24.4.2009
YouTube ist für vieles gut. Hier, von einem Freund zugespielt, eine kleine Reportage über die jüdische Genfer Demonstration anlässlich der Rassistenkonferenz in Genf dieser Tage. Ich bin überzeugt, dass Demonstrationen, in denen, wie hier, nicht nur gegen den gängigen Antisemitismus gekämpft wird, sondern eine besondere Würde und auch Fröhlichkeit dazu gehört, Schule machen müssen. Juden, besonders junge, zeigen Präsenz, haben Mut und Zivilcourage. Ich hätte gerne gewusst, wie viele Schweizer Juden dabei waren. Hier bitte die Reportage.
Wie viele Schweizer Israelis lesen wir täglich in den Online Ausgaben der NZZ und des Tages-Anzeigers, gelegentlich auch in anderen Schweizer Zeitungen. Ich wenigsten, lese sehr gerne auch den Spiegel und Die Zeit, zwei deutsche Wochenzeitschriften. Der Unterschied zwischen deutschen und schweizerischen Zeitungen ist frappant. Deutsche Journalisten setzen unseren Hauskonflikt in einen historischen Kontext, sehen ihn nicht nur als einen Streit um Land, sondern berücksichtigen auch religiöse Hintergründe, von Hassan Al-Banna bis zur heutigen Hamas und Hisbullah. Hisbullah hat nicht einmal vordergründig eine territoriale Ausrede für ihren Hass auf uns Juden – denn sie sind erstens Libanesen, zweitens Schiiten und drittens führen sie stellvertretend für ihren iranischen Paten, Krieg gegen Israel. Auf Grund, so denke ich, ihrer aggressivsten islamistischen Auslegung des Dar al Islam. Die Schweizer Presse – wenige Ausnahmen vorbehalten – begnügt sich mit Sensationen, hängt ihre Kommentare daran auf und denkt nicht daran, Berichte in den historischen Kontext zu setzen. Nicht in einen Eintageskontext, sondern in den historischen Kontext, seit der Gründung des Zionismus, dem Aufbau des jüdischen Staates, der unter anderem auch zahlreiche Arbeitsmöglichkeiten für die arabische (heute palästinensische) Bevölkerung bot und immer mehr bietet – auch wenn es noch besser sein könnte. Aber unsere Araber leben in einem Staat, der ihnen volle politische Rechten gewährt (was sie damit tun, steht auf einem anderen Blatt) und können, wenn sie wollen, auf westlichem Niveau leben. Nach der Staatsgründung in 1948 bis nach dem Sechstagekrieg war Israel für Europa ein Beispiel für heldenhaftes Siegen gegen blutrünstige Feinde, Pioniere, die Wüsten und Sümpfe urbar machten und die Malaria besiegten, erfolgreich arme Juden aus der ganzen Welt integrierte, in Landwirtschaft, Industrie und Kultur unglaubliches leistete. Israel wurde zum Traum idealistischer Jugendlicher und ein herrliches Beispiel für den Erfolg sozialistischer Ideologie ohne Stalinismus, man denke an den Kibbuz und seine europäischen nichtjüdischen Fans, die in Massen nach Israel kamen, um mit aufzubauen, das Kibbuzerlebnis zu geniessen und das israelische Volk zu bewundern. Wir waren damals, kurz gesagt, in der westlichen Welt ein Hit. Als ehemaliges Kibbuzmitglied (1958-1966) kann ich das bezeugen.
Das hat sich elementar geändert. Nach dem Sechstagekrieg gab es die drei NEINs von Khartum, an die sich niemand erinnern will, denn sie symbolisierten den arabischem Hass auf Israel und den arabischen Selbstbetrug, der bis heute noch geltenden Motivation arabischer Völker, denen Selbstkritik ein Fremdwort ist. Dann gab es den Yom-Kippurkrieg, den Krieg arabischer Psychohygiene, denn er wurde ausgelöst, um die verlorene arabische Ehre wiederherzustellen. Für den arabischen "Sieg" in diesem Krieg gibt es in Kairo ein Siegesmonument, dieser Sieg wird jedes Jahr gefeiert, obwohl er eigentlich die grösste Niederlage Ägyptens in all seinen Kriegen mit Israel war. Scharon mit seinen Soldaten war beinahe schon in Kairo und hatte eine ganze ägyptische Armee eingekesselt. Nur der Druck der Grossmächte rettete die Araber vor grösster Schande und Israel vor noch mehr Eroberungen. Seither ist das winzige Israel zum Watschenmann der internationalen Politik geworden, obwohl es eigentlich nur überleben will. Ich gebe zu, die jüdische Besiedlung in der Westbank war nicht sehr gescheit, doch sie ist, so denke ich, eine der Resultate der drei Khartumer Neins: 1. Nein zur Anerkennung Israels, 2. Nein zu Verhandlungen mit Israel, 3. Nein zu Frieden mit Israel. Amos Elon beschreibt diesen Zustand ausführlich in seinem Rückblick auf die Geschichte Israels "Was ist falsch gelaufen?", den zu lesen sich lohnt.
