31.3.2008
Ich habe selten eine solche Menge Informationen über das Benehmen der Schweizer Juden erhalten, wie in den vergangenen Tagen. Oh, natürlich darf nicht verallgemeinert werden und ich werde mich hüten, dies zu tun – was darauf hinausläuft, keine Namen zu nennen, sondern nur Organisationen. Da ist auch noch ein zweiter und wichtiger Grund unter keinen Umständen zu verallgemeinern: es gibt trotz allem Schweizer Juden, die sich aktiv aber selten offen, für den jüdischen Staat einsetzen. Grosso modo überlassen sie das lieber den Gojim (dieser Begriff ist alles andere als beleidigend gemeint), wie der GSI und seinen Mitglieder, unter denen ich inzwischen eine schöne Anzahl guter Freunde gewonnen habe.
Meine alte Gemeinde JLG Or Chadasch in Zürich, eine jüdische Reformgemeinde (im deutschen Sprachgebrauch wird seltsamerweise Reform mit Liberal übersetzt) ist in den letzten Jahren von seiner Kulturkommission zur Geisel genommen worden. Der Zweck dieser Geiselname ist, dem Hass gegen Israel und dem Apologetentum für palästinensischen Terror unter der Flagge einer ganzen jüdischen Gemeinde Ausdruck zu verleihen, ohne die Zustimmung der Mitglieder zu solchen Aktionen jüdischen Selbsthasses zu suchen oder gar den Vorstand umfassend über den "Gast" zu informieren. Nun weiss ich, dass es unter den Mitgliedern eine ganze Menge Leute gibt (ob eine Mehrheit, bleibe dahingestellt), die sich damit zwar nicht identifizieren, vielleicht die Faust im Sack machen, im Endeffekt aber schweigen. Vielleicht schämen sie sich sogar – schweigend eben. Ein Leserbrief zum Thema in der letzten Gemeindezeitschrift "Luchot", der den Versuch zeigte, das Problem zu thematisieren, macht einen etwas unvollständigen Eindruck – wurde er zensuriert, wurde wirklich Problematisches mit der Schere herausgeschnitten? Diese Situation muss innerhalb der JLG geklärt werden – auf welcher Seite stehen die Reformjuden in Zürich? Sind sie mutig wie die Juden in Frankreich, Deutschland oder gar in den USA und die Reformjuden in Israel? Oder warten angstvoll bis alles vorüber geht, statt als Mitglieder einer kantonal anerkannten demokratischen Religionsgemeinschaft demokratisch zu diskutieren und wirklich Stellung zu beziehen, statt aus Angst vor dem "was sagen die Gojim" sich zu verkriechen.
Ein ebenso ernsthaftes Thema betrifft eine historische, der Koexistenz zwischen Arabern und Juden verpflichteten Organisation in Israel, die der Kibbuzbewegung Haschomer Hazair entsprungen ist und seit vielen Jahrzehnten die Verständigung zwischen israelischen Arabern (seit 1967 auch den arabischen Bewohnern der besetzten Gebiete) und den israelischen Juden sucht und vorantreibt. Givat Haviva ist eine grundsätzlich jüdische und zionistische Einrichtung, die den Geist der Pionierzeit Israels und des mit dieser Zeit verbundenen humanistisch-sozialistischen Zionismus bis heute erhalten hat. In der deutschen Website (eine schweizerische scheint es nicht zu geben) steht unter anderem: "Givat Haviva ist eine Bildungs- und Begegnungsstätte zwischen Tel Aviv und Haifa, die sich aktiv für eine friedliche und tolerante Gesellschaft engagiert. Als älteste und grösste bestehende israelische Einrichtung im Bereich der jüdisch-arabischen Verständigungsarbeit hat sich Givat Haviva der Förderung des kulturellen und religiösen Pluralismus verschrieben. Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg und Gewalt. – Erziehung muss ein Demokratieverständnis sowie Toleranz- und Verständnis füreinander beinhalten." (aus der Vision im Website zitiere ich: Givat Haviva implements activities to develop the experience of equality between Jews and Arabs living in Israel, and provides tools to this end. This is the moral foundation for achieving peace with the Palestinians and the Arab states.
