19.4.2009
In Deutschland gibt es seit wenigen Monaten eine neue jüdische Zeitschrift. Sie heisst "SEMIT" und Claudio Casula hat dazu in seinem deutschsprachigen Blog einiges zu sagen, das mir so sehr gefällt, dass ich dazu ein paar Worte verlieren will. Claudio drückt sich sehr bildlich aus, um dieses neueste Druckprodukt zu beschreiben. Nur schon der erste Satz, den ich hier auszugsweise zitiere, bringt die Problematik auf den Punkt: "…. SEMIT aus dem Hause Abraham Melzer, eine Wichsvorlage für Israelhasser und andere gescheiterte Existenzen." Sein kristallklarer Gebrauch der deutschen Sprache macht sämtliche Zweifel des Lesers zum Thema vollberuflicher Israelkritiker überflüssig – oder eben, der Leser kann sich hinter den farbvollen Ausdrücken Casulas mit der Feststellung verschanzen, solche sprachliche Derbheiten nehme er nicht zur Kenntnis. Doch er ist ehrlich und offen, wie auch andere, z.B. Henryk Broder, Melanie Phillips, der Wissenschafter Matthias Küntzel, der Kreateur vom "Lizas Welt" Blog und andere, die offen sagen, was sie denken und nicht auf der Suche nach Streicheleinheiten aus Kreisen der Apologeten jihadistischen Terrors sind.
Vor einem Jahr stellte sich Claudio Casula so dar, wie er sich sieht. Das ohne Häme und, für einmal, ohne Zynismus, mit Ausnahme des dritten Satzes. Hier seine Selbstbeschreibung im Zitat:
"Ich bin kein Rassist. Ich bin nur ein Palästinakritiker. Kritik an Palästina, finde ich, darf in Deutschland kein Tabu sein. Man wird doch die palästinensische Politik noch kritisieren dürfen, oder sind wir schon wieder soweit? Gerade weil mir das Schicksal Palästinas so am Herzen liegt, muss ich diese wichtige und notwendige Kritik üben, um meine palästinensischen Freunde von ihrem Irrweg abzubringen, der beide Völker nur ins Unglück stürzt. Gerade als Deutscher kann ich zu ihrem Judenhass nicht länger schweigen." Claudio Casula
Damit spricht Casula zwei Dinge an: Man darf nicht nur Israel kritisieren, sondern auch Palästina. Im Gegensatz zur Israelkritik, braucht man dabei kaum zu lügen, solange wenigstens nicht, wie man als Journalist, Anti-Israel Ideologe oder selbsthassender Jude, sich nicht manchen Zugang und persönliche Kontakte zur palästinensischen Welt des wirklichen und auch potemkinschen Geschehens verbauen will. Wir alle wissen, dass kein Land der Welt so stark und umfassend angeschwärzt und kritisiert wird, wie dieser jüdische Ministaat Israel im östlichen Mittelmeerraum. Dabei stimmt ebenso, dass kein Land von seinen eigenen Bürgern so stark und umfassend kritisiert wird, wie eben Israel selbst. Das ist gut so, wir sind stolz auf diesen Beweis seiner eigentlich schon überbordenden Gesellschaft der Freiheit, im Gegensatz zur arabischen Gesellschaft der Angst, in der Kritik am Eigenen nicht toleriert wird und Gefängnis oder oft gar den gewaltsamen Tod bewirkt.
Der zweite Punkt seines Artikels über die Klientel der Zeitschrift SEMIT – ich fand unter deren Leserzuschriften den Brief einer bekannten Persönlichkeit der Schweizer Gruppe "Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden zwischen Israel und Palästina" - ist die Definition jüdischer Antiisraelkritiker. Diese lautet: "Wer Freude an den Ergüssen von Avnery, Langer, Hass, Pappé, Neudeck und Konsorten hat und darauf steht, den jüdischen Staat hemmungslos zu denunzieren, zu delegitimieren, zu dämonisieren und zu dehumanisieren ….". Deshalb wäre es wichtig, dass Israelkritiker dieser Gattung, sich Casulas Selbstdefinition zu Herzen nehmen würden, denn was er sagt, auch wenn er es nicht ganz so exklusiv meint wie diese, wenn sie mangels wirklicher Argumente ihren vielzitierten "Holocaustkeule" Vorwurf bemühen.
