Mittwoch, 22. April 2009

Der Tag darnach

21.4.2009

Der Tag nach dem Schweizer Skandal an der Menschrechtskonferenz in Genf ist fast so hektisch wie das schäbige Verhalten der Schweizer Regierung und das beeindruckende Verhalten nicht nur westlicher Staaten als Reaktion zu Ahmedinejad's Aufruf zu Israel's Vernichtung. Auf meinen Kommentar im gestrigen Tagebuch erhielt ich eine Menge Zuschriften, oft mit Links versehen. Ich bin froh, dass nur zwei dieser Schreiben mit Ausdrücken versehen waren, die ich nicht gerne lese oder höre und ich habe die beiden Freunde darauf aufmerksam gemacht. Eine hat sich sogar schon entschuldigt! Guter Stil.

Inzwischen habe ich in einer israelischen Gratiszeitung eine Liste jener Länder gesehen, die dem Ahmedinejad während seinen Hasstiraden aus dem Plenum demonstrativ entflohen sind. Das sind: Estland, Belgien, Grossbritannien, Bulgarien, Dänemark, Tschechische Republik (zieht sich ganz aus dieser Konferenz zurück), Zypern, Österreich, Finnland, Frankreich, Griechenland, Jordanien (!), Ungarn, Irland, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Portugal, Rumänien, Slowaken, Spanien, Schweden und Slowenien. In einer anderen Zeitung fand ich auch noch Marokko dabei. Dazu kommen die Länder, die die Konferenz von Anfang an boykottieren.

Die Schweiz, die damit Mahmud Ahmedinejad zu unterstützen scheint, blieb "neutral" sitzen. Zur EU gehört sie zwar nicht, aber bisher dachte ich sie teile deren westliche Werte. Bundesrat Merz wusste wohl nicht so recht was er tat, ich bin wirklich überzeugt, dass er sich zu Micheline Calmy-Rey's Hampelmann machen liess. Denn sie bestimmt die Aussenpolitik, auch wenn sie schon einmal vom Gesamtbundesrat zurückgepfiffen worden ist. Merz ist zu seinem Pech gerade Bundespräsident. Doch diese Feststellung macht die Affäre nicht tolerabler. Soeben war in der NZZ zu lesen, MCR sei nun doch noch an die Rassistenkonferenz gekommen, so wie der Samichlaus am 6. Dezember Kinder besucht. Sie sei zufrieden mit dem Abschlussdokument. Über ihren Freund Mahmud scheint sie kein Wort zu verlieren. Es stellt sich die Frage, wieweit sie sich mit seiner antisemitischen Psychose identifiziert.

Weit mehr als obiges stimmt mich die Stimmung der anscheinenden Mehrheit der Schweizbürger traurig, soweit sie aus Leserbriefen in der deutschsprachigen Schweizerpresse zu verstehen ist. Antisemitismus setzt sich durch, die typischen Stereotypen über uns Juden werden schamlos angebracht, die Lügen über Israel Schandtaten repetiert und ausgeschlachtet - die "Israelkritik" wird immer mehr zu einem Mischmasch alter Nazitheorien und neuerer Verteufelung Israels aus der sich als "Linke" Clique bezeichnenden modernen Israelhasser, seien sie aus jüdischer oder nichtjüdischen Kreisen. Extremisten verlieren ihre politischen Ansprüche, Linke und Rechte vereinigen sich in ihrem Hass auf Israel und sich selbst. Eigentlich wollte ich einige Muster aus Leserbriefen aus der NZZ und dem Tages-Anzeiger zitieren, die ich noch heute früh gelesen hatte. Aber inzwischen haben die beiden Redaktionen offenbar gemerkt wessen Geistes Kinder ihren Website beschmutzen – es gibt keine grobantisemitischen Leserbriefe mehr, nur noch Texte, in den Antisemitismus impliziert zu finden ist. Trotzdem, Chapeau, ihr Redaktoren.

