Sonntag, 30. Oktober 2011

Entwicklung der Menschheit



Gelegentlich schaue ich auf der Suche noch Passendem in meiner Bücherei nach. Da bietet sich Erich Kästner an, den ich während meiner Lehrzeit als Verlagsbuchhändler (bei Oprecht) bei meinem sehr fernverwandten Onkel und Verleger Carl Posen vom Atrium Verlag Zürich kennengelernt habe. Mehrmals durfte ich Erich Kästner, dem genialen und humorvollen Autoren, Dichter und Kettenraucher, Zigaretten holen und bin aus nicht klaren Gründen noch immer stolz darauf. Welche Zigarettenmarke er geraucht hatte habe ich vergessen.


Hier die „Entwicklung der Menschheit“ aus seiner Lyrischen Hausapotheke, Worte, die heute noch genau so aktuell sind wie während der Nazizeit, in der er sie schrieb und prompt wieder verhaftet wurde:

Entwicklung der Menschheit

Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
Und die Welt asphaltiert und aufgestockt,
bis zur 30. Etage.

Da sassen sie nun den Flöhen entflohn
in zentralgeheizten Räumen.
Da sitzen sie nun am Telephon.
Und es herrscht noch genau der selbe Ton
wie seinerzeit auf den Bäumen.

Sie hören weit. Sie sehen fern.
Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.
Sie putzen Zähne. Sie atmen modern.
Die Erde ist ein gebildeter Stern
mit sehr viel Wasserspülung.

Sie schiessen die Briefschaften durch ein Rohr.
Sie jagen und züchten Mikroben.
Sie versehn die Natur mit allem Komfort.
Sie fliegen steil in den Himmel empor
und bleiben zwei Wochen oben.

Was ihre Verdauung übrig lässt,
das verarbeiten sie zu Watte.
Sie spalten Atome. Sie heilen Inzest.
Und sie stellen durch Stiluntersuchungen fest,
dass Cäsar Plattfüsse hatte.

Sie haben mit dem Kopf und dem Mund
den Fortschritt der Menschheit geschaffen.
Doch davon mal abgesehen und
bei Lichte betrachtet, sind sie im Grund
noch immer die alten Affen.

1 Kommentar:

esther hat gesagt…

Ich liebe Kästner - und dies nicht nur wegen diesem wunderbaren Gedicht!