Die Frage der Motivation
Hier bitte eine (etwas lang geratene) Bemerkung zur Motivation extremistischer jüdischer israelkritischer Gruppen in der Schweiz, da sie mir in diesem Land am "nächsten" stehen. Ich mag sie nicht, akzeptiere aber ihr Recht einseitig zu sagen und zu lügen, was sie wollen. Sie sind in ihrer Humorlosigkeit und Sucht zu Selbstdarstellung ein dankbares, wenn auch gefährliches Ziel für Ironie und, leider, Zynismus. Vielleicht auch für den Psychoanalytiker, der in die Tiefen jüdischen Selbsthasses eindringen will. Ich wurde einmal gefragt, ob ich diese Friedhofsfriedensbewegten verachte. Zwar blieb ich damals aus Höflichkeit eine Antwort schuldig, doch die Frage beschäftigt mich weiter. Vielleicht bemitleide ich sie nur für ihre Unfähigkeit, sich für etwas einzusetzen, das als einzige Antwort zu den historischen Verfolgungen des jüdischen Volkes gedacht ist (ob der Zionismus sein Ziel erfüllen wird, wird sich zeigen. Eine Alternative hat noch niemand gefunden). Die Arroganz, als Einzige wissen zu wollen, was für mich und den Rest der israelischen Bevölkerung gut sei, ihr völliger Verlass auf die Theorien, Schriften und Aussagen einer kleinen Zahl extremer jüdischer Theoretiker (Uri Avnery, Norman Finkelstein, Noam Chomsky, Ilan Pappé, Gideon Levy und ähnlicher Geister), führte zu Gruppierungen, die in der Schweiz heute den Ton angeben, da die jüdische Öffentlichkeit verschämt kaum Stellung zur "Israelproblematik" nimmt. Das überlässt sie mehrheitlich und schamlos seinen zahlreicher werdenden nichtjüdischen Freunden. Vor etwa einem Jahr versicherte mir ein Mitglied der jvjp aus Zürich (für mich stellvertretend für die gesamte Zunft), sie liebe Israel. Zwar besuche sie das Land nur alle paar Jahre, "weiss" aber alles über dessen Politik und Gesellschaft, wohl da sich an oben genannten Quellen orientiert, organisiert Vorträge mit "israelkritischen" Referenten, verkauft palästinensisches Olivenöl (ich selbst kaufe Tchina aus Nablus (weit besser als alle israelischen Tchinas und in vielen Supermärkten zu haben) und Olivenöl aus Umm El-Fahm) und ist Erstunterschreiberin der "Human Rights in Israel" Kampagne, die sie sich wohl vom bald die Schweiz besuchenden Menschenrechtschampion Ahmedinejad unterstützen lässt. Tolerante Schweizer nennen diese durchaus legitime Kampagne höflich einen Ausdruck schweizerischer Meinungsfreiheit. Ich nehme für mich in Anspruch, dass Kritik andersrum nicht weniger legitim ist. Wie wäre es, wenn eine Kampagne für "Human Rights in Switzerland" gestartet würde, mit dem Ziel, sagen wir, einer Verurteilung des Landes wegen seiner Behandlung ausländischer Flüchtlinge in den letzten Jahrzehnten, herbeizuführen. Oder wegen Unterstützung von Steuerflucht und Geldwäsche von Fluchtgeldern, so Entwicklungsvölker mit Schweizer Hilfe aushungernd und der Korruption ihrer Eliten überlassend.