Obiges als Ausschnitt der Hintergründe bisheriger Vergeblichkeiten der Friedenssuche. Es braucht zwei Parteien, um Frieden zu finden und Frieden zu schliessen. Beide müssen die Kosten, das Risiko und die Ehrlichkeit des Partners abwägen. Es scheint, dass wir heute in Israel eine Regierungskonstellation haben, die für einige der Friedensbedingungen anscheinend wenig zu haben ist. Das war auch schon völlig anders. Es gibt neben für mich nicht akzeptierbaren nationalistischen Gründen, auch das Vertrauen in den Partner und die Erfahrungen, die durch die Abzüge Israels aus dem Libanon und dem Gazastreifen gemacht worden sind, zu berücksichtigen. Denn in den Medien ist wiederholt zu verstehen, dass von Israel Risiken verlangt werden, die es sich heute nicht, vor zwanzig oder dreissig Jahren aber vielleicht hätte leisten können, doch damals keine Partner (ausser Jordanien und Ägypten) fand. Der von den Medien nie erklärte Unterschied zwischen israelischen und palästinensisch/arabischen Friedensgelüsten, ist die Tatsache, dass sich Israel, im Gegensatz zu den Arabern, einen wirklichen Krieg (im Gegensatz zu Kriegen gegen Terrororganisationen wie Hamas und Hisbullah) nicht verlieren darf. Es geht immer grundsätzlich um seine Existenz.
Was Schweizer Journalisten aus Israel oft vorzuwerfen ist, ist Negatives von Israel's Feinden als Aufhänger zur Anprangerung vermeintlicher oder gelegentlich sogar wirklicher israelischer Fehlleistungen zu missbrauchen. Hier ein Artikel von Claudia Kühner im Tages-Anzeiger vom 22.4.2009, der dies klar und eindrücklich demonstriert. Dazu will ich eine Geschichte über A. Lawrence Lowell, einem historischen Antisemiten und Präsidenten der amerikanischen Harvard Universität in den zwanziger Jahren, ausschnittsweise wiederholen. Ich erzählte sie vor Jahren (7.12.2005) in meinem Tagebuch. Sie illustriert diesen Trick ganz wundervoll:
… Auch wird über Lowell erzählt, er habe sich generell und laut gegen jüdische Studenten ausgesprochen, weil sie bei Prüfungen betrügen würden und überhaupt unübliche Eigenschaften besitzen. Auf den Einwand, dass alle Studenten ähnliches täten und statistisch gesehen, Studenten nichtjüdischer Herkunft noch wesentlich Unehrlicheres praktizierten, habe er gesagt: „Lenkt nicht ab, wir reden von Juden“.
Ein Ärgernis mit wenig Lichtblicken sind Leserkommentare, die ich gelegentlich im Tages-Anzeiger und der NZZ verfolge. Viele sind unterdrückt oder unterschwellig antisemitisch, auch wenn, wie ich vor kurzem feststellte, dass extreme Fälle hastig aus dem Web entfernt werden. So wie ein Leserkommentar in der NZZ-Website, als Reaktion zu den Aussagen des SIG Präsidenten Herbert Winter, in dem er als (an die ganz genaue Phrase kann ich mich nicht erinnern) "Jude mit Geld", einer der bekannten antisemitischen Schablonen bezeichnet wird. Als ich einige Stunden später diesen Brief ausdrucken wollte, war er nicht mehr da. Es ist vielleicht nicht immer Antisemitismus, aber wenn ich sehr viele Leserbriefe lese, in denen geschichtliche Fakten verdreht oder einfach ignoriert werden, frage ich mich, warum diese Leserbriefschreiber dies tun. Entweder sie wissen es wirklich nicht besser – dann wäre es an den Redaktoren, historische Tatsachen in ihren Berichten wiederzugeben. Leserbriefschreiber scheinen mehrheitlich ausser Vorurteilen, keinerlei Wissen über die Geschichte des Nahen Ostens, des Zionismus und Islam zu haben. Vielleicht haben sie gar keine Zeit [oder Interesse, Uri], sich eine wirklich fundierte Meinung zu bilden, wie ein Leserkommentar von Heiri Müller vermutet. Aber eine Meinung wollen sie trotzdem haben und geben sie kund.
Womit wir wohl leben lernen müssen, auch wenn es ärgert.
Freitag, 24. April 2009
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