Freitag, 28. Mai 2010

Die Nachwehen

Der Zürcher Tages-Anzeiger scheint die erste Tageszeitung der Deutschschweiz zu sein, die das Outing Ledergerber aufnahm. Die ersten paar Dutzend Leserkommentare waren von Judenhasser in Reinkultur. Dann fragten einige vernünftig, warum der liebe Elmar und seine ihn anhimmelnden Kommentatoren denn nicht auch zu einem Wirtschaftsboykott gegen China, Russland, Sudan und ähnlichen, die tatsächlich Menschenrechte verletzen, aufrufen – Iran wurde bisher ausgelassen – eine Frage, die den Vorfall noch mehr ins antisemitische Feld rückt. Eine Antwort dazu ist bisher nirgends zu finden. Inzwischen habe ich von Henryk M. Broder eine zehnminütige Definition des heutigen Antisemitismus gefunden, brillant vorgebracht vor dem Innenausschuss des deutschen Bundestages, eine überzeugende, sich immer wieder selbst beweisende These, die Denken und Funktionieren moderner Antisemiten erklärt.

Da ich in die Veröffentlichung des Vorfalls involviert bin, möchte ich einmal klar feststellen, kein Apologet rechtsextremer Siedler und Ähnlichen zu sein. Ich gehe nie aus Sympathie für die Siedler in die besetzten Gebiete, es sei denn, es gibt dort etwas Interessantes zu berichten, wie mein Bericht über die Damen der Machsom Watch (24.6.2009). Wieder einmal wiederhole ich, dass es beim Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern um zwei Völker geht, die beide berechtigte Ansprüche haben, aber, weil historisch gesehen, die Palästinenser eine alles oder nichts Politik betreiben, ein judenreines Palästina wollen, es schlicht keine annehmbare Lösung gibt. Die seit Ende der zwanziger Jahre bestehende religiöse Komponente hat sich verstärkt und ist auf beiden Seiten sehr einflussreich geworden. Die Khartum Grundsätze der arabische Welt von 1967 „keine Anerkennung, keine Verhandlungen, kein Frieden mit Israel“ haben sich gelockert, wir haben Friedensverträge mit Jordanien und Ägypten. „Alles oder nichts“ Politik gibt es auch bei uns Juden, doch politisch einflussreich ist sie erst in den vergangen Jahren geworden, vor allem durch die Friedensverweigerung der Palästinenser, ihrem Terror und den Raketenangriffe aus Libanon und Gaza und dem Judenhass aller islamischer Völker. Es hat sich gezeigt, dass bestenfalls Regierungen mit Israel einen Frieden abschliessen, ihr Volk hasst uns weiterhin mit religiöser Inbrunst, die mit Politik der Fakten rein gar nichts zu tun hat. Dadurch wuchs die Abneigung und sogar Furcht vieler Israelis vor dem palästinensischen und heute vor allem islamischen Feind. Das drückte sich in Wahlresultaten aus, die leider der politischen und extrem religiösen Rechte die Macht fehlender Vernunft verlieh.

Ebensowenig bin ich Apologet für die Palästinapolitik der Nethanyahu Regierung, die sich von Rechtsextremisten in Abhängigkeit gebracht hat und, weil Nethanyahu vor allem an seinem eigenen politischen Überleben interessiert ist, diese nicht zum Teufel jagt und eine Regierung der Vernunft mit den mitte-links Parteien Kadima und Arbeitspartei/Meretz auf die Beine stellt. Allerdings würde das die palästinensische Politik zurzeit nicht ändern – auch wenn, was für uns alle gut wäre, Siedlungen nicht nur nicht weitergebaut und sondern aufgehoben würden. Die Rückzüge aus Libanon (Barak) und Gaza (Sharon) haben uns leider bewiesen, dass Vertrauen fördernde Massnahmen dieser Art in der palästinensischen Welt als Schwäche ausgelegt wurden. Beide Male waren viele Tote auf beiden Seiten die Folge, ausgelöst durch Raketenangriffen der Hisbollah und Hamas, geliefert vom neuesten Feind Israels, dem islamistischen Iran, durch seine Stellvertreter an Israels Grenzen.

Etwa 80-90% Kommentare zum Ledergerber-Artikel des Tages-Anzeigers zeugen von freiwilliger, ja gekonnt böswilliger Ignoranz zum Thema, die den latenten Judenhass (ich ziehe dieses ehrliche Wort dem Wort „Antisemitismus“ vor, denn dann wird niemand mehr das abgeschliffene und unehrliche Argument, die Araber seien doch auch Semiten, anwenden können). Mehr will ich darüber nicht schreiben, Broders Definition zeitgenössischen Judenhasses tut das besser. Nur eines, nämlich das Gejammer der Israelkritiker, dass Israelkritik immer gleich mit der „Holocaustkeule“ beantwortet werde und sie als Judenhasser darstellen, bestätigt einmal das beleidigte Leberwurst Syndrom von Leuten, die ihr ganzes Wissen auf Vorurteile und oberflächliche Medienberichte aufbauen, jedoch keinerlei konkretes Wissen besitzen. Diese Art von Israelkritikern will nicht wahrhaben, dass Leute, deren Familien im Holocaust ermordet worden sind dies auch heute nicht vergessen können. Keiner dieser nichtjüdischen Kritiker scheint das begreifen zu wollen – er ist beleidigt, wenn er damit konfrontiert wird. Das alles verbirgt nicht die Tatsache, dass es vieles gibt, das bei Israel kritisiert werden kann – ich tue es ja selbst und machte mich in gewissen Kreisen auch schon recht unbeliebt. Immerhin, versuche ich mit meiner Tätigkeit mit meinen arabischen Freunden, diesen die Hand der Freundschaft zu reichen, bisher meist erfolgreich, wie jene, die den Besuch meines heute engen Freundes Said Abu-Shakra und mir in der Züricher Helferei Mitte April miterlebt haben.

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