Zwei Fehlleistungen als Beispiele
Statement von Shelley Berlowitz: "Eine mit den modernsten Waffen aufgerüstete regionale Militärmacht führt Krieg gegen eine Zivilbevölkerung in Gaza, aus deren Mitte heraus selbst gebastelte, eingeschmuggelte Raketen auf israelische Zivilisten abgeschossen werden". Von Hamas hat sie wohl noch nie gehört. Shelley Berlowitz schreibt in diesem Satz "aus deren Mitte heraus" werden Raketen nach Israel geschossen, damit wohlwollend zur Kenntnis nehmend, dass Hamas ihre eigene Bevölkerung zur Geisel genommen und zu unfreiwilligem Märtyrerschicksal erkoren hat. Die erwähnten selbst gebastelten Raketen sollen wohl Spielzeuge sein, eine Art Wasserpistolen mit Düsenantrieb. Dass diese "Spielzeuge" zahllose israelische Opfer gefordert haben, wird schlicht unterschlagen. Genau so die Tatsache, dass israelische Erwachsene und Kinder zu Hunderttausenden unter psychischen Störungen leiden, nicht weniger als Erwachsene und Kinder in Gaza. (Zitat aus meinem Leserbrief im Tachles 14/2009)
Der Appell in Tachles 10/2009: Der Aufruf "für ein Israel, das Menschenrechte wahrt", impliziert, dass Israel Menschenrechte eben nicht wahre. Dass es nicht so ist, weiss jeder, der sich mit der Materie seriös befasst, auch wenn in Kriegssituationen es gelegentlich einen Notstand dieser Art geben kann. Das ist gerade der Punkt – diesen Schwätzern fehlt die Empathie und das Interesse, die Wirklichkeit des Krieges überhaupt zu verstehen, ihre einäugige Sicht sieht nur ein bösartiges Israel und übersieht alles andere. Aber in keinem Krieg wurden Zivilisten so intensiv gewarnt und von eigenen militärischen Absichten auch noch schriftlich in Kenntnis gesetzt, wie im Zweiten Libanonkrieg und dem Gazakrieg. Diese Rücksichtsnahme führte sogar dazu, dass Soldaten geopfert wurden, um palästinensische Zivilisten zu schonen, wie in Jenin demonstriert. Hamas konnte sich in Gaza an den Warnungen orientieren, wo es seine Zivilgeiseln "gewinnbringend" platzieren könne.
Weitere Punkte
Die Initianten irren sich nicht in ihrer Annahme, sie seien die humanistische Minderheit und jüdische "Elite" der Schweiz. Juden in der Diaspora werden sich zwar weiterhin gedrängt fühlen, sich erklären zu müssen – etwas, das es in Israel nicht gibt. Israels Minderheiten sind die "Anderen". Ob diese sich in einem Erklärungsnotstand befinden, kann ich nicht beurteilen. Aber gerade Israel wird über politische Fragen der Menschenrechte diskutiert, gestritten und demonstriert. Und gerade in Israel werden vom arabischen Islam rassistisch verfolgte nichtarabische muslimische Flüchtlinge aufgenommen. Hunderte Darfuris und Sudanesen erhielten inzwischen ihre israelische Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis (Tagebuch 3.2.2009). Sie flohen nach Israel nicht nur vor sudanischem Terror, sondern vor der gegen sie ausgeübten Verfolgung in Ägypten und anderen arabischen Staaten. Viele sind inzwischen selbstversorgend – jüdische Israelis haben sich für sie eingesetzt und üben erfolgreich Druck auf die Regierung aus. Die Motivation der Schweizer Initianten für ihre verantwortungslose Initiative allein, wäre eine Untersuchung wert.
Ich möchte aus Platzgründen nicht auf weitere Punkte der drei Statements eingehen – nirgends wird der Verteidigungsnotstand Israel erwähnt, der auch weiter bestehen wird, wenn nach dem Abzug aus Gaza auch die Westbank judenfrei gemacht würde. Die Geschichte des Nahen Ostens der letzten hundert Jahre wird ausgeblendet, einen Kontext für den heutigen Zustand gibt es diese Propagandisten der Menschrechte – oder was sie dafür halten – nicht. Die Anteilnahme der Initianten gilt ausschliesslich den Palästinensern, auch wenn gelegentlich von der Seele Israels zu lesen und zu hören ist.
