Mittwoch, 18. März 2009

Menschenrechte - selbstverständlich

18.3.2009

Mein Tagebucheintrag mit den zwei Briefen vom 16.3.09 hat nette Antworten gebracht. Es macht Freude mit Menschen zu sprechen oder zu diskutieren, die, wie Urs schreibt, nicht an absolute Wahrheiten glauben, entsprechend gefärbte Ideologien blind vertreten und (meist) verbale Gewalt anwenden, wenn ihnen etwas nicht so erscheint, wie es nach ihren Vorstellungen sein müsste. Urs Emmenegger's Brief bietet noch weitere diskutierbare Themen an, doch habe ich einige davon bei anderen Gelegenheiten schon besprochen. Eins steht für mich fest: mit seinem Satz " Ich bin ja selbst weit vom Schuss, nachkriegs-dauerverwöhnter, unbehelligter Schweizer. Leute in Eurer Situation rümpfen über Kritik von solcher Seite irgendwie legitimerweise die Nase" hat er sich als "Gutmensch" disqualifiziert, seine Sicht der Dinge ist nicht in Stein geschrieben.

Womit ich zu einem Lieblingsthema, dem Gutmenschen, komme. Nicht nur im Tachles, sondern schon vorher, war von Jochi Weil's, Nationalratskandidat und Palästinenserspezialist, neuester Aktion zu lesen. Unter dem von Yeshayahu Leibowitz geborgten Titel "Besatzung zerstört die Seelen der Besetzenden", wurde im Tachles darüber geschrieben. Obwohl auch ich nichts von der Besetzung der Westbank halte, bin ich gerührt, dass sich jemand um meine Seele sorgt. Ich las im Website (Medienkonferenz in Deutsch anklicken) der dieser sich "Human Rights in Israel" nennenden neuen Bewegung drei Statements, von Jochi Weil, Philippe Lévy und Shelley Berlowitz. Grundsätzlich muss man diese Bestrebung unterstützen dachte ich, bis ich bei Shelley Berlowitz folgenden Satz las " Eine mit den modernsten Waffen aufgerüstete regionale Militärmacht führt Krieg gegen eine Zivilbevölkerung in Gaza, aus deren Mitte heraus selbst gebastelte, eingeschmuggelte Raketen auf israelische Zivilisten abgeschossen werden". Ich wusste nicht, ob ich weinen oder lachen sollte. Shelley Berlowitz schreibt in diesem Satz "aus deren Mitte heraus" werden Raketen nach Israel geschossen, damit wohlwollend zur Kenntnis nehmend, dass Hamas ihre eigene Bevölkerung zur Geisel genommen und zu unfreiwilligem Märtyrerschicksal erkoren hat. Die erwähnten selbst gebastelten Raketen sollen wohl Spielzeuge sein, so eine Art Wasserpistolen mit Düsenantrieb. Dass diese "Spielzeuge" zahllose israelische Opfer gefordert haben, wird schlicht unterschlagen. Genau so die Tatsache, dass israelische Erwachsene und Kinder zu Hunderttausenden unter psychischen Störungen leiden, nicht weniger als Erwachsene und Kinder in Gaza. Beiden könnte geholfen werden, wenn Hamas statt ihr Geld in Raketen, Mörser und andere Waffen zu investieren, damit Gazas Wirtschaft auf die Beine helfen würde. Es gäbe Enormes zu tun. Dann müsste Israel nicht mehr auf Angriffe reagieren, die Grenze könnte geöffnet werden und Gaza könnte blühen. Das hat weder mit der weit übertrieben dargestellten Überbevölkerung und Bevölkerungsdichte des Gazastreifens, noch mit israelischer Aggression (Reaktion) in dieser Gegend etwas zu tun. Übrigens, Bevölkerungsdichte hat mit Armut und Not nicht zwingend etwas zu tun. Man betrachte Orte wie Singapur, Hongkong und andere weit dichter bevölkerte Orte, die wirtschaftlich blühen und einen sehr hohen Lebensstandard besitzen.

Als jemand, der sich intensiv mit dem Leben unserer arabischen Mitbürger befasst, weiss ich, dass diese Teil unserer freien Gesellschaft sind und die "beinahe" voll ausleben. Das "beinahe" ist vordergründig sicherheitsbedingt und wird oft von den israelischen Behörden und Sicherheitsbeauftragten übertrieben. Es drückt sich aus in unangenehmen Sicherheitsuntersuchungen und in einer kleinen Einschränkung der Wahl von Arbeitsmöglichkeiten. Das schränkt ein. Nichts davon ist gesetzlich verankert, wird zwar durch die Umstände einer sechzigjährigen Kriegssituation verständlich, aber nicht entschuldbar und ist ein Schandfleck für unsere Demokratie. Doch als Bürger haben Israel's Araber bestimmt keinen Bedarf an Schweizerischer Unterstützung zu ihren Menschenrechten. Diese Unterstützung sollte eher der arabischen Welt angeboten werden, Palästina gehört dazu, einer Welt, in der Menschenrechte ein völliges Oxymoron sind. Immer wieder höre ich von meinen arabischen Freunden, wie sehr die Araber von 48 (das sind die 1948 in Israel gebliebenen Palästinenser) von ihren Brüdern gehasst werden. Ein wesentlicher Teil dieses Hasses liegt im Neid um die Freiheiten und sozialen Sicherheiten, in denen sie heute leben. Ein aktueller Nachsatz: es liegt an uns israelischen Bürgern, dass dies so bleibt, denn die sich abzeichnende extrem-nationalistische Regierung kann hier immensen Schaden anrichten. Doch das ist ein Thema für den nächsten Tagebucheintrag.

Kann es sein, dass Jochi Weil's neuester Streich etwas mit Durban II zu tun hat? Einer UNO-Konferenz in Genf, die Ende April stattfinden soll und an der traditionell ausschliesslich über Israel und seine "Menschenrechtsverletzungen" geschimpft und gelogen wird, unter völliger Vermeidung einer Diskussion der Situation der arabischen und muslimischen Welt (Kanada, USA und Israel haben sich von der Teilnahme abgemeldet. Andere westliche Länder sollten das auch tun). Störend ist vor allem, dass sich unter den Erstunterzeichnenden auch Mitglieder des jüdisch-schweizerischen Establishments befinden, dass Prominente jüdischer Gemeindeorganisationen darauf hereinfallen und sich hergeben, eine völlig einseitige, die Existenz des jüdischen Staates untergrabende Aktion zu unterstützen, nur weil in deren Programm das Wort "Menschenrechte" vorkommt. Wieder einmal wird der Kontext für Schlagworte unterschlagen. Menschenrechte sind ein Grundrecht, wenn das auch erst in der westlichen Welt erkannt ist. Weil sie ein Grundrecht sind, müssen sie von allen Staaten, Gesellschaften und Religionen dieser Welt eingefordert werden. Man kann und soll, wie es in der westlichen Welt, inklusive Israel, wiederholt geschieht, Verstösse einklagen und Fragliches frei diskutieren um eine Lösung zu erreichen. Ein hervorragendes Beispiel dazu ist das amerikanische Gefängnis Guantanamo - das jetzt, nach langen Diskussionen vom neuen amerikanischen Präsidenten geschlossen wird. Aber der heute modischen "Israelkritik" ein Alibi zur Verfügung zu stellen ("die Juden sagen es ja selbst") wird möglicherweise als Eigengoal für die Schweizer Juden enden. Denn wirklich durchgedacht ist das Anliegen dieses Grüppchens jüdischer Israelkritiker wirklich nicht.

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