Damit ich’s hinter mir habe, hier mein Leserkommentar bei der NZZ online zum Thema Minarette:
Paul Russak (1. Dezember 2009, 17:28)
Die Welle öffentlicher Entschuldigungen
Obwohl ich gegen die Minarettinitiative gestimmt habe, da eine solche in einer freien Gesellschaft nichts zu suchen hat, bin ich über die furchterfüllten Reaktionen von Bundesrat, der offiziellen Schweiz und „vernünftiger“ Politiker verstimmt. Die Behauptung, das Abstimmungsresultat sei ein Resultat der Angst ungebildeter Bürger finde ich eine Frechheit und die Projektion eigener Ängste. Es wurde das Zeichen gesetzt, dass der heutige politische und durchaus beängstigende Islam in der Schweiz unerwünscht sei. Heute wird die Schweiz von ihren europäischen Nachbarländern beneidet – ihre Ja-Quoten, könnten sie darüber abstimmen, wären wesentlich höher, ist zu hören. Leider wehren sich westliche Länder kaum gegen Islamisierung (die in der Schweiz im Vergleich zu England, Holland und Deutschland mild ausfällt) und das Volk besorgt das halt selbst. Angstvolles Appeasement funktioniert gegenüber politisch-religiösem Extremismus nicht.
Ami Isseroff, ein Linker wie ich, mit arabischen Freunden und sehr eigenen Ansichten zur israelischen, arabischen und besonders palästinensischen Gesellschaft, äussert sich oft und dann gelegentlich sehr ironisch. Dieses Phänomen scheint vielen ehemaligen „Peaceniks um jeden Preis“ zu geschehen – ich gehöre dazu, bin mir dem bewusst und stehe dazu. Ami schrieb einen langen offenen Brief an die vom Terror gequälten Russen und Syrer, den ich hier, liebevoll ins Deutsche übersetzt, wiedergebe.
An unsere lieben Freunde in Russland und Syrien,
Heute haben die Kräfte der Befreiung und der Erleuchtung mit einen erfolgreichen Handstreich auf einen Bus in Damaskus gegen die Besetzung protestiert. Es gab 12 Tote. Am vergangenen Freitag, führten Kräfte des Widerstandes einen erfolgreichen Angriff auf einen Eisenbahnzug in Russland aus, ein Schlag gegen die Besetzungsarmee in Tschetschenien und gegen das russische Apartheidregime.
Wir wissen, dass diese Operationen in den regierenden Kreisen des Teheran Regimes, des Damaskus Regimes und dem Moskau Regime Angst, Schrecken und Verunsicherung ausgelöst haben, denn sie stehen hilflos den Kräften der Befreiung gegenüber. Als gesetzestreue Menschen, werdet ihr zweifellos verstehen, dass allen progressiven und erleuchteten Leuten Widerstand gegen Besetzung ein ganz speziell in der Vierten Genferkonvention und entsprechenden UNO-Beschlüssen, für die euer Land in den UNO-Gremien enthusiastisch stimmte, verankertes international garantiertes Recht ist. Damit ist das Recht jeden, den man aus jedem möglichen Grund nicht mag, in die Luft zu sprengen anerkannt. Als Unterstützer der Hisbollah Befreiungsbewegung schätzt ihr zweifellos die Gerechtigkeit und Logik dieser Begründung.
Ihr muss euch klar sein, dass die Zeiten vorbei sind, in denen Leute in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen und nachts unbesorgt schlafen konnten. Zu einem grossen Teil, dank euren Anstrengungen, sind Befreiungsbewegungen weltweit pausenlos an der Arbeit und jagen zum Wohle der Menschheit Leute in die Luft. Der syrische Nachrichtendienst, der eine herausragende Rolle im Aufbau und Schulung der palästinensischen Widerstandsbewegung innehatte – dasselbe gilt auch für die materielle Hilfe an die tapferen irakischen Widerstandkämpfer – versteht den Wert und die Wichtigkeit des Widerstandes. Niemand ist mehr mit der noblen Mission der Volksbefreiung vertraut, als Herr Putin, einem früheren Beamten der KGB, die für die damalige Sowietunion die Idee der Befreiungsbewegungen als Pioniere in Algerien, bei den Palästinensern, in Vietnam und anderswo aufbaute.
Denkt nicht im Traum daran den Widerstandskampf zu bekämpfen. Wie ihr wisst, ist es unmöglich für einen Staat einen asymmetrischen Krieg gegen Freiheitskämpfer zu gewinnen. Denkt nicht einmal daran, diesen Krieg „Terror“ zu nennen. „Terror“ gibt es nicht. „Terror“ ist eine Erfindung reaktionärer zionistischer Neo-Konservativer.