Die Gurus der Initianten sind Fanatiker wie Norman Finkelstein, Ilan Pappé und ähnliche grosse Geister. Bestimmt mehr bewusst denn unbewusst, werden wirkliche Friedensorganisationen wie "Frieden Jetzt", die Frauen "Machsom Watch" und der "Frauen in Schwarz", das "Perez-Center for Peace", die Organisation "Sikkuy" und andere Menschenrechtsorganisationen, die wirkliche Arbeit leisten, ausgeblendet. Oder, um mein persönliches Engagement ans Licht zu bringen, die Sozial- und Friedensarbeit meines Freundes Said Abu-Shakra in Umm El-Fahm, der statt viel zu weinen und zu klagen, schon weit über Tausend gefährdete arabische Jugendliche von der Strasse und damit von Drogen, Kriminalität, religiösem Extremismus und Terror bewahrt hat. Seine Galerie für zeitgenössische Kunst in Umm El-Fahm ist zum Treffpunkt vieler Friedensfreunde geworden. Dort treffen sich Künstler, Politiker, Sozialarbeiter, Intellektuelle, egal ob Juden, Araber, Drusen, Ausländer und Israelis. Dort treffen sich mutige Menschen und Organisationen, deren Motivation nicht egoistische Selbstbestätigung, Furcht vor der Anklage doppelter Loyalität, die Befindlichkeit sich in einem ständigen Erklärungsnotstand um ihr Judentum zu finden und anderen jüdische Neurosen ist.
Eine Anmerkung: Es würde wirklichen Mut von diesem Komitee verlangen, wenn es, statt auf Israel herumzuhacken, die goldene Gelegenheit der baldigen Sitzung des Menschenrechtsrates in Genf beim Schopf ergreifen würde um wirkliche Menschenrechtsverletzer wie Iran an den Pranger zu stellen, dessen Verständnis von Menschenrechten täglich in den Medien illustriert wird. Irans Mullahs und ihr bestes Stück, Ahmedinejad (der in Genf sein wird), führen die Ideologie Hitlers weiter, stossen aber damit kaum und vor allem bei der Schweizer Aussenministerin nicht, auf Verurteilung. Das als Anstoss für einen alternativen und realitätsbezogenen Einsatz im wirklichen Sinne der Menschenrechte. Aber eben, dazu bräuchte es Mut. Mut oder Zivilcourage ist aber schwierig für Friedenstheoretiker, die sich nie um ihr Leben sorgen mussten und wirkliche existenzielle Probleme nur aus den Medien kennen und für das, was sie propagieren keine persönliche Verantwortung zu übernehmen haben. Damit wird Israelkritik motiviert durch jüdischen Selbsthass. Es gibt auch gute sachliche Israelkritik, es gibt kriminelle antisemitische Israelkritik, es gibt haredische Israelkritik, die Israel aus religiösen Gründen das Existenzrecht abspricht. Beschämend ist vor allem die erstgenannte.
Warum der israelische Rechtsrutsch?
Ich denke, die Mehrheit der israelischen Bevölkerung, dazu gehört auch die Mehrheit unserer arabischen Bürger und Freunde, wollen Frieden und ein gewaltloses Zusammenleben zwischen Israelis und Palästinensern. Leider werden beide Völker seit Jahrzehnten von extremistischen Politikern und einem fundamentalistischen und reaktionären Klerus in allem dominiert und behindert, das mit Territorien, Friedensbestrebungen, Zusammenleben, gegenseitigem Vertrauen und Ähnlichem zu tun hat. Ein Alles oder Nichts ist das Resultat – so bleibt es beim Nichts. Die israelischen Wähler könnten diese Situation demokratisch bereinigen, die Palästinenser, deren Demokratie eine Farce ist, können das nicht. Ihre Gesellschaft der Angst und anderer Traditionen lassen das noch nicht zu. Seit dem israelischen Exodus aus Gaza und dessen blutigen Folgen für die dortigen Palästinenser und den israelischen Städten im Umkreis des Gazastreifens, ist das Vertrauen der Israelis in eine Friedenslösung in neue Tiefen gesunken, vorhandenes Vertrauen in den palästinensischen Partner ebenso. Das gibt nationalistischen Parteien Auftrieb. Die bisherige, auch von mir stets abgelehnte Behauptung, Palästinenser seien unfähig einen eigenen Staat zu führen, schien sich bestätigt zu haben. Das führte zum fatalen Rechtsrutsch bei den vergangenen Knessetwahlen, deren Resultat mit einem Wort zu begründen ist: "Raketen aus Gaza".
Sonntag, 19. April 2009
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen