Dienstag, 8. Dezember 2009

Unpolitische Erinnerungen von Uri, dem Säulizüchter

Zion war mein Arbeitskollege. Er wohnte in Yokne’am und war ein Pendler, der täglich um vier Uhr früh zu Fuss in unseren Kibbuz Hazorea zur Arbeit kam. Zion war Analphabet, denn dort von wo er herkam, dem irakischen Kurdistan, gab es damals die nötigen Schulen nicht. Zion war offen, ein Schnelldenker, aber mit Muskeln, der unseren Laden führte, obwohl er eigentlich ein Oved Chuz, ein angeheuerter auswärtiger Arbeiter war. Vor fünfzig Jahren waren solche Leute dafür da, Arbeiten zu verrichten, die ein ordentlicher Kibbuznik nicht gerne verrichtete oder ideologisch vertretbar fand. Wir waren zu Dritt: Lutz, der Jekke, der sehr schlecht Hebräisch sprach und der Chef war, da war Zion und da war ich.

Gerne denke ich an diesen Betrieb zurück – der auf einen abseits liegenden Hügel liegenden Schweinezucht im Kibbuz Hazorea.

Ich war dabei, bis die Knesset in der ersten Hälfte der Sechziger Jahre eines ihrer famosen Anti-Schweinezucht Gesetze erfand – der jekkische Kibbuz Hazorea fügte sich stramm dem frommen Diktat und der mit Abstand profitabelste landwirtschaftliche Betrieb Hazoreas wurde geschlossen.

Wie gesagt, wir waren zu Dritt. Lutz, der Jekke, war einer der nur zwanzig Prozent der Gründergruppe Hazoreas aus Deutschland, die keinen Doktortitel besassen. Sein Hebräisch war erheiternd, er verwechselte Wörter – er kreierte neue, z.B. aus dem Wort „Mechabei Esch“ (Feuerwehr) den neuartigen Ausdruck „Makkabi Esch“. Die Makkabäer haben sich bestimmt gefreut. Aber Schweine züchten das konnte er. Dazu war er ein jüdisches Naturtalent. Über jedes Schwein, der durchschnittlich 800 Kopf grossen Herde, wusste er bescheid. Er kannte alle, aber es machte ihm nichts aus, auch das Schwein, mit dem er am besten befreundet war, zu schlachten.

Zion, der Kurde, war ein Naturtalent. Zu Hause, so erzählte er mir, halte er koscher. Er war ein glücklicher Mensch, man merkte es bei der Arbeit, bei der er kurdische Lieder sang und seine Augen strahlten. Wie zum Beispiel, wenn wir eine brünstige Sau zum Eber brachten. Da tanzte und sang er, während sich der Eber sexuell strapazierte, um diesen und die Sau herum – es waren, wie er mir augenzwinkernd erklärte, kurdisch-jüdische Hochzeitstänze. Ich liebte es, mit ihm und Lutz in unserer kleinen Bretterbude Kaffee mit Hel zu kochen und über die Welt zu philosophieren und Geschichten zu erzählen. Lutz hörte meist nur zu, während Zion und ich uns gegenseitig auch Witze erzählten.

Ich selbst tat alles, was an Arbeit zu erledigen war. Die Schweine wurden zweimal täglich mit Wasser abgespritzt und blieben sauber, denn ebenso zweimal täglich wurde ihr Stall mit Wasser gereinigt und frisches Stroh gestreut. Ich half beim gelegentlichen Schlachten, belud die Laster der Kunden mit lebenden Tieren und fuhr manchmal mit zum Schlachthof. Zudem ging ich, als bester Schütze des Stalles, mit einem Luftgewehr auf Rattenjagd – meist erfolgreich. So hielten wir diese Nagetiere unter Kontrolle. Wir wurden auch fast täglich von Mardern und anderen Raubtieren besucht. Meine Aufgabe war es auch, dem Tierarzt beim Kastrieren und beim Besamen (künstlich!) zu helfen. Zions Kulthandlungen blieben dabei aus.

Bei einem der Schweinetransporte sprangen bei Kiriat Charoschet, auf dem Weg nach Haifa, zwei Schweine vom Laster – sie wieder einzufangen erschien mir von vornherein zwecklos. Ein anderes und fröhlicheres Highlight war ein Mutterschwein, die mit ihren acht Ferkelchen aus ihrem Gehege entkam und vom Hügel herab in den Kibbuz marschierte, in dem gerade eine Hochzeit auf dem Rasen vor dem Wilfried Museum stattfand, Mama mit den acht Kleinen gesellte sich dazu. Der entnervte Rabbiner unterbrach die Zeremonie, bis wir die Familie eingefangen und zurück „nach Hause“ auf dem Hügel verfrachtet hatten. Übrigens, zu jener Zeit waren Rabbiner im Kibbuz sehr ungern gesehen, denn wir waren marxistisch und sekulär mit Überzeugung und unterzogen uns nur aus jekkischem Gehorsam für Gesetze zähneknirschend den staatlichen Religionsgesetzen. Doch das ist eine andere Geschichte. Meist fanden Chuppot ausserhalb des Kibbuz statt, wie auch die von Lea und mir beim herzigen jemenitischen Rabbi Zacharia in Nahalal. Rabbi Zacharia wurde drei Monate später von der Schwester Mosche Dayans, der ja von Nahalal stammte, totgefahren.


Unser bester Kunde war die Metzgerei Eisen in Haifa. Heute ist Eisen ein grosser und strikt koscherer Fleischverarbeitungsbetrieb und einem oder mehreren grossen Läden. Nur Eingeweihte wissen um die treffere Vergangenheit. Ich erzählte davon unserer koscheren Freundin Dora, für die Eisen das Non-Plus-Ultra aller Metzgereien ist und sie fiel fast in Ohnmacht. Sie forschte nach und fand, dass die Metzgerei und Wursterei Eisen heute ein seit Jahrzehnten anerkannt koscherer Betrieb ist und beruhigte sich. Sorgen haben die Leute! Ein weiterer guter Kunde waren Lea und ich zusammen mit unserem Gar’in (unserer Gruppe im Kibbuz) – gelegentlich brachte ich Fleisch und Speck nach Hause und es gab grosse Gelage. Kalanit, die beste Köchin des Gar’ins kochte gelegentlich für bis zwölf Esser, Lea brachte mir bei, wie man Speck knusprig brät – etwas das sie heute bestreitet – es sei jemand anderer gewesen. Erinnerungswert sind auch meine Reisen in öffentlichen Autobussen der Egged mit einem toten Ferkel im Handgepäck, das ich ins Veterinarinstitut in Beit Dagan bei Rishon Le-Zion zu bringen hatte.

Wie gesagt, es waren schöne zwei Jahre und ich schaue gerne und immer wieder meine selbstentwickelten Fotos jener Zeit an. Heute ist von der Schweinefarm nichts mehr zu sehen. Stattdessen steht auf diesem Hügel eine Pferdezucht und Reitanlage.

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