Auf meinen gestrigen Eintrag, meiner Besprechung eines Artikels des australischen Kommentatoren Greg Sheridan, wurde mir umgehend vorgeworfen, ich hätte mich damit auf die Seite Nethanyahus begeben. Meine Antwort an diesen wirklich guten Freund und Schreiber dieses Vorwurfs, möchte ihr hier wiedergeben, jedoch ohne ihn beim Namen zu nennen.
Lieber Freund,
Du vergleichst meine heutige Position mit der Nethanyahus. Vergleichen wir die beiden und du wirst erkennen, wie falsch du liegst.
- Nethanyahu untergräbt Bemühungen zu Friedensverhandlungen (Abbas ja auch). Nethanyahus Motivation ist sehr eindeutig: er will die besetzten Gebiete behalten, denn das ist Teil seiner Ideologie, die auch sein hundertjähriger Vater Zeit seines Lebens vertrat. Offen kann Nethanyahu das nicht sagen, denn er würde sich damit bei Obama und den Europäern völlig unmöglich machen. Diese Ideologie nimmt das Beherrschen eines fremden Volkes in kauf, unabhängig von Ethik und demographischen Bedenken. Dazu kommen die Sicherheitsaspekte, die nun tatsächlich real sind, aber mehr als Ausrede gebraucht werden, denn als tatsächliche Begründung.
· Meine Motivation ist nun wirklich total verschieden. Ich sehe, genau wie Yeshayahu Leibowitz vor Jahrzehnten, das Herrschen über ein anderes Volk als unethisch und korrumpierend. Geschrieben habe ich das oft genug. Israelis, die sich auf der Westbank angesiedelt haben, sind mehrheitlich aus ideologischen grossisraelischen Gründen dort, einer Ideologie, die mit dem humanistischen Zionismus Herzls und vor allem der Gründergenerationen Israels nichts zu tun hat, sondern auf biblischer Grundlage besteht. Wir müssen aus der Westbank abziehen, doch können nicht, aus Gründen, für die wir teilweise selbst schuld sind. Israel hätte von Anfang an dort nicht siedeln dürfen und die Besetzung bis zu einem wirklichen Friedensvertrag rein militärisch halten sollen. Aber im Nachhinein sind wir immer gescheiter. Das wäre eine Zwischenlösung bis die palästinensische Volksseele ihren Judenhass überwunden hat.
Ich weiss, dass sich die von dir erwähnten Israelis wie Amos Oz, David Grossman und Yoel Marcus (du kannst, wenn wir schon dabei sind, auch A.B. Yehoshua, dessen Bekanntschaft ich gerade an einem Anlass mit Arabern gemacht habe und Ari Shavit dazu zählen. Nur bei Barenboim bin ich mir nicht sicher), und auch nicht zu einem einseitigen Abzug aus den besetzten Gebieten hinreissen lassen, dafür kennen sie die Lage zu gut. Wie du schreibst, wollen auch sie Kompromisslösungen und ehrliche Verhandlungen. Aber eben, sie bleiben auf dem Boden und sind nicht willig, unverantwortliche Risiken einzugehen.
Ich bin fast täglich wieder erstaunt mit welcher Sicherheit Juden und Nichtjuden, vor allem Medien und gewisse NGOs aus dem Ausland, von Israel Dinge verlangen, die sie für ihre Länder nie erwägen würden. Es kostet sie ja nichts, mit den Schäden müssen sich ja nur Israel und seine Bürger auseinandersetzen. Zudem ist es tatsächlich so, dass die heutige Israelkritik grösstenteils aus einer Abneigung zu Israel und seinen Juden stammen, während die palästinensisch-arabischen Hintergründe des Hasses grosszügig ausgeblendet werden. Wir Israelis empfinden diese Haltung reine Besserwisserei, sogar Arroganz.
Ich finde Barry Rubins Stellungsnahme stark und auf den Punkt gebracht. Er setzt sich mit der Realität auseinander. Das macht ihn nicht zum Paranoiden. Warum er sich in diesem Aufsatz nicht mit der Siedlungssituation auseinandersetzt verstehe ich genau – er sieht sie als das was sie ist, nämlich eine von den Palästinensern vorgeschobene Ausrede Verhandlungen aus dem Weg zu gehen. Die zehn Monate Baustopp, die von ihnen völlig unbenutzt vorbeigingen, sind einer der Beweise dafür.
Nicht jeder, der blauäugig die Friedensmantra betet hat damit recht. Wenn mir jemand, was öfters geschieht, wenn ich in der Schweiz bin, sagt: „Ich bin für Frieden“ kommt mir die Galle hoch. Auch ich bin für Frieden, aber zum Selbstmord verpflichtet mich das nicht. Doch Aussenstehende, die das sagen, lehnen jegliche Verantwortung ab, denken vielleicht an den Benzinpreis und den profitablen Waffenhandel mit Terrorregimen oder sind schlichte Gemüter, die dem Pazifismus unter allen Umständen gedankenlos frönen.
Noch eine kleine Bemerkung zu den Medien. Warum bezieht eine NZZ oder der Tagi (die BaZ hat sich gebessert) nie redaktionell Stellung zu völlig rassistischen Leserkommentaren? Ich weiss, Viele werden erst gar nicht veröffentlicht, doch die noch zu lesenden sind schlimm genug. Es genügt nicht, irgendwo hinzuweisen, dass Leserbriefe nicht die Stellung der Redaktion seien, doch wirklich Stellung zu ethischen Verstössen zu beziehen ist, so denke ich, Pflicht. Beruht das auf Schweizer Neutralität (schlimm genug), Opportunismus oder gar stillschweigender Zustimmung zum Schmutz, der zu lesen ist? Wie nennt man das? Einerseits hat es mit Spaltung zu tun, verräterisch sind die Gut-Böse und Schwarz-Weiss Konnotationen, aber auch mit Verleugnung von nun mal vorhandenen Teilaspekten. Die werden ganz munter abgewehrt und über den Umweg des Autors als: selbstgerecht, unfair und undifferenziert "erkannt".
Zum Abschluss ein kleiner aber wichtiger Hinweis. Es hat mich ein wenig genervt in deinem Brief folgendes zu lesen: "Du weisst, Israels Schicksal liegt mir am Herzen, und ich habe gute jüdische Freunde, hier in der Schweiz und in Israel und in Amerika." Mit diesem Satz macht sich jeder Nichtjude als Freund von Juden unglaubwürdig. Diese Aussage hat eine sehr lange Geschichte und gilt heute als Goldstandart eines Antisemiten, der nicht wissen will, dass er einer ist. Jeder Jude wird dir das bestätigen, es ist eines der Dinge, die aus der neueren jüdischen Geschichte gelernt worden sind. Das man damit auch gelegentlich falsch liegen kann, gebe ich zu und mir liegt fern, dir etwas unterzuschieben, von dem ich weiss, dass es nicht der Fall ist. Doch ist es gut, darüber bescheid zu wissen.
Also, bis zur nächsten Bratwurscht mit Röschti/Härdöpfelsalat im Kropf. Den Chropf zu leeren wird dann nicht mehr nötig sein.
Herzlichst