Ich kenne Givat Haviva noch aus meinen Jahren als Kibbuzmitglied dieser Bewegung, nahm dort an Kursen teil und lernte diese schätzen. Seine Mittelschule gehört zu den besten im Land, seine anderen Einrichtungen sind nicht weniger bemerkenswert (siehe obigen Link) und seine Friedensaktivitäten sind praktisch und anerkannt. Deshalb ist es für mich nicht nur verwunderlich und umso ärgerlicher, wenn sich der Schweizer Freundeskreis Givat Haviva der Philosophie dieser Friedensbewegung diametral entgegengesetzten Aktivitäten hingibt und einen Sonderzug fährt, der kaum von Givat Haviva gebilligt werden kann. Ich und einige meiner Freunde ärgern uns masslos, wenn Givat Haviva Schweiz zu Anlässen wie Lesungen von Sumaya Nassr einlädt, einer Exponentin und Apologetin palästinensischen Terrors, ihr literarisches Gift zu versprühen, die Phantasie einer palästinensische Vergangenheit des Friedens und pastoralen Lebens in Freiheit vorzugaukelnd, die durch das Entstehen Israels und seinem Verteidigungskrieg von 1967, zerstört worden sei. Es ist bekannt, dass der Schweizer Freundeskreis viel Geld zusammenbringt, wie mir zugetragen wurde, von mehrheitlich nichtjüdischen Quellen – einer Situation, die durch das antijüdische und antiisraelische Treiben der Leiterin der Schweizer Filiale durchaus verständlich ist. Givat Haviva braucht Geld, viel Geld, für seine Aktivitäten, denn es tut viel Segenswertes damit. Doch sollte sich seine Leitung überlegen, ob gelegentlich ethische Abwägungen nicht vor finanziellem Pragmatismus stehen sollten. Die Leitung von Givat Haviva Schweiz hat sein Mutterhaus zur Geisel genommen, um eigene, sagen wir mal, persönliche Neurosen auszuleben. Denn mit Israel als Staat wird auch Givat Haviva, dessen Aktivitäten zu Israels Charakter und Geschichte gehört, verunglimpft. Das kann und darf nicht im Sinn dieser Institution sein.
Da ich mich selbst intensiv und am Ort des Geschehens mit Koexistenzarbeit zwischen israelischen Arabern und Juden befasse, nehme ich für mich in Anspruch, die Materie gut zu kennen. Sich für die Rechte israelischer (und anderer) Araber einzusetzen, heisst noch lange nicht dem Umarmungseffekt oder ein Art des Stockholm Syndroms zu erliegen und für die "armen geplagten" Palästinenser – den bestbezahlten und von ihren eigenen Führern bestbetrogenen Flüchtlingen der Welt – Tränen zu vergiessen und die bösen Israelis zu hassen. Um die Materie zu verstehen, darf man sich nicht von antisemitischer, hysterischer arabischer und gutmenschlicher Propaganda einwickeln lassen, sondern muss die Mühe auf sich nehmen, ehrlich in die Geschichte des jüdisch-arabisch/muslimischen Verhältnisses, seiner langen Vorgeschichte und vor allem die für heutige Situation verantwortlichen vergangenen etwas über hundert Jahre muslimisch-jüdischen Geschichte einzusteigen. Es sollte für jeden, der Israel kritisiert, auch israelische Zeitungen als Pflichtlektüre verschrieben werden. Sie ist auch nicht ausgewogen, sie geht von ganz links zu ganz rechts, doch dürfen in Israel lebende, Hebräisch sprechende Journalisten wenigstens wissen, von was sie schreiben. Dazu gibt es genügend Literatur und Lehrgänge, die, wenn man sich damit befasst, ein anderes Bild widerspiegeln, als die Unmenge, zum Teil gestellten Sensationsmeldungen der Medien, die heute, zusammen mit der cleveren Propaganda extrem linker und palästinensischer Kreise, die Weltmeinung gepachtet haben.
Ideologische Geiselnahme, auch wenn vorerst noch unblutig, darf nicht toleriert werden. Ideologische Geiselnahme im Multipack schon gar nicht.
Mittwoch, 2. April 2008
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