Jeder der es wissen wollte, damals und heute, weiss, dass Israel Fusssoldaten gegen die Terroristen einsetzte, für etwas, das mit grösster Einfachheit und ohne israelische Opfer durch einen Helikopter hätte erledigt werden können. Israelische Soldaten wurden geopfert, um die Zahl palästinensischer Opfer zu minimalisieren. Diese Tatsache wurde der Welt unterschlagen.

Der Versuch Vorkommnisse zu beschreiben, ohne sie in einen Gesamtkontext zu stellen, führt zur tendenziösen Entstellung der Berichte, die damit den Wert unabhängiger Berichterstattung verlieren. Das ist Manipulation und trägt einen Teil der Verantwortung für den heutigen Antisemitismus. Benny Morris scheint vorwiegend recht zu haben, wenn er behauptet, dass das palästinensische Narrativ und besonders die heutige palästinensische Propaganda eine grosse Lüge sei.

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