Denkt nicht einmal daran, diese Widerstandskämpfer zu foltern. Der Folter gehört das grosse NEIN der Genfer Konvention und sie ist einfach nicht nett. Ihr müsst den Widerstandskämpfer bequem unterbringen, denn ihnen gebührt, unter der Genfer Konvention, der Respekt als Soldaten. Dort kann er oder sie warten, bis seine Gruppe einen eurer Bürger entführt und diesen, zusammen mit 20'000 anderen, in einem Austauschgeschäft wieder freigelassen. In der Zwischenzeit muss mit ihm ein Dialog geführt werden um die tieferen Gründe für den Widerstand herauszuschälen. Das ist die Meinung von Eyad Sarraj, einem Psychiater und Gazaexperten zum Thema jener Menschen, die gerne andere Menschen in die Luft jagen (darüber gibt es zahlreiche Experten in Gaza). Ihr müsst diese Leute auf den Couch eines Psychoanalytikers legen und ihre frühe Kindheit erforschen um die Gründe dafür herauszufinden, die ihn dazu führt andere Leute in die Luft zu jagen. Hatte der nette Widerstandskämpfer ein striktes Toilettentraining oder hatte er einen unnahbaren Vater? Fehlte ihnen in der Kindheit grundsätzliche Nestwärme? Versucht in den Schuhen des netten Widerstandskämpfers zu gehen und zu verstehen was es heisst, unter einer brutalen Besetzung aufzuwachsen, ohne das Recht zu haben andere Leute in kleine Stückchen zu bomben, ohne C4 oder sogar Plastiksprengstoff besitzen zu dürfen. Zeigt Empathie für diesen Widerstandkämpfer und gib ihm oder ihr zu verstehen, dass du ihren Schmerz mitfühlst.
Du musst auch einen politischen Dialog einleiten, da es für asymmetrische Konflikte nur politische Lösungen gibt. Die tschetschenischen Widerstandskämpfer werden zweifellos mit einem tschetschenischen Staat mit der Hauptstadt Grosny einverstanden sein und werden den Staat Russland akzeptieren, wenigsten für den Moment. Die Fatah al Islam, die, wie es heisst, den syrischen Autobus in die Luft sprengte, wird sich mit einem Al-Quaida Staat in Syrien und Libanon begnügen, wie auch mit der Akzeptanz des iranischen Staates, für den Moment jedenfalls und ohne ihn anzuerkennen. Welch eine wundervolle Gelegenheit!
UNO und die EU können euch helfen. Die UNO wird Richter Goldstone delegieren, um einen netten Bericht über die Kriegsverbrechen der russischen imperialistischen Kriegsverbrecher in Tschetschenien und einen anderen Bericht über die Kriegsverbrechen der Beiruter Puppenregierung der syrischen Imperialisten im Flüchtlingslager Nahr al Bared zu verfassen, in dem so viele unschuldige Zivilisten getötet worden sind. Die netten Schweden werden ein Dokument vorbereiten, in dem Damaskus als Hauptstadt der islamischen Al-Quaida Republik und ein anderes Dokument, das Grosny als Hauptstadt der tschetschenischen Republik anerkannt werden, alles nach internationaler Rechtsprechung und passender UNO-Resolution. Die UNO kann auch eine Friedenstruppe entsenden, um sicherzustellen, dass niemand den Widerstandkräften Schaden zufügt.
Sicherlich werden alle recht denkenden und progressiven Menschen verstehen, dass dies der richtige Weg ist, sich mit Widerstandbewegungen auseinanderzusetzen, die Zeit für gewalttätige Konfliktlösungen ist vorbei. Gewalt bringt nur noch mehr Gewalt hervor – ein Teufelskreis.
Nach nochmaligem Überlegen: Vielleicht wird nicht jedermann obigem einverstanden sein. Aber wir müssen heute verstehen, dass der [Massen-] Mord an Zivilisten DIE Form des „Widerstandes“ wurde, weil sie von der ehemaligen Sowietunion für ihre geopolitischen Strategie und von arabischen und muslimischen Regierungen in ihren Kampf gegen Israel von der UNO legitimiert und geschützt worden ist. Jedoch sind Plastiksprengstoffe im Unterschied zu Menschen weder rassistisch noch politisch. Sie zielen nicht nur auf Juden oder auf Menschen, die von den Russen abgelehnt werden. Plastiksprengstoffe funktionieren für jedermann und gegen jedermann. Heute, da der Geist aus der Flasche gelassen worden ist, ist es vielleicht schon zu spät, ihn wieder in die Flasche zurückzutun.
Ami Isseroff
Sonntag, 6. Dezember 2009
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen