Jacques Ungar, in Jerusalem wohnender Israel-Redaktor der bekannten jüdischen Schweizer Wochen-Zeitschrift Tachles, bringt seine Leser besonders durch Editorials wiederholt auf den Boden der Realitäten zurück. Das ist ganz besonders in einer jüdischen und auch nichtjüdischen Gesellschaft ausserhalb Israels wichtig, die sich gerne ideologischen Träumen über Israel und sein Benehmen hingibt, seien diese israelkritisch oder überschwänglich kritiklos.
Pro memoria: Hamas will Israel vernichten
Editorial von Jaques Ungar
Ohne ein Wunder, wie es sie heutzutage kaum noch gibt, wird Gilad Shalit an diesem Wochenende den 1000. Tag in der Gewalt seiner Entführer verbringen. Schlimmer noch: Nachdem Israel die letzten, alle bisherigen Rahmen sprengenden Forderungen der Hamas zurückgewiesen hatte, weil es die strategische Gefährdung seiner Existenz fürchtete, meinte ein Sprecher dieser Organisationen zynisch, für sie würde es keine Rolle spielen, ob sie Shalit ein weiteres Jahr oder noch länger gefangen halten.
Mit Enttäuschung und Frustration quittierte Israel das offensichtliche Scheitern der Bemühungen Ehud Olmerts, Shalit kurz vor seinem Abschied aus der Politik nach Hause zu bringen. Dieses Scheitern hat diverse Gründe. Erstens hat Olmert den Fall Shalit aus Motiven der politischen Opportunität über zwei Jahre lang verschleppt. Er glaubte, die Hamas mit einer auf westlicher, europäischer Logik aufbauenden Verhandlungstaktik weichklopfen zu können. Er hoffte, das Drängen der Familien der im israelischen Gefängnis sitzenden palästinensischen Terroristen auf deren Freilassung würde letzten Endes die Herrscher in Gaza und ihre Hintermänner in Damaskus zu Kompromissen zwingen. Damit aber rannte Olmert voll in eine Sackgasse, in welcher er nun seinen Nachfolger Netanyahu stehen lässt.
Olmert scheiterte, weil er bis fast zuletzt den gleichen Irrtum beging, den Entscheidungsträger in Europa, auch im Berner Bundeshaus, immer offener, bewusster und immer schamloser begehen: Man «vergisst» elegant die oberste Zielsetzung der Hamas: Die «zionistische Einheit hat kein Existenzrecht und muss vernichtet werden, damit auf dem Land zwischen Mittelmeer und Jordan endlich der islamische Staat entstehen kann, von dem alle muslimischen Fundamentalisten träumen. Bei der Verfolgung ihrer irrationalen, ideologisch-religiösen Zielsetzung geht die Hamas durchaus rational vor, was sie doppelt gefährlich macht. Sie hat Zeit. Jahre und Jahrzehnte spielen keine Rolle, und das grösstenteils selbstverschuldete Leiden der eigenen Bevölkerung wird als nötiges Opfer auf dem Weg zum Ziel verherrlicht. Zudem nützt sie die Europäer aus, die heute Verhandlungen mit der Hamas längst nicht mehr ausschliessen. Das Festhalten der USA an der Erfüllung von Vorbedingungen durch die Hamas wird als stur und halsstarrig kritisiert.
Eine Organisation, die ihren Gefangenen während fast drei Jahren nie vom Roten Kreuz besuchen liess, die ihn hermetisch von der Umwelt abgeschnitten hat und ihm die elementarsten Menschenrechte (Erhalten und Schreiben von Briefen, Untersuchungen durch unabhängige Ärzte oder Familienbesuche) vorenthält, sollte an den Pranger gestellt und boykottiert werden. Stattdessen trachten immer mehr westliche Staaten danach, die israelisch-amerikanische Mauer der Isolation rund um die Hamas zu untergraben und zu durchlöchern – ungeachtet der klaren Vernichtungsstrategie der Organisation. Dass dies Shalit nicht in sein Dorf in Galiläa zurückbringt, ist ebenso klar, wie es für die betreffenden Staaten und Politiker keine Rolle spielt.
Olmert besass nicht das Rückgrat, seine palästinensischen Gefangenen gleich zu behandeln wie die Hamas Shalit behandelt: Einzelhaft ohne Familien- oder andere Visiten, etwa die eines Anwalts, Tage und Monate des einsamen Vor-Sich-Hinstarrens statt akademische Programme und Berufsausbildung. Über das Tandem Avigdor Lieberman und Binyamin Netanyahu wurde vielleicht zu Recht schon viel Unfreundliches gesagt und geschrieben. Vielleicht sind die beiden aber für den Fall Gilad Shalit genau jene Gegner, die der Hamas und ihren Hintermännern das Fürchten beibringen und sie in die Knie zwingen können.
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