Die Zeit ist gekommen, dass sich anständige Schweizer, es gibt eine ganze Menge davon, sich zu wehren beginnen und auf die Barrikaden steigen, statt sich zu ducken. Wir Juden haben in der Schweiz noch viele Freunde und mit diesen zusammen muss es möglich sein, der Front der Israel/Judenhasser zu entgegen zu stehen. Nicht nur mit ausgeklügelten Argumenten und philosophischen Betrachtungen, denn diese haben sich, alleinstehend, als nutzlos erwiesen. Sie sollten stattdessen verbunden mit der Faust auf den Tisch kombiniert werden, durch Teilnahme an Demonstrationen und Diskussionen, an denen man sich nicht einschüchtern lassen darf und seine Argumente energisch und selbstsicher einbringen und die Verbindung zum Kontext herstellen muss. Ich gebe zu, das kann gefährlich sein, doch wenn das Schweizer Judentum eine Zukunft haben will, dann muss es sich mit Energie wehren und für sich selbst einstehen. Israel und seine Juden sind keine Unschuldslämmer, aber es muss überleben - genau so, wie die freie Welt den Nationalsozialismus überlebt und kompromisslos bekämpfen musste und entsprechend handelte, denn aus einer schwachen Position heraus kann Israel nicht überleben. Seine Nachbarn sind nicht Österreich, Italien, Frankreich und Deutschland, sondern arabisch-muslimische Staaten mit einer anderen Kultur und völlig andern Werten, die sich heute, unter dem Einfluss des fundamentalistischen Islams, noch weiter von allen Vorstellungen westlicher Kultur entfernt. Ich rede da aus eigener Erfahrung. Sogenannte jüdische Friedensexponenten, deren Motivation, neben ihrem jüdischen Selbsthass, vor allem das Einschmeicheln in die nichtjüdische Schweizer Gesellschaft ist, aus einer Unfähigkeit mit ihrem schweizerisch-jüdischen Selbst fertig zu werden, haben diese islamistischen Werte adoptiert, oder zumindest akzeptiert, ohne jedoch zu verstehen, wie gefährlich das für sie selbst ist. Für die meisten von uns ist das Judesein in einer nichtjüdischen Mehrheit kein Problem - für einige eben doch.

Etwas möchte ich einmal mehr feststellen. Ich bin kein Colonel Blimp mit der Überzeugung "My country, right or wrong". In einer Umgebung, in der seit etwa neunzig Jahren ein religiöser Antisemitismus, von der aus Ägypten stammenden Islamischen Bruderschaft in Palästina eingeführt, herrscht, haben sich heimatlose Juden seither eine Heimat erschafft, der seinen Bürgern (Juden, Araber und anderen Minderheiten) einen Sozialstaat westlicher Prägung bietet. Einen demokratischen Staat mit Meinungs- und Pressefreiheit und allem, was dazu gehört – ein immenser Gegensatz zu den Gesellschaften der Angst der arabischen Welt um uns herum. Dafür stehe ich ein, ohne jedoch den Blick für die bisher noch immer vorhandenen Missstände verloren zu haben. Wir haben einen modernen Staat, dessen Demokratie mal nach Links, mal nach Rechts rutscht – je nach jeweiligen politischen Umständen. Die heutigen Umstände haben uns eine teilweise rechtsextreme Regierung gebracht – darüber schrieb ich schon in früheren Tagebucheinträgen. Dagegen reden, schreiben und demonstrieren meine in sozialdemokratischer Tradition verwurzelten Freunde und ich, alles in demokratischem Rahmen und durch verschiedene Medien. Politischer Extremismus, wie die faschistoiden Siedler, ihre Sympathisanten und ihr Messianismus, arabischer Extremismus von Scheich Reid Salah, der Parasitismus der ultra-orthodoxen jüdischen Szene, die teilweise gar den jüdischen Staat ablehnen, aber sehr gerne seine sozialen Dienste und Möglichkeiten anzapfen – das sind alles Dinge, die wir nicht mögen, da sie eines demokratischen Staates nicht würdig sind. Würdig oder nicht, es gibt bei uns Meinungsfreiheit, die, ausgepresst bis zum letzten Tropfen, ein Grundwert unserer Staatsform bleibt, die alle diese teilweise gefährlichen Spinner zulässt, so lange sie nicht Gewalt anwenden. Israels Gefängnisse sind leider mit nicht wenig Gewalttäter gefüllt, Juden, die Araber en gros umbringen oder terrorisieren und Arabern, die dasselbe mit Juden tun. Warum soll es anders bei uns sein, als in der Schweiz, in der heute, wie oben angedeutet, ein Rassismus gegen Juden, auch Antisemitismus oder klarer, Judenhass genannt, zu finden ist, vielleicht schlimmer als in den dreissiger und vierziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts. Ich und meine Freunde stehen zu diesem Staat, von dem heute so viel Gutes von den Medien totgeschwiegen und von seinen Feinden verleugnet wird. Wohl weil Positives keine Schlagzeilen macht. Die Welt befindet sich in einem Krieg der Werte. Die Wahl zwischen Werten des tiefsten Mittelalters oder des demokratischen Heute fällt wenigstens mir nicht schwer.

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